Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 2 in der NFL

Von Adrian Franke
19. September 202208:22
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 2 in der NFL.getty
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Woche 2 bedeutet auch: Bei einigen Teams gehen die Alarmsirenen an! Das könnte die San Francisco 49ers betreffen, die Trey Lance erst einmal verletzungsbedingt verloren haben. Es betrifft ganz klar die Offense des AFC-Champions Cincinnati, die auf befürchtete Probleme trifft. Es betrifft die Cardinals, die in Las Vegas leblos wirkten. Und es betrifft die Colts, deren Kader-Zusammenstellung ernsthafte Fragezeichen aufwirft. SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den zweiten Spieltag.

Verletzungen sind immer bitter, niemand will Verletzungen sehen - und jeder weiß, dass sie irgendwann kommen werden, bei jedem Team.

Aus einer übergreifenden Perspektive stechen dabei Quarterbacks immer besonders heraus, weil deren Ausfälle am gravierendsten sind. Manchmal kann so ein Playoff-Kandidat die Füße unter dem Boden weggezogen bekommen, manchmal wird die Saison eines echten Titelanwärters dadurch torpediert. Und dann gibt es einen Ausfall wie den von Trey Lance, dessen Knöchelverletzung gegen die Seahawks schwerwiegend aussah.

Head Coach Kyle Shanahan hat bereits bestätigt, dass Lance sich den Knöchel gebrochen hat, operiert werden muss und den Rest der Saison verpassen wird. Das beraubt ihn wertvoller Entwicklungszeit, es kostet San Francisco eine Saison in der perspektivischen Weiterentwicklung als Franchise, die bereit war, den Staffelstab an Lance zu übergeben. Und es öffnet die Tür für noch eine erfolgreiche Saison mit Garoppolo, dessen Verbleib jetzt ein echter Glücksfall ist, ehe Lance dann erneut übernimmt. In seiner dann dritten NFL-Saison.

Wer weiß, ob in Denver schon drastische Entscheidungen getroffen wurden, wenn in San Francisco die Planungen für 2023 laufen. Ohne an dieser Stelle zu sehr ins Detail zu gehen, muss man festhalten: Die Offense wirkt noch ziemlich inkonstant und das In-Game-Management von Nathaniel Hackett schreit nach kompletter Überforderung aufseiten des Rookie-Head-Coachs. Bis zu dem Punkt, dass die Fans in der Schlussphase regelmäßig die Play-Clock lautstark mit runter zählten, damit die Offense die Uhr nicht wieder vermasselt.

Es war einer dieser Spieltage, an dem sich so viele Storylines präsentierten, dass die Auswahl wirklich schwer fiel.

1. Bengals: Die Offense ist zum Problem geworden

Es hätte ein nettes Bounceback-Spiel werden sollen. Die Cowboys, ohne Dak Prescott, nachdem die Bengals in Week 1 ein von Turnovern geprägtes Spiel gegen Pittsburgh verloren hatten - sicher, Dallas hat nach wie vor eine gute Defense, aber hier sollte Cincinnati der Liga klarmachen, dass mit den Bengals erneut zu rechnen ist.

Stattdessen wiederholten sich viele der Probleme aus der Vorwoche. Die Probleme in der Offensive Line, die Sacks, die Burrow selbstverschuldet nimmt, die Probleme, offensiv auf andere Art und Weise zu gewinnen. Eine Offense, in der Plays scheinbar isoliert voneinander stattfinden, Burrow undiszipliniert in der Pocket ist oder seinen Reads nicht vertraut und die Line zwar verbessert, aber keine Unit ist, die plötzlich die Offense trägt. All das sind Punkte, die dazu führen, dass Cincinnati nicht ansatzweise seine individuellen PS auf die Straße bekommt.

Dass gegen Dallas die eigene Defense von Cooper Rush und Co. überrumpelt wurde, ist für sich betrachtet ein Problem. Dass man dieses Spiel nie an sich reißen konnte, ein alarmierendes Zeichen. Es ist vor allem die hochgelobte und hochkarätig besetzte Offense, die Bengals-Fans zunehmend Sorgen machen sollte. Eine Offense, die aktuell fehlerbehaftet, unkreativ und ohne die Big-Play-Explosivität der Vorsaison auftritt.

Bengals: Ernsthafte Fragezeichen beim Trainerstab

Wir sehen das regelmäßig: eine neue Offense oder eine neue offensive Herausforderung kommt auf die Bühne, und so stürmisch die ersten Erfolge sein können: fast wichtiger für die Offense ist, wie ihre Anpassungen aussehen. Denn Defenses werden Antworten finden, früher oder später.

Das extreme Beispiel dafür in der jüngeren Vergangenheit waren die Rams unter Sean McVay. Deren - und das ist sehr vereinfacht formuliert - vertikale 11-Personnel-Variante der Shanahan-Offense eroberte die Liga 2018 wie im Sturm; doch der Zauber hielt nichtmal ein Jahr, ehe erste Defenses sehr eindrucksvoll zeigten, wie man dieser Offense den Zahn ziehen kann.

Was folgte waren versuchte Anpassungen, bevor McVay es schließlich aufgab, rund um die Limitierungen von Jared Goff nochmals den goldenen Schlüssel zu finden und stattdessen in Person von Matt Stafford ein Quarterback-Upgrade holte. Das öffnete Teile des vertikalen Dropback Passing Games sowie Play Designs aus Empty, die mit Goff schlicht nicht zugänglich waren.

