Die Indianapolis Colts gehen in die sechste Saison, seitdem sie den Wechsel von Peyton Manning zu Andrew Luck vollzogen haben - doch nach frühen Erfolgen und Playoff-Runs scheint das Team seit einigen Jahren zu stagnieren. Das führte zu tiefgreifenden Änderungen im Januar, und weitere Umwälzungen folgten. Doch ausgerechnet um Luck gibt es kurz vor dem Start der Regular Season noch Fragezeichen.
Es scheint länger als nur ein paar Monate zurück zu liegen, doch noch im Januar hätte den Colts ein deutlich größerer Umbruch bevorstehen können. Nach der zweiten Saison mit nur acht Siegen in Folge stand in Indy alles auf dem Prüfstein.
Letztlich war es der Kopf von Geschäftsführer Ryan Grigson der rollte, Chris Ballard wurde als sein Nachfolger vorgestellt - und der stellte sich prompt demonstrativ vor Head Coach Chuck Pagano. Es gebe "keine Alternative" zu Pagano. "Chuck Pagano ist ein guter Football-Coach, er hatte drei 11-5-Saisons und stand ein Mal im AFC Championship Game. Zuletzt gab es zwei 8-8-Spielzeiten, aber er hat 49 Partien gewonnen. Wir dürfen nicht vergessen, wie schwer es ist, in dieser Liga zu gewinnen."
Das ist fraglos richtig, in der NFL liegen Jahr für Jahr Siege und Niederlagen wohl näher beieinander, als in irgendeiner anderen Sportart. Genauso klar richtig ist aber, dass die vergangenen beiden Spielzeiten für die Colts noch bedeutend düsterer hätten aussehen können. Nicht selten war es Andrew Luck zu verdanken, dass Indianapolis mit einem vergleichsweise schwachen Kader doch knappe Siege rausholte.
Nicht so allerdings am 30. Oktober gegen Ballards damaliges Team. Indy verlor zuhause gegen Kansas City deutlich mit 14:30, und doch nahm Ballard aus diesem Spiel etwas mit, das er Monate später - nach dem Wechsel zu den Colts - noch nicht vergessen hatte: "Ich habe mir damals die Pressekonferenz mit Andrew Luck angeschaut, und er hat die komplette Verantwortung übernommen. Er hat niemanden kritisiert. Egal, ob etwas sein Fehler war oder nicht - er hat die Verantwortung übernommen."
Schon damals habe er zum damaligen Chiefs-Geschäftsführer John Dorsey auf dem Weg aus dem Stadion gesagt, "dass das eine der besten Pressekonferenzen war, die ich jemals gesehen habe. Das ist es, was Leader tun. Sie zeigen nie mit dem Finger auf andere oder suchen die Schuld anderswo".
gettyWie lange fällt Andrew Luck aus?
Dabei hätte Luck mit Fug und Recht zum Rundumschlag ausholen können. Etwa gegen seine Offensive Line, die in der vergangenen Saison 44 Sacks und 128 (!) Quarterback-Hits zuließ. Oder gegen seine Defense, welche die drittmeisten Yards pro gegnerischem Run (4,7) und die siebtmeisten Yards pro Pass (7,6) erlaubte, bei 27 gegnerischen Passing-Touchdowns. Indianapolis ist nicht im Rebuilding-Modus, dafür ist der Quarterback zu gut. Und doch begleiten viele Fragen dieses Team.
Das beginnt, wie vieles in Indy, ebenfalls mit Luck. Infolge seiner Schulter-OP - angeblich soll er über zwei Jahre mit Schmerzen in der rechten Schulter gespielt haben - fällt er nach wie vor aus, einen konkreten Zeitplan gibt es nicht.
"Wir stehen, wo wir stehen. Es gibt keinen Zeitplan. Wenn die Ärzte sagen, dass er gesund und bereit ist, steht er auf dem Platz", erklärte Pagano in der Vorwoche bei ESPN und Ballard fügte einen Tag später beim NFL Network lediglich hinzu, dass die Vorzeichen darauf hindeuten, dass Luck die Regular Season nicht auf der PUP-Liste beginnt. Das bestätigte auch Team-Besitzer Jim Irsay.
