Australian Open: Vier Erkenntnisse aus dem Finale zwischen Novak Djokovic und Dominic Thiem

Stefan Petri
02. Februar 202017:55
Novak Djokovic legte sich bei einem Seitenwechsel mit dem Stuhlschiedsrichter an.getty
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Novak Djokovic ist zum achten Mal Champion bei den Australian Open: In fünf Sätzen besiegte der Serbe denkbar knapp den Österreicher Dominic Thiem. SPOX fasst die Erkenntnisse aus dem Finale zusammen: Thiem kommt einem Grand-Slam-Titel immer näher, die junge Generation wird bald mitmischen - auch im Kampf um den Major-Rekord. Noch aber ist der Djoker der König von Australien. Wenn da nicht eine unschöne Szene gewesen wäre ...

1. Novak Djokovic ist der König von Australien

Offiziell ist Queen Elizabeth II. Staatsoberhaupt in Australien, schließlich gehören die Aussies zum Commonwealth. Sollte sich das allerdings einmal ändern, hätte Djokovic allen Grund, seinen Hut in den Ring zu werfen. Die letzten Wochen haben einmal mehr gezeigt: Der Djoker regiert Down Under.

Und damit ist nicht nur die Rod Laver Arena gemeint, die man angelehnt an Boris Becker in "Noles Wohnzimmer" umtaufen könnte: Acht Titel auf dem mittelschnellen Hardcourt sind einsame Spitze. Nein, Djokovic war der "Frühstarter" der neuen Saison: Schon in den ersten Januar-Wochen dominierte er den neu ins Leben gerufenen ATP Cup und schlug in Brisbane und Sydney unter anderem Kevin Anderson, Gael Monfils, Denis Shapovalov, Daniil Medvedev - und Rafael Nadal.

Djokovics Spiel ist perfekt geeignet für den australischen Untergrund: Nicht schnell genug, um den Heavy Hittern einen Vorteil zu verschaffen, aber auch nicht so langsam, als dass er die Nadals und Thiems dieser Welt unterstützen würde. Der Serbe dagegen kann offensiv dominieren wie im Finale 2019 gesehen, oder auch diesmal auf dem etwas langsameren GreenSet-Belag einen Dominic Thiem in fast vier Stunden niederringen.

SPOXgetty

Die Comeback-Qualitäten von Djokovic sind legendär, man denke nur an die abgewehrten Matchbälle im Wimbledon-Finale gegen Federer. Gegen Thiem fügte er diesem Kapitel seiner Karriere aber noch eine neue Seite hinzu: Einen 1:2-Rückstand in einem Grand-Slam-Finale hatte er in seiner Karriere zuvor noch nie drehen können (0-7).

"Das ist definitiv mein Lieblingsplatz, mein Lieblingsstadion weltweit", sagte der alte und neue Champion auf dem Podium, mit dem Pokal in der Hand. Eine nicht zu unterschätzende Rolle dabei dürfte auch spielen, dass er auf den Tribünen in Melbourne eine größere Fangemeinde hat als in Wimbledon oder Flushing Meadows. Wenn er gesund bleibt, wird er auch 2021 wieder als großer Favorit anreisen.

2. Eine Schwäche stoppte Dominic Thiem

Man musste mit dem Österreicher fühlen, als er etwas bedröppelt auf dem Podest stand, der Siegerpokal jedoch in die Hand seines Gegners wanderte. Zum dritten Mal stand er in einem Grand-Slam-Finale, zum dritten Mal verlor er - und das jeweils gegen die Besten ihres Fachs. "Zweimal in Roland Garros gegen Rafa, jetzt hier gegen den König von Australien", hatte er schon vor dem Endspiel geunkt. "Irgendwie spiele ich im Finale immer gegen die Könige der jeweiligen Grand Slams."

Es erinnert ein wenig an Andy Murray: Der Schotte hatte beim Versuch, in die Phalanx der Big 3 einzudringen, sogar seine ersten vier Grand-Slam-Finals verloren - drei gegen Federer, eins gegen Djokovic. Es sollte Thiem Trost spenden, dass Murray schließlich den Durchbruch schaffte und drei Grand Slams gewann, darunter zweimal sein "Heimturnier" in Wimbledon. Für Thiem steht als nächstes sein Lieblings-Grand-Slam in Paris an. Die Geschichte könnte sich wiederholen.

Die Australian Open haben jedoch eindrucksvoll belegt, dass Thiem auch auf Hartplatz längst ein Siegkandidat ist, seine Chancen beschränken sich nicht mehr nur auf den Bois de Boulogne. Seit er mit Trainer Nicolas Massu zusammenarbeitet, hat er sich zum Allrounder weiterentwickelt. "Er schlägt jetzt viel flacher", stellte Alexander Zverev fest, der im Halbfinale den Kürzeren zog. "Vorher war er ein kompletter Sandplatzspieler. Jetzt hat er auch auf Hardcourt alles."

Djokovic vs. Thiem: Die Statistiken im Australian-Open-Finale

StatistikNovak DjokovicDominic Thiem
Asse913
Quote erster Aufschlag65 Prozent64 Prozent
Doppelfehler55
Breakchancen5/125/12
Erfolgreiche Netzangriffe24/2923/31
Winner4655
Unforced Errors5757
Punkte insgesamt157147

Auf Hartplatz konnte er den Djoker bisher aber nur in der Halle besiegen - draußen hat der noch die Nase vorn. Hier und da fällt dem 26-Jährigen nämlich noch der Balance-Akt zwischen Geduld und vollem Risiko schwer, auch deshalb, weil er mit Vor- und Rückhand aus fast jeder Position einen Winner schlagen kann. Im fünften Satz hielt Djokovic den Ball gerade gegen Ende oft nur in der Rally und wartete darauf, dass Thiem zu viel riskierte und den Fehler machte.

