Der NFL Draft 2021 steht unmittelbar bevor und die Draft-Auswahl der Cincinnati Bengals wird im Vorfeld besonders hitzig diskutiert. Penei Sewell oder Ja'Marr Chase? Wer wäre die bessere Wahl? Es ist eine Debatte über ganz grundlegende Philosophien in der NFL mit einer entscheidenden Frage im Mittelpunkt: Was ist wichtiger? Ein Elite-Tackle oder ein Elite-Receiver?
Auch in diesem Jahr ranken sich jede Menge Gerüchte und Diskussionen um den NFL Draft.
Nehmen die Jaguars an Position eins tatsächlich Trevor Lawrence oder sorgt die Franchise für eine Sensation? Ist der Pick von Zach Wilson bei den Jets bereits in Stein gemeißelt? Haben die 49ers wirklich Mac Jones weit oben auf ihrem Board? Und geht auch an vierter Position ein Quarterback vom Board?
Naturgemäß befassen sich die meisten Berichte und Debatten mit den Quarterbacks im Draft. Es ist die wichtigste Position im Football, es sind die Quarterbacks, die am wahrscheinlichsten zu Superstars reifen werden.
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Eine der spannendsten, weil tiefgründigsten, Fragen beschäftigt sich allerdings mit dem fünften Pick im kommenden Draft, dem ersten Pick, mit dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Quarterback gezogen werden wird. Mit Joe Burrow haben die Bengals ihren Quarterback der Zukunft bereits gefunden, sie werden sich anderen Baustellen widmen können.
gettyNFL: Wide Receiver oder Offensive Tackle als grundsätzliche Frage
Auf der Suche nach Verstärkungen für sein Team wird Cincinnati Ende dieser Woche (nahezu) freie Auswahl aus allen Nicht-Quarterbacks haben. Die beiden am häufigsten genannten Namen in dieser Diskussion sind Ja'Marr Chase von LSU und Penei Sewell aus Oregon.
Kyle Pitts von Florida wird ebenfalls gehandelt, der Tight End wurde bislang aber nicht ganz so stark mit den Bengals in Verbindung gebracht. Zudem gilt er als wahrscheinlichster Pick der Falcons, sofern an vierter Position kein weiterer Quarterback gedraftet wird.
Die Debatte über Chase und Sewell spaltet Experten und Bengals-Fans in diversen Internet-Foren gleichermaßen, in den vergangenen Wochen machte so manches Meme bei Twitter die Runde. Vor allem aber ist sie besonders interessant, weil es in der Diskussion um deutlich mehr geht als einfach nur um die Frage, ob Chase oder Sewell der bessere Spieler, das größere Talent, ist.
Denn sowohl an Chases als auch an Sewells Qualität besteht wenig Zweifel. Der Wide Receiver gilt als vielleicht größtes Talent auf seiner Position innerhalb der letzten Jahre, Gleiches gilt für Sewell, den Offensive Tackle. Darüber sind sich die meisten Experten einig.
Die Diskussionen rund um den Pick der Bengals öffnen somit das Tor zu einer tiefgründigeren Dimension. Es geht nicht darum, einfach den besseren der beiden Spieler zu nehmen. Es geht um ganz grundsätzliche Philosophien, darum, wie Organisationen in der modernen NFL ihr Team möglichst erfolgversprechend aufbauen können. Es geht um die Frage: Wen sollte man eher mit einem hohen Draftpick auswählen? Einen Wide Receiver? Oder einen Offensive Tackle?
NFL: Das sind die Argumente für einen Pick von Penei Sewell
Sewells Talent ist unbestritten. Der 20-Jährige gilt als größtes Offensive-Tackle-Talent seit mindestens fünf Jahren. Damit hat Sewell Spieler wie Laremy Tunsil (Texans), Andrew Thomas (Giants) und Jedrick Wills (Buccaneers) überflügelt.
