Henry Hodgson ist ein Experte für die internationale Verbreitung der NFL. Der gebürtige Londoner hat nach jahrelanger Arbeit bei NFL UK vor einigen Jahren den Sprung zu NFL.com gewagt, bleibt der europäischen Bühne aber verbunden. Geschichten wie die von Moritz Böhringer sind für ihn daher von enormer Bedeutung, noch vor dem permanenten Umzug eines Teams nach Europa. Im Interview spricht Hodgson über Böhringers Chance, seine Miami Dolphins - und Podcast-Partner Dave Dameshek.
SPOX: Herr Hodgson, ich muss natürlich mit Moritz Böhringer anfangen. Sie haben ihn in Florida während seiner Workouts über einen längeren Zeitraum persönlich vor Ort beobachten können, was war Ihr Eindruck? Haben Sie etwas Vergleichbares schon einmal gesehen: Ein Spieler, der es ohne College- oder High-School-Erfahrung in die NFL schafft?
Henry Hodgson: Nein, das ist wirklich, wirklich selten. Was bei mir extrem hängen geblieben ist: Er war nicht einmal in den USA, als die Combine stattgefunden hat! Und jetzt gilt er nicht nur als mögliches Draft-Prospect, sondern als ein Spieler, an dem Teams großes Interesse haben, mit dem sie sich treffen wollen und den sie genauestens unter die Lupe nehmen.
SPOX: Ich habe vor einigen Tagen mit Björn Werner über das gleiche Thema gesprochen und er sagte, dass Moritz Böhringer eine Tür für viele europäische Football-Spieler öffnen könnte, sollte er den Sprung direkt in die NFL schaffen. Sehen Sie das ähnlich?
Hodgson: Moritz ist, was natürlich hervorragend zu dem Namen seines ehemaligen Teams passt (die Schwäbisch Hall Unicorns, d. Red.), selbst eine Art Einhorn: Er ist ein besonderer Athlet, wie es sie schlicht nicht an jeder Straßenecke gibt. Aber ich glaube, dass die NFL ihren Horizont erweitern wird, was das Scouting generell angeht, aber auch hinsichtlich der Frage, wo man potentielle Spieler finden kann. Vielleicht auch gar nicht zwangsläufig nur indem man bei den Football-Spielern schaut: Ich bin mir sicher, dass es einige Basketball-Spieler in Europa gibt, die die Athletik haben, welche NFL-Teams sehen wollen. Das muss sich also gar nicht auf die GFL beschränken.
SPOX: Spieler wie Böhringer haben also langfristig die Chance, dafür zu sorgen, dass die NFL feste Scouting-Abteilungen auch in Europa hat?
Hodgson: Ich denke, man kann das auf zwei Arten sehen: Es besteht die Chance, dass die NFL beginnt, sich intensiver mit diesen Spielern auseinander zu setzen und sie dann in die USA bringt, damit sie ihr Talent unter Beweis stellen können - wie jetzt bei Moritz. Andererseits werden sich aber vielleicht auch einige der proaktiven Teams auf eigene Faust in Europa umschauen und auf Talentsuche gehen.
SPOX: Könnte das dann mittelfristig vielleicht auch Auswirkungen darauf haben, dass ein festes NFL-Team nach Europa kommt? Gerade London ist da ja immer wieder in der Diskussion...
Hodgson: ...ja, das Thema hält sich hartnäckig und die NFL hat da in meinen Augen wirklich Interesse. Aber ich glaube noch interessanter sind im Moment die einzelnen Personalien, wie Jarryd Hayne (der australische Rugby-Star wagte im Vorjahr den Schritt in die NFL, d. Red.) und jetzt eben Moritz: Wenn sich ein Spieler aus einem anderen Land in der NFL durchsetzt, kann das auch Leute erreichen, die noch keine Football-Fans sind, weil sie sich damit identifizieren können. Bevor also ein festes europäisches Team ein Thema wird, steht das im Moment meiner Meinung nach im Vordergrund.
SPOX: War das auch der Grund dafür, dass NFL Network Böhringers Pro Day begleitet hat? Das macht das Network ja nicht bei jedem Prospect und er war vorher doch ziemlich unbekannt.
Hodgson: Ich glaube, wir suchen einfach immer nach guten Geschichten. Dieser Draft ist wirklich interessant, schon jetzt gab es mehrere Trades und einige der Spieler haben einen wirklich spannenden Hintergrund. Aber es gibt kaum eine faszinierendere Geschichte, als dieses Märchen, das Moritz im Moment lebt.
SPOX: Gleichzeitig hätte ja auch alles schnell vorbei sein können.
Hodgson: Absolut, es hätte mit dem Pro Day enden können. Allerdings hat er diese unglaublichen Zahlen aufgelegt und so ist das Interesse extrem gewachsen. Die Story hätte auch einfach sein können: Dieser deutsche Receiver hat seinen Pro Day - fertig. Dass wir jetzt an diesen Punkt kommen, macht eine wirklich unglaubliche Geschichte daraus. Umso mehr, falls er tatsächlich gedraftet wird.
