Ausverkauf, Verzweiflung, Hoffnung

Von Adrian Franke
14. März 201613:31
Osweiler und Miller (l.) sowie Vernon und Jenkins gehören zu den FA-Schwergewichtengetty
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Die erste große Welle der Free Agency ist vorbei, Zeit für ein Fazit: Während die New York Giants per Verzweiflungstat versuchen, die Problemzone des vergangenen Jahres zu reparieren, gehen die Houston Texans in Person von Brock Osweiler das große Risiko ein. Die Running Backs feiern ein Comeback, die Panthers landen die Top-Deals und Cleveland taumelt dem Abgrund entgegen. Der Hangover bewahrt trotz wilder Transferoffensiven und Winter-Schlussverkäufe den Überblick.

Die Verzweiflungstat: Die New York Giants. Olivier Vernon ist ein guter NFL-Pass-Rusher. Mehr sogar, er ist ein sehr guter NFL-Pass-Rusher. Tatsache ist: Über die letzten zehn Regular-Season-Spieltage hatte niemand mehr Pressures als der Ex-Dolphin (64), der trotz allem während der Saison noch ein wenig unter dem Radar flog. Das war schnell vorbei, als klar wurde, dass ihm Miami nicht den Franchise Tag geben würde - schnell war Vernon einer der Top-Free-Agents.

Das belegten dann auch die Zahlen: Fünf Jahre, 85 Millionen Dollar und 52,5 Millionen garantiert gaben die Giants Vernon, damit er einen im Vorjahr non-existenten Pass-Rush wieder belebt. New York stach dabei die Jaguars aus - die JAGUARS! Niemand überbietet die Jaguars in der Free Agency.

Alle Deals vom zweiten Tag der Free Agency gibt's hier zum Nachlesen!

Doch damit nicht genug, denn wesentlich fragwürdiger ist die Verpflichtung von Janoris Jenkins. Der Ex-Rams-Cornerback erhält über die kommenden fünf Jahre stolze 62,5 Millionen Dollar (40 Millionen garantiert), und Jenkins ist ein absoluter Boom-or-Bust-Spieler. Auf jede spektakuläre Interception kommt mindestens ein kostspieliger Mega-Fehler, weil Jenkins auf den Pick spekuliert. 16,8 Targets pro Touchdown sowie 22 zugelassene TD-Pässe über die letzten vier Jahre stehen auf Jenkins Resüme. Top-Cornerback-Zahlen - Jenkins kassiert mit seinem Deal mehr als Patrick Peterson und Richard Sherman - sehen anders aus.

Der dritte im Bunde ist Damon Harrison - und hier muss man die Giants auch mal loben. 46 Millionen Dollar über fünf Jahre für den vielleicht besten individuellen Run-Stopper der Liga sind ein guter Deal. Über 200 Millionen Dollar ließen sich die Giants die Verpflichtungen von Vernon, Jenkins und Harrison kosten, dazu kommt der neue Einjahresvertrag für Jason Pierre-Paul, der nach seinem Feuerwerks-Unfall erst einmal wieder richtig tackeln muss. Die Giants haben den Mega-Splash hingelegt und nur allzu häufig rächt es sich, die eigene Problemzone - und sei sie auch so groß und präsent wie in New York - derart aggressiv in der Free Agency anzugehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Verzweiflungs-Transferoffensive rächt - oder ob sie als Wiedergeburt der Good Old Giants im Gedächtnis bleibt.

Das Risiko: Brock Osweiler. Die ausführliche SPOX-Analyse zum Osweiler-Trade könnt ihr bereits hier nachlesen, unerwähnt darf der ehemalige Vertreter von Peyton Manning aber natürlich nicht bleiben. Immerhin geht Houston ein großes Risiko ein, die ganze Team-Führung legt im Prinzip ihre Zukunft in die Hände des siebenfachen NFL-Starters. Denn eines ist klar: Wird das Osweiler-Experiment nicht relativ schnell ein Erfolg, werden Köpfe rollen.

Dementsprechend spielt Houston mit dem Feuer, Osweilers Game Tape aus dem Vorjahr zeigt immerhin, auch wenn er fünf seiner sieben Spiele gewann, zumindest noch keinen Franchise-Quarterback. Man sieht viele Fehler in der Pocket, schlechte Entscheidungen und überhastete Würfe. Helfen soll Lamar Miller, der Top-Running-Back der diesjährigen FA-Klasse, und all das hinter einer neuen O-Line: Mit Brandon Brooks und Ben Jones verlor Houston hier im Gegenzug zwei Starter.

An keinen Spieler bindet man sich so sehr wie an seinen Franchise-Quarterback. Die Texans-Verantwortlichen wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Das Comeback: Die Running Backs. Wer hätte es gedacht - die Running Backs sind wieder da! Eine Position, die über die vergangenen Jahre eine beispiellose finanzielle Entwertung erfahren hat, spielte in dieser Free Agency plötzlich wieder eine Rolle: Doug Martin erhielt von den Bucs 15 Millionen garantiert, wenige Stunden bevor er auf den Markt gekommen wäre.

