Kein Defense-Spieler dominiert die NFL derzeit wie Justin James Watt. Houstons Defensive End ist nach den ersten vier Spielen für nicht wenige Experten ein ernsthafter MVP-Kandidat, zumal er mittlerweile sogar für Houstons Touchdowns sorgt. Dabei lebt Watt nach einem einfachen und gleichzeitig schwierigen Motto - und liefert dabei zum Wohle der Kinder noch Pizza aus. Es ist die Geschichte des besten Verteidigers der Liga, der eigentlich immer nur aufs Eis wollte.
Sonntagnachmittag, Houston, NRG Stadium. Es war der Start der zweiten Halbzeit in einem von beiden Offenses desolaten Spiel, doch die Buffalo Bills hatten es in Houstons Red Zone geschafft und drohten, ihre 10:7-Führung auszubauen. Angesichts der offensiven Leistung der Texans hätte ein Touchdown schon die Vorentscheidung bedeuten können.
Doch nicht mit Watt. Er erahnte was Quarterback EJ Manuel vorhatte, lief in den Passweg, fing den Ball ab und trug ihn 79 Yards zurück in die Endzone. Einmal mehr hatte der dominanteste Verteidiger der NFL ein Spiel an sich gerissen und sein Team auf die Siegerstraße gebracht. Watt steht damit nach vier Spielen schon bei zwei Touchdowns - beim Sieg über die Raiders hatte er einen TD-Pass von Ryan Fitzpatrick gefangen.
"Wir hatten einige Ausfälle bei den Tight Ends und dann sitzt da dieser 2-Meter-Typ, der springen kann und früher Tight End gespielt hat", erklärte Head Coach Bill O'Brien lapidar. Watt selbst gefiel es: "Natürlich war das eine coole Sache. Davon träumen Defensive Linemen." Auch Linebacker Brian Cushing musste anschließend grinsen: "Eigentlich haben wir sowas von ihm erwartet, nachdem er seinen großen Vertrag bekommen hat."
Tritt Watt in LT's Fußstapfen?
Vor allem die Konstanz des 25-Jährigen ist extrem beeindruckend. Obwohl sich jeder Gegner genau auf Watt vorbereitet, gibt es kaum ein Texans-Spiel, in dem er keinen entscheidenden Einfluss hat. Sei es durch mehrere Sacks, geblockte Kicks oder, eines seiner Markenzeichen, abgewehrte Pässe.
Die Texans würdigten seine immensen Fähigkeiten schließlich in der Offsesaon, gaben Watt einen Achtjahresvertrag über insgesamt bis zu 100 Millionen Dollar und machten ihn zum bestbezahlten Verteidiger der Liga. Nach seinem dominanten Start in die neue Saison diskutieren Experten bereits, ob er der erste Defense-Spieler seit Lawrence Taylor wird, der den MVP-Award erhält.
Dabei hatte der sympathische Watt zunächst ein elementareres Problem, nachdem er seinen 100-Millionen-Dollar-Vertrag unterschrieben hatte: "Ich hab bei Google gesucht: "Was kaufen reiche Leute?" Ich fühle mich nicht, als wäre ich reich und versuche auch nicht, mich so zu verhalten. Ich weiß nicht wirklich, was reiche Leute kaufen und das, was ich bei Google gesehen habe, hat mir nicht gefallen. Deshalb bleibe ich bei meinem Zeug."
Die erste Liebe: Eishockey
Dabei hätte nicht viel gefehlt, und NFL-Fans wären nie in den Genuss des derzeit besten Defenders der Liga gekommen. "Ich bin in einer kleinen Stadt in Wisconsin aufgewachsen und habe Eishockey geliebt. Mit drei Jahren stand ich erstmals auf Schlittschuhen und habe überall gespielt. In Kanada, überall in den USA, sogar bei einem Turnier in Deutschland. Hockey war meine erste Liebe. Die Spannung, die Geschwindigkeit, die Intensität - ich liebe es noch immer."
Allerdings musste Watt seinen Traum begraben: "Ich musste aus finanziellen Gründen aufhören. Ich hatte zwei kleine Brüder und wir spielten alle. Mit den ganzen Reisen war das extrem teuer. Ich komme aus einer Familie aus dem Mittelstand. Als ich später irgendwann erfahren habe, wie viel das meine Eltern alles gekostet hat, konnte ich es nicht fassen, dass sie uns so lange hatten spielen lassen."
Zu klein für Football?
Doch nicht nur die Liebe zum Eishockey stand zwischen Watt und der NFL. "Während meiner ganzen Karriere, vor allem in der High School, wurde mir gesagt, dass ich es nicht schaffen würde. Es hieß, ich wäre zu klein, zu langsam und nicht stark genug. Aber eines weiß in unserer Familie jeder: Harte Arbeit kann dich dahin bringen, wo du hin willst. Deshalb bin ich eben morgens aufgestanden, um ab 5 Uhr zu trainieren", berichtete der 2-Meter-Hüne.
Diese Maxime verfolgt Watt bis heute. Als ihn ein Mitspieler in Houston kürzlich damit aufzog, dass er zu beschäftigt sei, um ein Privatleben zu haben, antwortete Watt: "Ich habe nur begrenzt Zeit für meine Football-Karriere und dafür, in diesem Job meine bestmögliche Leistung zu bringen. Wenn das vorbei ist, habe ich den Rest meines Lebens Zeit, um etwas anderes zu machen. Im Moment bin ich ein Footballspieler und ich werde was auch nötig ist opfern, um der Beste zu werden."
