Im vergangenen Winter dominierte Darya Domracheva den Biathlon-Weltcup, nachdem sie sich schon 2014 zu einem der großen Stars von Sotschi gekürt hatte. Für die aktuelle Saison sagte die 29-Jährige nach der Erkrankung an Pfeifferschem Drüsenfieber jedoch alle Starts ab. Im Interview spricht "Dasha" über die bewusste Auszeit, eigene Briefmarken und die Ernennung zur "Heldin Weißrusslands". Außerdem erklärt sie ihre Sehnsucht nach Stille und schätzt Laura Dahlmeiers Weltcup-Chancen ein.
SPOX: Frau Domracheva, auf Instagram und Facebook haben Sie kürzlich ein Bild hochgeladen, auf dem man Sie auf Skiern sieht. Sie schrieben dazu: 'Happy to ski again!!! Snow! Snow! Snow!' Planen Sie doch noch ein Comeback in diesem Winter?
Darya Domracheva: Nein, meine Entscheidung für diese Saison steht fest: Ich lege eine Pause ein. Die Zeit nutze ich zur Regeneration und für einen Neustart. Ich kann diesen Winter in Ruhe trainieren und genieße das sehr.
SPOX: Wie schwer fällt es Ihnen dennoch, in der laufenden Weltcup-Saison nicht mitwirken zu können?
Domracheva: Ich betrachte das nicht als tragisch. Es war meine bewusste Entscheidung, nach der Krankheit auf meinen Körper zu hören und die Auszeit sinnvoll zu nutzen. Es ist nicht nur eine körperliche Pause, sondern auch eine emotionale. Für Außenstehende mag es schwer zu verstehen sein. Doch ich kenne meinen Körper am besten und ich bin davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war. Ich plane, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein.
SPOX: Im Januar waren Sie die erste Frau, die das Sprintrennen in Antholz in unter 20 Minuten gewann. War das die beste Darya Domracheva aller Zeiten?
Domracheva: Ich habe mich in dem Rennen richtig gut gefühlt, jedoch war es nicht das beste meiner Karriere. Im Biathlon und Langlauf hängen die Ergebnisse so sehr von den Streckenkonditionen und der Präparation des Skis ab. In Antholz waren alle Bedingungen einfach super: Perfekte Strecke, High-Speed-Schnee und meine gute Form.
SPOX: In der letzten Saison haben Sie schließlich auch den Gesamtweltcup gewonnen. Hätten Sie die Saison nicht abgesagt, wären Sie auch in diesem Winter Top-Favoritin gewesen. Wer tritt nun an Ihre Stelle?
Domracheva: Der Abstand zu Platz drei war hinter Kaisa Mäkäräinen und mir im letzten Jahr doch recht groß. Es sieht also danach aus, als habe Kaisa in dieser Saison die besten Chancen. In den ersten Rennen werden sich die Favoriten schnell herauskristallisieren. Biathlon ist aber ein sehr unvorhersehbarer Sport. Vielleicht gibt es auch die eine oder andere Überraschung.
SPOX: Zum Beispiel Laura Dahlmeier? Sie war im letzten Winter einer der wenigen Lichtblicke im deutschen Team.
Domracheva: Laura ist eine starke Athletin und eine richtig gute Kämpferin. Gerade am Schießstand ist sie vielen voraus. Ich glaube, sie hat in diesem Jahr gute Chancen.
SPOX: Im Alter von 17 Jahren liefen Sie für das russische Jugend-Nationalteam, da Sie eine Zeit lang in Sibirien lebten. Doch Sie sind zum weißrussischen Verband zurückgekehrt. Gab es keine Bemühungen von russischer Seite, Sie zu halten?
Domracheva: Sie haben keine große Überzeugungsarbeit geleistet, nein. Jedoch erschwerten sie mir den Wechsel zurück nach Weißrussland, sodass ich das erste halbe Jahr nach meiner Rückkehr nicht an offiziellen Wettbewerben teilnehmen durfte. Für mich war es aber von Anfang an ein logischer Schritt, wieder nach Minsk zu gehen. Dort wurde ich geboren, es ist meine Heimat.
