Der NFL Draft 2018 kann zu den Akten gelegt werden, Tag 3 ist ebenfalls abgeschlossen. Der hatte es aber nochmal in sich: Der Deutsch-Amerikaner Equanimeous St. Brown muss viel länger warten als gedacht, während die inspirierende Draft-Geschichte um Shaquem Griffin ein tolles Ende findet. Außerdem: unerwartete Quarterback-Picks, ein Punter-Run, ein großes Browns-Risiko - und Value-Picks auch in den späten Runden.
Packers: Wie stehen die Chancen von EQ St. Brown?
Letztlich kann man die Frage, warum Equanimeous St. Brown bis in die sechste Runde abgerutscht ist und fast 30 Picks später ausgewählt wurde als damals Moritz Böhringer, nur spekulativ beantworten. Denn mit sportlichen Argumenten kann man diesen Draft-Slide nicht begründen. Auch wenn St. Brown noch deutlich physischer spielen muss, so ging er trotzdem etwa zwei Runden später als zu vermuten war zu den Green Bay Packers.
Eine Theorie, die sich im Laufe des Abends konstant hielt sowie mehr und mehr Nahrung erhielt: Teams waren von St. Browns Familie abgeschreckt, ganz besonders von seinem durchaus extrovertierten Vater. Der soll die NFL-Franchises an NBA-Helikopter-Vater LaVar Ball erinnert haben - eine Situation, die sich kein Team ins Haus holen wollte. ESPN hatte einen eigenen Einspieler, der zeigte, wie es bei der St. Brown-Familie so zugeht.
Der Sechstrunden-Pick wäre in diesem Szenario so gesehen nichts anderes als ein Low-Risk-Move: Kommt man miteinander aus, ist St. Brown ein Steal. Klappt es nicht, kann man sich vom 207. Pick im Draft problemlos trennen.
Rein sportlich betrachtet ist St. Brown ein Long-Speed-Receiver, der während seiner Route eine beachtliche Geschwindigkeit aufbaut. Seine Cuts sind gut, seine Bewegungen in der Route subtil und effizient, immer wieder löst er sich so von seinem Gegenspieler. Vor allem ist St. Brown eines: ein Big-Play-Downfield-Receiver. Dabei navigiert er gut über die Mitte, wurde Outside und im Slot aufgeboten. Wenn er an seiner Physis insgesamt und seiner Aggressivität am Catch Point arbeitet, kann er ein guter NFL-Receiver werden.
In jedem Fall wird ihn der Schritt von einer desolaten Quarterback-Situation im College hin zu Aaron Rodgers schon massiv weiterbringen. Darüber hinaus passt er ganz offensichtlich in ein neues Receiver-Beuteschema in Green Bay: Mit Michael Clark (2 Meter), St. Brown (1,98 m), Marquez Valdez-Scantling (1,95 m) sowie J'Mon Moore und Geronimo Allison (beide 1,93 m) haben die Packers plötzlich eine beachtliche Größe im Receiving-Corps.
Moore und Valdez-Scantling wurden ebenfalls an Tag 3 gedraftet. Was das sportliche Talent angeht, muss sich St. Brown vor beiden nicht verstecken. Sein gutes Tape in der Mitte des Feldes passt zudem in das Passing Scheme der Packers. Wenn St. Brown physisch aggressiver spielt und es abseits des Platzes keine der kolportierten Ablenkungen gibt, dann hat er eine reelle Chance, es in den Packers-Kader zu schaffen.
NFL Draft: Punter-Run an Tag 3
Ein Punter, Kicker oder Long Snapper in der siebten Runde? Kein Problem. An diesem Punkt im Draft geht es ohnehin um Spieler, die um ihren Kaderplatz kämpfen müssen, warum also nicht einem Special Teamer eine Chance geben. Doch was sich in diesem Jahr an Tag 3 im Draft ereignete, ging darüber doch deutlich hinaus.
