Der neue Head Coach der Jacksonville Jaguars, Urban Meyer, kommt mit einer beeindruckenden Vita aus dem College Football in die NFL. Nun holt er mit Tim Tebow noch einen alten Weggefährten zurück, was aber nicht die zahllosen Skandale überschattet, die den Coach immer wieder begleiteten.
Urban Meyer ist seit ein paar Monaten der Head Coach der Jacksonville Jaguars. Besser bekannt ist er der Footballgemeinde allerdings als College-Coach-Legende. Meyer hat eine Karriere-Siegquote von sagenhaften 85 Prozent bei Bowling Green, Utah, Florida und Ohio State. Zudem gewann er nicht weniger als drei nationale Meisterschaften und sieben Conference Championships.
Meyer ist einer der wenigen Coaches der letzten 20 Jahre, der auch nur annähernd mit den Erfolgen vom heutigen Alabama-Coach Nick Saban (7 nationale Meisterschaften) mithalten kann. Doch die Jaguars haben sich mit Meyer nicht nur einen äußerst erfolgreichen Coach ins Boot geholt.
Wer genauer hinschaut - zugegeben, mittlerweile reicht auch ein oberflächlicher Blick, da so vieles ans Licht kam -, wird jedoch feststellen, dass im Glanze all der Siege und Triumphe auch eine äußerst ausgeprägte Schattenseite zu finden ist. Wirklich kompliziert wird die Meyer-Legacy seit seinem Engagement in Gainesville/Florida.
Nachrichten, die mit dem beflügelten Begriff "Florida Man" (zu deutsch: "Mann aus Florida"), der in den US-Medien gerne für Nachrichten aus dem Sunshine State verwendet wird, beginnen, enden gefühlt viel zu häufig mit einer völlig abstrusen Geschichte. In Meyers Zeit als Head Coach der Florida Gators versteckte sich hinter jenem Synonym jedoch nicht selten einer seiner damaligen Spieler.
Urban Meyer: 31 Verhaftungen von Gators-Spielern in seiner Amtszeit
Die New York Times hat vor Jahren in einem Artikel berichtet, dass mindestens 31 Spieler der Gators von 2005 bis 2010 wegen diverser Vergehen verhaftet wurden. Zählt man Vergehen nach dem Studium dazu, sollen es gar 41 von 121 Spielern des Teams 2008 gewesen sein.
Wir reden hier nicht etwa nur von den üblichen College-Vergehen, die mit Alkoholkonsum, Verkehrsvergehen (hier stehen 251 zu Buche) und dergleichen zu tun haben.
Da wäre etwa Safety Jamar Hornsby, der 2008 70-mal die Kreditkarte einer Studentin benutzt haben soll, die Monate zuvor bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war. Oder Lineman Ronnie Wilson, der 2007 außerhalb eines Nachtclubs einen Mann geschlagen und bespuckt haben soll und anschließend eine AK-47 aus seinem Kofferraum holte und anfing, um sich zu schießen. Später wurde er verhaftet und wegen Marihuana-Besitzes sowie Körperverletzung in mehreren Punkten angeklagt.
Cam Newton, der später nach einem Transfer zu Auburn die Heisman Trophy gewann und sogar MVP der NFL wurde, wurde dabei erwischt, als er einen Laptop eines Kommilitonen zu stehlen versuchte. Als die Polizei kam, warf er das Gerät aus dem Fenster. Running Back Chris Rainey stalkte nach Streitigkeiten mit seiner Exfreundin selbige und schickte ihr eine SMS mit den Worten "Time to Die" (Zeit zum Sterben). Jener Rainey landete später bei den Pittsburgh Steelers, die ihn nach einer Verhaftung wegen Körperverletzung im Januar 2013 entließen.