SPOX: Sie entwickelten sich zur Weltklasse-Athletin, auch dank Ihres deutschen Trainers Klaus Siebert. 2014 musste er den weißrussischen Verband aufgrund gesundheitlicher Probleme jedoch verlassen. Wie groß war die Enttäuschung über die Trennung?
Domracheva: Enttäuschung verspürte bei uns niemand, dafür aber umso größeres Verständnis und viel Unterstützung. Klaus hat viel für uns getan. Jetzt braucht er Zeit für sich selbst.
SPOX: Man hatte stets das Gefühl, er sei eine Art Vaterfigur für Sie.
Domracheva: Viele Trainer, die ihren Job mit Leidenschaft ausüben und viel Energie dafür aufwenden, werden für die Athleten zu einer Vaterfigur. Es gibt Trainer, die zum Athleten eine von Vertrauen und Zuversicht geprägte Beziehung aufbauen. Klaus ist so eine Person.
SPOX: Unter Siebert haben Sie den Durchbruch geschafft. Was hat er anders gemacht als Ihre vorherigen Trainer?
Domracheva: Ich möchte nicht sagen, dass ein einzelner Coach für meine Ergebnisse verantwortlich ist. Alle bisherigen Trainer waren für meine Entwicklung sehr wichtig, jeder lehrte mich neue Dinge. Ich glaube, Klaus kam zur richtigen Zeit. Ich war auf einem guten Trainingsstand, sodass wir nicht erst mit den Grundlagen anfangen mussten. Seine Ideen und Forderungen funktionierten bei mir einfach richtig gut.
SPOX: Wie bei den Olympischen Spielen in Sotschi, wo Sie 2014 drei Goldmedaillen gewannen. Denken Sie noch oft daran zurück?
Domracheva: Ich bevorzuge es, nach vorne zu schauen. Mit der Vergangenheit beschäftige ich mich eigentlich nur in Momenten, in denen ich Ratschläge brauche, die ich mir aus meinen bisherigen Erfahrungen holen kann. Sotschi war ein tolles Erlebnis für mich. Wenn ich manchmal an Olympia zurückdenke, hat das mit den Rennen zu tun - und mit der Art und Weise, wie ich über mich hinausgewachsen bin. Ich kann von mir selbst noch lernen, es inspiriert mich. Es ist nicht so, dass ich den Erfolg von damals noch auskoste.
SPOX: Hat sich Ihr Leben seit diesen Erfolgen aber verändert?
Domracheva: Eigentlich sieht mein Leben noch genauso aus wie zuvor - das typische Leben eines Athleten. Was sich geändert hat, ist das Interesse an meiner Person.
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SPOX: Sie wurden aufgrund Ihrer Leistungen sogar auf nationalen Briefmarken abgebildet. Hat der Biathlon in Weißrussland dadurch noch mehr an Popularität gewonnen?
Domracheva: Biathlon ist in Weißrussland jetzt sehr beliebt. Immer mehr Leute schauen sich unsere Rennen im Fernsehen an. Auch an den Strecken macht sich die Begeisterung bemerkbar: Mittlerweile reisen viele weißrussische Fans mit uns zu den Weltcup-Rennen.
SPOX: Im eigenen Land findet aber noch kein Weltcup statt.
Domracheva: Ich glaube aber daran, dass es dazu kommen wird. Ich habe wirklich große Hoffnung, dass wir einen Weltcup in Weißrussland austragen werden. In Raubichi haben wir mittlerweile ein tolles Biathlon-Zentrum. Außerdem lieben die Menschen den Sport von Herzen. Das hat sich zuletzt auch bei einem Legenden-Rennen gezeigt, welches wir im September veranstaltet haben. Große Biathlon-Legenden spürten dort riesigen Zuspruch und Unterstützung von unseren Fans. Das ging unter die Haut. Jeder, der nach Weißrussland kommt, zeigt sich von der Gastfreundschaft und der Warmherzigkeit unserer Leute beeindruckt. Ich hoffe also sehr, dass große Biathlon-Veranstaltungen nach Minsk kommen.
SPOX: Sie sind die erste Frau und eine von nur elf Personen, die zum "Held Weißrusslands" ernannt wurde. Es ist die höchste Auszeichnung des weißrussischen Staates. Was bedeutet es Ihnen, in einer Reihe mit politischen und militärischen Ordensträgern zu stehen?
