Die Tampa Bay Buccaneers haben mit einem der breitesten Kader der NFL den Super Bowl gewonnen. Welche Lehren lassen sich für die Konkurrenz aus diesem Triumph ziehen? Kann das Erfolgsmodell der Bucs kopiert werden? SPOX wirft einen genaueren Blick auf den Kader des Teams - und wie dieser zusammengestellt wurde.
Der Kader der Buccaneers zählte in der vergangenen Spielzeit zu den in der Breite am besten besetzten Kadern der Liga. Innerhalb des Teams fanden sich nur wenige echte Schwächen. Dieser Kader ist das Produkt einiger Jahre hervorragender Arbeit von General Manager Jason Licht.
Licht überzeugte in der jüngeren Vergangenheit in drei separaten Bereichen. Der Super-Bowl-Sieg der Bucs fußt somit auf drei Säulen.
Tampa Bay Buccaneers - Die erste Säule: Der Draft
Die Bucs haben ihr Team grundlegend über den Draft aufgebaut. Über die vergangenen drei Jahre hatte wohl kein anderes Team im Draft mehr Erfolg als Tampa Bay, dem ein Volltreffer nach dem anderen gelang. Dieser Erfolg bildete das Fundament für den Super-Bowl-Sieg in der abgelaufenen Saison.
Bereits 2017 gelang Licht mit der Auswahl von Chris Godwin in der dritten Runde ein echter Steal, der beim Super-Bowl-Sieg eine Schlüsselrolle einnahm. Die darauffolgenden Drafts brachten dann noch mehr Talent hervor.
Den Anfang machte 2018 die Auswahl von Vita Vea, der bereits damals als bester Defensive Tackle seiner Draft-Klasse galt und über die vergangenen Jahre zum vielleicht besten Nose Tackle der NFL reifte. Nach Ronald Jones II (38. Pick) und dem mittlerweile entlassenen M.J. Stewart (53. Pick) folgten mit dem 63. Pick Cornerback Carlton Davis sowie in Runde drei Alex Cappa und Jordan Whitehead in der vierten Runde. Alle drei waren unumstrittene Starter und Leistungsträger im Super-Bowl-Team der Bucs.
2019 landete Tampa Bay ähnliche Volltreffer: In Runde eins wählte Licht damals Devin White aus, der zusammen mit Lavonte David ein hervorragendes Linebacker-Duo bildet. Cornerback Sean Murphy-Bunting, der 2020 mehr als 80 Prozent aller Defensiv-Snaps spielte, in Runde zwei sowie Cornerback Jamel Dean und Safety Mike Edwards in Runde drei rundeten das Bild ab. Der Grundstein für die so starke Bucs-Defense im Super-Bowl-Jahr wurde somit in den Drafts 2018 und 2019 gelegt.
2020 folgte dann der (vorerst) krönende Abschluss der herausragenden Drafts von Licht: Mit Tristan Wirfs zogen die Bucs an Position 13 ihren Starting Right Tackle, der in seiner Rookie-Saison direkt am Pro-Bowl-Niveau kratzte. In der zweiten Runde fand Antoine Winfield Jr. seinen Weg nach Florida. Auch er nahm als Starting Safety eine Schlüsselrolle ein.
Tampa Bay Buccaneers: Fantastische Draft-Quote
Das Timing der Draft-Klassen spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle: Rookie-Verträge laufen in der NFL über vier Jahre (die deutlich teurere Fünfjahresoption bei Erstrundenpicks mal ausgeklammert), das Zeitfenster für Erfolg ist also selbst bei herausragenden Draft-Klassen wie denen der Bucs begrenzt, da alle Spieler über einen längeren Zeitraum nicht teuer bezahlt werden können.
Der anhaltende Erfolg in der Draft-Auswahl ermöglichte es den Bucs Godwin noch während seines günstigen Rookie-Vertrags zusammen mit Wirfs und Winfield spielen zu lassen. Rund 50 Prozent seiner Schlüsselspieler im Super-Bowl-Jahr hat Tampa Bay innerhalb der vergangenen vier Jahre im Draft ausgewählt.
Eine fantastische Quote, erst Recht, wenn man bedenkt, dass Spieler wie Mike Evans (2014), Donovan Smith (2015) und Ali Marpet (2015) noch hinzukommen. Der über mehrere Jahre anhaltende Draft-Erfolg der Bucs war so herausragend, dass er die teilweise üblen Aussetzer in den Jahren zuvor (Vernon Hargreaves in Runde eins, Roberto Aguayo in Runde zwei) nicht nur kaschierte, sondern sogar wettmachte.
Tampa Bay Buccaneers - Die zweite Säule: Die Free Agency
Mit zwei herausragenden Wide Receivern, vier Starting Offensive Linemen, einem sehr guten Defensive Tackle, einem starken Linebacker und praktisch einer kompletten Secondary hat Tampa Bay das Fundament für sein Super-Bowl-Team über die vergangenen Jahre definitiv durch den Draft gelegt.
