Die Houston Texans gehen als eine der größten Wildcards in die kommende Saison: Von Platz 4 in der eigenen Division bis hin zu möglichen Titel-Ambitionen scheint kein Szenario komplett undenkbar - zu groß sind die Fragezeichen auf einigen Schlüsselpositionen. Gleichzeitig muss sich Houston nach der vergangenen Saison umstellen. Gelingt das, könnte man endlich den nächsten Schritt machen; und vielleicht endlich ein ernsthafter Titelkandidat werden.
Der sprichwörtliche Elefant im Raum ist bei den Texans nun wirklich nicht zu übersehen: Mit Deshaun Watson und J.J. Watt kommen zwei Mega-Stars und (erhoffte) Leistungsträger nach schweren Verletzungen zurück und positionsbedingt vor allem bei Watson schaut jeder ganz genau: Wie hat er den Kreuzbandriss überwunden? Ist er ganz der Alte? Ist er noch so mobil wie vorher?
"Die Reha läuft super, dem Knie geht es sehr, sehr gut", hatte Watson bereits im März im exklusiven Interview verraten. "Ich bin auf Kurs, um vor dem Saisonstart zurück zu kehren und fühle mich schon deutlich stärker. Ich versuche, jeden Tag besser zu werden."
Jüngst fügte er nach den ersten limitierten Trainingseinheiten noch hinzu: "Mein Knie fühlt sich gut an. Es war gut, mit den Jungs am Timing zu arbeiten und überhaupt mit dem Team wieder auf dem Platz zu stehen. Einfach an den Basics zu arbeiten und diese Chemie untereinander aufzubauen, die die Basis für das gegenseitige Vertrauen darstellt."
Texans: Deshaun Watson und die Punkte-Festivals
Watsons Aussagen und Eindrücke passen in die generelle Stimmung, die in Houston derzeit zu vernehmen ist. Auch Head Coach Bill O'Brien bekräftigt dieses Bild: "Es macht wirklich unglaublich viel Spaß, mit einem Spieler wie Deshaun zu arbeiten. Er ist sehr clever, er liebt Football. Jeden Tag will er etwas neues lernen, er saugt alles auf."
Sechs Starts hatte Watson in der vergangenen Saison, von Spieltag zwei bis acht punktete kein Team mehr als Houston (202 Punkte insgesamt). Watson stellte einen neuen Rekord für die meisten Passing-Touchdowns in den ersten sieben NFL-Spielen auf (19), in den vier Spielen mit Watson, DeAndre Hopkins und Will Fuller gemeinsam auf dem Feld verzeichnete Houston gegen Tennessee, Kansas City, Cleveland und Seattle im Schnitt 40,5 Punkte.
Es war eine Quarterback-freundliche und dabei ultra-aggressive Offense, die Houston mit Watson spielte. O'Brien leistete hier, nachdem er sich schließlich auf Watson festgelegt hatte, großartige Arbeit. Die Texans richteten sich voll nach Watsons Stärken aus, bauten heftig auf Shotgun- und Pistol-Formationen sowie daraus Play Action und Run Pass Options. Watsons Mobilität kaschierte die großen Probleme in der Offensive Line, gleichzeitig machten flexible Variationen aus ähnlichen Formationen Defenses das Leben schwer.
Von allen Quarterbacks hatte Watson die durchschnittlich meisten Intended Air Yards - also wie weit er den Ball im Schnitt warf - und lag als einziger Quarterback hier über 11 (11,3). Kein anderer kam auf mehr als 10,8. Auch seine angekommenen Pässe flogen im Schnitt weiter als bei irgendeinem anderen Quarterback (8,3; kein anderer QB über 7,9) und im Schnitt warf er 1,9 Air Yards hinter den First-Down-Marker. Ebenfalls der ligaweite Top-Wert.
Es war eine spektakuläre Big-Play-Offense, das Duell mit den Seahawks - das letzte vor Watsons im Training erlittener Verletzung - war eines der besten Spiele der gesamten Regular Season. Mit Fuller, Hopkins und den Play-Designs konnte Houston das Feld vertikal phasenweise fast nach Belieben attackieren, außerdem wurde Platz underneath geschaffen. So sah Lamar Miller von allen Running Backs mit wenigstens 200 Runs in der vergangenen Saison prozentual die sechstwenigsten 8+ Men Boxes (24,37 Prozent).