Dann wäre da noch Cornerback Janoris Jenkins, der Florida nach Meyers Abgang 2010 in Richtung North Alabama verließ. Er ging nicht freiwillig. Vielmehr warf ihn Meyers Nachfolger Will Muschamp nach mehreren Verhaftungen wegen Drogenbesitzes aus dem Team. Jenkins gab The Orlando Sentinel einige Monate danach ein Interview und sagte vielsagend: "Wenn Coach Meyer noch coachen würde, würde ich immer noch für die Gators spielen", denn "Coach Meyer weiß, was es braucht, um zu gewinnen".
gettyUrban Meyer "weiß, was es braucht, um zu gewinnen"
Was er damit meinte, äußerte der später NFL-Spieler nicht. Aber auch ein gewisser Aaron Hernandez war Teil seiner Zeit in Florida. Und auch wenn kaum etwas von dessen frühen Eskapaden zur damaligen Zeit an die Öffentlichkeit drang - er wurde wegen einer Schießerei zusammen mit ein paar Teamkollegen von der Polizei befragt, soll einem Mann bei einer Schlägerei das Trommelfell zerstört haben und offenbar auch einem Mann ins Gesicht geschossen haben -, ergaben Recherchen diverser Medien ein erschreckendes Bild.
Immer wieder wurden für College-Stars mögliche Anklagen fallen gelassen, teilweise verliefen polizeiliche Ermittlungen eher schleppend und vor allem kam kaum etwas raus.
Der gemeinsame Nenner des Ganzen ist freilich Meyer selbst, der es immer wieder schaffte, all das unter Verschluss zu halten. Auf dem Platz wiederum verlief alles makellos, der Erfolg gab ihm Recht. Eine Anschuldigung besagt, dass er positive Drogentests seiner Spieler damit verschleierte, dass diese plötzlich verletzt waren und mit Walking Boots an der Seitenlinie standen.
Meyer stritt all das freilich ab und stichfeste Beweise gibt es ohnehin keine. Zudem gab es hin und wieder disziplinarische Maßnahmen, aber wirklich hart durchgegriffen wurde nie.
Als Hernandez, den Meyer regelmäßig zur Bibelstunde bei sich zuhause hatte und ihn spirituell führte, wie es so schön hieß, 2013 schließlich wegen Mordes verhaftet und letztlich verurteilt wurde, wies Meyer erneut jegliche Verantwortung von sich. "Diese schweren Anschuldigung mit der University of Florida, mir selbst oder meinem Trainerstab in Verbindung zu bringen oder uns diese vorzuwerfen, ist falsch und unverantwortlich", sagte Meyer damals in einem Statement.
Seine Frau, Shelley Meyer, schrieb seinerzeit auf Twitter: "Wann fangen wir endlich an, Individuen für ihre eigenen Entscheidungen/Handlungen verantwortlich zu machen und hören auf, andere/alle anderen zu beschuldigen?" Und freilich hatte sie Recht, schließlich passierten Hernandez' schlimmste Taten erst Jahre nach seiner Florida-Zeit.
Urban Meyers: Skandale folgten ihm auch zu Ohio State
Doch bleibt eben der Vorwurf, dass Meyer den Aufstieg von Hernandez und anderen ja erst ermöglicht hatte. Wäre Hernandez überhaupt in die NFL und zu seinen ganzen Millionen gekommen, wenn Meyer zu Collegezeiten nicht weggeschaut hätte?
Und Hernandez und die zahllosen anderen Straftäter zu Meyers Florida-Zeit sind keine Einzelfälle. Meyer hängen ähnliche Vorwürfe auch aus seiner Zeit in Ohio State nach, wo er insgesamt acht Jahre erfolgreich als Head Coach tätig war.
Running Back Carlos Hyde wurde bei den Buckeyes mal für drei Spiele gesperrt, nachdem ein Video auftauchte, das zeigte, wie er eine Frau in einer Bar ins Gesicht schlug. Drei Spiele von Meyer, der mal betonte, Frauen zu respektieren.
Aber speziell der Name Zach Smith ist hier zu nennen. Dieser soll seine damalige Ehefrau über Jahre hinweg gewaltsam missbraucht haben, ehe sie die Scheidung einreichte. Anschließend stalkte er sie. Die ganze Geschichte haben die Kollegen von Sporting News in allen verstörenden Einzelheiten aufgeschrieben. Unterm Strich ist aber auch hier wieder Meyer derjenige gewesen, der die Situation ermöglichte.
Meyer hatte Smith bereits in Florida als Graduate Assistant verpflichtet und nahm ihn dann 2012 mit zu Ohio State, wo er zum Wide Receiver Coach aufstieg und demzufolge ein gewisses Standing hatte.