Mental hat Thiem die Lücke zu den Big 3 fast schon geschlossen. Im ersten Satz ließ er sich von den Nerven und einem formidabel startenden Djoker nicht beeindrucken, machte einen frühen Rückstand wett und spielte seinen Stiefel runter, als sein Gegner zu implodieren drohte. In dieser Hinsicht erinnerte er fast ein wenig an den Serben, der ja oft auch nur darauf zu warten scheint, dass sein Kontrahent sich irgendwann selbst schlägt. Lediglich am Ende ging Thiem ein wenig die Puste aus.

3. Nicht ohne Grund unbeliebt? Djokovics Verhalten war unwürdig

Novak Djokovic ist ein faszinierender Zeitgenosse. Der Serbe ist auf der ganzen Welt zuhause, eloquent, spricht mehrere Sprachen und hat den Blick für das große Ganze. Das bewies er bei seiner Siegesrede, als er an seinen verstorbenen "Mentor" Kobe Bryant erinnerte, und daran, dass Tennis eben nicht alles sei. Kaum jemand auf der ATP-Tour lässt die Zuschauer so nahe an sich heran, auch an die eigenen Kämpfe und Dämonen.

Die Tatsache jedoch, dass Djokovic diese Kämpfe regelmäßig auf dem Court ausficht, kann zu unschönen Szenen führen. Im Finale war das gleich mehrfach der Fall. Als es nicht lief, schnauzte er bei Zwischenrufen in Richtung Publikum, lamentierte und gestikulierte mit der Box - und bedankte sich höhnisch bei Stuhlschiedsrichter Damien Dumusois, als dieser in der entscheidenden Phase des zweiten Satzes zwei völlig berechtigte Verwarnungen wegen abgelaufener Aufschlaguhr aussprach.

Djokovic fasst beim Seitenwechsel an den Schuh von Umpire Damien Dumusois.getty

Djokovic verlor sein Aufschlagspiel, fasste Dumusois beim Seitenwechsel an den Fuß und giftete für die Kameras hörbar: "Jetzt bist du berühmt. Gut gemacht, Mann." Ein solches Verhalten ist eines Champions - und eines neuen Weltranglistenersten - unwürdig, das muss man klar sagen. Eine Entschuldigung und eine Geldstrafe durch die Turnierleitung sollte folgen.

Weit häufiger, das muss man zu seiner Ehrenrettung anerkennen, fällt Djokovic als guter Sportsmann auf, der seinen Gegnern bei guten Schlägen Applaus zollt und immer für einen Spaß zu haben ist. Oftmals scheint es, als brauche Nole diese (imaginären) Gegner, diese Konflikte, um sich selbst zu Höchstleistungen anzutreiben. Auch gegen Thiem war er in Satz vier und fünf wieder voll da und brachte das Match verdient über die Ziellinie. Wer sich jedoch zu oft derartige Aussetzer leistet, der braucht sich am Ende nicht wundern, dass es zur Popularität eines Federers oder eines Nadals nicht reicht.

4. Die neue Generation ist dran - der Kampf um den Grand-Slam-Rekord wird heißer

Noch haben Federer, Nadal und Djokovic die Krone auf: Die letzten 13 Grand-Slam-Titel teilten sie untereinander auf, unglaubliche 34 von 41 sind es seit 2010. Doch die "Next Generation", sie hat die Hand mittlerweile an besagte Krone gelegt.

Knapp in fünf Sätzen gewann Nadal die US Open gegen Medvedev, Thiem war diesmal ähnlich nah dran. "Ich war an der Schwelle, dieses Match zu verlieren", gab Djokovic zu. "Ich habe mich nicht gut gefühlt auf dem Platz. Meine Energie war völlig weg. Ich habe dann teilweise alles oder nichts gespielt und hatte Glück." Nole und Rafa wackeln, Federer hat seit zwei Jahren kein Major mehr gewonnen. Die letzten zwei Champions bei den ATP Finals hießen nicht umsonst Zverev und Stefanos Tsitsipas. Das Ende der Dominanz naht.

Noch können sich die Big 3 der Angriffe erwehren, dabei hilft auch das Best-of-Five-Format bei den Slams. Bald wird es jedoch einen neuen Champion geben, einen aus der Generation Thiem/Medvedev/Zverev. Wer weiß, ob das nicht eine Kettenreaktion zur Folge haben wird.

Und das könnte sich auch auf die Jagd nach dem ewigen Grand-Slam-Rekord auswirken. Mit Blick auf die letzten Jahre ist man versucht, die kommenden Grand Slams brüderlich aufzuteilen und so den Moment zu errechnen, an dem Federer endgültig von Nadal oder Djokovic ein- bzw. überholt werden wird: "Rafa gewinnt die French Open, dann Djokovic oder Roger Wimbledon, dann Rafa oder Nole bei den US Open, dann wieder der Djoker ..."

Wenn nun aber die U30-Generation endgültig bei der Titelvergabe mitmischt, sind solche Spielereien müßig. Nicht umsonst sagte Djokovic zu Thiem, als er den Pokal zum achten Mal in den Händen hielt: "Du wirst deine Grand-Slam-Trophäe bekommen - mehr als nur eine."

Für die Zuschauer verspricht das Zusammenrücken der alten und neuen Garde vor allem eines: noch mehr epische Matches. "Die drei haben das Tennis auf ein neues Level gehoben", sagte Thiem. "Aber so haben sie auch mich auf ein höheres Level gebracht. Ich hoffe, dass ich meinen ersten Grand Slam gewinnen kann, solange sie noch dabei sind. Dann wäre er mehr wert."