Seit Februar ist Michael Kohlmann Teamchef des deutschen Davis-Cup-Teams. Seine nächste große Aufgabe: Deutschland im September vor dem Abstieg aus der Weltgruppe bewahren. Im SPOX-Interview spricht der 41-Jährige über Dustin Brown, Toptalent Alex Zverev, seinen Co-Trainer Niki Pilic und Comebacker Tommy Haas.
SPOX: Herr Kohlmann, wer Sie in den letzten Wochen in Wimbledon vermutete, lag falsch. Was sah Ihr Terminplan stattdessen vor?
Michael Kohlmann: Ich war mit dem B-Kader bei den Challenger-Turnieren in Marburg und Braunschweig am Start.
SPOX: Dann haben Sie den grandiosen Auftritt von Dustin Brown gegen Rafael Nadal verpasst.
Kohlmann: Ich habe Wimbledon vor dem Fernseher verfolgt. Natürlich haben wir Dustins Match gesehen, das war großes Kino.
SPOX: Dank der ITF-Entscheidung darf Brown im Davis Cup dieses Jahr nun doch für Deutschland antreten. Ist der Rastaman mit seinem ungewöhnlichen Spiel und dem positiv verrücktem Temperament ein Kandidat für Ihr Team?
Kohlmann: Ich bin auf jeden Fall froh, eine weitere Option für die Relegation im September dazubekommen zu haben. Dustin in Topform ist ein Gewinn für jede Mannschaft.
SPOX: Ihnen war es im Zuge Ihrer Ernennung zum Davis-Cup-Teamchef sehr wichtig, die Aufgabe als B-Jugendtrainer zu behalten. Warum?
Kohlmann: So habe ich als Trainer angefangen und mir sind die Jugendlichen extrem wichtig. Der Übergang ins Herrentennis ist ein großer Schritt für sie. Bei mir ist in dieser Phase einiges nicht perfekt gelaufen. Deshalb habe ich das Gefühl, dass ich mit meinem Input helfen kann. Die Arbeit mit den Jungs macht mir sehr großen Spaß. Daher habe ich großen Wert darauf gelegt, dass ich das weitermachen kann.
SPOX: Hat der Verband versucht, Sie davon abzubringen, den Posten als Teamchef zusätzlich zu übernehmen?
Kohlmann: Nein, das war auch im Interesse des Verbandes. Ich glaube, dass der DTB generell vorhat, sich verstärkt für den Nachwuchs einzusetzen. Insofern ist das jetzt eine Situation wie bei den Damen. Barbara Rittner ist ebenfalls zusätzlich für den Nachwuchs zuständig. Ich glaube, dass der DTB diese Variante auch mit mir angestrebt hat. Wenn das so klappt wie bei den Damen, dann können wir alle zufrieden sein.
SPOX: Stimmt, bei den Mädels läuft es ziemlich rund. Ist das Fed-Cup-Team auch in Sachen Kommunikation und Außendarstellung ein Vorbild für Sie?
Kohlmann: Feststeht, die Damen haben verstanden, wie das Geschäft geht, und arbeiten sehr gut. Barbara hat tolle Spielerinnen. Lisicki, Petkovic, Kerber, Görges, Grönefeld, Beck, Witthöft und so weiter und so weiter. Barbara Rittner hat so viele Mädels in ihrem Kader, die in den ersten 100 stehen und bei Turnieren immer wieder um den Titel mitspielen. Mit ihren Fed-Cup-Erfolgen haben sie gezeigt, was möglich ist mit einer Nationalmannschaft. Das ist auf jeden Fall vorbildhaft. Das würden wir natürlich auch gern anstreben.
SPOX: Das derzeit größte DTB-Talent ist alterstechnisch im C-Kader anzusiedeln: Alex Zverev. Wie verfolgen Sie seinen Aufstieg?
Kohlmann: Ich glaube, für ihn kann es nicht schnell genug gehen. Alex hat mit den beiden Erfolgen im letzten Jahr, dem Sieg beim Challenger in Braunschweig und dem anschließenden Halbfinale in Hamburg einen rasanten Aufstieg hingelegt. Das war sein Startschuss.
SPOX: Und nach kurzem Luftholen macht er nun da weiter.
Kohlmann: Ja, nach Hamburg hat er ein Vierteljahr gebraucht, sich in dieser Region zu akklimatisieren. Und in den letzten Wochen hat er wieder starke Ergebnisse gebracht. In München, Stuttgart und Halle je eine Runde gewonnen. Danach das Challenger in Heilbronn gewonnen, zwei Runden in Nottingham und eine in Wimbledon. Er hat in den letzten Monaten etliche Top-100-Leute geschlagen, das ist der Beweis dafür, dass er sich leistungsmäßig in der Region etabliert hat.
SPOX: Es kann also für Zverev schnell Richtung Davis-Cup-Team gehen?