Ein Quarterback-Upgrade brauchen die Bengals nicht, auch wenn Burrow bisher keine gute Saison spielt. Hier steht für mich das große Fragezeichen auf der Seite des Trainerstabs.

Als ich die Bengals-Offense vor dem vergangenen Super Bowl analysierte, kam ich immer wieder auf ein übergreifendes Thema zurück: Cincinnatis Offense war eine Playmaker-Offense. Ja, Zac Taylor ist geprägt in der Shanahan-/Kubiak-Offense, doch im Laufe der Saison bemerkten die Bengals, dass sie mit dieser Line keine Offense basierend auf dem Run Game aufziehen können - und dass sie Teams mit Ja'Marr Chase überraschen können.

Joe Burrow war absurd effizient bei Go-Balls, und Chase war ein Monster Downfield, also erinnerte die Bengals-Offense zunehmend an jene historische 2019er LSU-Offense, welche Burrow und Chase angeführt hatten. Viel Empty Spread, viel Fokus darauf, dass die eigenen Receiver besser sind als die gegnerischen Cornerbacks und der Quarterback den Ball zu ihnen bringt.

Hat Cincinnati einen offensiven Plan B?

Doch obwohl Cincinnati erst im Laufe der Saison sich mehr auf diese Playmaker-Offense verlagerte, sah man auch hier schon im Laufe der Playoffs, dass Defenses nach und nach diese Offense anders spielen werden: mehr 2-Deep-Coverages, mehr Fokus darauf, die Big Plays zu unterbinden und Cincinnati zu einem Plan B zu zwingen.

Das hat sich auf die Frühphase dieser Saison übertragen, Cincinnati hatte gegen Dallas kaum Möglichkeiten, vertikal zu gehen. Meine große Frage rund um die Bengals-Offense in der Offseason war: wie würde dieser Plan B aussehen? Und hat Zac Taylor genügend Ideen in der Hinterhand?

Wer die Investitionen in die Offensive Line so interpretierte, dass Cincinnati jetzt seine Offense erweitert, sieht sich bisher getäuscht. Es ist immer noch eine Offense, die statisch ist, die nahezu nur Under Center geht, um den Ball zu laufen - hier wird dann das Outside Zone Run Game als eine Wurzel sichtbar -, und die sich darauf verlässt, dass Chase und Burrow Plays machen. Es ist eine Offense, deren Route-Designs für Defenses so gut lesbar sind, dass Coverage-Sacks ein echtes Problem sind, trotz der individuellen Qualität der Receiver. All das ist alarmierend, auch weil sich bei Burrow so schlechte Gewohnheiten festsetzen können. Die Cowboys sahen mehrfach Screens oder Play-Action-Pässe frühzeitig kommen.

Das Run Game wirkt strukturell noch immer wie ein Fremdkörper, auch weil im Passspiel nichts darauf aufbaut. First-Down-Runs als Selbstzweck, ohne übergreifende Struktur. Vielleicht liegt es daran, dass Burrow ungern mit dem Rücken zur Defense spielt? Vielleicht liegt es daran, dass Burrow sich generell in den LSU-Playbook-ähnlichen Konzepten wohler fühlt?

Bengals: So wird es schwer, ganz oben mitzuspielen

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Vorlieben des eigenen Quarterbacks im Playbook zu berücksichtigen, ganz im Gegenteil. Gefährlich wird es aber dann, wenn diese Vorlieben die Offense eindimensional machen. Und den Eindruck habe ich zunehmend bei der Bengals-Offense, die statisch wirkt, die strukturell sehr simpel wirkt und in der das Scheme zu wenig der Gesamt-Production trägt.

Dass sich erfolgreiche College-Offenses nicht einfach auf die NFL übertragen lassen - zumindest nicht in der mittel- und langfristigen Perspektive -, das haben wir immer wieder gesehen. Genauso haben wir immer wieder gesehen, dass kurze Stichflammen des Erfolges auf diesem Wege möglich sind; aber dass es dann eine Version 2.0 braucht. Und eine Version 3.0. Und irgendwann vielleicht ganz neue Ideen, sodass der einstige Kern der Offense womöglich irgendwann nur noch ein paar Play-Designs in einem neuen, übergreifenden Konzept ausmacht.

Ich denke nicht, dass die Bengals eine 180-Grad-Drehung brauchen, und ich verstehe jeden Bengals-Fan, der auf all das hier reagiert mit: "Ich setze gerne auf Burrow, Chase, Higgins, Boyd und Mixon", und in einzelnen Matchups wird das auch reichen.

Wenn wir aber über ein Team sprechen, das einen fantastischen jungen Kern an Spielern hat, und jetzt den Schritt zum jährlichen Titelanwärter machen will, dann wird das nicht reichen. Und das nicht nur, weil man an irgendeinem Punkt nicht alle diese Spieler bezahlen kann, sondern auch ganz konkret mit Blick auf diese Saison.

Wenn die Bengals um einen Titel spielen wollen, dann müssen sie - neben starken Teams wie den Chargers oder Ravens - nicht zuletzt mit den Chiefs und den Bills mithalten können; zwei Teams, die noch gefährlicher, noch vielseitiger wirken als im Vorjahr und die das Musterbeispiel sein sollten: Offenses, die einstmals noch viel stärker eine sehr spezifische Handschrift fokussiert auf ihren jeweiligen Quarterback hatten. Und die sich über die letzten Jahre permanent weiterentwickelt haben.