Zum ersten Mal seit 1982 wurden mit aufeinanderfolgenden Picks Punter genommen. Und zwar nicht am Ende des Drafts, sondern in der fünften Runde! Die Packers (J.K. Scott) und Raiders (Johnny Townsend) sorgten für dieses historische Ereignis. Mehr noch: es waren nicht die ersten Punter des Abends. Bereits mit Pick 12 in der fünften Runde hatte Seattle Michael Dickson gedraftet - und für den Ex-Texas-Punter sogar nach oben getradet.
Um eine merkwürdige fünfte Runde komplett zu machen, wählten außerdem die Vikings hier noch einen Kicker. Stichwort Kicker: Ein weiterer Vertreter der kickenden Zunft wurde noch gedraftet, die Dolphins holten sich Jason Sanders in Runde 7. Die Frage hier allerdings lautet: warum? Sanders hatte im College eine Trefferquote von 71,4 Prozent.
Seahawks picken Shaquem Griffin
Die inspirierendste Geschichte dieses Drafts hat ein märchenhaftes Happy End gefunden. Shaquem Griffin musste zwar bis zur fünften Runde warten, das aber hat sich gelohnt: Der einhändige Pass-Rusher wurde von den Seattle Seahawks gedraftet - wo er dadurch jetzt mit seinem Zwillingsbruder, Cornerback Shaquill Griffin, wiedervereint wird.
Dass Griffin erst in der fünften Runde ausgewählt wurde, ist gar nicht mal unbedingt auf seine fehlende Hand zurück zu führen. Griffin ist nämlich ein Spieler, dessen Einordnung auf dem NFL-Level gar nicht so einfach ist.
Er ist zu leicht und hat nicht die Statur, um ein 3-Down-Edge-Rusher zu sein. Ein kreatives Einbauen in die Defense ist also gefragt, Griffin könnte etwa als ein Hybrid aus Strong Safety, Sub-Package-Linebacker, Underneath-Cover-Spieler und Edge-Rusher - wo seine Explosivität noch immer am besten zur Geltung kommt - eingesetzt werden. In jedem Fall wird er ein Team auch mit seinem Motor, seiner Art und seiner Einstellung weiterbringen.
Der merkwürdige Cowboys-Receiver-Trade
So wirklich schlau wird man aus dem, was die Cowboys mit zwei Trades im Laufe des dritten Draft-Tages gemacht haben, nicht. Zunächst holte Dallas Tavon Austin aus Los Angeles und zahlte dafür einen Sechstrunden-Pick - nur um wenige Stunden später Ryan Switzer an die Raiders abzugeben. Im Gegenzug erhält Dallas Defensive Lineman Jihad Ward.
Austin soll zwar als Running Back eingeplant sein, der zeitliche Ablauf der beiden Trades lässt dennoch auf einen Zusammenhang schließen. Beides sind so oder so kuriose Entscheidungen, ob einzeln oder im Zusammenhang betrachtet. Die Cowboys hatten Switzer erst im Vorjahr gedraftet, der Slot-Receiver hatte vielversprechendes College-Tape und war unter dem Rookie-Vertrag entsprechend günstig.
Austin auf der anderen Seite bringt auch nach der drastischen Gehaltskürzung noch einen Cap Hit von drei Millionen Dollar mit sich und ist ein Spieler, der bislang zumindest in keiner Offense gezeigt hat, dass er mehr als ein Gadget Player sein kann. Bestenfalls. Auch Sean McVay fand keine Rolle für den 27-Jährigen und setzte ihn primär als Running Back etwa bei End Arounds und dergleichen ein.
Antonio Callaway: Browns setzen auf Risiko
Das sportliche Talent bei Antonio Callaway - ein schneller, Yards-after-Catch-Receiver, der im Slot spielen kann und sich problemlos Separation verschafft - ist unbestreitbar und würde in dieser Klasse in die Top-3 der Wide Receiver gehören. Und doch war es überraschend, dass Cleveland ihn bereits mit dem fünften Pick in der vierten Runde auswählte. Denn der Ex-Florida-Wideout kommt mit einer gehörigen Ladung an Problemen abseits des Platzes.
