Novak Djokovic kennt das Wort "verlieren" nur noch vom Hörensagen, Rafael Nadal steuert nach Verletzungssorgen wieder auf seine Topform zu und die jungen Wilden drängen ohnehin in Richtung Weltspitze. In dem ganzen Tohuwabohu hat Ex-Branchenprimus Roger Federer ein wenig die Orientierung verloren, trotzdem will der Schweizer wieder die Nummer eins werden. SPOX klärt, ob da noch eine Chance besteht.
Roger Federer ist - zumindest was die nackten Zahlen betrifft - der erfolgreichste aktive Tennisprofi. 16 Grand-Slam-Titel, 285 Wochen an der Spitze der Weltrangliste, bei den letzen 27 Grand Slams immer mindestens Viertelfinalist.
Er ist der Prototyp des perfekten Spielers. Aber: Der Stern des Eidgenossen beginnt langsam zu sinken. Gegen Novak Djokovic und Rafael Nadal, nach wie vor die Hauptkonkurrenten um Platz eins der Weltrangliste, war er bei den letzten Aufeinandertreffen chancenlos.
Anfang 2010 schien Federers Welt noch völlig in Ordnung zu sein. Die Spitzenposition der Welt hatte er von Nadal zurückerobert, an eine 37:0-Serie von Djokovic war nicht mal zu denken und Federer holte bei den Australian Open seinen bis dato letzten Grand-Slam-Titel. Was ist seitdem passiert? Ein Rückblick:
März 2010, Hartplatzsaison, Teil 1: Federer tritt nach seinem Sieg in Melbourne noch zweimal auf Hardcourt an und zwar bei den Master-Series-Events in Indian Wells und Miami. In Indian Wells wirkt er müde, müht sich in Runde zwei zu einem Drei-Satz-Sieg gegen den Rumänen Victor Hanescu, nur um seine nächste Begegnung gegen Marcos Baghdatis aus Zypern - ebenfalls in drei Durchgängen - zu verlieren. In Miami kommt er immerhin bis ins Achtelfinale, unterliegt dort aber Tomas Berdych im Tie-Break des dritten Satzes.
Mai 2010, French Open: Nach einer verhältnismäßig schwachen Vorbereitung (eine Finalteilnahme bei drei Sandplatzturnieren) reist der Schweizer erstmals als Titelverteidiger nach Roland Garros - und wird den hohen Erwartungen nicht gerecht. Mit Robin Söderling wird im Viertelfinale der erste wirklich dicke Brocken zum Stolperstein. Für den Schweden ist es die Revanche für die Finalniederlage im Vorjahr an gleicher Stelle.
Juni 2010, Rasensaison: Bis 2009 war eine Sache quasi in Stein gemeißelt. Egal, wie Roger Federer auf anderen Belägen zurechtkommt, sobald er Gras unter den Sohlen spürt, lehrt er die Gegner das Fürchten. Nicht so im Jahr 2010: In Halle verpasst er den sechsten Sieg bei seiner sechsten Teilnahme und verliert im Finale gegen Lleyton Hewitt. In Wimbledon endet dann Federes vielleicht prestigeträchtigste Serie. Nach sieben Finalteilnahmen am Stück muss er sich im Viertelfinale Tomas Berdych überraschend glatt in vier Sätzen geschlagen geben.
August/September 2010, Hartplatzsaison, Teil 2: Federer scheint gut erholt von seiner Niederlage in Wimbledon, erreicht in Toronto das Endspiel (Niederlage gegen Andy Murray) und triumphiert anschließend in Cincinnati. Bei den US Open zieht er ohne Satzverlust ins Halbfinale ein, muss sich dort aber in einem epischen Fünf-Satz-Krimi Novak Djokovic beugen. Aktuell steht Federer nur auf Platz drei der Weltrangliste.
Oktober/November 2010, Hallensaison: King Roger ist wieder da. Turniersiegen in Stockholm und Basel - wo er sich im Finale gegen Djokovic durchsetzt - folgt eine Halbfinalteilnahme in Paris und die Rückkehr auf Rang zwei der Welt.
November 2010, World Tour Finals in London: Der Jahresabschluss hätte versöhnlicher nicht sein können. In London schlägt Federer mit Söderling, Murray, Djokovic und Nadal sämtliche Spieler aus den Top Fünf der Welt und kürt sich zum ATP-Weltmeister. Mit seinem fünften Titel beim Saisonabschlussturnier egalisiert er ganz nebenbei den Rekord von Ivan Lendl und Pete Sampras.
