Moritz Böhringer heißt der erste deutsche Wide Receiver in der NFL. Die Minnesota Vikings wählten den 22-Jährigen in der 6. Draft-Runde an Position 180 aus. Doch was heißt das konkret? Was kommt in den nächsten Wochen und Monaten auf Böhringer zu? Wie sicher ist sein Platz bei den Vikes? Und was bedeutet der Pick für die Zukunft der NFL? SPOX beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zur Draft-Sensation.
Wie geht es für Böhringer jetzt weiter?
Ganz konkret steht als nächstes das Rookie-Minicamp in der ersten Mai-Hälfte an, in dem sich die neuen Vikings-Spieler aneinander gewöhnen und erste Einheiten unter den neuen Coaches absolvieren werden. Böhringer wird dort die Trainingseinrichtungen kennenlernen, ihm werden die Philosophie und die Geschichte der Vikings vermittelt. Darüber hinaus gilt es, die individuelle Ausrüstung anzupassen. Viele Kleinigkeiten also.
Im Minicamp können die Rookies dann auch einen ersten positiven Eindruck auf ihre Trainer machen - in gewisser Weise also den Grundstein für ihren späteren Platz im Kader legen.
Ende Mai starten die ersten OTAs, also die "Organized Team Activities". Hier arbeiten die Rookies erstmals mit dem kompletten Team zusammen und spätestens ab hier gilt es, sich jeden Tag aufs Neue zu beweisen.
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Bis Ende Mai haben die meisten Draft-Picks außerdem auch ihre Verträge unterschrieben. Inzwischen werden die Gehälter bedingt durch den genauen Draft-Spot weitestgehend vorgegeben, sodass lange Verhandlungen gerade bei Late-Round-Picks nur selten vorkommen.
Bei Böhringer lässt sich die Zahl so schon erahnen: Der 22-Jährige bekommt einen Unterschriftsbonus in Höhe von rund 150.000 Dollar, alles darüber hinaus muss er sich erarbeiten. Sein Rookie-Vertrag würde ihm, schafft er es in den finalen Kader, über vier Jahre insgesamt geschätzte 2,4 Millionen Dollar einbringen.
Es folgen weitere verpflichtende Trainingseinheiten im Juni, in welchen sich die Kader der Teams oftmals noch auf mehreren Positionen verändern. Ende Juli startet schließlich das Training Camp, also die offizielle Saisonvorbereitung. Bis dahin gilt es für die Rookies, neben dem physischen Training vor allem auch das Playbook zu verinnerlichen - keine einfache Aufgabe für Böhringer, der in Deutschland ohne Playbook gespielt hat.
Ab dem 9. August können sich dann vor allem die jungen Spieler in der Preseason beweisen. Die Vikings treffen in diesem Jahr auf Cincinnati, Seattle, San Diego und Los Angeles.
Macht Böhringer für die Vikings Sinn?
Rückblick: In der Saison 2015 kam das Team um Quarterback Teddy Bridgewater auf 183 Passing Yards pro Spiel. Das bedeutete den zweitschlechtesten Wert in der gesamten NFL. Explosive Spielzüge über mehr als 20 oder gar 40 Yards Raumgewinn? In beiden Fällen waren je nur zwei Teams schwächer als die Vikes.
Heißt: Um Running Back Adrian Peterson zu entlasten und ihm gleichzeitig Platz zu schaffen, musste unbedingt Verstärkung her. In der Kategorie "Yards pro Spiel" gehörte mit Stefon Diggs nur ein Wideout zu den Top 50 der Liga, und über ihn hinaus bietet der Kader mit Jarius Wright, Cordarelle Patterson und Co. keinen wirklich gefährlichen Mann. Mike Wallace, der vermeintliche Receiver für die Big Plays, hat das Team in Richtung Baltimore verlassen.
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Die Vikings mussten also nachlegen. Sie brauchten einen großen, schnellen, physisch starken Receiver. Den hat das Team deshalb bereits in Runde 1 mit Laquon Treadwell gezogen, und auch acht Picks nach Böhringer holte GM Rick Spielman mit David Morgen einen über 1,90 Meter großen Tight End, der auch als Passfänger fungieren kann.
In diese Reihe passt Böhringer wunderbar hinein. Auch er kann als körperlich enorm starker Spieler für Peterson blocken, was im Vikings-System enorm wichtig ist. Mit seiner Schnelligkeit könnte er zudem eine Waffe im Play-Action werden.