Die gesamte vergangene Saison hatte er verpasst, nachdem er wegen Kreditkartenbetrugs suspendiert worden war. Bei der Combine wurde er positiv auf Marihuana getestet, Berichte über weitere Probleme kursieren. Mit seiner Masse an Draft-Picks kann sich Cleveland derartige Risiko-Picks in der Hinsicht zwar leisten. Doch wird sich erst zeigen, ob es für ein sehr junges Team, das eine Kehrtwende schaffen will, ein Spieler wie Antonio Callaway in der Kabine der richtige Weg ist.
Gute Picks an Tag 3:
Ian Thomas zu den Panthers (1. Pick 4. Runde): Carolina hat Cam Newton in der ersten Runde bereits mit D.J. Moore eine dringend benötigte Waffe gegeben - und legte in Runde 4 nochmal nach. Thomas ist ein extrem athletischer Tight End, der im College in einer Spread Offense oft quasi als Receiver eingesetzt wurde. Gemeinsam mit Greg Olsen hat Carolina jetzt die Möglichkeit, sehr gefährliche 2-TE-Sets zu spielen, mit Funchess und Moore Outside.
Kalen Ballage zu den Dolphins (31. Pick 4. Runde): Einer der Top-Sleeper-Running-Backs auf meinem Board. Explosiv, hat Power, ist ein sehr guter Receiver und wurde da auch im Slot aufgestellt. Kann als Returner eingesetzt werden, sprintet durch Arm-Tackles und baut während eines Runs gehörig Speed auf. Erinnert von seinem Stil her manchmal an David Johnson im College. Miami hat mit Ballage und Kenyan Drake jetzt ein ultra-athletisches, explosives Running-Back-Duo. Und Frank Gore.
Maurice Hurst zu den Raiders (3. Pick 5. Runde): Schon zu Beginn der vierten Runde sagte NFL-Network-Experte Mike Mayock, dass zwei Teams Hurst inzwischen mit Blick auf die bei der Combine festgestellten Herz-Auffälligkeiten medizinisch grünes Licht gegeben haben. Dass er dennoch bis in die fünfte Runde fiel, überraschte vor diesem Hintergrund.
Hurst ist der beste Pass-Rushing-Defensive-Tackle dieser Klasse. Ein extrem explosiver Spieler, antizipiert den Snap gut und ist dauernd im Backfield zu finden. Hurst ist genau die Art 3-Tech-Defensive-Lineman, wie ihn die NFL heute braucht. Die Raiders setzen mit einigen ihrer Picks auf Risiko. Bleibt Hurst aber gesund und bleibt Arden Key auf dem rechten Weg, dann hat Oakland plötzlich mit Hurst, Key, Khalil Mack und Bruce Irvin den potentiell gefährlichsten Pass-Rush in der NFL.
Jamarco Jones zu den Seahawks (31. Pick 5. Runde): Hatte zwar eine schlechte Combine, doch dass die ihn so weit abrutschen lassen würde, hatte man vorher nicht gedacht. Jones ist sehr athletisch, stark in Pass-Protection und ein guter Zone-Blocker. Groß, dennoch mit einer guten Balance und könnte auch als Guard eingesetzt werden. Die Seahawks adressierten die O-Line zwar erst spät (und auch ausschließlich mit Jones), der Pick dafür ist potentiell einer der größeren Value-Picks dieses Drafts.
John Kelly zu den Rams (2. Pick 6. Runde): Ein weiterer Sleeper-Running-Back auf meinem Board, den ich mir auch ein bis zwei Runden früher hätte vorstellen können. Kelly ist ein guter Receiver und trotz seiner Statur ein harter Runner mit Power sowie mit einem knallharten Stiff-Arm. Kann Inside laufen, hat Geduld und Vision vor der Line of Scrimmage und ist sehr agil. Bei den Rams natürlich nur der Backup hinter Todd Gurley, Kelly aber könnte L.A. eine echte Option bieten, um Gurley auch mal Pausen zu geben.