Kohlmann: Ich würde mich da nach ihm richten... (lacht) Wenn er das so schnell hinkriegt, bin ich dabei. Ich bin gespannt, wann sein nächster Schub kommt. Der wird mit Sicherheit kommen, weil er sehr, sehr hart an sich arbeitet. Alex Zverev wird in nächster Zeit sicherlich ein Thema sein für die Nationalmannschaft.
SPOX: Da sind wir mitten in der Diskussion um Ihr Spielermaterial: Die momentan unangefochtene Nummer eins Philipp Kohlschreiber auf der einen, das Toptalent Zverev auf der anderen Seite. Dazwischen Namen wie Peter Gojowczyk, der vor seiner Verletzung gegen Tsonga 2014 diesen Megatag erwischte. Oder Daniel Brands und Tobias Kamke, von denen man weniger hört. Oder Dauerbrenner Benjamin Becker. Wie beurteilen Sie dieses breite "Mittelfeld"?
Kohlmann: Wenn ich mir aussuchen könnte, ob ich drei Top-20-Leute haben könnte wie Barbara Rittner - na klar, würde ich mir wünschen, dass sich drei der Jungs da oben etablieren könnten. Auf der anderen Seite: Bei der Dichte, die wir hinter Philipp haben, kann ich Leistungsentwicklungen berücksichtigen bei der Nominierung für die nächste Partie. Das bedeutet natürlich auch, dass jeder der Jungs immer wieder die Möglichkeit hat, sich in die Mannschaft reinzuspielen. Und das ist für die Spieler eine Topmotivation. Bei den Damen stellt sich die Mannschaft grob gesagt von allein auf. Das ist bei den Herren nicht so. Jeder kann sich mit guten Leistungen empfehlen.
SPOX: Mit den Comebackern Tommy Haas und Florian Mayer bekommen Sie ja womöglich bald wieder die Option auf zwei Ex-Top-20-Spieler im Team.
Kohlmann: Das stimmt, Tommy war total heiß drauf, endlich wieder zurück im Turniertennis zu sein. Und Flos Ergebnisse sind schon wieder richtig gut. Seine Planungen reichen bereits bis weit ins nächste Jahr.
SPOX: Es heißt, Sie seien in Spielerkreisen sehr beliebt. Vor kurzem noch Teamkollege, da lief die Kommunikation sicher immer ganz locker. Ändert sich das, seit Sie der Teamchef sind?
Kohlmann: Da müssten Sie jetzt die Spieler fragen... (lacht) Nee, bisher hat sich da nichts verändert. Die Leute wissen, dass ich mich nicht verstelle. Ich werde immer nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Niemand wird bevorzugt.
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SPOX: Sie haben den Posten des Davis-Cup-Kapitäns mal als Ihren Traumjob bezeichnet. Gilt das trotz der harschen Niederlage bei Ihrer Premiere gegen Frankreich immer noch?
Kohlmann: Traumjob? Ich weiß gar nicht, ob ich das jemals so gesagt habe...
SPOX: Dann stimmt das überhaupt nicht?
Kohlmann: Ich habe nur Folgendes gesagt: Wenn man als Trainer arbeitet, steckt man sich Ziele. Dann gibt es gewisse Aufgaben, die man irgendwann einmal machen möchte. Und da gehörte für mich ganz klar der Davis-Cup-Coach dazu. Dass das jetzt relativ zügig gegangen ist, habe ich natürlich so nicht erwartet. Das hat sich so ergeben und diese Aufgabe finde ich wunderbar.
SPOX: Aber der Kaltstart gegen Frankreich nur drei Wochen nach Ihrer Ernennung lief nicht optimal.
Kohlmann: Klar, die Woche in Frankfurt war schwierig. Die Vorbereitung lief relativ kurzfristig an, die Situation war für alle neu, aber es ist und bleibt für mich eine besondere Aufgabe. Und ich versuche den Spielern auch immer wieder zu vermitteln, dass diese Davis-Cup-Wochen nicht nur für den Betreuerstab, sondern auch für die Profis etwas Spezielles sind. Es muss das Hauptziel sein, dass wir dort als Mannschaft, als ein gemeinsames Team auftreten.
SPOX: Sollte das nicht jedem klar sein?
Kohlmann: Tennis ist ein Einzelsport. Ich muss es immer wieder herausstellen, dass die Jungen auch merken, dass der Davis Cup wirklich etwas Spezielles ist, hier spiele ich für mein Land.
SPOX: Dass Sie so schnell Teamchef wurden, lag ja vor allem an den Querelen zwischen Ihrem Vorgänger Carsten Arriens und Philipp Kohlschreiber. Machen Sie in Sachen Kommunikation gezielt etwas anders?
Kohlmann: Ich habe klar gesagt, wenn ich das mache, fangen wir alle bei null an. Ich stehe ständig in Kontakt mit den Spielern und versuche sie davon zu überzeugen, dass Mannschaftserfolge in der Öffentlichkeit unglaublich positiv aufgenommen werden. Dies haben wir ja in den vergangenen zwei Jahren beim deutschen Fed-Cup-Team erlebt.