Besonders auf die Probe gestellt wurde seine Moral nach der vergangenen Saison, als Houston 14 Spiele hintereinander verlor. Doch Watt reagierte, wie Watt eben reagiert: "Ich habe ohne Ablenkungen gearbeitet. Ich bin heim nach Wisconsin, habe bei einem Kumpel auf einer Matratze geschlafen und wir haben zweimal am Tag zusammen trainiert. Nach so einer Saison musst du einfach hart arbeiten."
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Alles für die Kinder
Sein großes Herz beschränkt sich aber längst nicht auf seinen Einsatz rund um sein Training. Der Hüne richtet in seiner Heimat Wisconsin, wo er seine komplette Jugend inklusive College verbrachte, jährlich einen Wohltätigkeitslauf aus, um Geld für Kinder-Stiftungen zu sammeln. Insgesamt setzt er sich wo er kann für Kinder ein, hilft Mobbing-Opfern und hat eine Art Großer-Bruder-Rolle für drei Waisenkinder eingenommen.
"Ich weiß, wie wichtig es für Kinder ist, im richtigen Umfeld aufzuwachsen. Sie brauchen die entsprechenden Möglichkeiten, um Erfolg zu haben", weiß Watt: "Wenn wir ihnen die Bedeutung von Teamwork, Disziplin und Arbeitsethos in jungen Jahren vermitteln können, können sie wachsen und darauf aufbauen, wenn sie älter werden."
Dabei ist sich der Star auch nicht zu schade dafür, in seinen früheren Studentenjob zurückzukehren und für einen guten Zweck Pizza auszuliefern: Während der laufenden Saison überweist Papa John's zehn Prozent seiner Pizza-Verkäufe eines jeden Dienstages an die J.J.Watt-Stiftung, die es Kindern ermöglichen soll, an Sportprogrammen teilzunehmen. Watt selbst wird pro Dienstag eine Party-Pizza an einen nichtsahnenden Kunden ausliefern.
Lediglich eine Anfrage musste er jüngst zurückweisen: Mehrere junge Frauen in Texas hatten bereits eine Initiative gestartet, um Watt als ihr Date zum Abschlussball mitzunehmen. "Ich habe all eure Prom-Einladungen erhalten und fühle mich geehrt. Aber leider kann ich nicht mit euch allen gehen", antwortete Watt via Facebook.
Ein Auge auf die Rookies
Auch innerhalb des Teams kümmert sich der Defensive End um den Nachwuchs, wie er vor der Saison im "Rolling Stone" berichtete: "Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um den Rookies beizubringen, wie man ein Profi wird. Dass sie hart arbeiten, das Playbook lernen, auf die Trainer hören und sich um ihre Körper kümmern. Vieles ändert sich, wenn man in die NFL kommt."
Der 25-Jährige weiß, wovon er spricht - immerhin kam er selbst erst vor drei Jahren in die Liga. "Ich bin in einer kleinen Stadt in Wisconsin aufgewachsen. Da kannte jeder jeden und man hilft sich gegenseitig. Als ich dann erfahren habe, dass meine neue Heimat die viertgrößte Stadt der USA werden würde, war ich auch etwas besorgt", berichtete Watt einst im "Houston Chronicle."
Der kompletteste Verteidiger der Liga
Die Anpassungsschwierigkeiten hielten sich offenbar in Grenzen, denn seit seiner Rookie-Saison dominiert Watt und ist mittlerweile nicht nur der bestbezahlteste, sondern auch der kompletteste Verteidiger der NFL. Watt ist ein unglaublicher Athlet, was beim Pick Six gegen die Bills einmal mehr zu sehen war und kann jeder O-Line der Liga Probleme bereiten.
Neun (!) QB-Hits verzeichnete er allein gegen Buffalo - zweifellos ein Mittel, um gegnerische Quarterbacks zu verunsichern und das Passing Game zu beeinflussen. Unweigerlich zieht Watt mit seiner Aggressivität und dem bedingungslosen Einsatz Parallelen zu Michael Strahan, einem der größten Pass-Rusher um die Jahrtausendwende.
"Was ich an ihm liebe ist sein Wunsch, in allen Bereichen des Spiels Bestleistungen zu bringen. Er spielt, als wäre es eine Beleidigung, wenn der Gegner ihn nur mit einem Spieler blockt. Er gibt immer alles", lobte Strahan Watt gegenüber dem NFL-Journalisten Mike Freeman.
"Er ist jeden Cent wert, jeden Cent", strahlte Texans-Eigentümer Bob McNair nach Watts Gala-Auftritt gegen die Bills und fügte schmunzelnd hinzu: "Ich hoffe, er will morgen keine Gehaltserhöhung." Sollte Watt ein weitestgehend durchschnittliches Texans-Team tatsächlich in die Playoffs führen, muss er bis zum Saisonende zumindest in der MVP-Diskussion bleiben - selbst wenn auch am Saisonende nur zwei Touchdowns für den Defensive End zu Buche stehen.
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