Indianapolis wird hier kein Risiko eingehen, und somit ist inzwischen nicht mehr auszuschließen, dass er den Saisonstart gegen die Rams in Los Angeles eben doch verpasst - auch wenn alle Wasserstandsmeldungen rund um Luck mit Vorsicht zu genießen sind. Aktuell ist er noch auf der PUP-Liste und es ist offen, wann er wieder ins Training einsteigt - mit Scott Tolzien, Stephen Morris und Phillip Walker hinter Luck ist auch nicht auszuschließen, dass Indy noch einen erfahrenen Quarterback verpflichtet. Bisher seien die Möglichkeiten, so Irsay, jedoch zu teuer gewesen.
Die Indianapolis Colts und die Offensive Line
Doch wer auch immer ab September die Bälle in Indianapolis wirft: Viel wird auf die Offensive Line ankommen. Die Colts bringen die gleichen fünf Starter - Anthony Castonzo, Joe Haeg, Ryan Kelly, Jack Mewhort und Le'Raven Clark- zurück, und die müssen jetzt zeigen, dass sie sich als Gruppe steigern können. Indy hatte zwar 2016 laut Football Outsiders die zweitbeste Run-Blocking-Line (4,69 Adjusted Line Yards), allerdings die fünftschwächste Pass-Protecting-Line.
Darunter leidet auch Luck schon seit Jahren, trotzdem hielt das Team an den Startern fest. "Ich bin Ryan Grigson sehr dankbar dafür, dass er Kelly, Haeg und Clark im gleichen Jahr gedraftet hat - denn der 2017er Draft war mit Blick auf die Offensive Line nicht gut", erklärte Ballard die Entscheidung. O-Line-Coach Joe Philbin fügte hinzu: "Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Offensive Line haben werden. Da besteht für mich kein Zweifel."
Gleichzeitig aber, gab Philbin dann doch zu, "haben wir noch einen weiten Weg vor uns. In puncto Athletik ist es eine gute Gruppe, und wir haben Jungs, die das Spiel gut verstehen und es lieben. Wir müssen dafür sorgen, dass sie jetzt besser spielen. Das ist mein Job." Der aber wurde vorübergehend bedeutend schwieriger: Center Ryan Kelly hat sich im Training am vergangenen Donnerstag am Fuß verletzt und fällt wohl für mindestens einige Tage aus. Der Regular-Season-Start ist wohl nicht in Gefahr, trotzdem wird der jüngst in San Francisco entlassene Jeremy Zuttah bereits mit den Colts in Verbindung gebracht.
Zumindest eine kleine Änderung aber wird es unabhängig von Kelly doch geben: Mewhort wurde im Training Camp vom linken auf den rechten Guard-Platz verschoben und umgekehrt Haeg von rechts auf links. Das hat einen einfachen Hintergrund, Indy stellt so Haeg und Right Tackle Clark je neben einen erfahrenen O-Liner (Castonzo und Mewhort).
Frank Gore und das Running Game
Eine verbesserte O-Line ist der Schlüssel für mehr offensive Kontinuität bei den Colts - seit 2012 haben laut Pro Football Focus nur vier Quarterbacks mehr Yards unter Pressure produziert als Luck (5.602) und von allen Vorjahres-Startern hatte Luck die prozentual achtwenigsten Yards nach dem Catch (39,7 Prozent), warf also viele lange Pässe. Seine 4,69 Air-Yards pro Pass waren nach Kirk Cousins, Matt Ryan und Jameis Winston der vierthöchste Schnitt.
Helfen würde auch ein besseres Run Game, ein weiteres chronisches Problem. Die 1.025 Rushing-Yards von Frank Gore im Vorjahr bedeuteten den ersten 1.000-Yard-Rusher für die Colts seit 2007. Trotz gutem Run-Blockings aber war Indianapolis im Vorjahr nur auf Rang 20 in puncto Yards pro Run (4) sowie auf Rang 16 was die Rushing-Touchdowns angeht (13) - und das bei 25,6 Runs pro Spiel, mehr als etwa die Miami Dolphins, die Arizona Cardinals oder die Chicago Bears hatten.
