NFL: Fragwürdiges Play-Calling, "verwirrter" Brady - die Offensivprobleme der Tampa Bay Buccaneers

Marcus Blumberg
25. November 202012:04
Tom Brady hatte in den vergangenen Spielen Probleme mit langen Pässen für die Tampa Bay Buccaneers.getty
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Die Tampa Bay Buccaneers sind auf Playoff-Kurs, mussten jedoch zuletzt ein paar empfindliche Niederlagen einstecken und wiesen jeweils große Probleme in der Offensive auf. Doch woran liegt es? Am Personal, dem Play-Calling oder doch Quarterback Tom Brady? Und wo geht die Reise für Tampa dieses Jahr hin?

Die Tampa Bay Buccaneers spielen eigentlich eine relativ gute Saison. Mit einer Bilanz von 7-4 befinden sie sich klar auf Playoff-Kurs und würden damit etwas schaffen, was ihnen seit 13 Jahren nicht mehr gelang. Dennoch herrscht derzeit eine gewisse Tristesse in Nordflorida, wo die Erwartungen im Vorfeld dieser Saison mit der Verpflichtung von Tom Brady durch die Decke schossen.

Nach zuletzt zwei Pleiten gegen gute Teams in den vergangenen drei Partien steht als nächstes das Duell mit dem Super-Bowl-Champion Kansas City Chiefs (Sonntag, 22.25 Uhr live in der NFL RedZone-Konferenz auf DAZN) an, der Fehler noch konsequenter bestraft als die bisherigen Gegner der Bucs.

Die Bucs haben gerade erst daheim gegen die Los Angeles Rams verloren. Das allein ist noch kein herber Rückschlag, wenn man bedenkt, dass auch diese ein klarer Playoff-Anwärter sind. Doch setzte diese Pleite eine ganze Reihe von negativen Trends fort, die für Unbehagen sorgen.

Die offensichtliche Aversion zu Spielen in der amerikanischen Primetime (Abendspiele) ist dabei noch das geringste Übel - die Bucs haben vier Mal in der Primetime gespielt, drei dieser Partien (Rams, Saints, Bears) gingen verloren. Gegen die Giants mühte man sich gerade so zu einem Sieg.

In den jeweiligen SPOX-Analysen wurde Brady sowohl gegen die Rams , als auch gegen die Saints jeweils als "Flop des Spiels" deklariert - gegen die Bears waren es die Offensive Tackles, doch auch in dem Spiel sah der GOAT nicht unbedingt großartig aus, verzählte sich zudem am Ende bei der Zahl der Downs.

Buccaneers: Brady "manchmal von Coverages verwirrt"

Insofern liegt es nahe, die Fehleranalyse beim Superstar-Neuzugang dieser Saison zu beginnen. Head Coach Bruce Arians sorgte nach dem Rams-Spiel für Verwunderung mit einer bestimmten Aussage: "Ich denke, er wird manchmal von Coverages verwirrt, was zu ein paar unpräzisen Bällen führte."

Tom Brady kommt mit Coverages durcheinander? Der König der Pre-Snap-Diagnose in der NFL soll Probleme mit eben jener Disziplin haben? Das klingt auf den ersten Blick erstmal absurd, wenn man bedenkt, welch Dominanz Brady in den vergangenen Jahren in New England vor dem Snap ausstrahlte. Aber ein Blick auf die Zahlen deutet zumindest mal darauf hin, dass es in diesem Bereich tatsächlich Schwächen gibt beim Quarterback.

Laut ESPN Stats and Information hat Brady in dieser Saison gegen sogenannte "Disguised Coverages" - Situationen, in denen die Defense vor dem Snap eine andere Coverage vorgibt als sie dann eigentlich spielt - 8 Touchdowns und 3 Interceptions geworfen. Die 8 Touchdowns sind zwar die zweitmeisten in der NFL gegen Disguised Coverages, die 3 Picks aber auch die drittmeisten der Liga. Und: in diesen Situationen kommt Brady auf eine Passquote von gerade mal 58,3 Prozent - Rang 29 in der NFL.

Zum Vergleich: Seit 2016 wird die Disguised-Coverage-Statistik aufgezeichnet, in diesem Zeitraum ist das Bradys schlechteste Completion Percentage überhaupt in einer Saison. Von 2016 bis 2019 kam er auf 69,1 Prozent in diesen Situationen mit 17 Touchdowns und nur 2 Interceptions insgesamt.

Abgesehen von diesem Faktor weist Brady neuerdings auch deutliche Probleme mit seinen Deep Balls - Pässe, die mindestens 20 Air Yards fliegen - auf. "Die Jungs sind meistens offen. Wir haben sie nur verfehlt", erklärte Arians das Problem. Und damit liegt er gar nicht mal so falsch.