Ich habe nur Zweifel daran, dass Zac Taylor dazu in der Lage ist.

2. Brandon Staleys Fehler verraten uns einiges

Normalerweise klammere ich das Donnerstagsspiel hier weitestgehend aus, und fokussiere mich auf die aktuelleren Punkte vom Sonntag.

Das Thursday Night Game zwischen den Chiefs und den Chargers hätte jedoch für sich betrachtet mehrere Ansätze zu bieten, die man als eigenen Takeaway aufgreifen könnte. Beispielsweise finde ich die Theorie spannend, wie groß der Effekt auf einen jungen Elite-Quarterback sein kann, wenn man signifikante Ressourcen in die Defense investiert, statt sich in der Gewichtung auf die Offense zu fokussieren.

Die Chargers haben diesen Weg gewählt: Die Offensive Line wurde zuerst priorisiert, in der zweiten Offseason mit Justin Herbert wurde die Defense ganz klar an erste Stelle gesetzt. Ich tendiere dazu, die Offense zu priorisieren, weil das dem jungen Quarterback nicht nur die größtmögliche Chance auf maximalen Erfolg auf der Seite des Balls und mehr Unterstützung sowie Antworten ganz konkret auf dem Platz gibt, sondern es auch ihre Entwicklung voranbringt.

Die Vorteile der Chargers-Strategie waren bereits gegen die Raiders in Woche 1, aber auch am Donnerstagabend zu sehen. Als die Defense Kansas Citys Offense lange abmeldete, was wiederum der eigenen Offense enormen Spielraum gab, weil man sich nicht direkt in einem Shootout befand und konstant punkten musste.

Chargers: Staley mit einer teuren Fehleinschätzung

Ein echtes Problem sehe ich dann, wenn die Investitionen in die Defense die gesamte Vorgehensweise eines Teams prägen, und den Eindruck hatte ich am Donnerstag bei den Chargers. Als Brandon Staley nämlich die Aggressivität in seinem Game-Management signifikant runter schraubte, nachdem seine Defense die Chiefs-Offense früh im Spiel kontrolliert hatte.

Und das ist keine Spekulation meinerseits, Staley erklärte nach dem Spiel: "Ich wollte unserer Defense eine Chance geben. Ich war begeistert davon, wie wir gespielt haben. Ich hatte den Eindruck, dass das die Formel war, um das Feld zu drehen. In meinen Augen waren wir aggressiv, wenn wir es sein mussten - wir haben alle vier Fourth Downs geschafft. Ich hatte aber das Gefühl, angesichts des Gegners und wie unsere Defense gespielt hat, dass Field Position ein großer Vorteil für unsere Defense sein würde."

Field Position, das Feld drehen, die gegnerische Offense tief in die eigene Hälfte drängen - all das sollte insbesondere gegen Kansas City kein tragendes Argument für kritische In-Game-Entscheidungen sein. Mehr noch, eine starke Defense sollte ihn umso mehr motivieren, aggressiv zu spielen. Wenn die Defense so auftrumpft, warum dann nicht der Offense mehr Gelegenheiten geben, in dem "Wissen", dass die eigene Defense den Gegner stoppen kann, selbst wenn das Fourth Down schiefgeht?

Es war eine verheerende Fehlkalkulation, für die er am Ende bezahlte.

Chargers: Holt Staley das Maximum aus dem Team raus?

Auch hier muss man aufpassen: Es ist so schwierig, in einer Saison mit nur 17 Spielen für jedes Team Narrative nicht stark durch Ergebnisse beeinflussen zu lassen. Hätte Asante Samuel die Beinahe-Interception von Patrick Mahomes festgehalten, hätten die Chargers das Spiel vermutlich gewonnen und vielleicht würde ich diese Zeilen dann gar nicht schreiben. Das sollte ich aber auch dann.

Denn es geht nicht in erster Linie darum, dass die Chargers das Spiel spät verloren haben. Es geht darum, dass das Game-Managment ihres Head Coaches in Kombination mit der einmal mehr weitestgehend konservativen Offense das Team überhaupt in die Situation gebracht hat, dass das Spiel für Kansas City immer in Reichweite war. Genau wie schon in Woche 1, als die Raiders trotz lange klarer Unterlegenheit das Spiel hätten gewinnen können.

Eine der obersten Aufgaben eines Head Coaches ist es, das Maximum aus dem Potenzial seines Teams herauszuholen. Aktuell habe ich nicht den Eindruck, dass Staley inklusive seines offensiven Trainerstabs das macht. Und da sprechen wir noch nicht einmal davon, dass dieses defensive Personal, das die Chargers sich jetzt angesammelt haben, auf diesem qualitativen Level nicht mehr möglich sein wird, wenn Herbert erst einmal teuer wird. Was bekommen wir dann von Staley und seinem Stab?

Noch liegt viel Football vor uns, aber falls diese Chargers-Saison eine Enttäuschung wird, bin ich gespannt, wie die Narrative rund um dieses Team aussehen. In meinen Augen sollten Staley und sein Trainerstab unter kritischer Beobachtung stehen.

Und damit: Weiter geht's mit den Geschichten vom Sonntag!

3. Die Cardinals: Die Kyler-Murray-Show als Sinnbild

Der Auftritt der Cardinals in Las Vegas war bis in die zweite Hälfte eine erschreckende Fortsetzung eines desolaten Auftritts in der Vorwoche: Ohne Plan, ohne Juice, ohne Mut oder wenigstens Wut im Bauch. Ohne Physis und ohne erkennbaren Willen.