Das alleine macht allerdings noch keinen Champion aus. Viele entscheidende Verstärkungen, der Feinschliff des Teams, wenn man so will, kamen in den vergangenen Jahren in der Free Agency. In diesem Bereich saß nicht jeder Deal der Bucs, doch auch hier bewies Licht durchaus ein gutes Händchen.
Mit Blick auf das Team, das in der abgelaufenen Saison den Super Bowl gewann, wurde die erste entscheidende Verpflichtung in der Free Agency in der Offseason 2018 getätigt: Damals statteten die Bucs Ryan Jensen mit einem Vierjahresvertrag über 42 Millionen Dollar aus, er wurde der bestbezahlte Center der NFL.
Jensen startete über die vergangenen drei Jahre jedes Spiel für die Bucs. Der 29-Jährige spielte nicht auf einem All-Pro-Level und durchlief während seiner Zeit in Tampa durchaus das eine oder andere Tief, als Anker in der Mitte der Offensive Line war er dennoch ein entscheidender Spieler im Super-Bowl-Team der Bucs.
Auffällig bei der Verpflichtung von Jensen ist die Aggressivität, mit der Licht den Center nach Tampa Bay lotste: Nach nur einer Saison als Starter in Baltimore - zuvor hatte Jensen in drei Jahren nur neun Spiele als Starter gemacht - machten die Bucs ihn gleich zum bestbezahlten Spieler auf seiner Position. Es war ein riskanter Move, der sich retroperspektiv aber durchaus bezahlt gemacht hat.
Tampa Bay Buccaneers: Entscheidende Free Agency 2019
Die wirklich entscheidende Free Agency auf dem Weg zum Super Bowl folgte allerdings erst 2019. In diesem Jahr fanden sowohl Ndamukong Suh als auch Shaquil Barrett den Weg nach Tampa Bay, damals beide noch mit einem Einjahresvertrag.
Barrett unterschrieb für gerade mal vier Millionen Dollar und entpuppte sich als Mega-Schnäppchen. Nach einer Saison, in der er die NFL in Sacks anführte, wurde er per Franchise Tag gehalten. Suh stellte seinen Wert unter Beweis und unterzeichnete 2020 einen weiteren Einjahresvertrag bei den Bucs. Zudem kam 2019 auch Rotationsspieler Rakeem Nunez-Roches, der nach einer Saison ebenfalls einen weiteren Einjahresvertrag unterschrieb.
Die Erfolgswelle in der Free Agency rundeten Leonard Fournette, der nach seiner Entlassung in Jacksonville einen günstigen Einjahresvertrag unterschrieb, und Antonio Brown, der ebenfalls ohne Risiko geholt wurde, im vergangenen Jahr ab. Beide nahmen im Super Bowl ebenfalls Schlüsselrollen ein.
Das Auffällige an dieser Phase: Mit Spielern wie Jensen, Barrett oder auch Fournette gingen die Bucs spielerisch zwar Risiken ein, das finanzielle Risiko hielt sich in der jüngeren Vergangenheit allerdings stets in Grenzen. Kein Spieler drohte über Jahre hinweg zum Klotz am Bein zu werden. Das erlaubte es dem Team auch, Spieler wie DeSean Jackson oder Chris Baker, die nicht eingeschlagen hatten, relativ schmerzlos wieder abzugeben.
Tampa Bay Buccaneers - Die dritte Säule: Tom Brady
Mit mehreren richtig starken Drafts in Serie sowie einigen cleveren Verpflichtungen in der Free Agency bauten die Bucs über die vergangenen Jahre still und leise einen der ausgeglichensten und tiefsten Kader in der NFL auf. Der Move, der Tampa Bay zum Contender machte und den Gewinn des Super Bowls erst ermöglichte, erfolgte aber erst im vergangenen Frühjahr.
Die Rede ist selbstverständlich von der Verpflichtung von Tom Brady. Nach 20 geradezu lächerlich erfolgreichen Jahren bei den Patriots wurde der erfolgreichste Quarterback in der Geschichte der NFL 2020 bekanntlich Free Agent. Eine Entwicklung, die in der NFL beinahe beispiellos ist.
Die Buccaneers wurden damals von Beginn an als einer der Favoriten auf die Verpflichtung Bradys gehandelt. Der so klug zusammengestellte Kader, dem nicht viel mehr als ein guter Quarterback zu fehlen schien, galt natürlich schon damals als eines der Hauptargumente für Tampa Bay.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten im System von Bruce Arians fand sich Brady bei den Bucs schließlich immer besser zurecht und spielte über die zweite Saisonhälfte auf dem Niveau des Top-5-Quarterbacks, den sich die Bucs von der Verpflichtung Bradys erhofft hatten. Dass dieser gleichzeitig auch noch Rob Gronkowski als Tight End mitbrachte, war aus Sicht der Bucs natürlich die Kirsche auf der Torte.