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SPOX: Wie schätzen Sie seine Chancen darauf ein? Sechste, siebte Runde vielleicht?
Hodgson: Ich glaube er hat eine sehr gute Chance! Einige Teams sind wirklich begeistert aufgrund seines puren physischen Talents und haben sich mit ihm getroffen. Ich weiß, dass er es unbedingt schaffen will und er ist lernbereit. Das wurde über die sechs, sieben Wochen, die er hier verbracht hat, mehr als deutlich: Moritz ist ein Spieler, der das Coaching annimmt und anwendet. Ich glaube, er könnte mit den richtigen Coaches ein wirklich, wirklich guter NFL-Spieler werden.
SPOX: Gehen wir in eine andere Richtung: Ich kenne Sie natürlich auch über den NFL.com-Podcast mit Dave Dameshek, der dabei als sehr unterhaltsamer und manchmal etwas verrückter Typ rüberkommt. Ist er so auch abseits des Mikrofons?
Hodgson: Oh ja, Dave ist wirklich witzig und es macht immer Spaß mit ihm. Im "echten Leben" ist er auch ziemlich verrückt. (lacht)
SPOX: Damit kommt er bei den NFL-Spielern immer ziemlich gut an. Wer war bisher Ihr Lieblingsgast in der Show?
Hodgson: Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich bin ein Dolphins-Fan, dementsprechend habe ich Jarvis Landry (Dolphins-Receiver, d. Red.) weit oben auf meiner Liste, der im vergangenen Jahr bei uns war. Außerdem genieße ich es immer, wenn wir in den Wochen nach dem Super Bowl die Sieger bei uns haben, das ist meistens unterhaltsam. Und Dave fragt häufig, sagen wir eine etwas andere Art von Fragen. Da findet man immer spannende Dinge heraus.
SPOX: Zum Beispiel?
Hodgson: Ich weiß gerade nicht mehr, wer genau es war, aber vor zwei Jahren hat uns jemand erzählt, dass er am Morgen des Super Bowls im Kino war, um vor dem Spiel noch zu entspannen! Solche kleinen Insider-Geschichten bekommt Dave aus den Spielern raus, während sie diese in den meisten anderen Interviews vermutlich nicht erzählen würden.
SPOX: Stichwort Super Bowl: Wie viele Super Bowls haben Sie inzwischen im Stadion gesehen?
Hodgson: Ich glaube sieben oder acht.
SPOX: Und gibt es einen Favoriten?
Hodgson: Da muss ich Super Bowl 49 (Seattle - New England im Januar 2015, d. Red.) nennen: Das Finish war unglaublich! Ich war auch 2004 beim Super Bowl, als die Panthers von den Patriots geschlagen wurden. Das war mein erster Super Bowl und ein Spiel, das manchmal etwas unter dem Radar fliegt - aber es war eine großartige, dramatische Partie!
SPOX: Sie haben es ja bereits gesagt: Sie sind Dolphins-Fan. Wie kamen Sie damals in England dazu? Wann haben Sie angefangen, Football zu schauen?
Hodgson: Das war in den 80er Jahren. Damals haben sie im Fernsehen die besten Spiele aus der Vorwoche gezeigt und das war damals ziemlich häufig ein Spiel mit Dan Marino. Da habe ich mich in das Team verliebt.
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SPOX: Von dem Glanz ist nicht mehr viel übrig, Miami hatte in den vergangenen Jahren so seine Schwierigkeiten und wird häufig vor allem als Geldausgeber in der Free Agency gesehen.
Hodgson: Ich denke, es wird eine interessante Saison mit neuem Head Coach und hoffentlich etwas mehr davon weggehend, viel Geld in der Free Agency auszugeben. (lacht) Mit den Playoffs rechne ich aber zumindest in diesem Jahr nicht unbedingt.
SPOX: Wen würden Sie gerne in der ersten Runde des Drafts für die Dolphins ziehen?
Hodgson: Ohje, einige. Ich weiß nur nicht, wer davon so weit fällt. Ich mag Myles Jack, ich habe einige seiner College-Spiele hier in Los Angeles gesehen. Ein toller Linebacker. Bei ihm bestehen gleichzeitig natürlich Fragezeichen rund um sein Knie. Ezekiel Elliott wäre ein toller Pick für die Dolphins, aber ob er da noch auf dem Board ist...
SPOX: Ab der kommenden Saison hat L.A. dank der Rückkehr der Rams nicht mehr nur College-Teams - ändert der Hollywood-Glitzer vielleicht auch am Image der Rams etwas? Melden sie sich mit dem First-Overall-Pick zurück?
Hodgson: Zugegeben: Ich freue mich darauf, ein Team vor der Haustür zu haben. Der Draft-Trade zeigt ihren Glauben daran, nur noch einen Quarterback von einer Contender-Rolle entfernt zu sein. Wir werden sehen, ob das funktioniert.