Die Tampa Bay Buccaneers sind in der vergangenen Saison denkbar knapp an den Playoffs vorbeigeschrammt. Um in diesem Jahr in der Postseason dabei zu sein, hat Geschäftsführer Jason Licht im Draft vor allem die Offense adressiert. Mit vielen neuen Waffen soll Quarterback Jameis Winston weiter reifen - und eine womöglich wegweisende Saison für sich nutzen.
Die Notiz, die sich Jason Licht selbst in seinem Büro hinterlassen hatte, war so simpel wie unmissverständlich.
"Add Team Speed."
Nach einem Meeting mit Head Coach Dirk Koetter hatte Tampas Geschäftsführer diese drei Worte, diesen einen Befehl, an sein Board geschrieben. Das war Monate vor dem Draft. Rund eine Woche danach stehen sie da noch immer.
"Du kannst nie genug Speed haben", meinte Licht dann, nachdem er mit Tight End O.J. Howard, Wide Receiver Chris Godwin und Running Back Jeremy McNichols drei neue Waffen für die Offense gepickt hatte. "Ich weiß, dass ich das schon mal gesagt habe. Aber dieses Jahr hatten wir einfach das Gefühl, dass dieses Team mehr Speed braucht."
Coach Koetter und er hätten das gemeinsam befunden, erklärte Licht weiter. Natürlich sollte der Trainer ihm später zustimmen, auch wenn er am Samstagnachmittag, kurz nach dem offiziellen Ende des 2017er Drafts in Philadelphia, noch etwas flapsiger geantwortet hatte.
Wofür sein Team denn stehen sollte, welche Identität es verkörpern sollte, wollte die Presse von ihm wissen. "A badass football team. How's that?"
Mehr Rekorde für Winston
Das Fazit fällt für beide Punkte ziemlich zufriedenstellend aus. Tampa Bay hat sowohl eine Menge Speed als auch die gewisse "Badass"-Mentalität bekommen. Profitiert haben sie dabei von der Tiefe der Klasse, natürlich aber auch vom irren Quarterback-Treiben in Runde eins.
Vor allem aber, und das ist der entscheidende Faktor, haben Licht und Koetter ihrem Quarterback Jameis Winston für seine dritte Saison eine ganze Riege neuer Waffen beschafft. Der Nummer-1-Overall-Pick aus dem 2015er Draft hat gleich in seinen beiden Debüt-Spielzeiten über 4.000 Yards geworfen und damit einen neuen NFL-Rekord aufgestellt. Das dritte, der Historie nach nicht selten wegweisende Jahr für einen jungen Quarterback, wollen ihm die Team-Bosse möglichst einfach machen.
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Sie würden aber ohnehin nicht am Heisman-Trophy-Winner von 2013 zweifeln. Zu beeindruckend ist seine Führungsqualität bereits als Rookie gewesen, zu stark seine Darbietungen. Zu sagen, er hätte die Erwartungen bislang erfüllt, wäre wohl noch Understatement.
Für die kommende Spielzeit hat zumindest mal Licht seinen Beitrag geleistet, damit Winston weiter wachsen kann.
Omni-O.J. und das Deadly Duo
In Runde eins war Tampa an 19. Stelle dran. Dass O.J. Howard zu dem Zeitpunkt noch zur Verfügung stand, war für Licht und Koetter selbst die größte Überraschung. Mit seiner beeindruckenden Kombination aus Größe, Power und Schnelligkeit (4,51 im 40-Yard Dash) war der Tight End auch von Experten als potenzieller Top-10-Pick eingestuft worden.
Howard ging als bester Tight End des Landes in den Draft. In Alabama verzeichnete er im letzten Jahr durchschnittlich 13,2 Yards pro Catch (595 Yards gesamt, 3 TD) und schaffte es mit den Crimson Tide bis ins Endspiel um die nationale Meisterschaft (Niederlage gegen Clemson).
Draft-Recap: Zweiter Tag in Philadelphia
Als In-Line Tight End ist Howard mit knapp zwei Metern Körpergröße zudem der gewünschte "Y"-Tight End, der sowohl als Receiver agieren, wie auch als Blocker standhalten kann.
"Wenn du jemanden wie O.J. in deinem Team hast, bringt das ganz einfach eine Menge Unruhe in die gegnerische Defense", lobte Koetter seinen First-Round-Pick. "Er wird unserem Lauf-Spiel, unseren Outside Receivern und im Slot helfen. Er wird einfach überall helfen."
DJax hat Hunger auf mehr
Zudem sind die Bucs drauf und dran, mit Howard und Cameron Brate (letztes Jahr 660 Yards und 8 TD - geteilter Bestwert) eines der gefürchtetsten TE-Duos der NFL auf den Platz zu stellen. Den größten, von Licht und Koetter gewünschten Speed-Faktor bringt aber nicht Howard an die Westküste Floridas.
Dafür sorgte Licht bereits vor dem Draft, als er Free Agent und Speedster DeSean Jackson an Land zog, der für Washington im letzten Jahr im Schnitt 17,9 Yards pro Catch verzeichnet hat (1.005 Yards gesamt, 4 TD) und zudem als zweitschnellster Spieler der gesamten Liga gemessen wurde.
"Ich denke, er hat bewiesen, dass er auch mit 30 Jahren noch eine Menge im Tank hat", freute sich Licht über die Addition des dreifachen Pro Bowlers.
Während des Drafts fiel die Wahl in der dritten Runde mit dem 84. Pick auf Chris Godwin, der für Penn State 982 Yards bei 59 Receptions fing (11 TD). "Er hat herausragende Hände und ist zudem tough", attestierte Licht dem 1,85 Meter großen Wide Receiver. Godwin, der fast 100 Kilo auf die Wage bringt, kann sowohl außen als auch im Slot auflaufen.