SPOX: Wer hat dafür gesorgt, dass Niki Pilic als Berater im Trainerstab an Bord ist?
Kohlmann: Dies war eine gemeinsame Entscheidung des DTB-Präsidiums und mir. Ich empfand die Woche in Frankfurt mit Niki an meiner Seite super angenehm. Er war immer ansprechbar, hatte immer eine klare Meinung. Am Ende muss ich die Entscheidungen treffen, aber es ist natürlich von großer Hilfe, einen Mann mit so einer enormen Kompetenz dabei zu haben.
SPOX: Wie müssen wir uns seine Rolle vorstellen?
Kohlmann: Niki saß mit am Platz. Er hat sich jede Trainingseinheit angesehen und auch die Einheiten der Franzosen beobachtet. Wir haben ständig miteinander kommuniziert und jeden Tag über die Form unserer Spieler diskutiert.
SPOX: Am Wochenende laufen die Davis-Cup-Viertelfinals. Es drohen Ihnen harte Lose in der Relegation. Gibt es einen Wunsch?
Kohlmann: Ein Heimspiel wäre toll. Aber darüber hinaus bin ich viel zu abergläubisch, jemanden zu nennen. Es gibt keine leichten Lose. Wir müssen nicht nur mit jedem Gegner leben, wir können es auch. Wir haben auf jeden Fall gegen jede Mannschaft die Chance zu gewinnen.
SPOX: Die Doppel wurden zuletzt häufig abgegeben. Sie haben in Frankfurt den Wunsch geäußert, dass Ihre Jungs häufiger Doppel zusammen spielen sollten auf der Tour. Wie läuft es mit der Umsetzung?
Kohlmann: Schon im Frühjahr war es so, dass sie sich mehr miteinander verabredet haben. Das ist der erste Schritt. Irgendwann wünsche ich mir wieder ein deutsches Topdoppel. Im Moment haben wir das Problem, dass wir mit Andre Begemann nur einen Top-50-Spieler haben. Er muss sich also einen ausländischen Partner suchen, weil er sonst nicht in die großen Turniere reinkommt. Das ist alles nicht ganz leicht.
SPOX: Wie kann die Lösung aussehen?
Kohlmann: Ich denke, es hilft schon, wenn ein bisschen mehr Zeit miteinander verbracht wird. Wenn die Leute häufiger zusammen trainieren und spielen, lernen sie sich automatisch besser kennen. Dann müssen wir nicht immer erst in der Davis-Cup-Woche ein ganz neues Pärchen zusammensetzen. In einem Doppel hilft es gewaltig, wenn man gut miteinander auskommt. Das macht manchmal den Unterschied aus.
SPOX: Und Jan Choinski, Maximilian Marterer und Daniel Masur, das sind Ihre Schützlinge im B-Kader, werden alle Topprofis und Davis-Cup-Spieler?
Kohlmann: Ja... (lacht) Das hoffen wir! Die drei Jungs sind Riesentalente und haben die richtige Einstellung. Sie sind jetzt 18, 19 und 20 Jahre alt und können es schaffen. Aber es ist halt ein langer, harter Weg dahin zu kommen, was sie sich selber wünschen. Und wir vom Verband natürlich auch.
SPOX: Ist die Entscheidung Profi zu werden in diesem Alter schon gefallen?
Kohlmann: Ja, wenn die Jungs das jetzt nicht zu 100 Prozent versuchen würden wollen, wären sie nicht im B-Kader. Dorthin schafft man es nur, wenn man das Ziel vor Augen hat, Profi zu werden.
SPOX: Die Drei stecken nicht in einer Ausbildung?
Kohlmann: Nein, die Förderung ist auch so ausgelegt. Und was das Trainingspensum angeht, kann man sich nicht erlauben, nebenher noch etwas anderes zu machen.
SPOX: Diese Entscheidung erfordert eine gehörige Portion Mut.
Kohlmann: Absolut, das ist schon ein harter Schritt. Ich habe es damals versucht, dann aber festgestellt, es ist ein bisschen früh für mich. Also bin ich wieder zurück zur Schule gegangen und habe das Abitur nachgeholt. Das ist für jeden unterschiedlich, manche sind noch nicht soweit. Das ist eine Familienentscheidung, die man nicht von heute auf morgen trifft. Eine große Sache eben. Aber die Jungs haben bislang so erfolgreich gespielt, dass es ihnen die Entscheidung ein bisschen leichter macht, diesen großen Schritt zu wagen.
SPOX: In den Top 100 der ATP stehen momentan vier Teenies...
Kohlmann: Es gibt wirklich nur noch Ausnahmespieler, die mit 18 Jahren schon nach ganz oben kommen wie ein Alexander Zverev.
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