Buccaneers: Brady verpasst diverse Chancen gegen Rams

Gegen die Rams hatte Brady diverse Chancen, lange Pässe anzubringen. Doch er überwarf des Öfteren seine Targets deutlich, wie auch schon in anderen Spielen dieser Saison. Teilweise ließen die Kollegen die Bälle durch die Hände rutschen, etwa Antonio Brown am vergangenen Sonntag. Oder Brady warf zu kurz und übersah den einen oder anderen Gegenspieler.

Seine zweite Interception gegen Los Angeles war so ein Fall, wo er Tight End Cameron Brate auf einer Seam-Route suchte, Safety Jordan Fuller aber übersah und eben zu lang warf - Interception, Game Over. Früher im Spiel überwarf er einen Pass deutlich und hatte noch Glück, dass John Johnson selbigen nicht auch abfing - jener ließ ihn durch die Hände gleiten.

"Es war einfach ein schlechter Read", analysierte Brady die Interception von Fuller. "Ein schlechter Read, ein schlechter Wurf, eine schlechte Entscheidung - alles schlecht. Und das darf nicht passieren."

Wie schlecht seine Deep Balls generell zuletzt waren, beschreibt Next Gen Stats am besten. In den jüngsten vier Spielen brachte Brady keinen seiner 19 Deep Passes an. Das ergibt ein Passer Rating von 0. Zudem warf er 3 Interceptions. Und da er auch seine drei finalen Versuche in Woche 7 gegen die Raiders vergab, steht Brady gar bei 0-22 bei tiefen Pässen in Serie. Das ist die längste Durststrecke überhaupt eines Quarterbacks seit mindestens 2017 - Rookie Joe Burrow verpasste von Woche 2 bis 5 in dieser Saison mal 17 solcher Pässe in Serie.

Allerdings ist dieser Leistungseinbruch nur schwer zu verstehen, denn von Woche 1 bis 7 lief es bei tiefen Pässen eigentlich gut für Brady und die Bucs. Er brachte 14 von 39 für ein Passer Rating von 101,2 an und legte damit zwei Touchdowns auf.

Was ist also passiert seither? An der Oberfläche eher nichts, denn es sind zumindest keine offensichtlichen Verletzungen bekannt. Liegt es also vielleicht doch an der Offense an sich, die Brady nicht unbedingt zugutekommt?

Buccaneers: Fehlendes Offseason-Training als Nachteil

Arians jedenfalls verweist auf die Trainingsleistungen und betont, dass Brady auf dem Übungsplatz stets die Pässe anbringt und nur im Spiel Probleme aufweist. Dann sind es vielleicht doch die verwirrenden Coverages?

Arians sieht derweil fehlende Kontinuität als Schwierigkeit für Brady. Nachdem jener 20 Jahre in einem System, einer Philosophie unterwegs war, muss er nun etwas komplett neues lernen. "Ich denke nicht, dass es mangelndes Selbstvertrauen ist. Und es ist auch kein Mangel an Vertrauen in das, was wir tun - ihm fehlt einfach die Kontinuität in dieser Offense und insgesamt bei uns", sagte Arians.

Was er damit meint, ist die fehlende Trainingszeit aus dem Frühjahr. Durch Covid-19 waren alle Offseason-Trainings virtuell und keine wirklichen Trainings, sondern Besprechungen. Erst im Training Camp ging es für Brady mit den neuen Kollegen erstmals strukturiert auf den Platz. Vollstes Vertrauen könnte also durchaus noch fehlen. Und auch wenn Brady "viele seiner eigenen Plays ansagt oder aus dem Gameplan an der Seitenlinie selbst auswählt", wie Arians betont, ist es für ihn eine insgesamt neue Offense.

Die Deep-Ball-Frequenz ist einfach deutlich höher als bei den Patriots, was allerdings auch zuletzt daran lag, dass die Patriots schlicht keine Deep Threats hatten. Die Bucs verfügen mit Mike Evans, Chris Godwin, Scotty Miller und nun eben auch Brown über diverse schnelle Receiver, die für diese Grundidee ideal erscheinen. Und zumindest mit Evans scheint das Zusammenspiel gut zu funktionieren: Evans erzielte bereits acht Red-Zone-Touchdowns in diesem Jahr, die meisten der Liga.

Aber es fehlen eben auch für Brady wichtige Elemente aus seiner Patriots-Zeit. Allen voran gehen ihm merklich die kurzen, sicheren Pässe auf die Running Backs und einen zuverlässigen Slot-Receiver ab.