Es waren Spieler wie Greg Dortch und Eno Benjamin, die dem Team neue Energie gaben. Defensiv stabilisierte sich der Pass-Rush.

Es war aber vor allem Kyler Murray, der dieses Team in der zweiten Hälfte wiederbelebte und das Spiel an sich riss. Murray lief den Ball deutlich mehr in der zweiten Hälfte, er improvisierte, er kreierte Plays und brachte ein Team, das zur Halbzeit tot wirkte, zurück und man muss davon ausgehen, dass ohne Murrays Qualitäten insbesondere was das selbständige Kreieren außerhalb von Plays angeht, die Cardinals nicht ansatzweise in dieses Spiel zurückgekommen wären. Es war das erste Mal in der NFL-Geschichte, dass ein Team mit mindestens 20 Punkten im Rückstand und ohne eigene Punkte zur Halbzeit das Spiel am Ende noch gewann.

Während die Tatsache, dass Murray sie in dieses Spiel zurückbrachte, den Cardinals Mut für die Zukunft ihres Franchise-Quarterbacks auch aus mentaler Perspektive machen darf, war es doch ein Spiel, das ein Stück weit sinnbildlich für die Probleme dieses Kaders standen. Die Hilfe von außen fehlte - in mehrfacher Hinsicht. In puncto Coaching, aber auch in puncto Roster-Building.

Wir kennen am Ende des Tages nie alle Details; mehr noch, wir kennen kaum Details, wenn es um die Entscheidungen von GMs und Teambesitzern geht. Die Cardinals sind ein gutes Beispiel dafür: Vermutlich waren die Vertragsverlängerungen von unter anderem Kyler Murray, D.J. Humphries und Jalen Thompson bereits im Frühjahr eingeplant, und die Menge an Geld, das für jene Garantien draufgeht, hat Teambesitzer Michael Bidwill einer potenziell aggressiven Free Agency einen Riegel vorschieben lassen.

Womöglich hat auch ein Umdenken in der generellen Roster-Building-Strategie stattgefunden. Dahingehend, dass man bewusst auf junge, selbst gedraftete Spieler setzt - wie etwa Rashard Lawrence, Zach Allen, Michael Dogbe und Victor Dimukeje in der Front, oder Marco Wilson auf Cornerback -, während man sich mehr auf zusätzliche Draft Picks über die Compensatory Formel fokussiert. Auch diesen Schluss würde die diesjährige Offseason unterstützen.

Was es auch genau war, das Endresultat wirkt mindestens mal für den Moment planlos. Denn während Teams wie die Chargers, Bengals, Dolphins oder Eagles All-In gehen und versuchen, um ihre noch günstigen Quarterbacks ein Titelfenster zu öffnen, sind die Cardinals gerade dabei, das vorletzte Jahr, in dem Murray noch vergleichsweise günstig ist, zu verschwenden - mit einem Team, dessen Zusammensetzung immer wieder Rätsel aufgibt.

Arizonas Offense: Sehr stark abhängig von den Playmakern

Zumindest offensiv lässt sich, was die Spielphilosophie angeht, eine klare Identität erkennen: Arizona steht und fällt mit der individuellen Qualität seiner Passing-Offense, und das geht Hand in Hand mit der Offense, die die Cardinals spielen. Auch wenn sich Kingsbury über die Jahre merklich an die NFL angepasst hat, ist es nach wie vor eine Receiver-lastige Air-Raid-ähnliche Offense, die weniger über Komplexität und Vielseitigkeit - oder generell: das Scheme - punktet, und stattdessen vor allem schnell sein will.

Wenig Zeit zwischen den Snaps, dadurch klare Matchups für den Quarterback und die Idee, dass die eigenen Receiver häufiger ihre Matchups gewinnen - eine Idee, die Vorteile bieten kann. Doch auch ein Ansatz, der die Offense eindimensional und statisch macht. Und eben abhängig davon, dass die individuelle Qualität der eigenen Receiver extrem hoch ist. Das hilft auch, zu erklären, warum DeAndre Hopkins quasi nicht zu ersetzen ist in dieser Offense.

Die Nachteile wirken hier aber zunehmend groß auf dem NFL-Level, auf dem es meist riskant ist, maßgeblich auf größere, eigene individuelle Qualität zu setzen. Irgendwann wird man ausrechenbar. Wenn Hopkins zurückkehrt, hat Arizona mit ihm, Marquise Brown, A.J. Green, Rondale Moore und Zach Ertz ein starkes Arsenal, mit Spielern wie Greg Dortch oder Rookie Trey McBride dahinter. Aber man muss eben individuell dominieren, und das ist ein wackeliges Kartenhaus.

Und dennoch unterstreicht die Offense bei genauerem Hinsehen das große Problem der Cardinals: Einzig Kyler Murray und Left Tackle D.J. Humphries wurden in der aktuellen Starting-Offense selbst gedraftet. Das macht die Unit alt, sehr bald werden mehrere Starter in der O-Line ersetzt werden müssen. Es sorgt dafür, dass dem Kader die Tiefe fehlt und dass man sich noch immer auf Spieler wie Green verlassen muss, der mehrere Big Plays gegen die Raiders liegen ließ.

