Zwischen Tony Martin und dem Ziel seiner Träume liegen 6,4 Kilometer. Die erste lange Kurve auf dem Boulevard de la Sauveniere kurz vor der königlichen Oper, die beiden Spitzkehren am Ufer der Maas, das technisch anspruchsvolle Stück am Place St. Lambert, die Zielgerade zum Parc d'Avroy.
Jeden einzelnen Meter wird er sich einprägen, wenn er vor der am Samstag startenden Tour de France die Prologstrecke in Lüttich besichtigt. Martin wird nichts dem Zufall überlassen, um am Ende das erste Gelbe Trikot der 99. Frankreich-Rundfahrt von zwei hübschen Hostessen übergestreift zu bekommen.
Eigentlich sind diese kurzen Zeitfahren so gar nicht Martins Fall, der Motor des Weltmeisters braucht meist etwas länger, bevor er auf Touren kommt. Doch der Kurs in Lüttich kommt mit den langen Geraden seiner kraftvollen Art so entgegen, dass Martin im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd sagt: "Die Chance ist definitiv da, ins Gelbe Trikot zu fahren."
Cancellara als Vorbild
Das beste Beispiel dafür ist ausgerechnet sein großer Rivale Fabian Cancellara. Der viermalige Weltmeister aus der Schweiz besiegte vor acht Jahren den übermächtigen Lance Armstrong in Lüttich auf einem nur wenig kürzeren Kurs und übernahm das Gelbe Trikot. Es war das erste seiner Karriere.
Dass Martin für seine Premiere in Gelb bereit ist, demonstrierte er eindrucksvoll bei den deutschen Meisterschaften, als er die Konkurrenz um Ex-Weltmeister Bert Grabsch in Grund und Boden fuhr. Doch so ganz geheuer ist dem 27-Jährigen der Prolog noch nicht. Martin lässt sich deshalb ein Hintertürchen in Sachen Gelbes Trikot offen. "Ich denke größer wird die Chance allerdings beim ersten langen Zeitfahren sein", sagt der gebürtige Cottbuser.
In den ersten neun Tagen der Tour will er deshalb vorne mitmischen und neben Levi Leipheimer als Co-Kapitän agieren. "Dann wird eine neue Taktik ausgegeben. Je nachdem wie die Lage ist", erklärt Martin.
Schmerzfrei in die Tour
Für manche ist es ohnehin verwunderlich, dass Martin in solch einer guten Verfassung zur Tour fährt. Es ist nur gut zweieinhalb Monate her, dass er sich mit mehreren Knochenbrüchen im Gesicht auf dem Asphalt seiner Schweizer Wahlheimat wiederfand. Eine Rentnerin hatte Martin schlicht übersehen und ihn mit ihrem Auto schmerzhaft vom Rad geholt.
Mittlerweile ist er völlig beschwerdefrei und rechtzeitig zur Tour in Form.
Denn bis zu seinem Sturz lief die Saison nicht allzu rund. Bei Paris-Nizza ging beim Vorjahressieger wenig, in beiden Zeitfahren war Martin chancenlos. Zuvor hatte er bei der Algarve-Rundfahrt eine knappe Niederlage im Zeitfahren gegen Bradley Wiggins erlitten. Der Brite, einer der großen Favoriten für den Tour-Sieg, war auch beim Criterium du Dauphine schneller als Martin. Am Samstag in Lüttich soll sich das Blatt wenden.
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