Richtiger Protest und falsche Hot Takes

Von Adrian Franke
14. August 201714:51
Michael Bennett setzt den Hymnen-Protest von Colin Kaepernick fortgetty
Werbung

SPOX startet ein neues Format: In der neuen Saison wird NFL-Redakteur Adrian Franke wöchentlich die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Woche in der NFL beleuchten - und das aus persönlicher Sichtweise. Los geht's unter anderem mit Ezekiel Elliott, dem Watkins-Trade und der wichtigen Botschaft von Michael Bennett.

1. Lynchs merkwürdiger (Nicht-)Protest - und wie es richtig geht

So wirklich werde ich noch nicht schlau aus dem, was Marshawn Lynch während Oaklands Preseason-Auftakt in Arizona abgezogen hat. Lynch blieb während der Hymne vor dem Spiel sitzen und erklärte laut Head Coach Jack Del Rio anschließend, dass er das schon "seit elf Jahren" so mache und damit nur er selbst sei. Natürlich passierte das, was passieren musste: Wenige Stunden nach dieser Aussage machten über die sozialen Medien Bilder von Lynch die Runde, auf denen er sehr wohl während der Hymne stand.

Wirklich schlau werde ich daraus wie gesagt nicht. Will Lynch seine Unterstützung für Colin Kaepernick ausdrücken, der in der vergangenen Saison mit seinen Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Afro-Amerikaner für großes Aufsehen gesorgt hatte - und das noch immer tut?

Das Thema wird uns sicher noch begleiten, führt mich aber zum eigentlich zentralen Punkt: Dass sich Seattles Michael Bennett am Sonntagabend gegen die Chargers deutlich für Kaepernicks Sache aussprach und den Protest des Ex-49ers-Quarterbacks durch das Knien während der Hymne fortsetzte, war für mich ein unglaublich wichtiges Zeichen.

Mindestens genau so wichtig war das, was Bennett anschließend gegenüber Reportern erklärte: "Natürlich wird es auch Kritik geben. Das ist größer als ich, größer als Football. Hier geht es um die Menschen. Das ist größer als ein Sport. Ich sehe mich nicht als Vorbild, ich sehe mich eher als jemand, der versucht, junge Leute und Kinder zu inspirieren. Kinder unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlichen Geschlechts, ganz egal. Ich will sie dazu inspirieren, ihre Umwelt und die Gesellschaft kontinuierlich zu verändern. Ich bin heute verwundbar, Leute werden mich attackieren - weil sie nicht an das glauben, woran ich glaube."

Weiter wolle er "diese Plattform nutzen, um die Message weiter durchzubringen und im Gespräch zu halten. Nur weil die Leute anders sind, weil sie anders riechen, etwas anderes essen oder einen anderen Gott anbeten, heißt das doch nicht, dass man sie nicht mögen kann. Ich will, dass die Menschen das verstehen. Es geht darum, ein Mensch zu sein." Bennett fügte hinzu, dass er während der kompletten Saison bei der Hymne aus Protest sitzen bleiben will.

So ist es ein klares Statement für Kaepernick, und das war notwendig. Rund um die Kaepernick-Debatte, darüber, wo er spielen könnte und warum er kein Team hat und wer die Bösen sind und ob es eine Verschwörung der Team-Besitzer gibt, hatte man in der Vergangenheit nämlich zu häufig das Gefühl, dass die tatsächlich zentrale Botschaft hier verloren ging. Die Frage danach, warum Kaepernick eigentlich protestiert hat. Bennett hat es sich ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt, das nicht zuzulassen, und dafür muss man den Hut vor ihm ziehen.

Die USA sind ein in sich tief gespaltenes Land, das wurde gerade bei den Protesten in Charlottesville wieder schmerzhaft offensichtlich. Diese Spaltung ist real, für viele Menschen ein Teil des täglichen Lebens. Es ist immens wichtig, dass die Diskussionen darüber weiter im Gespräch bleiben und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Es ist der einzige Weg, wie sich langfristig Dinge ändern und Menschen hinterfragen werden.

2. Die Kritik an der Kritik der Elliott-Sperre

Eine Sache ist mir bei der am Freitag verhängten Sechs-Spiele-Sperre gegen Ezekiel Elliott besonders sauer aufgestoßen: Die damit einhergehende Hot-Take-Maschinerie, die auf vielfältige Art und Weise sofort dazu überging, die NFL zu kritisieren.