NFL: Houston Texans und die Offensive Line
Also eigentlich alles bereitet, um im nächsten Jahr wieder richtig anzugreifen? Ganz so einfach wird es wohl nicht. Man könnte eher argumentieren: Die Texans werden sich umstellen müssen, und dennoch die schlicht nicht konstant produzierbaren Statistiken der vergangenen Saison nicht wiederholen können.
Warum? Ein maßgeblicher Grund liegt in der Offensive Line. Die Texans haben eine der schwächsten Lines der Liga, auch mit den Free-Agent-Verpflichtungen von Zach Fulton und Senio Kelemente für die Interior Line.
Im Run-Blocking war Houston 2017 zumindest noch unterer Durchschnitt, in Pass-Protection aber eine der schwächsten Lines überhaupt. Das war ganz besonders deutlich in den Spielen, in denen Watson nicht auf dem Platz stand. Weniger mobile Quarterbacks hatten kaum Luft zum atmen hinter der Line.
Daraus macht O-Line-Coach Mike Devlin auch kein Geheimnis: "Ich habe gelernt, dass Deshaun Watson uns zu einer viel besseren Offensive Line verholfen hat. Er ist mobil, mit ihm auf dem Platz muss die Defense manchmal langsamer agieren. Die Dinge, die man mit ihm machen kann, verschaffen dir wirklich einen Vorteil."
Der Weg bis zu diesem Punkt lässt sich recht einfach zurück verfolgen: Xavier Su'a-Filo, der Nummer-33-Overall-Pick 2014, war ein kompletter Bust, während auf der Center-Position ohne Ben Jones Inkonstanz herrscht und man Brandon Brooks gehen ließ, um ihn durch Jeff Allen zu ersetzen - eine katastrophale Entscheidung.
Dazu kamen einige Verletzungen und kaum Verstärkungen über den Draft, außerdem war man am Ende mit Left Tackle Duane Brown derart zerstritten, dass der mit Abstand beste O-Liner während der Vorsaison nach Seattle getradet wurde. Stand heute wären Davenport und Henderson wohl die Starting-Tackles, Derek Newton wurde nach langer Verletzungspause entlassen. Keine rosigen Aussichten, und das nicht nur, weil es allein gegen die Jaguars zwei Mal in der Regular Season geht.
Watson und die Texans-Offense: Was jetzt?
Watson also kommt von einem Kreuzbandriss zurück, die Offensive Line ist anfällig und die gesamte NFL hat jetzt das Tape der Texans-Offense mit sechs Starts des jungen Quarterbacks. Lange Rede, kurzer Sinn: Houston wird sich 2018 ändern müssen. Und das womöglich sogar auf drastische Art und Weise, wenn man dem Head Coach glaubt.
"Wir müssen die Offense wieder aufbauen, wie wenn wir eine neue Offense zusammenstellen würden", stellte O'Brien, der Head Coach, Offensive Coordinator und Play-Caller in Personalunion ist, klar. "Unsere Offense wird komplett anders aussehen. Alle Teams, vor allem unsere Division-Gegner, haben all unsere Plays gesehen, diese Dinge studiert man. Deshalb müssen wir bei Null anfangen."
Von einem "großen Projekt" spricht O'Brien gar mit Blick auf seine Offense, "aber es wird uns Spaß machen. Wir werden schauen, wo wir Dinge umstellen können. Man muss in dieser Liga bereit sein, sich zu verändern."
Immerhin war auch, wenn man sich das Gesamt-Bild der 2017er Texans-Offense anschaut, längst nicht alles perfekt. Houston gelang in nur 52,3 Prozent seiner Red-Zone-Trips ein Touchdown, gleichbedeutend mit Rang 20. Deutlich besser als 2016 (44 Prozent), aber sicher noch nicht zufriedenstellend.