Braxton Berrios zu den Patriots (36. Pick 6. Runde): Wer Berrios spielen sieht, der wundert sich überhaupt nicht, dass die Patriots da zuschlagen würden. Ein kleiner, agiler, explosiver Receiver mit guten Route-Runner-Qualitäten und Geschwindigkeit in jeder Phase der Route. Die Pats haben bekanntermaßen Danny Amendola verloren, Berrios ist ein Kandidat für frühe Receiver-Snaps - und ein Punt-Returner, wo die Pats neben Amendola auch Dion Lewis haben ziehen lassen.
Überraschende Quarterback-Picks
Kyle Lauletta zu den Giants: Nicht wenige hatten bei den Giants ja beim Nummer-2-Pick in der ersten Runde einen Quarterback prognostiziert. Bekanntermaßen kam hier stattdessen Saquon Barkley und nicht etwa Sam Darnold oder Josh Rosen. Und dennoch gehen die G-Men mit einem sehr interessanten Quarterback-Prospect aus dem Draft.
Lauletta bringt schon ein großes Maß an Spielverständnis mit: Im College musste er durch Trainerwechsel insgesamt vier verschiedene Offenses lernen und genoss an der Line of Scrimmage zunehmend größere Freiheiten für Umstellungen und Protection-Calls. Ein intelligenter Passer, der Verteidiger mit seinen Augen manipuliert und Defenses schnell liest. Die Accuracy aber ist sehr inkonstant und vor allem die mangelnde Armstärke wirft große Fragezeichen auf. Doch mit ein, zwei Jahren Training hinter Eli Manning - wer weiß.
Mike White zu den Cowboys: Dallas war auf der Suche nach einem Backup für Dak Prescott, White ist dafür eine äußerst interessante Wahl - und auch ein Kandidat, den man eher früher und anderswo als mögliche langfristige Entwicklungs-Option gesehen hatte. Hat in seiner College Offense mit Full-Field-Reads gearbeitet, Beinarbeit und Mechanik sind schon solide. Verhält sich gut gegen Pressure. Aber: Accuracy wird ein Problem, wenn es über das Kurzpassspiel hinausgeht. Muss sich in der Pocket besser bewegen und übersieht gerne mal Underneath-Verteidiger.
Danny Etling zu den Patriots: Von wegen Lamar Jackson oder Josh Rosen! Auch Mason Rudolph und Kyle Lauletta ließen die Pats links liegen. Stattdessen gab's an Position 219 Overall Danny Etling: Ein technisch und mechanisch unglaublich roher Quarterback mit grausamem Pocket-Verhalten gegen Pressure, schlimmer Fußarbeit und bestenfalls inkonstanten Reads. Quasi der Anti-Patriots-Quarterback, der um seinen Kaderplatz kämpfen muss.
Eine Randnotiz noch zu den Patriots: Schon im Vorfeld des Drafts war durchgesickert, dass New England die Klasse als schwach einstuft und vergleichsweise wenige Spieler überhaupt auf seinem Board hat. Das sah man auch an Tag 3 nochmals, insgesamt gab es acht Pick-Trades mit Patriots-Beteiligung im Laufe dieses Drafts - viele davon mit dem Ziel, runter oder raus aus dem Draft zu traden.
Die Pats haben schon jetzt ein ordentliches Pick-Arsenal für 2019 zusammen, darunter zwei Zweitrunden- und mehrere Drittrunden-Picks. Möglicherweise Munition für einen dann hohen Quarterback-Pick.
Tanner Lee zu den Jaguars: Auch bei den Jaguars hatte man ein wenig auf einen früheren Quarterback-Pick spekuliert, um Blake Bortles ernsthafte Konkurrenz zu machen. Stattdessen kam mit Nebraskas Tanner Lee ein QB, der Bortles in einigen Bereichen nicht unähnlich ist - und das ist durchaus negativ zu verstehen. Accuracy-Probleme, viel zu viele Turnover-Worthy-Plays und ein Touchdown-Interception-Verhältnis von 46:37. Der Pick bringt die Jags auf der wichtigsten Position überhaupt nicht weiter.
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