Nicht, dass es solche Pässe nicht im Playbook der Bucs gäbe. Doch die vorhandenen Running Backs wie Ronald Jones und Leonard Fournette lassen eben häufig Pässe fallen und sind weit von den Qualitäten eines James White zum Beispiel entfernt. Und Slot-Guy Godwin ist auch eher ein vertikaler Spieler als ein Underneath-Typ. Dadurch kommt die Offense eben auch des Öfteren ins Stocken.

Tom Brady hatte in den vergangenen Spielen Probleme mit langen Pässen für die Tampa Bay Buccaneers.getty

Buccaneers: Zu viele Läufe als Problem?

Und das wiederum ist ein Faktor, der nicht von Brady ausgeht: Das Play-Calling der Bucs lässt häufig zu wünschen übrig und sorgt des Öfteren für Stirnrunzeln. Da wären die vielen Runs bei Early Downs, die zuletzt häufig nicht funktionierten. Doch anstatt sie zu verringern, hält Arians gerne stur daran fest. Das bringt dann die Offense immer wieder in schwierige Third-and-Long-Situationen, die für niemanden leicht sind.

Was bei den Bucs jedoch bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass sie erstaunlicherweise sogar die achthöchste Pass-Rate in der Liga in Early Downs aufweisen (bei einer Siegwahrscheinlichkeit von nicht weniger als 20 Prozent und außerhalb der finalen zwei Minuten einer Halbzeit). Das klingt modern, doch ist es in diesem Fall nicht sonderlich effektiv. Ihre frühen Pässe bringen zu selten Erfolg (Dropback EPA: 0,100) und jener moderate Erfolg wird dann wiederum durch ihre frühen Laufspielzüge effektiv neutralisiert (Rush EPA/Play: -0,083).

Insgesamt betrachtet belegen die Bucs mit 0,025 EPA/Play in Early Downs gerade mal Rang 21 der NFL, was eben zur Folge hat, dass sie sich immer wieder selbst das Leben schwer machen bei Third Down.

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Die Bucs zeigen damit immerhin ganz gut, dass Pässe allein nicht das Allheilmittel sind in frühen Downs. Es müssen eben auch effiziente Passspielzüge her. Bei den Bucs jedoch ist es meist so, dass sie bei Early Downs - wenn sie den Ball werfen - vielleicht zu viel Risiko gehen, statt mit einem präzisen Kurzpassspiel die Chains zu bewegen und einen Drive am Leben zu halten. Hier kommt eben Arians' Motto "No risk it, no biscuit" zum Tragen.

Er will riskant spielen, weil er sich davon größeren Ertrag verspricht. Wird das Risiko aber nicht belohnt, gehen Angriffsserien eben schon früher als gewünscht zu Ende, was einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Problemen mit sich bringt - allen voran sicherlich mehr Chancen für den Gegner und mehr Einsatzzeit und Belastung für die eigene Defense, die ebenfalls größtenteils riskant und aggressiv blitzt, was eben Kraft kostet.

Bucs: Was ist der offensive Plan?

Längere Drives sind wünschenswert, sind aber gerade nicht die Regel in Tampa. Auch hier kann man wieder fehlende Konstanz und Kontinuität anführen.

Und überhaupt scheint nicht so ganz klar, wohin die Reise offensiv eigentlich gehen soll. Ja, die Bucs laufen im Prinzip zu häufig - zur Unzeit - mit dem Ball. Doch sind sie darin eben auch nicht konsequent. Im zweiten Spiel gegen die Saints liefen sie ganze fünfmal. Gegen die Rams 18 Mal und gegen die Bears sogar 20 Mal. Gegen die Panthers (46:23) dagegen waren es 37 Carries für 210 Yards.

Doch das war freilich eine Anomalie. Aber dennoch bemerkenswert, da die Panthers früh mithielten und sogar zweimal in Führung gingen. Dennoch hielt Arians am Run Game fest. Es war die Woche nach der Saints-Klatsche und wohl eine Art Trotzreaktion.

Sie unterstrich allerdings, dass auch Arians nicht so recht weiß, wie seine Offense nun auszusehen hat. Keine klare Identität in der eigenen Offensive zu haben, ist nicht per se schlecht - Brady selbst spielte 20 Jahre in einer Organisation, die dafür bekannt ist, Woche für Woche den eigenen Gameplan extrem am kommenden Gegner auszurichten. Dennoch blieb immer die Grundidee erhalten.

Bei den Bucs hingegen ist eine funktionierende Grundidee zumindest konstant nicht zu erkennen.

Buccaneers: Offense in Early Downs 2020

BuccaneersWertLiga-Rang
Pass-Rate55,8 Prozent8.
Dropback EPA0,10022.
Rush EPA-0,08318.
EPA/Play0,02521.