Dass Sewell in zwei, drei Jahren zu den besseren Tackles der Liga zählt, ist in den Augen der meisten Draft-Experten somit sehr wahrscheinlich. Und: Solche Spieler sind in der NFL äußerst schwer zu bekommen, insbesondere außerhalb der ersten und zweiten Draft-Runde.
Von den laut Pro Football Focus 32 besten Offensive Tackles der vergangenen Saison wurden 16 einst in der ersten Draft-Runde ausgewählt, sieben weitere gingen in der zweiten Runde von Board. Auf die Runden drei bis sieben sowie Undrafted Free Agents entfallen nur neun weitere Spieler.
Dass starke Offensive Tackles das Team wechseln, ist zudem äußerst selten. Und wenn doch, dann passiert das in der Regel per Trade, Teams streichen also noch gehörigen Gegenwert für ihren Blocker ein. Beispiele dafür sind in der jüngeren Vergangenheit Duane Brown (Seahawks), Trent Williams (49ers), Tunsil und erst kürzlich Orlando Brown (Chiefs).
NFL: Hohe Erfolgsrate bei den Offensive Tackles
Bei den Wide Receivern sehen diese Zahlen anders aus. Unter den 32 Wide Receivern mit den meisten Receiving Yards 2020 wurden nur zwölf in der ersten Runde ausgewählt. Und zu diesen zwölf zählen noch Nelson Agholor, der sich im vergangenen Sommer äußerst günstig den Raiders angeschlossen hatte, sowie Corey Davis und Will Fuller, die in der diesjährigen Free Agency das Team wechselten, ohne einen absoluten Spitzenvertrag abzustauben.
Acht der Top-32-Receiver der vergangenen Saison wurden in der zweiten Draft-Runde ausgewählt, weitere zwölf in den Runden drei bis sieben. Gute und sehr gute Receiver später im Draft zu bekommen, scheint somit deutlich einfacher zu sein als gute und sehr gute Offensive Tackles.
Auch die Erfolgsrate unter Erstrundenpicks ist bei den Tackles deutlich höher: Stephen Holder von The Athletic stellte fest, dass 61 Prozent aller Offensive Tackles, die seit 2000 in der ersten Runde ausgewählt wurden, mindestens fünf Jahre lang Starter für ihr ursprüngliches Team waren. Die höchste Zahl aller Positionen. Wide Receiver kommen beispielsweise nur in 40 Prozent der Fälle auf fünf Jahre als Starter für ihr Team.
NFL: Elite-Receiver gibt aus in den späteren Runden
Die Qualität von Receivern scheint vor dem Sprung vom College in die NFL also deutlich schwerer festgestellt werden zu können als die der Tackles. Tatsächlich unterschrieben nur vier der zehn Wide Receiver, die seit 2010 in den Top 10 des Drafts ausgewählt wurden, nach ihrem Rookie-Vertrag einen weiteren Deal bei ihrem ursprünglichen Team.
Die jüngere Vergangenheit zeigt somit: Teams müssen meistens keinen Top-10-Pick, häufig sogar nicht mal einen Erstrundenpick, einsetzen, um einen echten Elite-Receiver im Draft zu erhalten.
Zwischen 2014 und 2019 wurden alleine in der zweiten Draft-Runde Davante Adams, Michael Thomas, Allen Robinson, Jarvis Landry, A.J. Brown, D.K. Metcalf, JuJu Smith-Schuster und Deebo Samuel ausgewählt. Spieler wie Chris Godwin (dritte Runde), Kenny Golladay (dritte Runde), Stefon Diggs (fünfte Runde) und Tyreek Hill (fünfte Runde) kommen zusätzlich hinzu.
NFL: Offensive Tackle als sicherer Pick?
Aber haben die Bengals nach der Verpflichtung von Riley Reiff überhaupt noch Verwendung für Sewell? Sollte man angesichts der scheinbar geschlossenen Baustelle auf der Tackle-Position nicht eine andere Position priorisieren?
