Furzende Sprinter und Leitplanken-Surfer

Torsten Adams
10. Juli 201215:09
Mark Cavendish hat bisweilen Probleme mit seinem SchließmuskelGetty
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Die erste Tour-Woche ist ja immer so langweilig. So oder so ähnlich lautet ja der Standardspruch der Anti-Radsport-Fraktion. Aber Freunde, habt ihr DIESE erste Woche gesehen? Belgische Chamäleons, furzende Sprinter, italienische Pizzabäcker und ein Deutscher im Grauen Trikot - von Langeweile keine Spur. Die Tops und Flops der Etappen eins bis neun.

Die Tops der ersten Tour-Woche

+ Gilbert, das Tour-Chamäleon

Schwarz-gelb-rot, gelb, grün, rot-weiß, schwarz-gelb-rot, grün, grün, schwarz-gelb-rot, grün. Das sind die Farbenspiele des Philippe Gilbert. Angereist war der Ardennen-König im Trikot des Belgischen Meisters. Dann der Etappensieg mit Ansage, der ihm auf einen Schlag die Führung im Gesamtklassement, in der Sprint- sowie der Bergwertung bescherte. Gilbert heimste so viele Sondertrikots ein, dass er sich gar nicht alle auf einmal tragen konnte. Freundlicherweise sprangen die Herren Evans und Hushovd als Stellvertreter ein und fuhren Gilberts Trophäen durch Frankreichs Straßen spazieren. Nur ein Trikot wird der Omega-Kapitän nicht mehr erringen können: Für das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers ist Gilbert mit seinen 29 Jahren schlicht und ergreifend zu alt.

+ Garmin-Cervelo feat. Roland Emmerich

Wenn sich ein Team seine erste Tourwoche am Reißbrett entwerfen könnte, dann käme dabei wohl eine Blaupause von Garmin-Cervelo heraus. Es war der perfekte Start für die US-Amerikaner. Den Doppelschlag von Triumph beim Teamzeitfahren und Sprintsieg machte Tyler Farrar in Redon perfekt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Amerikaner aus einem amerikanischen Team siegt am amerikanischen Nationalfeiertag. Da hatte doch Roland Emmerich seine Finger im Spiel. Ach ja, nebenbei bemerkt trug Thor Hushovd auch noch an sieben von neun Tagen das Gelbe Trikot. Vive le Thor!

Blog von mySPOX-User UnrealFabian: Die erste Tourwoche

+ Twitter-Akrobat Mark Cavendish

Er ist der Lautsprecher des Pelotons. Entweder man hasst ihn, oder man liebt ihn. Und das sind seine besten Tweets seit der 1. Etappe:

  • "Habe mir gerade den letzten Kilometer der heutigen Etappe angesehen. Gilbert demütigte den Rest als würde er seine Hose herunterlassen und einen '13incher' enthüllen."
  • "Ich hatte heute üble Magenkrämpfe und habe unabsichtlich gefurzt. Habe echt gedacht, ich hätte Durchfall. Sorry an die Liquigas-Jungs, die hinter mir fuhren."
  • "Mein sportlicher Leiter Brian Holm hat gerade sein neues HTC ChaCha bekommen. Es ist ein Facebook-Phone. Er hat aber keinen Facebook-Account. Und weiß auch nicht, wie man ein Smartphone bedient..."
  • "Mist, habe im TV ein Interview mit mir gesehen. Muss mich vor dem Schlafengehen rasieren."
  • "Meine ersten Tränen bei der diesjährigen Tour: Meine Ex-Freundin rief mich am Morgen an. Unser Hund musste eingeschläfert werden. Ich bin traurig."
  • "Ich versuche gerade, meinen Teamchefs Twitter zu erklären. Brian Holm meint, es sei eine Art von Spiel und Rolf Aldag hält es für einen Chatroom. Frustrierend."
  • "Wollt ihr wissen, was bei der Tour makaber ist? Ich bin jetzt schon echt ausgelaugt, und für die Klassementfahrer hat das Rennen noch nicht mal richtig begonnen."
  • "Ihr Kritiker, schaut auf euch selbst! Noch alberner als jemand, der nichts weiß ist jemand, der nichts weiß und trotzdem denkt, er wisse alles."