Urban Meyers Rolle im Fall Zach Smith
Die Missbrauchsfälle gegen seine Frau sollen schon 2009 begonnen und eigentlich ihren traurigen Höhepunkt gehabt haben, als er sie, hochschwanger, am Hals packte und gewaltsam gegen eine Wand drückte. Meyer bestritt, von alledem gewusst zu haben, doch ergaben spätere Untersuchungen, dass er SMS auf seinem Handy gelöscht hatte, die aus der Zeit einiger der Vorfälle stammten. Zuvor soll er einen Teamdirektor gefragt haben, wie das Löschen solcher Nachrichten funktioniere.
Im Laufe der Zeit bei Ohio State soll Smith dann zudem einen Spieler, Trevon Grimes, rassistisch beleidigt haben. Und spätestens davon wusste Meyer, schließlich reiste er sogar zur Familie des Spielers, um die Wogen zu glätten. Offiziell war es ein Besuch bei der kranken Mutter des Spielers, um dieser beizustehen.
Als die Missbrauchsvorwürfe öffentlich wurden, beraumte Ohio State eine Untersuchung der Geschehnisse ein und konnte schließlich kaum Fehlverhalten des Head Coachs entdecken. Jener hatte Smith im Übrigen schon ohne Angabe von Gründen nach Bekanntwerden der Geschichte entlassen. Letztlich wurde Meyer aber für drei Spiele von Ohio State für die Saison 2018 gesperrt, kehrte danach aber scheinbar unbeschadet zurück.
Letztlich endeten Meyers Engagements in Florida und Ohio State auf die gleiche Weise: Gesundheitliche Probleme zwangen ihn zum Rücktritt, zudem wollte er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen.
Eine Zyste in seinem Gehirn, die bereits vor vielen Jahren festgestellt wurde, sorgte bei ihm immer mal wieder für Kopfschmerzen, zudem traten gerade in seinen letzten Monaten in Florida häufiger Schmerzen im Brustbereich auf, die ihn seinerzeit sogar mal ins Krankenhaus brachten.
Er erklärte 2009 seinen Rücktritt, um dann aber doch nur eine längere Auszeit zu nehmen. Im März 2010 war er bereits wieder zurück, ehe dann nach dem Outback Bowl 2011 tatsächlich Schluss war. Zur folgenden Football-Saison war er jedoch wieder auf der großen Bühne zurück, dieses Mal als TV-Experte für ESPN. 2012 ging seine Zeit bei Ohio State los, ehe er hier 2018 nach dem Smith-Skandal mit Verzögerung abdankte. Anschließend übernahm er einen Experten-Job bei FOX Sports.
Der Hauptgrund, warum Meyer all diese Skandale einigermaßen unbeschadet überstand und größtenteils verschleiern konnte, war dabei freilich der stete sportliche Erfolg. Und ein Hauptgrund dafür war seine Fähigkeit, Top-Spieler immer wieder zu rekrutieren und dann auch zu motivieren. Sein schillerndster Star überhaupt war dabei zweifelsohne Tim Tebow, sein Quarterback von 2006 bis 2009. Tebow avancierte speziell 2007 zur Ikone, gewann die Heisman Trophy und sorgte für zahlreiche Rekorde als zentraler Punkt der Spread Offense, die Meyer perfektionierte - auch Dwayne Haskins glänzte in dieser ein Jahrzehnt später.
Tebow transzendierte dabei die Popularität eines reinen Sportstars. Durch seinen betonten christlichen Glauben und seiner betont positiven Art wurde er gewissermaßen zum Volksheld und hatte ein eigenes Fanlager, das die "Gator Nation" weit überstieg. Tebows Glanz allein machte es allen Verantwortlichen des Programms einfach, den Fokus der Öffentlichkeit auf ihn allein zu fokussieren. Alle seine Mitspieler sonnten sich in diesem Licht und etwaige Fehltritte wurden dadurch überstrahlt.