Dieser Standpunkt erscheint doch sehr kurzsichtig. Reiff steht bei den Bengals schließlich für gerade mal ein Jahr unter Vertrag. Ein Jahr, in dem Cincinnati mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um den Super Bowl, vermutlich nicht mal um die Playoffs, mitspielen wird.
Die Planungen der Bengals sollten also langfristiger sein, der Fokus des Teams muss auf der Entwicklung von Quarterback Joe Burrow liegen. Dieser sollte sowohl ein starker Left Tackle als auch ein starker Outside-Receiver äußerst zuträglich sein.
Das Argument für einen Pick von Sewell ist jedoch: Bei ihm scheint es statistisch deutlich wahrscheinlicher, dass er sich tatsächlich zu diesem Spieler entwickeln kann. Der Tackle wäre demnach also der sicherere der beiden Picks.
NFL: Das sind die Argumente für einen Pick von Ja'Marr Chase
Auf der anderen Seite steht mit Chase ein weiterer Spieler, der von einigen Experten ebenfalls als "Generational Talent", also eines der besten Talente seiner Generation, bezeichnet wird. 2019 zauberte Chase eine der stärksten Receiver-Saisons aller Zeiten auf den Rasen, ehe er von DeVonta Smith in der vergangenen Saison überflügelt wurde.
Aufgrund seiner Physis, die besser für die Transition in die NFL geeignet zu sein scheint, sowie seines Alters von nur 19 Jahren in seiner herausragenden College-Saison ist Chase auf den meisten Boards dennoch noch höher gerankt als Smith. Während Sewell relativ einstimmig als bester Tackle im Draft gilt, nimmt Chase diesen Status unter den Receivern ein - zumindest in den meisten Rankings.
Doch welche Argumente sprechen für eine Auswahl von Chase an der fünften Draft-Position, wenn Sewell rein statistisch wohl der sicherere Pick wäre?
NFL: Wide Receiver als zweitwichtigste Position in der NFL?
In erster Linie kommt hier die Wichtigkeit von Receivern in der modernen NFL ins Spiel. Laut Pro Football Focus ist die Receiver-Position nach den Quarterbacks mittlerweile die zweitwichtigste Position in der höchsten Football-Liga der Welt.
Mit 0,86 Punkten in der WAA (Wins Above Average)-Metrik, die den Einfluss eines Spielers auf die Bilanz des eigenen Teams messen soll, erreichte Chase bereits auf dem College einen mehr als doppelt so hohen Wert wie Sewell, der 2019 auf 0,32 WAA kam. Das deckt sich mit ähnlichen Werten aus der NFL: Dort generierte der wertvollste Receiver Davante Adams (0,9 Wins Above Replacement) in der vergangenen Saison einen mehr als doppelt so hohen Wert wie der wertvollste Offensive Tackle Trent Williams (0,39 WAR).
Während die Auswahl von Sewell also wahrscheinlicher in einem auf seiner Position überdurchschnittlich guten Spieler resultieren würde, so scheint der potenzielle Wert, den Chase seiner Franchise einbringen würde, deutlich höher zu sein. Sewell mag zwar der sicherere Pick sein, Chase bringt jedoch deutlich mehr Upside mit, lautet also das Argument.
NFL: Die Qualität der gesamten Offensive Line ist entscheidend
Doch wie ergeben sich diese Wertigkeiten von Top-Tackles und Top-Receivern? Wieso soll ein herausragender Pass-Blocker so viel weniger wertvoll als ein herausragender Pass-Empfänger sein?
Laut Pro Football Focus sind die Werte darauf zurückzuführen, dass der Einfluss eines Offensive Tackles auf seine Offensive Line beschränkt ist - so gut dieser Tackle auch sein mag. Ein sehr guter Pass-Blocker bringt einem Team somit nur wenig, wenn der Rest der O-Line deutlich schwächer besetzt ist.