Ist Treadwell als Konkurrent ein schlechtes Omen für den Deutschen? Nein. Man darf nicht vergessen, dass Böhringer viel Zeit brauchen wird, um sich von der GFL auf die NFL umzustellen. So kann er von und mit Treadwell lernen, und im besten Falle schon im ersten Jahr als dessen Backup einspringen, sollte der eine Pause brauchen.
Zugegeben: Man hätte Böhringer einen passenderen Quarterback wünschen können als Bridgewater, der gerade bei den Deep Balls - und die dürften zu Beginn die besten Optionen für "MoBo" sein - Schwächen zeigt. Der Pick muss aber aus Vikings-Sicht gelesen werden: Mit seiner Schnelligkeit und Sprungkraft soll Böhringer eben diese Schwächen Bridgewaters ausgleichen, und in der Red Zone eine nicht zu übersehende Anspielstation darstellen. Bridgewater steht mit 23 noch am Anfang seiner Karriere. Er und Böhringer werden also viel Zeit haben, sich aneinander zu gewöhnen.
Hat Böhringer seinen Platz im Team sicher?
Böhringer wurde gedraftet, also hören wir in Week 1, am 11. September um 19 Uhr gegen die Titans: "Bridgewater, 20 Yards auf Böhringer - Touchdown Vikings!" Oder?
Mitnichten, oder anders gesagt: Das steht zumindest noch in den Sternen. Denn einen festen Platz im finalen Kader für die kommende Saison garantiert ihm der Draft keineswegs. Vielmehr gilt es ab sofort für Böhringer, sich im Team durchzusetzen und die Coaches davon zu überzeugen, dass er einen der begehrten 53 Plätze im aktiven Saisonkader verdient.
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Ein Sechstrunden-Pick hat statistisch gesehen etwa eine 50-prozentige Chance, beim ersten Spiel der Regular Season noch im Kader des Teams zu stehen, das ihn gedraftet hat. Und man darf nicht vergessen: Böhringer bringt Fragezeichen mit. Er muss erst lernen, mit einem Playbook zu arbeiten. Er muss lernen, sich gegen enge, körperbetonte Press Coverage zu behaupten. Er muss sich an das deutlich physischere Spiel gewöhnen. Und er muss sich gegen stärkere Gegner durchsetzen.
All das wird mutmaßlich dazu führen, dass er seine ersten Snaps in der Preseason im Special Team absolvieren darf - und womöglich ändert sich daran auch im Laufe seiner Rookie-Saison wenig. Mit seiner Kombination aus Größe, Schnelligkeit und Beweglichkeit bringt er hierfür jedenfalls sehr gute Voraussetzungen mit.
Doch weil Teams ihre Draft-Picks und Undrafted Free Agents (also Spieler, die nicht gedraftet und nach Ende des Drafts verpflichtet wurden) genauestens unter die Lupe nehmen wollen, ist ein NFL-Kader zum Start der Saisonvorbereitung noch 90 Mann schwer. Nach und nach wird dann aussortiert und auch wenn die Vikings in Böhringer einen Draft-Pick investiert haben: Ein Sechstrunden-Pick wird kein Team davon abhalten, einen Spieler zu entlassen. Positiv für Böhringer: Das Team weiß um seinen Nachholbedarf in Sachen Erfahrung und Taktik und wird ihm erst einmal Zeit geben. Wie viel Zeit das ist - und wie viel Zeit er braucht - hängt dann von ihm ab.
Was passiert, wenn es bei den Vikings nicht klappt?
Anfang September ist hierfür die heiße Phase: Am 1. September müssen die Teams ihre Kader auf 75 Spieler reduzieren. Am 5. September, also unmittelbar vor dem Start der Regular Season, erfolgt der finale Cut auf 53 Mann.
Böhringer ist ein Sonderfall, nicht umsonst hat er als erster direkt aus Europa gedraftete Spieler Geschichte geschrieben: Die Konkurrenz in Deutschland war nicht ansatzweise mit der zu vergleichen, die ihn in der NFL erwartet. Seine physischen Voraussetzungen sind mehr als beeindruckend, doch ist es schwer vorhersehbar, wie er sich gegen dieses Level schlägt. In jedem Fall wird er viel zu lernen haben.