Ja, die juristische Anklage gegen Elliott wurde aufgrund widersprüchlicher Aussagen fallen gelassen. Aber haben wir uns im Fall Ray Rice nicht alle darüber aufgeregt, dass die NFL eine vorschnelle Entscheidung traf und ganz offensichtlich nicht allen Indizien nachgegangen war? Und ist hier nicht genau das Gegenteil der Fall?

Die Liga hat sich über ein Jahr für die Untersuchungen Zeit gelassen, über zwölf Zeugen befragt, mit dem Opfer gesprochen und alle Beweise gesichtet. Wenn die NFL nach alledem davon überzeugt ist, dass Elliott seine einstige Freundin geschlagen hat, und sie diese Überzeugung belegen kann, dann sind die sechs Spiele die Standard-Bestrafung für häusliche Gewalt. Es ist der strikte Strafen-Katalog, den sich nach dem Rice-Desaster alle gewünscht haben.

Und natürlich stellt sich die Liga damit über die öffentlichen juristischen Instanzen. Aber hier muss man differenzieren: Die Liga sperrt Elliott schließlich nicht in eine Zelle oder verbietet ihm, das eigene Haus zu verlassen. Die NFL sagt aber auch klar, dass man sich an ihre Regeln zu halten hat, wenn man in dieser Liga spielen will - und eine Verletzung dieser Regeln festzustellen obliegt der NFL selbst. "Selbst wenn ein Spieler nicht angeklagt wird, kann er noch immer gegen die Liga-Regularien verstoßen haben", heißt es im Statement der NFL, das hier in voller Länge verfügbar ist.

Der Punkt ist: Kein Außenstehender weiß, was genau zwischen Elliott und der Frau vorgefallen ist. Die NFL hat sich mit dem Vorfall länger und intensiver beschäftigt als irgendwer sonst. Und sie hat ihr Urteil gefällt. Ist es so abwegig zu behaupten, dass Stand heute niemand diesen Fall besser kennt als die Liga und ihre Ermittler? Elliott und das vermeintliche Opfer natürlich ausgeschlossen.

Abschließend: Was sollten die Folgen für Elliott sein? Ganz unabhängig davon, ob sein Einspruch Erfolg hat und die Sperre reduziert oder gar aufgehoben (ich würde gerade mit Letzterem nicht rechnen) wird, bin ich da bei meinem Kollegen Pascal: Elliott sollte das als Warnschuss nutzen und sich selbst ernsthaft hinterfragen. Dann kann ihm die Suspendierung zum Vorteil gereichen.

3. Warum der Bills-Eagles-Rams-Trade Sinn macht (und warum nicht)

Grundsätzlich bin ich bei Spieler-für-Spieler-Trades erst einmal skeptisch, insbesondere dann, wenn sie so spät in der Saisonvorbereitung stattfinden. Sich an neue Schemes, neue Playbooks, neue Philosophien zu gewöhnen braucht Zeit - und umso faszinierender sind die Trades, wenn sie dann doch mal stattfinden. Und wenn sie einen Spieler wie Sammy Watkins enthalten.

Damit alle auf der gleichen Wellenlänge sind, der kurze Überblick zum überraschenden Trade vom Wochenende:

  • Buffalo gibt ab: Sammy Watkins (Rams), Sechstrunden-Pick (Rams), Ronald Darby (Eagles)
  • Buffalo erhält: Jordan Matthews (Eagles), Drittrunden-Pick (Eagles), E.J. Gaines (Rams), Zweitrunden-Pick (Rams)

Viel Input, aber ein paar Dinge sind sofort offensichtlich: Buffalo hat ein Receiver-Downgrade (Matthews statt Watkins) und ein Cornerback-Downgrade (Gaines statt Darby) in Kauf genommen, um in die Zukunft zu investieren. In Kombination mit dem Pick-Trade mit den Chiefs während des vergangenen Drafts hat Buffalo jetzt jeweils zwei Picks in der ersten, der zweiten und der dritten Runde des kommenden Drafts.

Klingt für mich nach Rebuild - und nach dem Wunsch, auf dem Quarterback-Markt des kommenden Drafts mitmischen zu können. Ein riskantes Spiel, denn Buffalo muss erst einmal zeigen, dass es einen besseren Quarterback als Tyrod Taylor findet. Ich bin skeptisch und natürlich will ein Team immer junges Talent, doch sind Darby und Watkins ja zunächst einmal genau das. Auch wenn bei Watkins die Verletzungen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürften.

Immerhin das Cornerback-Downgrade lässt sich auch mit Blick auf das Scheme erklären: Der neue Head Coach Sean McDermott kommt aus Carolina und bringt die Panthers-Zone-Defense mit. Hier liegen der Fokus und das Geld klar auf der Front Seven, nicht auf der Secondary.