Auch Watsons Rolle als Runner steht im Fokus, wie Quarterbacks-Coach Sean Ryan dem Houston Chronicle bestätigte: "Darüber sprechen wir immer wieder. Es geht darum, dabei klug zu agieren. Wir sprechen auch mit ihm permanent darüber. Man muss verstehen, wann ein Play fertig ist, um sich dann selbst und so auch das Team zu schützen." Gleichzeitig soll die Offense weiter Freiheiten und Spielraum für Improvisation für Watson ermöglichen: "Wir schauen uns verschiedene Dinge an. Es gibt Einflüsse aus diversen Richtungen."
Texans: Watt, Mathieu - endlich wieder eine starke Defense?
Hilfreich wäre es fraglos, wenn Watson und die Offense nicht konstant in den 30ern punkten müssten, um Spiele zu gewinnen. Oder anders formuliert: Wenn die Defense wieder an ihre Hochzeiten 2014 und 2015 erinnern würde. In diesen Jahren war J.J. Watt ein absolut zentraler Baustein dieses Teams, ein nahezu unblockbares Zerstörungskommando, gegen das Offenses einen beträchtlichen Teil ihres Game Plans ausrichten mussten.
Dieses Element hat in den vergangenen beiden Jahren gefehlt. Watt spielte 2016 und 2017 zusammen genommen nur acht Spiele, einige davon merklich angeschlagen. Rückenprobleme, dazu ein Wadenbeinbruch - der, wenn in Topform, beste Verteidiger der NFL verbrachte in den vergangenen Jahren viel zu viel Zeit in der Reha und zu wenig auf dem Platz. In der Zwischenzeit hat sich Jadeveon Clowney zu einem Superstar entwickelt, jetzt ist es an der Zeit, die beiden endlich zusammen in Topform auf dem Platz zu sehen.
Watts Verletzung verhinderte auch, dass die flexible 5-Across-Formation gemeinsam noch mit Whitney Mercilus (der 2017 verletzungsbedingt ebenfalls nur 5 Spiele absolvierte) so richtig zur Geltung hätte kommen können. Das soll sich jetzt ändern, und mit den Neuzugängen Aaron Colvin für den Slot sowie Tyrann Mathieu als Strong Safety darf man getrost davon ausgehen, dass auch die Underneath-Coverage der Texans dahinter deutlich verbessert daherkommt.
Diese Kombination aus - im Idealfall zumindest - dominanter Front und starker Underneath-Coverage wird Houston schon ein riesiges Stück weiter bringen; auch wenn in der Secondary weiter Fragezeichen bleiben: Die Pass-Defense war im Vorjahr ein riesiges Problem. Auch in der eigenen Red Zone, wo Houstons Defense 2017 eines der anfälligsten Teams war, sollte allein durch einen konstanten Pass-Rush viel mehr Stabilität Einzug erhalten.
DeAndre Hopkins schwärmt von Deshaun Watson
Star-Receiver DeAndre Hopkins, der bewiesen hat, dass er auch bei schlechtem Quarterback-Play Zahlen produziert, freut sich jedenfalls bereits: "Ich denke, nach oben gibt es für uns keine Limits. Wir haben überall Qualität, wir haben all die Puzzleteile. Ich denke, wir können die Besten in der NFL sein. Deshaun kann der beste Quarterback werden und ich weiß, dass ich der beste Wide Receiver sein kann. So gehen wir die Saison an."
DeAndre Hopkins' NFL-Statistiken:
Jahr | Spiele (Starts) | Receptions | Yards | Touchdowns |
2013 | 16 (16) | 52 | 802 | 2 |
2014 | 16 (16) | 76 | 1210 | 6 |
2015 | 16 (16) | 111 | 1521 | 11 |
2016 | 16 (16) | 78 | 954 | 4 |
2017 | 15 (15) | 96 | 1378 | 13 |
"Manchmal", ging er sogar noch einen Schritt weiter, "gibt es mir Gänsehaut, wenn ich daran denke, was wir in dieser kurzen Zeit in der vergangenen Saison schon gezeigt haben. Ich kann es kaum abwarten, zu sehen, wie Deshaun auf und abseits des Platzes noch wächst."
Der Weg für die ganz großen Ziele ist dabei der gleiche Weg wie immer: "Wir müssen bei unserer Division anfangen. Wir müssen die Teams aus dem Weg räumen, die uns letztes Jahr gestoppt haben. Daran besteht kein Zweifel."
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