Dass die Verpflichtung von Brady bei der Kaderzusammenstellung eine absolute Ausnahme war und in der nahen Zukunft nicht so einfach kopiert werden wird, dürfte klar sein. Top-10-Quarterbacks kommen in der NFL für gewöhnlich nicht einfach so als Free Agents auf den Markt. Daran dürfte sich in den kommenden Jahren nicht allzu viel ändern.
Tampa Bay Buccaneers - Das Fazit
Welche Schlüsse können Teams somit aus dem Super-Bowl-Run der Buccaneers ziehen? Ist der Weg der Franchise kopierbar? Oder haben Licht und Co. bei der Zusammenstellung des Kaders in erster Linie von Zufällen und besonderen Umständen profitiert?
Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Der Weg der Buccaneers zum Titel wird nicht einfach zu kopieren sein, das liegt auch, aber nicht nur, an der Verpflichtung von Brady.
Letztlich war es Brady, es war die Verpflichtung eines sehr guten Quarterbacks, der die Bucs aus einem talentierten Team in ein Team mit der Qualität, um den Super Bowl mitzuspielen, verwandelte. Diese Entwicklung unterstreicht die Wichtigkeit des Quarterbacks in der modernen NFL einmal mehr.
Das Problem: Einen sehr guten Quarterback zu finden, stellt in der NFL heutzutage wohl die größte Herausforderung überhaupt dar. Free Agents wie Brady oder Peyton Manning, der sich 2012 auf dem freien Markt den Denver Broncos anschloss, sind krasse Ausnahmen. Für gewöhnlich sind allenfalls unterdurchschnittliche Starting Quarterbacks als Free Agents verfügbar - wenn überhaupt.
Mit Deshaun Watson und Dak Prescott ist in diesem Frühjahr zwar ein Wechsel bei zwei jungen, sehr guten Quarterbacks vorstellbar, im Falle einer Verpflichtung wäre für beide allerdings enormer Gegenwert fällig. Die Texans und Cowboys werden ihre QBs allenfalls in einem teuren Trade gehen lassen, niemals aber als Free Agents.
Tampa Bay Buccaneers: Draft-Erfolg lässt sich nicht planen
Doch die Verpflichtung Bradys stellt nicht die einzige Auffälligkeit in der Kaderzusammenstellung der Bucs dar. Auch der Erfolg im Draft lässt sich kaum kopieren und dementsprechend auch nicht planen.
Erfolg und Misserfolg im Draft sind größtenteils auf den Faktor Glück zurückzuführen, das zeigen Studien, die sich eingehender mit dieser Thematik beschäftigen. Langfristig wird dieser Erfolg also immer abreißen, davon ist auch bei den Bucs auszugehen.
Über drei Jahre hinweg in den ersten drei Draft-Runden fast ausschließlich Volltreffer zu landen, ist in der NFL also schlichtweg nicht planbar. Teams könnten versuchen, sich die Bucs zum Vorbild zu nehmen und versuchen damit zu planen, in einem Draft ihren Starting Right Tackle und ihren Starting Safety zu draften. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass diese Teams mit diesem Ansatz auf die Nase fallen würden.
Tampa Bay Buccaneers: Vorbild für die Packers und Seahawks?
Und doch lassen sich einige Lehren aus dem Super-Bowl-Run der Bucs ziehen, in erster Linie aus ihrem Vorgehen in der Free Agency: Licht hat sich in den vergangenen Jahren aggressiv und risikofreudig gezeigt und somit einige Lücken im Team, insbesondere in der Defensive Line, hochwertig geschlossen - und das ganz ohne übermäßig mit Dollars um sich zu werfen und den Cap somit zu stark zu belasten.
Natürlich ist ein solches Vorgehen nur ratsam und erfolgsversprechend, wenn große Teile des Teams bereits gut besetzt sind (hier kommt wieder der Erfolg im Draft ins Spiel). Ist das jedoch der Fall, können Verpflichtungen von Spielern wie Barrett oder Suh das eigene Team auf das nächste Level hieven.
Der (mahnende) Blick geht hier in die Richtung von Teams wie den Packers oder den Seahawks, die sich in der Free Agency in den vergangenen Jahren trotz eines äußerst konkurrenzfähigen Teams und trotz einiger klarer Lücken im Kader zu häufig zurück gehalten haben.
Licht und dem gesamten Teammanagement der Bucs gebührt für den Erfolg des Teams also Respekt. Die Verpflichtung von Brady im vergangenen Frühjahr war für die Bucs ohne jede Frage eine glückliche Fügung. Aus dieser dann allerdings maximal Kapital zu schlagen, ist auch nicht selbstverständlich.