Für Philly sehe ich den Trade eher positiv. Darby sollte, auch wenn er in der Vorsaison gewackelt hat (sechstmeiste zugelassene Yards pro Coverage-Snap), dabei helfen, die chronischen Cornerback-Probleme in den Griff zu bekommen. Matthews war zwar der produktivste Slot-Receiver der letzten drei Jahre (2.389 Slot-Yards), sein Abgang aber unterstreicht ein Thema, das man seit Wochen aus Philadelphia hört: Nelson Agholor hat endgültig den nächsten Schritt gemacht und kann im Slot starten.

Und die Rams? Ja, Watkins ist - wenn er fit ist - ein sofortiges Upgrade für ein seit Jahren schwaches Receiving-Corps, er hat gezeigt, dass er ein dominanter NFL-Receiver sein kann. Allerdings hat er über die letzten beiden Jahre elf Spiele verpasst, dazu kommt die Tatsache, dass sein Vertrag nach der kommenden Saison endet. Die Rams werden 2018 dementsprechend tief in die Tasche greifen müssen, während zuallererst der neue Vertrag von Aaron Donald ansteht. Immerhin muss man L.A. aber zugute halten, dass alles getan wird, um Jared Goffs Entwicklung zu unterstützen: Von Sean McVay über Andrew Whitworth bis jetzt Sammy Watkins, die Rams haben Goff auf mehreren Ebenen Verstärkungen zur Seite gestellt.

Es ist kein Schwarz-Weiß-Trade, bei dem sich direkt ein klarer Gewinner feststellen lässt. Dafür hat er zu viele Schichten. Klar ist für mich aber doch eine Sache: Die Rams gehen aufgrund von Watkins' Vertragssituation in Kombination mit seinen Verletzungsproblemen das größte Risiko ein und opfern dafür erneut einen hohen Draft-Pick. Ich glaube, es wird sich als zu aggressiver Schritt entpuppen.

4. Aguayos Entlassung - der beste Schritt für alle

Nur etwas unter eineinhalb Jahren, nachdem Tampa im Draft in der zweiten Runde (!) nach oben tradete (!!), um sich Kicker Roberto Aguayo zu sichern, wurde selbiger infolge eines schwachen Preseason-Spiels sowie eines durchwachsenen Training Camps am Wochenende entlassen.

Es ist das Beste, was Aguayo hätte passieren können.

Keine Position im Football ist so durch den mentalen Part bestimmt wie die des Kickers. Physisch ist jeder NFL-Kicker (hoffentlich) dazu in der Lage, ein Field Goal aus jeder Distanz bis zu 50 Yards zu treffen. Doch was passiert, wenn das Selbstvertrauen eines Kickers leidet? Wenn er einen entscheidenden Kick verschießt? Blair Walsh ist dafür wohl das beste Beispiel: Einst einer der vielversprechendsten jungen Kicker in der NFL, erholte er sich nie von seinem Fehlschuss aus 27 Yards im Playoff-Spiel gegen die Seahawks.

Minnesota entließ ihn schließlich, und Walsh gab am vergangenen Freitag bei Seattle PI zu: "Das vergangene Jahr war kein Spaß. Ich dachte, ich könnte das noch wieder hinbekommen, habe aber nicht die Chance erhalten, die Saison zu beenden. Aber das ist okay. Ich bin zufrieden damit, wo ich jetzt bin und würde nichts ändern." Ausgerechnet Seattle verpflichtete den 27-Jährigen. Auch Aguayo war nicht lange auf dem Markt, die Chicago Bears schlugen via Waiver Wire zu.

Die Situation in Tampa war von Anfang an schwierig: Mit dem hohen Draft-Pick inklusive Trade ruhte von Anfang an eine äußerst hohe Aufmerksamkeit auf Aguayo, jeder Fehlschuss im Training und der Preseason wurde bereits im vergangenen Jahr auf Social Media kommentiert. Angesichts dessen darf es eigentlich kaum überraschen, dass sich das in der Regular Season nicht auf Knopfdruck änderte.

In Chicago hat Aguayo jetzt die echte Chance auf einen Neubeginn, fernab vom Druck des eigenen Draft-Status. Und insofern haben auch die Bucs die richtige Entscheidung getroffen: Letztlich hat Tampa mit der Entlassung einen kostspieligen Fehler eingestanden und den für alle Seiten notwendigen Schlussstrich gezogen.