Hier könnte man die Team-Analyse an sich auch beenden:

  1. Arizonas Offense ist abhängig davon, dass die Receiver individuell dominieren und Murray auf einem konstant hohen Level spielt und selbst kreiert. Das ist schwer, über eine gesamte Saison aufrechtzuerhalten und ist für mich ein maßgeblicher Faktor in den Late-Season-Kollapses. Das ist eine direkte Kritik an Kliff Kingsbury.
  2. Die Defense derweil hat mit ihrem aktuellen Personal extrem wenige Optionen, da hier so viele Baustellen immer berücksichtigt werden müssen. Weil hier zwar mehr Talent identifiziert, aber nicht Talent sinnvoll zusammengebaut wurde. Das ist eine direkte Kritik an Steve Keim.

Keim lebt seit Jahren von einzelnen guten Trades und Veteran-Moves. Doch er hat nicht gezeigt, dass er ein Team mit einer Identität planen oder gar zusammenbauen kann. Kingsbury hat zumindest gezeigt, dass er Murray bei dessen Entwicklung helfen kann und dass er mit Play-Designs punkten kann. Ohne den nächsten Schritt in seinem Scheme und in seinen Game Plans wird das aber nicht reichen.

Denn dann bekommt man das, was die Cardinals als Team insgesamt aktuell darstellen: Eine Reihe individueller Talente - oder eben Play-Calls -, ohne dass das Gesamtergebnis besser wäre als die reine Summe der Einzelteile.

Arizona und die Faszination mit Hybrid-Verteidigern

Jalen Thompson, Budda Baker, Markus Golden, Zaven Collins, Byron Murphy, Isaiah Simmons - vermeintlich -, Rashard Lawrence und Zach Allen sind Starter auf dieser Seite des Balls, alle wurden selbst gedraftet. Mit Marco Wilson und Ex-UDFA Dennis Gardeck gehören noch zwei weitere selbst "gefundene" Talente aktuell ins Starting-Lineup.

Doch auch hier gibt es ein übergreifendes Problem, welches viel Draft-Kapital gekostet hat und welches die Identitätsproblematik unterstreicht und mit bewirkt: Die Cardinals hatten über die letzten Jahre immer wieder diese Obsession mit Hybrid-Verteidigern. So richtig los ging das mit Deonne Bucannon, der an der Speerspitze der "ein Safety, der Linebacker spielt"-Welle vor einigen Jahren stand.

Haason Reddick war das bisher vermutlich prominenteste Beispiel, ein Hybrid-Linebacker, bei dem Arizona mehrere Jahre brauchte, ehe man merkte, dass Reddicks beste Rolle einfach die eines Edge-Rushers ist. Ohne Hybrid-Rolle, dafür stark in Stunts- und Blitz-Designs involviert. Kurz nach seinem Breakout ließen die Cardinals ihn via Free Agency ziehen.

Isaiah Simmons war zu diesem Zeitpunkt bereits im Kader. Dieser ultra-flexible College-Superstar-Verteidiger, der sich bei Clemson einen Namen damit gemacht hatte, dass er zahlreiche Positionen nicht nur mit hoher Frequenz, sondern auch auf einem hohen Level gespielt hatte. Und die große Frage war: Kann er das auch in der NFL? Was genau kann er in der NFL sein?

Simmons sollte zunächst Inside Linebacker spielen, wo er sich erwartungsgemäß schwer tat. Ein Spieler, der im College das Spiel kaum einmal so nah an der Line of Scrimmage in der Box lesen musste, sollte das plötzlich auf dem NFL-Level machen, wo Offenses nochmal deutlich komplexer und durch die Bank weg schneller und athletischer sind. Das konnte nicht gut gehen.

Isaiah Simmons als warnendes Beispiel?

Im zweiten Jahr stabilisierte er sich etwas, und doch: Inside Linebacker ist nicht seine Paraderolle. Die bisherige Saison legt jedoch auch nahe, dass er im Raum gegen Tight Ends einfach nicht die Short-Area-Quickness hat, um hier standzuhalten. Auch wenn Defensive Coordinator Vance Joseph nach einem desolaten Auftritt in Woche 1 gegen die Chiefs nochmal nahelegte, dass Simmons für diese Rolle gedraftet wurde.

Doch was genau ist dann Simmons' ideale Rolle? Slot-Corner ist es noch weniger als diese Tight-End-Matchup-Position. Womöglich eher die eines tieferen Safeties, der vor allem als Blitzer in die Box gezogen wird? Sehen wir Simmons womöglich auch als Edge-Rusher, parallel zur Transformation von Reddick? Hätte seine Karriere eine andere Entwicklung eingeschlagen, hätte man Simmons direkt als Safety tiefer im Raum eingesetzt? Und kann er so oder so überhaupt der Spieler sein, um den herum man eine NFL-Defense aufbaut?

Die Idee, dass Simmons eine Art "Derwin James Plus" werden kann, scheitert schlicht und ergreifend daran, dass er nicht die Agilität hat, um in der NFL primär in der Box zu covern. Gegen die Raiders wurde er prompt zum Backup degradiert, und Ezekiel Turner versuchte sich daran, Darren Waller in der Red Zone zu covern. "Natürlich" war es dann Simmons, der den finalen, spielentscheidenden Fumble forcierte.

Doch wie viele dieser Hybrid-Spieler können in der NFL wirklich einen defensiven Gameplan prägen, weil sie je nach Matchup mehrere verschiedene Rollen auf einem hohen Level bekleiden können?