+ Vincent Jerome, die Rote Laterne von Europcar

Bei der Tour dreht sich alles um Etappensieger, das Gelbe Trikot und die hübschen Hostessen bei der Siegerehrung. Einer, der weniger im Fokus steht, seinen Status aber dennoch vehement verteidigt, ist Vincent Jerome. Der Franzose vom Team Europcar belegt in der Gesamtwertung den letzten Platz. Er ist es, der die Rote Laterne der Tour seit der ersten Etappe in den Händen hält. "Ich bekomme aber von den Leuten viel Zuspruch", freut sich Jerome, gibt sich aber gleichzeitig zuversichtlich, die Laterne bis Paris noch an einen Mitstreiter abzugeben: "Die Rote Laterne ist nur eine nette Zwischenepisode." Erster Kandidat für eine Übernahme: Gert Steegmans, der im Klassement gut sieben Minuten vor dem Franzosen liegt.

+ Die Punktewertung ist tot, es lebe die Punktewertung

In diesem Jahr haben die Organisatoren ja ordentlich an den Regeln für die Wertungen geschraubt. Bei der Sprintwertung ist ihnen ein echter Coup gelungen. Der Zwischensprint, von dem es in diesem Jahr nur noch einen pro Etappe gibt, wurde massiv aufgewertet. Die Folge: Schon während des Rennens sind die Anwärter auf Grün gezwungen, Vollgas zu geben. Nicht ganz so rosig sieht HTC-Teamchef Rolf Aldag die Neuerung: "Die echten Sprinter kommen mit ihren Etappen-Erfolgen den anderen nur nah. Wenn die in den Bergetappen bei den Zwischensprints punkten, ziehen die Bergfesten wieder davon." Des einen Freud, des anderen Leid...

Seite 2: Die Flops der ersten Tour-Woche

Die Flops der ersten Tour-Woche

- Der Untergang der drei Musketiere. Oder: Last man standing

Gebeutelt, gebeutelter, RadioShack. Ursprünglich mit vier Musketieren angetreten, raffte es einen nach dem anderen dahin. Nach mehreren Stürzen auf den ersten Etappen musste Janez Brajkovic als erster die Heimreise antreten: Gehirnerschütterung, Schlüsselbeinbruch. Am siebten Tag erwischte es Chris Horner. Der Amerikaner schaffte es zwar noch ins Ziel - wenn auch benommen - aber am Start der achten Etappe fehlte er bei der Einschreibkontrolle. Gehirnerschütterung, Nasenbeinbruch, so die Diagnose bei ihm. Levi Leipheimer ist zwar noch im Rennen, im Klassement aber nach seinem Leitplanken-Surfen bei der 6. Etappe weit abgeschlagen. Beim Massensturz auf der Peyrol-Abfahrt traf es dann auch den "Last man standing", Andreas Klöden. Der 36-Jährige musste zum Röntgen ins Krankenhaus, gebrochen ist zum Glück nichts. Mit Gesamtrang acht und nur sechs Sekunden hinter Andy Schleck ist "Hilde" vielleicht sogar der große Coup zuzutrauen. Ja, genau das, was seinem Kumpel Jan Ullrich 1997 als einzigem Deutschen bislang gelang. Einen Teilerfolg hat Klödi jedenfalls schon einmal eingeheimst: Er fährt im virtuellen Grauen Trikot, der inoffiziellen Wertung für den besten Seniorenfahrer der Tour.