Januar 2011, Australian Open: Nach einem weiteren Turniersieg in Doha wird Federer eins der Haupt-Opfer der unglaublichen Serie von Novak Djokovic. Im Semifinale von Melbourne setzt es eine glatte Niederlage gegen den Serben und auch bei den folgenden Events in Dubai und Indian Wells ist jeweils gegen Djokovic Endstation.
April/Mai 2011, Sandplatzsaison: Auf der roten Asche läuft Federer seiner Form meilenweit hinterher. In Monte Carlo (Viertelfinale gegen Jürgen Melzer), Madrid (Halbfinale gegen Rafael Nadal) und Rom (Achtelfinale gegen Richard Gasquet) scheidet er früh aus.
Seite 2: Quo vadis, Roger Federer?
Wenn die bisherigen Resultate auf Sand eine Prognose für die French Open zulassen, fällt die für Federer also nicht allzu rosig aus. Das Hauptproblem: Gerade nach den Niederlagen gegen Melzer und Gasquet ist mittlerweile jedem Tourspieler klar, dass Federer verwundbar ist.
Vom Schweizer kommen in den vergangenen Wochen immer wieder die gleichen Phrasen. Er sei topfit, mit seinem Spiel zufrieden und habe eben im Moment nur ein bisschen Pech, ist da immer wieder zu hören.
Anspruch und Wirklichkeit
Man bekommt das Gefühl, dass sich Federer ein wenig in dieses Mantra geflüchtet hat und sich der Realität verschließt. Vielleicht ist es für ihn an der Zeit, diese Matchverluste als das zu sehen, was sie sind: die Konsequenz der eigenen Fehler. Federer unterlaufen gerade in wichtigen Situationen Unforced Errors, die ihm früher nicht passiert sind.
Besonders markant stellt sich diese Situation in Tie-Breaks dar. In den vergangenen Jahren hat sich Federer auch gegen schwächer eingeschätzte Gegner teilweise schwer getan. Aber wenn es darauf ankam, war er im satzentscheidenden Tie-Break wieder da und holte sich den Durchgang.
Gerade bei der Niederlage gegen Gasquet in Rom war genau das sein Problem. Federer gewann den ersten Satz und verlor die beiden folgenden Durchgänge im Tie-Break. In spielentscheidenden Situationen hat er - dieses Gefühl bekommt man zumindest als Zuschauer - nicht mehr das Selbstvertrauen vergangener Tage.
Federer will zurück an die Spitze
Federer selbst erkennt scheinbar kaum, dass ihm die Felle ein wenig davon schwimmen. "Kurzfristig ist es mein Ziel, wieder die Nummer eins zu werden", ließ er erst Anfang Mai im Interview mit der "FAZ" verlauten. Dass er in diesem Jahr sämtliche Begegnungen gegen Nadal (2) und gegen Djokovic (3) teils glatt verloren hat, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Natürlich ist Federer immer noch einer der besten und wahrscheinlich der eleganteste Spieler auf der Tour. Es ist nach wie vor wundervoll, ihm auf dem Platz zuzusehen. Aber klar ist auch: Der Eidgenosse hat im Tennis alles gewonnen und für's Schönspielen gibt es keinen Preis. Für Federer zählen nur noch Turniersiege und die sind im Moment nur schwer vorstellbar.
Denn die Auslosung in Paris hat es nicht wirklich gut mit dem Schweizer gemeint. Gleich in der ersten Runde muss er gegen den starken Spanier Feliciano Lopez ran, gegen den er kürzlich in Madrid schon seine liebe Müh und Not hatte. Im Achtelfinale wartet voraussichtlich Lokalmatador Jo-Wilfried Tsonga und eine Runde später der ausgewiesene Sandplatzspezialist David Ferrer.
Ziel: Olympia 2012
Trotz der schwierigen Situation betont Federer immer wieder, noch lange nicht an ein Karriereende zu denken. "Ich sehe mich mental in der Lage, noch viele Jahre zu spielen", sagte er im Vorfeld von Roland Garros. Er plane sogar bereits über 2012 hinaus.
Federers Karriere ist sicherlich einzigartig und wird es auch immer bleiben. Gerade deshalb mag man ihm wünschen, dass er -natürlich mittelfristig - den richtigen Zeitpunkt für einen Rücktritt nicht versäumt.
Warum die Planung bis 2012 schon steht, hat indes einen guten Grund. Denn Federer hat trotz drei Teilnahmen noch keine olympische Einzelmedaille gewonnen. Vielleicht hat es etwas mit Schicksal zu tun, dass das Tennisturnier bei Olympia 2012 ausgerechnet in Wimbledon stattfindet.
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