Allzu viele fallen mir hier nicht ein, und das wiederum ist eine weitere symptomatische Beobachtung bezüglich des Roster Buildings der Cardinals: Die permanente Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau und das hohe Picken von Outlier-Prospects, statt intensiv auf Premium-Positionen wie Edge-Rusher und Corner zu gehen, hat eine Defense entstehen lassen, die genauso auf der Suche nach einer klaren Identität ist wie mehrere einzelne Bestandteile innerhalb der Defense.

Und das ist ein Sinnbild dafür, wo das Roster-Management und in Teilen auch das Coaching diesen Kader hingeführt hat: Zu einem Team, das seinen Quarterback gefunden hat, das einige gute Spieler hat - doch dessen individuelle Teile viel zu häufig nebeneinander und nicht miteinander arbeiten.

4. Colts: Der Spielraum im Roster Building ist aufgebraucht

Natürlich kann man bei den Indianapolis Colts anbringen, dass sie schon fast traditionell schlecht starten: Seit neun Jahren hat Indianapolis mittlerweile schon keinen Opener mehr gewonnen. Man kann auch anbringen, dass die Colts seit 2014 nicht mehr in Jacksonville gewonnen haben, wo man als Division-Gegner natürlich in jedem Jahr eine Chance bekommt.

Man könnte also als Colts-Fan auf diesen Saisonstart schauen und mit einem kurzen Blick in die Geschichtsbücher sich selbst davon überzeugen, dass man ja fast schon damit rechnen musste, dass ein Saisonstart gegen die Texans und in Jacksonville fast nur schiefgehen konnte. Dass es danach sicher besser werden wird. Immerhin war das Spiel in Jacksonville dieses Mal nicht das Playoff-Endspiel.

Ein komplett indiskutabler Auftritt war es trotzdem, und das auf beiden Seiten des Balls.

Und zumindest in Teilen mag diese Einschätzung stimmen. Indianapolis hat nach wie vor Talent, spielt in der vielleicht schwächsten Division in der NFL und hat Spielraum. Vielleicht klickt es zwischen Matt Ryan - so enttäuschend er am Sonntag auch spielte -, der Offensive Line und seinen Receivern noch signifikant besser in den kommenden Wochen. Vielleicht gibt es einen Run und die Division wird eingetütet.

Colts: Was genau plant Chris Ballard?

All das ist nach wie vor ohne Frage denkbar, aber das übergreifende Thema für dieses Team muss doch ein anderes sein: Was genau baut Chris Ballard hier? Und natürlich waren die Quarterback-Karten, die er erhalten hat, mitunter bitter. Doch wir sprechen hier auch über eine Sample Size von nunmehr vier Jahren seit dem Rücktritt von Andrew Luck. Vier Jahre Quarterback-Suche, aber auch vier Jahre Roster-Building und vier Jahre übergreifende Kaderplanung.

Vier Jahre, in denen man sich langfristig hätte ausrichten können, vier Jahre, in denen man ein klares Quarterback-Profil hätte kreieren und sich langfristig für die Zukunft ausrichten können.

Und ja, die Gefahr wäre da gewesen, dass man mit dieser Herangehensweise zumindest für Teile des jungen, talentierten Kaders ein Fenster hätte verstreichen lassen; letztlich aber ist genau das auch so passiert, und auch wenn ich Matt Ryan in der Offseason als ein klares Upgrade zu Carson Wentz betrachtet habe, eine Einschätzung, die aktuell überschaubar gut aussieht: Womit arbeitet Matt Ryan, und was sagt uns das über Ballard und die Colts-Führung?

Colts der Inbegriff von personifiziertem Mittelmaß

Die Colts haben einen klaren Nummer-1-Receiver in Michael Pittman. Ein guter bis sehr guter Receiver, eine gute Nummer 1. Kein Elite-Receiver allerdings. Und dahinter? Rookie Alec Pierce, Parris Campbell, Ashton Dulin. Die Offense ist komplett auf Ballkontrolle ausgerichtet, inklusive dem Run Game, inklusive der Art Tight End, auf die sie seit Jahren setzen. Der Floor ist da, aber wo ist die Upside? Wo die Dynamik, wo die Explosivität?

Dazu kommt eine Offensive Line, die im Vorjahr enttäuschte, bisher auch dieses Jahr unter ihren Möglichkeiten spielt und zudem die Left-Tackle-Position noch immer nicht gelöst hat. Während die Defense unter Gus Bradley erwartbar vorhersehbar ist. Bereits gegen Houston in der Vorwoche war zu sehen, dass die Texans Bradleys Single-High-Coverage gleich zwei Mal auf die gleiche Art und Weise zum Touchdown schlugen.

Wenn man sich für Matt Ryan als nächste Quarterback-Lösung entscheidet, sollte man auch bereit sein, um Ryan herum zu investieren. Denn selbst wenn Ryan noch zwei Jahre auf hohem Level im Tank hat, mit diesen Umständen hat man auch in dem Szenario nicht ansatzweise genügend Feuerkraft, um in der AFC mitzuhalten. Alles was man ansonsten bekommt, ist nichts anderes als personifiziertes Mittelmaß.

Zu gut, um schlecht zu sein, zu schlecht, um wirklich oben anzugreifen. Der in meinen Augen schlimmste Bereich in der NFL. Und das ist für mich ein Paradoxon: Entweder man will angreifen, man geht auf Matt Ryan und will ein Fenster über rund zwei Jahre öffnen - oder man ist bereit, nach dem Carson-Wentz-Intermezzo einen Umbruch einzuleiten.