Berechnungen von PFF ergaben, dass der (laut den Noten von PFF) drittbeste Spieler innerhalb einer O-Line den größten Einfluss auf den Erfolg einer Offense hat. Vereinfacht dargestellt kommt dies folgendermaßen zustande: Da Defenses dem besten Pass-Blocker eines Teams aus dem Weg gehen können (indem sie beispielsweise die andere Seite der Line mit mehr Spielern attackieren) und da Offenses ihren schwächsten Blocker unterstützten können (zum Beispiel durch Blocking-Hilfe durch einen Tight End), ist die Qualität der durchschnittlichen Spieler in der Line letztendlich der wichtigste Faktor.
Es ist eine Beobachtung, die im letzten Super Bowl zusätzlich untermauert wurde. Trotz des langen Ausfalls von Right Tackle Mitchell Schwartz überzeugte die O-Line der Chiefs über den Großteil der Saison. Erst als zusätzlich Left Tackle Eric Fisher ausfiel und Kansas City seine gesamte Line neu aufstellen musste, brach die Pass Protection des Teams ein.
NFL: Tendieren die Bengals zu Chase?
Welche Sichtweise vertreten nun die Bengals? Sichern sie sich mit Sewell den besten Tackle und stabilisieren somit zumindest eine der fünf O-Line-Positionen? Oder draften sie Chase und hoffen, im Verbund mit Tyler Boyd und Tee Higgins den vielleicht besten Receiving Corps der Liga auf den Rasen schicken zu können?
Duke Tobin, Director of Player Personnel bei den Bengals, deutete kürzlich Zweiteres an: "Es gibt Linemen, die in der zweiten und dritten Runde noch verfügbar sein werden, die wir als Starter sehen", so Tobin. "Wir glauben, dass wir mit einigen Rückkehrern und mit der Verpflichtung von Riley Reiff besser aufgestellt sind als zuvor. Doch es wird weitere Neuzugänge geben."
Will Cincinnati seine Offensive Line in der tief besetzten Klasse tatsächlich erst später im Draft angehen? Oder ist Tobins Aussage so kurz vor dem Draft nicht mehr als eine Nebelkerze?
NFL Draft 2021: Die Picks in der ersten Runde
Pick | Mannschaft | Bilanz der Vorsaison |
1 | Jacksonville Jaguars | 1-15 |
2 | New York Jets | 2-14 |
3 | Miami Dolphins (via Houston Texans) | 4-12 (Texans) |
4 | Atlanta Falcons | 4-12 |
5 | Cincinnati Bengals | 4-11-1 |
6 | Philadelphia Eagles | 5-11 |
7 | Detroit Lions | 5-11 |
8 | Carolina Panthers | 5-11 |
9 | Denver Broncos | 5-11 |
10 | Dallas Cowboys | 6-10 |
11 | New York Giants | 6-10 |
12 | San Francisco 49ers | 6-10 |
13 | Los Angeles Chargers | 7-9 |
14 | Minnesota Vikings | 7-9 |
15 | New England Patriots | 7-9 |
16 | Arizona Cardinals | 8-8 |
17 | Las Vegas Raiders | 8-8 |
18 | Miami Dolphins | 10-6 |
19 | Washington Football Team | 7-9 |
20 | Chicago Bears | 8-8 |
21 | Indianapolis Colts | 11-5 |
22 | Tennessee Titans | 11-5 |
23 | New York Jets (via Seattle Seahawks) | 12-4 (Seahawks) |
24 | Pittsburgh Steelers | 12-4 |
25 | Jacksonville Jaguars (via Los Angeles Rams) | 10-6 (Rams) |
26 | Cleveland Browns | 11-5 |
27 | Baltimore Ravens | 11-5 |
28 | New Orleans Saints | 12-4 |
29 | Green Bay Packers | 13-3 |
30 | Buffalo Bills | 13-3 |
31 | Baltimore Ravens (via Kansas City Chiefs) | 14-2 (Chiefs) |
32 | Tampa Bay Buccaneers | 11-5 |