Böhringer und Anthony Dable stellen sich vor: "Alles außer Fisch!"
Sollten sich die Vikings vor diesem Hintergrund im Laufe der kommenden Monate von Böhringer trennen, durchläuft er das Waiver Wire. Hier hat dann reihum jedes Team die Chance, ihn zu verpflichten. Greift kein Team zu, kann Böhringer theoretisch überall unterschreiben.
Doch ist das in dem Fall nicht die einzige Möglichkeit: Minnesota könnte sich auch entscheiden, den Receiver in das eigene, zehn Mann starke Practice Squad zu stecken. Somit würde er weiter bei den Vikings trainieren, könnte etwa im Scout-Team der eigenen Defense dabei helfen, sich auf einen bestimmten Gegner vorzubereiten, und wäre ein erster Kandidat für den Sprung in den festen Kader, etwa im Falle einer Verletzung. Als Practice-Squad-Spieler hätte er mit den Regular-Season-Spielen aber zunächst einmal nichts zu tun, zudem würde er pro Woche bezahlt und würde deutlich weniger verdienen.
Sollte Böhringer aber tatsächlich im Practice Squad der Vikings landen, hat Minnesota nicht mehr das exklusive Recht auf den Deutschen. Ein solcher Spieler ist, auch wenn er vom Team bezahlt wird, im Prinzip gleichzeitig ein Free Agent. Will heißen: Jedes Team könnte Böhringer dann aus Minnesotas Practice Squad abwerben und in den eigenen festen 53-Mann-Kader stecken.
Beginnt mit Böhringer eine neue NFL-Zeitrechnung?
Die NFL wird die Daumen drücken und hoffen, dass sich Böhringer auf absehbare Zeit in der NFL etablieren kann - wenn möglich sogar als einer der besseren Receiver. Und nicht nur er, sondern auch seine Freunde Anthony Dable und Efe Obada, die beide ebenfalls nicht auf dem College gespielt haben.
Das Zauberwort lautet ganz nüchtern: Globalisierung. Während die NFL den amerikanischen Markt im Schwitzkasten hält, weitgehend abgegrast hat und Jahr für Jahr Rekordquoten einfährt, ist der Sport außerhalb des nordamerikanischen Kontinents Randfigur - wenn überhaupt. Die NBA ist dagegen auf der ganzen Welt populär, Hockey immerhin in Kanada, Nordeuropa und Russland - und selbst Baseball hat in Lateinamerika und Japan/Korea weitere Märkte.
Das bedeutet aber nicht nur Einnahmen aus der Auslandsvermarktung, sondern auch talentierten Nachwuchs, der die Liga verstärkt, das Niveau erhöht - und damit Interesse im Heimatland schafft. Es folgen Saisonspiele im Ausland, irgendwann vielleicht sogar eine Franchise dort.
Mit den Spielen in London hat sich die NFL ein erstes erfolgreiches Standbein geschaffen, im Herbst kommt erneut Mexiko City hinzu. Während die Duelle dort die bereits vorhandenen Fans begeistern und beim neutralen Beobachter für Interesse sorgen, fehlt mit einheimischen Stars eine entscheidende Komponente, um Kinder und Jugendliche vom Fußball oder Basketball an den Sport zu binden.
Kann sich Böhringer bei den Vikings oder auch bei einem anderen Team durchsetzen, könnte er bei deutschen Fans und Medien für Aufmerksamkeit sorgen, für Touchdowns und Highlightvideos, die bei Linemen der Marke Kuhn oder Vollmer einfach nicht zu finden sind. Die Folge wäre ein Football-Interesse, das über den Super Bowl als Event hinausgeht - und damit ein Stützpfeiler für ein späteres Saisonspiel z.B. in Berlin. Natürlich mit Böhringer.
Zudem geht eine Signalwirkung davon aus. Dem europäischen Nachwuchs würde gezeigt, dass man es auch aus einem Football-Entwicklungsland bis ganz nach oben schaffen kann. Böhringer könnte mit seiner bescheidenen und ruhigen Art ein "Nowitzki light" werden. Die 32 Franchises wiederum würden ermutigt, ihr Scouting außerhalb der amerikanischen Grenzen zu intensivieren. Und so die NFL mehr und mehr zu einer globalen Liga zu machen.