Chris Ballard: Der Spielraum ist aufgebraucht

Chris Ballard und die Colts versuchen in meinen Augen seit Jahren, einen Spagat aus beiden Dingen hinzubekommen: Kein echter Rebuild, aber auch nie All-In, nicht einmal ansatzweise. Und das führt nirgendwohin.

Wo soll die Quarterback-Antwort denn herkommen, wenn man jährlich sein Glück mit einem neuen Veteran versucht, ohne Interesse daran, im Draft nachzulegen? Und wo soll der Playoff-Run herkommen, wenn man nicht auf eine Art und Weise in den Kader investiert, die einen ernsthaft kompetitiv macht? Wenn einige der teuersten Spieler im Kader auf - vergleichsweise - Low-Value-Positionen spielen?

Nochmal: Ich denke, dass die Colts mit Ryan am Ende eine bessere Saison spielen werden als letztes Jahr und damit auch die Division gewinnen können. Aber mehr sehe ich eben nicht, und das ist ja der Kern des Punktes.

Ballard hatte Spielraum verdient, weil er früh gut gedraftet hat und mit dem überraschenden Rücktritt von Andrew Luck umgehen musste. Dieser Spielraum ist in meinen Augen aber aufgebraucht, weil Ballards Taten bisher ein klares Bild zeichnen: Das eines GMs, der klare Schwierigkeiten offenbart hat, wenn es darum geht, einen Contender-Kader aufzubauen.

5. Dolphins und Ravens: Ein Spiel, das zu Takes einlädt

Manche Spiele bleiben einem einfach im Kopf.

Das Week-10-Thursday-Night-Game der vergangenen Saison ist bis heute für mich so ein Spiel: Das war jenes berüchtigte Dolphins-Ravens-Duell, in dem Miami Lamar Jackson nicht nur bei 60 Prozent seiner Dropbacks (30 Mal insgesamt) blitzte - sondern in dem diese Blitze auch meist nahezu identisch aussahen, und die Ravens-Offense keinerlei Antworten fand.

Früh in seiner Karriere war es kaum möglich, Jackson zu blitzen. Baltimore ging sogar mitunter gezielt in Empty-Formationen, in dem Wissen, dass Jacksons Qualitäten als Scrambler der Ausweg gegen einen möglichen freien Rusher waren. Jacksons Beine wurden so etwas wie der Hot Read für die Offense.

Doch wie mit allen Dingen in der NFL wurden auch hier Defenses besser darin, das weg zu nehmen. Jackson war in der vergangenen Saison einer der am meisten geblitzten Quarterbacks (36 Prozent seiner Dropbacks, unter Quarterbacks mit mindestens 200 Dropbacks wurde nur Andy Dalton prozentual häufiger geblitzt), wenn er geblitzt wurde, wurden die Resultate für die Defense immer besser. Jackson leistete sich Turnover gegen den Blitz, und seine Scrambles gegen den Blitz waren überschaubar.

Natürlich liegt es in so einem Fall übergreifend an der gesamten Offense, dieses Problem zu beheben. Zu sagen, dass Jackson einfach individuell diese Probleme lösen muss, ist keine Strategie, sondern das Outsourcen eines offensiven Gameplans auf das individuelle Talent des Quarterbacks. Eine Herangehensweise, die kurzfristig funktionieren kann, aber die keine langfristige Basis für eine erfolgreiche Offense darstellt.

Neuer Ansatz für die Ravens-Offense?

Hier geht die Kritik über auf Offensive Coordinator Greg Roman. So sehr Roman Lob verdient für die Offense, die er spezifisch um Jacksons Qualitäten als Runner herum am Boden entworfen hat, so deutlich muss man auch unterstreichen, dass das Passspiel parallel auf der Strecke geblieben ist. Ich hatte darüber spät in der vergangenen Saison schon einmal ausführlicher geschrieben.

Viel Freelancing in den Routes, sowie wenig Passing-Game-Grundstruktur, auf die man einfach zurückfallen konnte, das war ein Teil des Problems, genau wie insgesamt eine Offense, bei der man nie das Gefühl hatte, dass die Räume, die durch Jacksons einzigartiges Skillset sowie die Bedrohung des Run Games generell entstehen, im Passspiel konstant gut genutzt werden.

Umso interessanter fand ich diese Offense, nachdem Baltimore mit Marquise Brown seinen Nummer-1-Receiver weg getradet, keinen Ersatz geholt und stattdessen mehrere Tight Ends im Draft ausgewählt hatte. Würde in einem anderen Personnel-Grouping-Ansatz vielleicht ein Weg liegen, um das Passspiel anders aufzuziehen?

Baltimore Ravens: Wie lief die Wiederauflage gegen Miami?

Das Auftaktspiel gegen die Jets bot noch vergleichsweise wenige echte Anhaltspunkte. Die Jets verteidigten den Run überraschend stark, und Baltimore hatte zwar keinen wirklich konstanten Rhythmus durch die Luft, fand aber genügend Big Plays auf dem Weg zu einem ungefährdeten Sieg. Umso gespannter war ich auf das Duell mit den Dolphins.