- Andre Greipel. Oder: Aller Anfang ist schwer

Das Tour-Debüt des Rostockers startete schon denkbar schlecht. Noch vor dem scharfen Start der ersten Etappe machte Greipel mit dem rauen Asphalt in der Vendee Bekanntschaft. Sein Trostpreis: der erste Fahrer, der beim Tourarzt vorstellig wurde. Als wäre dieser Schicksalsschlag nicht genug gewesen, wird er vier Tage später auch noch vom eigenen Teamkollegen böse geschnitten. Am Cap Frehel brach Philippe Gilbert die Teamabsprache und fuhr im Etappenfinale auf eigene Rechnung, statt Greipel den Sprint anzuziehen. Der Deutsche reagierte stocksauer: "Wir sind kein Team", moserte Greipel und machte Gilbert dafür verantwortlich, dass er selbst nicht mehr als Platz sechs erreichte: "Philippe brachte die Leute mit, die später mit mir gesprintet sind." Zu allem Überfluss gewann auch noch Greipel-Rivale Cavendish die Etappe.

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- Alberto Contador. Oder: Aus Hass wurde Mitleid

"Ich habe gut geschlafen, alles in Ordnung", stammelte der Spanier vor der 6. Etappe etwas verlegen ins Reporter-Mikrofon. Sein Sturz ein Tag zuvor habe ihm ja gar nichts ausgemacht, so die offizielle Version. Allerdings kratzen Stürze immer auch am Nervenkostüm der Fahrer. Und der Abflug auf dem Weg zum Cap Frehel war bereits sein zweiter bei dieser Rundfahrt. Der dritte sollte auf der 9. Etappe folgen. Zudem dürften ihm auch die heftigen Pfiffe bei der Teamvorstellung schwer im Magen liegen - auch wenn die Einstellung der Franzosen zu Contador von Hass in Mitleid übergeht. Durch den 1:20-Minuten-Rückstand, den er sich am ersten Tag abholte, sieht der Pistolero seine Chance auf Sieg Nummer vier dahinschwinden. Aber Vorsicht: Angeschlagene Boxer sind besonders gefährlich.

- Italiener bei der Tour. Oder: Die Pizzabäcker von Eurosport

Können die etwa nur Giro? Nehmen wir das Team Lampre: Die stellen mit Alessandro Petacchi immerhin den Sieger der Sprintwertung aus dem letzten Jahr. Mehr als ein zweiter Platz in Chateauroux sprang für den 37-Jährigen nicht heraus. In der Sprintwertung rangiert er abgeschlagen auf Rang 16. Und was ist mit Damiano Cunego, dem einstigen Giro-Sieger? Gesamtrang 12, lediglich in Super-Besse und Saint-Flour kam er unter den besten Zehn ins Ziel. Und da wäre noch das Team Liquigas. Auffällig waren die Neongrünen bisher nur am der Brücke von Saint-Nazaire. Dort wurde Kapitän Ivan Basso von der Windkante überrascht und musste von vier Teamkollegen wieder an das Feld herangeführt werden. Ansonsten trat Basso bisher nur in den Werbepausen von Eurosport als "Pizzabäcker" für den Radschuh-Hersteller "Sidi" in Erscheinung. Rückstand im Klassement: 1:10 Minuten auf Evans. Und das als einer der Topfavoriten auf das Podium.

- Das Sturzfestival. Oder: Das Fallen der großen Namen

"Stürze gehören zum Radsport einfach dazu, aber das ist verrückt", twitterte Leipheimer dieser Tage. Vor allem die erste Woche der Tour ist berüchtigt dafür, dass die Fahrer hypernervös sind und jeder der 200 Fahrer als erstes in die Kurve einbiegen will. Doch diese erste Woche war wohl die sturzträchtigste seit Ewigkeiten. Vor allem die großen Namen erwischte es: Brajkovic, Horner, Wiggins, van den Broeck, Winokurow und Boonen mussten das Rennen bereits aufgeben. Contador, Gesink, Leipheimer, Greipel, Farrar, Hesjedal, Sörensen, Popovych, Kreuziger, Chavanel und viele andere erwischte es ebenfalls. Leipheimers Abschlusskommentar: "Diese Straßen gehören nicht zur Tour." Doch bisweilen gehen die Crashs auch auf das Konto der Fahrer. In der Peyrol-Abfahrt war ein derart hohes Risiko jedenfalls nicht vonnöten.

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