Rookie Marlon Mack sollte Frank Gore entlasten können, der bereits im Training mehr geschont wird. Eine Umstellung, die Gore überhaupt nicht zusagt: "Dieser Mist ist hart. Ich will das clever angehen, aber ich muss mich erst daran gewöhnen, weniger zu trainieren. Ich muss das tun, was die Coaches von mir verlangen."
Die Colts-Defense: Endlich besser mit Hooker und Wilson?
Und die Defense? Viel zu lange schon ist diese Seite des Balls in Indianapolis eine Problemzone. Von gelegentlichen Lichtblicken wie etwa Cornerback Vontae Davis abgesehen präsentiert sich das Team hier seit Jahren löchrig. Damit, das wurde im Draft und der Free Agency klar, soll unter Ballard endlich Schluss sein.
Mit Johnathan Hankins, Jabaal Sheard, John Simon, Margus Hunt und Al Woods waren die fünf teuersten Free-Agency-Neuzugänge in Indy in diesem Jahr für die Front Seven bestimmt. Dazu wurde noch Outside Linebacker Barkevious Mingo verpflichtet und die Qualität der neuen Spieler in der Front erlaubte es den Colts, Kendall Langford in der vergangenen Woche zu entlassen. "Wir mussten da jünger, größer und schneller werden", erklärte Pagano.
Im Draft war dann die Secondary an der Reihe, die ersten beiden Picks wurden in Safety Malik Hooker und Cornerback Quincy Wilson investiert - zwei weitere potentielle Starter, während Mike Adams und Patrick Robinson ziehen gelassen wurden. Der Großteil der Starting-Front sowie die Hälfte der Secondary könnte somit in Indianapolis anders aussehen als 2016.
Defensive Coordinator Ted Monachino ist jedenfalls schon begeistert von den beiden Rookies: "Einige der fortgeschritteneren Zone-Coverages können noch etwas schwierig sein, aber wir lassen sie aktuell alles aufsaugen. Im Moment lassen wir möglichst viele Coverages spielen, damit wir uns damit wohl fühlen, diese Dinge in den Spielen auch zu fordern."
Luck: Ein stummer Schrei nach Hilfe?
Manchmal hat man den Eindruck, Lucks auch von Ballard einst so bewunderte Bilderbuch-Pressekonferenzen sind irgendwo auch ein stummer Schrei nach Hilfe. Er ist nicht der Typ, der Mitspieler offen attackiert - zumindest fast nie.
Das eine Gegenbeispiel kam nach der Pleite gegen Jacksonville in London im Vorjahr, als Luck polterte: "Wir müssen als Spieler professioneller sein. Damit meine ich: Unsere Rollen verstehen, unseren Job verstehen und unsere Aufgaben erledigen. Wir hatten viele "Beinahe"-Momente und die sind in dieser Liga nie gut. Ich habe genug von "beinahe". Ich will gewinnen."
Die Colts haben nicht das Roster, um sich in diesem Jahr in den konkreten Contender-Kreis zu zählen. Mit Luck auf dem Platz hat Indy immer eine Chance auf Siege, gleichzeitig aber könnten sie in der zunehmend stärkeren AFC South auch erneut die Playoffs verpassen.
Doch, und das sollte Colts-Fans Mut machen, die langfristige Perspektive war schon seit einer Weile nicht mehr so gut wie aktuell. Aus den vielen jungen Spielern in der Defense sollte sich ein guter Kern um Hooker, Wilson und Co. herausbilden. Die Offensive Line ist zusammengeblieben und kann jetzt zeigen, dass sie den nächsten Schritt gemeinsam gehen kann.
Und Head Coach Chuck Pagano hat bereits eine konkrete Vorstellung, wie das neue Colts-Team aussehen soll: "Hart. Schlau. Kompetitiv. Sie werden Eigenschaften haben, die man auf Tape sehen kann - Größe, Kraft, Speed, Football-Charakter. Jungs, die sich mit jedem messen wollen. Jungs, die das Spiel lieben."