Domracheva: Einige von ihnen haben diese Preise für ihre Verdienste im Zweiten Weltkrieg erhalten, sie sind für mich wahre Helden. Leute, die bereit waren, ihr Leben für Frieden auf der Welt zu opfern. Manche haben den Titel auch erst nach ihrem Tod erhalten. Ich möchte mich nicht mit den Personen vergleichen, mit denen ich in einer Reihe stehe. Das steht mir nicht zu.
SPOX: Und dennoch wurde Ihnen diese Auszeichnung zuteil.
Domracheva: Was mir viel bedeutet, ist die Anerkennung. Den sportlichen Erfolgen wird so große Bedeutung beigemessen. Dieser Titel kam für mich wirklich sehr unerwartet. Ich bin sehr froh, Heldin in einer friedvollen Welt sein zu können. Wir müssen uns glücklich schätzen, dass das mittlerweile möglich ist. Vielleicht hilft meine Geschichte dem einen oder anderen, der nächste Held des Landes zu werden - ganz egal, ob im Sport, in der Kunst oder in einem anderen Bereich. Im Alltag kann ohnehin jeder ein Held sein: Für die Familie, seine Kinder, Freunde oder Kollegen.
SPOX: Nichtsdestotrotz sind Sie in Ihrer Heimat ein wahrer Superstar. 2013 durften Sie beispielsweise die weißrussischen Abstimmungsergebnisse beim Eurovision Song Contest präsentieren. Wie gehen Sie mit diesem Hype um Ihre Person um?
Domracheva: Manchmal wünscht man sich komplette Stille um sich herum. Ich mag es, Zeit für mich zu haben. Gerade nach harten Trainingseinheiten will man sich regenerieren. Außerdem unternehme ich gerne viel mit Freunden. Natürlich ist es aber auch wichtig, neue Leute kennenzulernen und in der Öffentlichkeit selbst aktiv zu werden, andere Dinge zu tun als Sport. Das kann sehr viel werden, aber es ist auch eine Chance, Einblicke in neue Lebensbereiche zu erhalten. Es ist wichtig, die Balance zu halten. Für den eigentlichen Hype sorgen aber die Medien. Ich habe in den letzten Jahren eine wichtige Sache über Journalisten gelernt.
SPOX: Welche?
Domracheva: Wer im journalistischen Bereich arbeitet, hat eine große Verantwortung gegenüber denen, über die er berichtet. Man braucht gute Menschenkenntnisse, muss sich in die Leute reinversetzen können und ihre Qualitäten erkennen. Diejenigen, denen das nicht schwer fällt und die wirklich professionell arbeiten, können die Welt durch ihre Arbeit zu einer besseren machen. Sie können wirklich nützliches Material produzieren und andere Menschen zu großen Leistungen motivieren. Leider verbreiten immer mehr Amateure schlecht recherchierte Informationen, deren Konsequenzen sie sich gar nicht bewusst sind. Das ist respektlos gegenüber anderen und wirklich traurig.
SPOX: Fühlen Sie sich selbst manchmal falsch dargestellt?
Domracheva: Bezüglich der Berichterstattung mache ich mich nicht verrückt. Es kann immer passieren, dass man durch negative Beiträge in ein schlechtes Licht gerückt wird. Wer das mutmaßlich tut, um jemandem zu schaden, wird danach mit seinem Gewissen kämpfen, davon bin ich überzeugt. Ich lebe mein Leben und es ist mir nicht so wichtig, was andere denken. Insgesamt kann ich mich aber sehr glücklich schätzen, wie die letzten Jahre verlaufen sind.
SPOX: Davon verbrachten Sie viel Zeit im Ausland. Wieviel westeuropäische Mentalität steckt mittlerweile in Ihnen?
Domracheva: Ich fühle mich immer als Weißrussin. Vielmehr noch fühle ich mich aber als Mensch. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich ost- oder westeuropäisch bin. Ich habe gute Freundschaften und Beziehungen zu Menschen aus beiden Regionen und ich kenne keine Qualitäten, die uns unterscheiden.
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