Denver holt Sanchez - Johnny Manziel entlassen

Lamar Miller bekommt in Houston 14 Millionen garantiert, während die Jaguars Chris Ivory über die ersten beiden Jahre zehn Millionen geben. Ivorys Nachfolger bei den Jets, Matt Forte, unterschrieb für drei Jahre, zwölf Millionen Dollar und neun Millionen garantiert. Als fast 31-jähriger Running Back. C.J. Anderson bekommt von Miami 18 Millionen über vier Jahre - oder mehr von Denver, sollten die Broncos auf die Offerte reagieren. Fazit: Wenn der Wert da ist, sind Teams noch immer dazu bereit, für Running Backs Geld in die Hand zu nehmen.

Der Top-Deal: Charles Johnson und Mike Tolbert. Große Mega-Deals haben die Panthers in der Free Agency nicht raus gegeben, der NFC-Champion hat angesichts seines stark besetzten Kaders dafür auch keinerlei Veranlassung. Stattdessen holten die Panthers zwei ihrer eigenen Spieler zum Schnäppchen-Preis zurück.

Fullback Mike Tolbert, insbesondere als Blocker ein wichtiger Bestandteil im Running Game, unterschrieb für zwei Jahre und 3,3 Millionen Dollar. Vor allem aber schaffte es Carolina, mit Charles Johnson eine Einigung zu erzielen: Die Panthers entließen den Defensive End, der den Cap eigentlich mit 15 Millionen Dollar belastet hätte, zunächst - und holten ihn dann mit einem Einjahresvertrag über drei Millionen Dollar zurück. Ein absolutes Schnäppchen für einen Spieler, der in den vergangenen Playoffs alleine drei Sacks verzeichnete.

Die Entlassung: Johnny Manziel. Keine zwei Jahre ist es her, da explodierte Cleveland in einem einzigen Freudentaumel. Die Browns hatten mit dem zweiten ihrer beiden Erstrunden-Draft-Picks gerade Johnny Manziel geholt und die leidgeprüften Browns-Fans sahen die Chance auf den großen Heilsbringer.

Knapp zwei Jahre später fragten sich alle nur: Wann wird Manziel entlassen? Am Freitag war es schließlich so weit, die Manziel-Ära endete mit einem schmucklosen Statement. Kein Zitat eines Verantwortlichen, eine kurze Auflistung der Statistiken von Manziel im Browns-Trikot. Das war's. Cleveland begibt sich damit wieder einmal auf die Suche nach einem Quarterback. Stichwort Statistiken: Die Browns haben in den letzten neun Jahren drei QBs in der ersten Runde gedraftet. Keiner davon blieb länger als drei Jahre im Team.

Die Gewinner: Die Oakland Raiders. Über Jahre hinweg waren die Raiders als das Free-Agency-Team bekannt, das Altstars viel zu teure Verträge gibt und auf einen späten Frühling spekuliert. Doch das hat sich über die vergangenen Jahre geändert. Oakland hat gut gedraftet und zieht inzwischen auch auf dem Transfermarkt nach.

Der erste Tag der Free Agency im Re-Live

Drei Verpflichtungen springen dabei ins Auge: Kelechi Osemele (5 Jahre, 58,5 Millionen Dollar, 25,4 Millionen garantiert) war zwar teuer, allerdings bekommen die Raiders mit dem Ex-Raven einen herausragenden Guard, der auch als Tackle aushelfen kann. Derek Carr wird es den Verantwortlichen danken.

Bruce Irvin aus Seattle zu verpflichten war der nächste schlaue Move. Der 29-Jährige (4 Jahre, 37 Millionen Dollar, 19 Millionen garantiert) ist kein kompletter Spieler, aber ein brandgefährlicher Pass-Rusher. Gegenüber vom dominanten Khalil Mack wird Irvin zweifellos Zahlen produzieren. Dazu kommt das absolute Schnäppchen: Sean Smith für weniger als zehn Millionen im Jahr zu bekommen - gerade im Vergleich zu Janoris Jenkins - grenz schon an die Kategorie "unverständlich".

Die Emotionslosen: Die Philadelphia Eagles. So etwas sieht man nicht aller Tage, selbst im schnelllebigen Geschäft der NFL. Man bekam in den vergangenen Tagen unweigerlich den Eindruck, als wollte Philly möglichst schnell mit den "Altlasten" der Chip-Kelly-Ära aufräumen: DeMarco Murray? Für einen Tausch der Viertrunden-Draft-Picks nach Tennessee. Byron Maxwell und Kiko Alonso? Für den Tausch der Erstrunden-Picks zu den Miami Dolphins.

Es war ein klares Statement des unter Kelly demontierten Howie Roseman, der eindrucksvoll wieder das Kommando übernahm. Wie die Faust aufs Auge passte es dazu, das mit Doug Pederson ein langjähriger Schüler von Andy Reid als neuer Head Coach geholt wurde - jener Andy Reid, den Kelly vor einigen Jahren beerbte. Achja: Mark Sanchez wurde übrigens auch abgegeben.