Die Last auf Winstons Schultern
Im Gegensatz zu Howard wird Godwin jedoch um einen Startplatz konkurrieren müssen. Mit Pro Bowler Mike Evans (1.321 Yards, 12 TD), Slot-Receiver Adam Humphries und eben Jackson hat Tampa "wahrscheinlich das explosivste Receiving Corps der Franchise-Gesichte", wie es Bucs-Analyst Scott Smith zusammenfasste. Dazu bringt auch Tight End Howard die notwendige Downfield-Qualität mit, um Winston in der kommenden Saison erneut über 4.000 Passing-Yards zu ermöglichen.
Andererseits wird nun auch der Druck auf Winston erhöht, denn "so ein Investment in die Offense platziert eine ungemeine Last auf die Schultern eines Quarterbacks im dritten Jahr", wie NFL-Autor Conor Orr analysierte.
Draft-Recap: Tag drei in Philadelphia
Für Entlastung könnte da zum Beispiel Jeremy McNichols sorgen, der von den Buccaneers an 162. Stelle in der 5. Runde gepickt wurde. Der Running Back der Boise State University, wo Head Coach Koetter seinen ersten Trainerposten innehatte, lief in den vergangenen zwei Jahren für 3.046 Yards und 43 Touchdowns. Er ist ein vielseitiger Back, mit Erfahrungen in verschiedenen Blocking-Schemes sowie als Receiver.
Flieger im Backfield - was passiert mit Martin?
Normalerweise wird einem Running Back, der in der fünften Runde gedraftet wird, nicht viel mehr als eine Backup-Rolle zugeschrieben. Doch bei McNichols dürfte das anders sein und der Grund dafür ist nicht nur das Lob der hiesigen Presse. "Die Bucs laufen fortan nicht mehr wie kalter Honig", schrieb etwa die Tampa Bay Times. "McNichols kann fliegen."
Grund dafür ist auch die Drei-Spiele-Sperre für Starter Doug Martin, der wegen starken Formschwankungen im letzten Jahr (nur 2,9 Yards pro Versuch, insgesamt lediglich 421 Yards) häufig kritisiert wurde. Licht bekräftigte jedoch erst am Dienstagmorgen bei NFL Network, er habe Martin "noch nie in so einer guten Form wie jetzt" erlebt, "mental wie physisch".
Zu Beginn der Spielzeit, die für Tampa mit einem Auswärtsspiel in Miami beginnt, wird sich McNichols wohl mit Jacquizz Rodgers, Charles Sims und Peyton Barber um die Startposition streiten. Nichtsdestotrotz wird Martin vermutlich ab Woche vier (gegen die New York Giants) übernehmen.
"Das ist ein Marathon, kein Sprint"
Während die Offense durch das starke Receiving-Corps, eine solide O-Line und das gut gefüllte Backfield langsam Gestalt annimmt, konnte auch die Defense im Draft noch aufgewertet werden. Second-Round-Pick Justin Evans gesellt sich mit Chris Conte, Keith Tandy und J.J. Wilcox zu einer ohnehin schon starken Safety-Gruppe.
Mit Linebacker Kendell Beckwith (Round 3, Pick 107), der genau wie sein neuer Teamkollege Kwon Alexander von der LSU kommt, wird zudem die Mitte geschlossen. Wenngleich Beckwith noch an einer Knieverletzung laboriert, haben die Bucs sich in der dritten Runde nochmal hochgetraded, um den 22-Jährigen zu picken. "Das ist ein Marathon, kein Sprint", beschwor Licht. "Es muss nicht jeder von den Jungs sofort einen Einfluss im ersten Jahr haben."
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Auch der letzte Pick in Runde sieben erwies sich als spezielle Wahl, da Nose Tackle Stevie Tu'ikolovatu während seiner College-Laufbahn bereits zwei Jahre auf Kirchmission auf die Philippinen ausgewandert war, ehe er zurückkehrte und sich mit der USC im Rose Bowl zum Defensiv-MVP krönte.
Hard Knocks mit den Bucs
Rückblickend zählen die Buccaneers eindeutig zu den Gewinnern des diesjährigen Drafts, der einige kleine Baustellen abgedeckt, aber ganz besonders diese eine Notiz beachtet hat. Mit dem Speed-Schub hat Winston weitere Waffe erhalten, das war von Beginn an die Marschroute. Jetzt ist es sein Job, diese richtig einzusetzen.
In der NFC South wird die Aufgabe keinesfalls leichter, da sich auch die Carolina Panthers, Atlanta Falcons und die New Orleans Saints namhaft verstärkt haben. Im vergangenen Jahr beendeten die Buccaneers die Division bei einer Bilanz von 9-7 auf Position zwei hinter Super-Bowl-Teilnehmer Atlanta. Für die Playoffs hat es dennoch haarscharf nicht gereicht.
Den ersten Eindruck, wie die neue Offense funktioniert, dürfen Fans und Zuschauer bereits im August vor Beginn der Regular Season gewinnen, wenn die erste Folge der Kult-Serie "Hard Knocks" ausgestrahlt wird. HBO und NFL Films werden Tampa Bay in diesem Jahr in der Saisonvorbereitung begleiten und Einblicke in das Innenleben des Teams gewähren. Besonders für Franchises wie die Bucs ist das gleichzeitig die Gelegenheit, den bislang noch kleinen Markt zu vergrößern.
Und für Winston die Chance, die oft als Wegweiser aufgeführte dritte Saison für sich zu nutzen.