Von daher mag es nun kein Zufall sein, dass Meyer die Chance ergreift und jenen Tebow, der nach seiner wundersamen Saison 2011 in Denver essentiell als gescheiterter NFL-Spieler gilt, nach Jacksonville holt. Tebow, dem schon früh immer wieder suggeriert wurde, es doch als Tight End oder H-Back zu versuchen, da seine Quarterback-Skills in der NFL schlicht nicht ausreichten, versucht nun genau dies: Eine zweite - Verzeihung: vierte - Karriere als Tight End.
Nachdem Tebow nämlich infolge der nicht erwähnenswerten Saison bei den New York Jets 2012 langsam aus der NFL verschwand - 2013 und 2014 scheiterte er nach Engagements in Philly und New England am Ende des Training Camps jeweils am Cut - versuchte er sich als TV-Experte für ESPN beim College Football sowie als Baseballspieler im Farmsystem der New York Mets.
gettyTim Tebow: Baseball-Engagement als PR-Aktion
Seine TV-Auftritte waren vielversprechend, erfüllten ihn aber offensichtlich nicht vollends. Und die Baseballkarriere war schließlich in erster Linie eine PR-Aktion des damaligen General Managers des Teams, Sandy Alderson, was dieser später auch offen zugab. Tebow brachte Aufmerksamkeit ins Spring Training, die Saisonvorbereitung in der MLB, und Zuschauer in die Minor-League-Ballparks, in denen er letztlich spielte. Mit neuem Regime in Queens war dann aber auch dieses Kapitel vorbei.
Nun also der nächste Anlauf, dieses Mal als nun 33-Jähriger, der es als Tight End versucht. Die körperlichen Voraussetzungen sind sicherlich noch vorhanden, ebenso die Motivation. Meyer selbst erklärte im PFF Podcast von Cris Collinsworth: "Er war in der besten Verfassung seines Lebens und fragte, ob er vor einigen unseres Coaches trainieren könne. Ich war nicht mal da. Sie kamen dann zu mir und sagten: 'Wow. Der Typ ist in einer unglaublichen Verfassung.'"
Anschließend kam es zu weiteren Sessions und die Coaches sollen von seinen Ballskills geschwärmt haben. "Er ist ein großartiger Athlet, er sieht aus, als sei er 18 Jahre alt, nicht 20 oder eben 33", wurde Meyer berichtet. Meyers Antwort: "Leute, was Ihr nicht versteht ist, dass dieser Bursche der kompetitivste Wahnsinnige ist, mit dem Ihr je redet. Also lasst es uns versuchen."
Zwar ist die Entscheidung über eine Verpflichtung von Tight End Tim Tebow offiziell noch nicht gefallen, mehrere Medienberichte suggerieren aber, dass es tatsächlich zur erneuten Zusammenarbeit zwischen Meyer und Tebow kommen wird.
Freilich muss jener dann noch den Cut am Ende des Training Camps schaffen, was zumindest mal fragwürdig ist. Es zeigt jedoch, dass Meyer nicht vergessen hat, was Tebow einst für ihn in Florida getan hat. Und selbst wenn Tebow abermals sportlich nicht die Lösung sein sollte, dürfte seine Anwesenheit allein schon helfen, die Massen zu begeistern, was in Jacksonville nach all den Dürrejahren keine Selbstverständlichkeit ist.
Urban Meyer: NFL als Neuanfang
Und Meyer? Für ihn selbst werden Jacksonville und die NFL ebenfalls ein ganz neues Abenteuer sein. Erstmals coacht er Profis, keine Studenten. Die Frage, die vor allem im Raum steht, ist, ob seine Art auch bei Millionären ankommt. Lassen sich solche mit warmen Worten allein motivieren und führen?
Viel spannender aber wird ohnehin die Frage sein, inwieweit es Meyer dieses Mal gelingt, die Disziplin seiner Spieler zu gewährleisten. War er bislang ein schier unantastbarer Star-Coach mit "Gottkomplex" (Bleacher Report), ist er nun zuvorderst ein Rookie-NFL-Coach, der sich neu beweisen muss.
Die Skepsis, die ihm dieser Tage entgegen weht, muss er erstmal überwinden. Er muss zeigen, dass er sich an diesem Punkt seiner Karriere neu erfinden kann. Und vielleicht gelingt es ihm ja dieses Mal, ohne Skandale abseits des Platzes erfolgreich zu sein. Auch das wäre eine Premiere.