Lange Zeit schien es tatsächlich so, als wäre das die zentrale Storyline hier: Baltimore konnte - erneut - den Ball nicht laufen, und Jackson prägte das Spiel durch die Luft. Die Big Plays im Passspiel waren es, die gegen die Jets für die Entscheidung sorgten, und während in Week 1 noch die konstante Production gefehlt hatte, fing er gegen die Dolphins eindrucksvoll an. Jackson hatte mehrere Wow-Würfe schon in der ersten Hälfte, er war durch die Luft kaum mal Off-Target, und: Die Ravens hatten die Antworten gegen den Blitz, die man erhofft hatte.

Denn Miami testete die Ravens in dieser Hinsicht früh. Die Dolphins blitzten viel zu Beginn, doch Baltimore bestrafte Miami mehrfach. Jackson fand früh bei einem Third Down Bateman als Hot-Read gegen einen Blitz, als der Defensive Back gegenüber von Bateman blitzte - und dann direkt nach dem Ausgleich der Dolphins die deutlichste Antwort überhaupt: Ein 75-Yard-Touchdown gegen Miamis Cover-0-Blitz, bei dem die Ravens mit der Pre-Snap-Motion die Seite freiräumten und dann Bateman eindrucksvoll sein Eins-gegen-Eins-Duell gewann.

Dolphins drehen ein verrücktes Spiel

Jackson hatte ein sehr gutes Spiel, auch wenn er spät im Spiel beinahe einen Pick-Six geworfen hätte. Ein sehr gutes Spiel, obwohl die Ravens den Ball am Boden nicht wirklich bewegen konnten. Das klappte lediglich durch Jackson selbst, der mit einem 79-Yard-Touchdown-Run zum Ende des dritten Viertels den Deckel auf die Partie machte: Ein designter QB-Power-Run, bei dem die Dolphins keine Hand an Jackson brachten.

Dieses Spiel hätte durch sein müssen - doch das war es nicht. Weil die Ravens weiterhin den Ball nicht laufen können, wie schon gegen die Jets. Weil die Ravens das Spiel so nicht weg verwalten konnten, und weil Miami diesen Game-Breaking-Speed hat, war dieses Spiel nie komplett durch. Es war eindrucksvoll zu sehen, was für einen massiven Vorteil Miami mit seinen Speedstern Tyreek Hill und Jaylen Waddle hat.

Direkt beim Drive nach der ersten Tua-Interception war ein langer Run-after-Catch von Waddle der Dosenöffner, Miami kann das Feld in wenigen Plays runter marschieren, ohne dass der Quarterback oder selbst das Run Game sonderlich gut funktionieren.

Auch Tyreek Hill hatte früh Plays nach dem Catch, vor allem aber war es dann spät im Spiel Hill, der diese Partie kippen ließ: Der erste lange Touchdown zu Hill war ein Underthrow von Tagovailoa, sodass Cornerback Marcus Peters beinahe noch ins Play gekommen wäre. Der zweite war ein Coverage-Bust, den Tagovailoa gut erkannte - und das Spiel kippte, weil die Ravens keine langen Drives mehr hinlegen konnten, während die Dolphins eine immer wackeligere Defense jetzt mehrfach mit Big Plays erwischten.

Dolphins: Deshalb tradet man für Tyreek Hill

Dieses Spiel ist genau der Grund, warum man für Hill tradet und ihn mit Waddle kombiniert. Tagovailoa beendete dieses Spiel mit 469 Yards und sechs (!) Touchdowns, und früh in der zweiten Hälfte hatte ich angefangen, erste Absätze zu formulieren, welche die Limitierungen in Miamis Offense wegen Tua unterstrichen.

Und nicht, dass das falsch rüberkommt: Baltimores Defense hatte erneut Personal-Probleme auf Cornerback, und Tuas Limitierungen waren sichtbar. Der Mangel an Armstärke, der dafür sorgt, dass Tua nicht zu spät sein darf. Dass er weniger enge Fenster treffen wird als andere Quarterbacks. Dass es mit ihm Dinge gibt, um die eine Offense immer herum navigieren muss. All das war sichtbar und gehört zur Konversation rund um dieses Spiel, auch wenn das übergreifende Narrativ natürlich anders aussehen wird. Hier geht es nicht darum, Dolphins-Fans diesen Sieg madig zu machen, einzig um eine komplette Evaluation.

Dazu gehört auch: Tagovailoa machte unbestreitbar Plays spät im Spiel. Der Touchdown früh im vierten Viertel, bei dem er exzellent kreierte, etwa. Dieses spektakuläre Comeback wird ihm etwas Luft in der Öffentlichkeit verschaffen, auch wenn es eine absolute Achterbahnfahrt von einem Spiel für ihn war. Selbst wenn die finalen Stats und der Sieg vieles davon vergessen lassen.

Wenn man Tua irgendwann aufgibt, dann, weil man nicht denkt, dass er in puncto Accuracy, Reads, Spielverständnis und Pocket-Verhalten so ein Elite-Level erreichen kann, dass es ihm erlaubt, trotz seiner Limitierungen eine Offense auf hohem Level zu tragen. Weil man nicht denkt, dass er eine Armstärke wie andere Game Manager entwickeln kann und so die Offense mit ihm immer um Limitierungen herum arbeiten muss.

Aber dieses Comeback wird Tuas Leine verlängern. Mein zentraler Takeaway aus Sicht der Dolphins ist: Diese Offense ist extrem unangenehm zu verteidigen. Selbst mit einem Quarterback mit Limitierungen.