Allerdings gilt es, trotz des Winterschlussverkaufs in Philly, nicht zu vergessen, dass sich die Eagles auch sinnvoll verstärkt haben: Guard Brandon Brooks unterschrieb für fünf Jahre und 40 Millionen Dollar. Brooks sollte helfen, eine der größten Schwachstellen der Eagles in der Vorsaison zu beheben.

Die Verlierer: Die Cleveland Browns. Mit Alex Mack, Mitchell Schwartz, Travis Benjamin und Tashaun Gipson verloren die Cleveland Browns bislang vier Starter in dieser Free Agency, durch die Abgänge von Schwartz und Mack wird aus der einzigen Stärke - der O-Line - jetzt vermutlich ebenfalls eine Schwäche. Die Browns haben nicht erst seit der Entlassung von Johnny Manziel keinen Quarterback, wissen nicht, ob und wann sie Josh Gordon zurückerhalten und haben kurz gesagt viel mehr Fragen als Antworten

Der zweite Tag der Free Agency im Re-Live

Dieses Gefühl haben übrigens nicht nur die Fans in Cleveland: Berichten zufolge rumort es inzwischen auch innerhalb des Teams, die Spieler fragen sich, was genau die Verantwortlichen vorhaben. Die bisherige Vorgehensweise passt offenbar zumindest überhaupt nicht zu dem, was den Spielern versprochen wurde.

Es bleibt abzuwarten, wie die Browns weiter vorgehen, und ob sie in den kompletten Rebuild-Modus umschwenken. Mit Left Tackle Joe Thomas hat Cleveland genau einen wirklich wertvollen Trade-Kandidaten und der Kommentar von Benjamin sagte eigentlich alles. Auf die Frage, ob es ihm schwer gefallen sei die Browns zu verlassen und nach San Diego zu wechseln, antwortete der Receiver: "Nein. Überhaupt nicht." Gut denkbar, dass es Thomas inzwischen genau so geht.

Das Fragezeichen: Der Chase-Daniel-Deal. Nochmal zurück zu den Eagles, denn die für viele offensichtlichste "Altlast" blieb in Philadelphia: Sam Bradford verlängerte in Philly für zwei Jahre und garantierte 22 Millionen Dollar. Eine stolze Summe, nimmt man Bradfords vergangene Saison nochmals unter die Lupe.

Wer allerdings davon ausging, dass Philadelphias Quarterback-Frage damit geklärt ist, sah sich kurz nach dem Start der Free Agency auf dem Holzweg: Pederson holte Chase Daniel von seinem Ex-Team Kansas City nach - und die Eagles gaben dem vermeintlichen Backup-Quarterback einen Dreijahresvertrag über 21 Millionen garantiert! Das ist kein Backup-Quarterback-Gehalt, um genau zu sein liegt Daniel damit pro Jahr drei Millionen über dem nächstbesten Backup-QB-Deal (Chad Henne in Jacksonville).

Natürlich lässt das die Vermutung zu, dass Daniel in Philly mehr sein soll als ein Backup - auch wenn Pederson diese Gerüchte sofort und vehement dementierte. Die Eagles haben sich mit dem Daniel-Vertrag aber dennoch mutmaßlich eine Quarterback-Debatte ins Haus geholt und bei Division-Rivale Washington war in der Vorsaison eindrucksvoll zu sehen, wie schnell ein im März vom Coach als Starter titulierter QB degradiert werden kann.

Alle Jahre wieder...sparen die Jacksonville Jaguars nicht mit ihren Mega-Verträgen. Da wäre natürlich der dickste Free-Agency-Fisch zu nennen: Malik Jackson unterschrieb für sechs Jahre und über 85 Millionen Dollar. Die spannende Frage: Funktioniert der in der vergangenen Saison so dominante Defensive Tackle auch, wenn er der Star der Defense ist? Den Luxus, Von Miller, Derek Wolfe und DeMarcus Ware um sich herum zu haben, hat er jetzt jedenfalls nicht mehr.

Wesentlich größer ist aber das Fragezeichen hinter der Verpflichtung von Chris Ivory. Fünf Jahre und 32 Millionen Dollar für einen erwiesenermaßen verletzungsanfälligen Running Back? Schon auf den ersten Blick kein guter Deal. Bedenkt man dann aber außerdem noch, dass die Jags in T.J. Yeldon einen jungen und guten Back im Kader haben, scheint die Ivory-Verpflichtung noch mehr wie raus geworfenes Geld. Ein günstiger, erfahrener Backup hätte wohl völlig ausgereicht.

Da es allerdings wesentlich schöner ist, auf einer positiven Note zu enden, bekommen die Jags auch Lob: Cornerback Prince Amukamara für einen Einjahresvertrag zu bekommen (berichtet wird über ein Gehalt in Höhe von etwa acht Millionen Dollar) ist ein guter Deal. Amukamara hat seit 52 Spielen keinen 100-Yard-Receiver mehr zugelassen.

Brock Osweilers Statistiken im Detail