"Drecksau würd' ich mich nicht nennen"

Felix Götz
02. März 201515:59
Simon Schempp ist einer der Favoriten bei der anstehenden WMgetty
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Simon Schempp ist bei der Biathlon-WM in Kontiolahti (Do., 17.15 Uhr im LIVE-TICKER) einer der Favoriten. Im Interview mit SPOX spricht der 26-Jährige über Fußball, seine neue Kaltschnäuzigkeit, Druck, Doping, die Malediven und sein Vorbild Ole Einar Björndalen. Zudem erzählt Schempp von einer ganz besonders schlimmen Phase seiner Karriere.

SPOX: Herr Schempp, als schwäbischer Fußball-Fan müssen Sie derzeit ganz schön leiden, oder?

Simon Schempp (lacht): Ich ahne, worauf Sie anspielen.

SPOX: Stichwort VfB Stuttgart.

Schempp: Ich hoffe wirklich sehr, dass der VfB den Klassenerhalt schafft. Bundesliga ohne Stuttgart - das wäre extrem bitter. Ich drücke die Daumen, sie müssen einfach noch die Kurve kriegen. Übrigens unterstütze ich nicht nur Stuttgart, ich bin auch Bayern-Fan.

SPOX: Um Himmels Willen. Wenn man das in Ihrer Heimat Uhingen hört...

Schempp (lacht): Man wird es mir verzeihen. Ich wohne ja mittlerweile seit einigen Jahren in Bayern, da hat sich das so entwickelt. Allerdings hat mein Fan-Sein auch Grenzen. Ich schlafe zum Beispiel nicht in Bettwäsche von einem Verein.

SPOX: Glücklicherweise läuft Ihre Saison bislang sehr viel erfolgreicher als die der Stuttgarter. Wie fällt Ihr bisheriges Fazit aus?

Schempp: Schon sehr positiv. Ich bin bislang konstant durch die Saison gekommen und habe mich in beiden Bereichen, also im Schießen und Laufen, stabilisiert. Die Ergebnisse waren ebenfalls sehr gut. Ich denke, ich kann zufrieden sein.

SPOX: Eine Zeitung schrieb: "Simon Schempp ist nun offiziell eine Drecksau." Ist diese Bissigkeit in den entscheidenden Momenten der größte Unterschied zur Vergangenheit?

Schempp (lacht): Also, eine Drecksau würde ich mich selbst nicht nennen, das ist das falsche Wort. Ich würde eher sagen, dass ich kaltschnäuziger geworden bin. Ich habe im Spitzenbereich, in der letzten Runde, viel dazugelernt. Diese Erfahrungen konnte ich in den vergangenen Monaten gut mit einbringen.

SPOX: Dann nennen wir es Kaltschnäuzigkeit. Kommt diese tatsächlich nur mit der Erfahrung oder kann man sich so etwas im mentalen Bereich in irgendeiner Form antrainieren?

Schempp: Angenommen man geht mit fünf Mann in die letzte Runde, man kämpft um die Plätze eins bis fünf, das letzte Schießen steht an. Da braucht man Erfahrung, gerade im Weltcup, wo das Niveau extrem hoch ist und alles eng beieinander liegt. Ohne diese Erfahrung schafft man es nicht, sich konstant in der Spitze zu etablieren. Das geht nicht von jetzt auf gleich, und antrainieren kann man sich das auch nicht einfach so.

SPOX: Nun steht die WM vor der Tür. Da die Saison so gut lief, steigt automatisch die Erwartungshaltung. Spüren Sie diesen Druck und wie geht man damit um?

Schempp: Die Öffentlichkeit erwartet eine Medaille, das spüre ich schon. Aber das belastet mich nicht, sondern spornt mich nur an. Schließlich wird nicht von jedem Athleten eine Medaille erwartet. Insofern ist es für mich auch eine Anerkennung. Ohne die Leistungen vorher wäre ich nicht in dieser Rolle.

SPOX: Und was erwarten Sie von sich selbst?

Schempp: Eine Einzelmedaille mit nach Hause zu bringen, das wäre super. Und dann mal schauen, vielleicht geht auch im Team was.

SPOX: Geht Ihr Ehrgeiz so weit, dass die WM für Sie persönlich in jedem Fall eine Enttäuschung wäre, wenn es nicht zu einer Einzelmedaille reichen sollte?

Schempp: Nicht zwingend. Wenn ich weiß, dass ich alles aus mir herausgeholt und keine großen Patzer am Schießstand gemacht habe, und am Ende sind trotzdem noch drei Athleten vor mir, dann wäre ich mit mir im Reinen.

SPOX: Welche Rolle spielt bei dieser WM die zurückliegende Erfahrung von den Olympischen Spielen in Sotschi? Kann die helfen?

Schempp: Prinzipiell schon. Wobei ich - obwohl Spiele oder Weltmeisterschaften schon absolute Highlights sind - die Herangehensweise nicht großartig ändere. Man läuft bei einer WM schließlich gegen die gleichen Leute wie im Weltcup. Aber im Unterschied zum Weltcup hat man natürlich im Hinterkopf, dass es um Medaillen geht. Diesen Druck sollte man nur möglichst nicht zu sehr an sich heranlassen.

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Seite 2: Schempp über ein Tief, die Malediven und Björndalen

SPOX: Wie sehen Sie das deutsche Team im Hinblick auf die WM generell aufgestellt und wem trauen Sie noch große Leistungen zu?

Schempp: Wir sind mannschaftlich gut aufgestellt. Es gibt einige Athleten, die dazu in der Lage sind, an einem guten Tag weit nach vorne zu kommen. Zum Beispiel Arnd Peiffer. Er zeigte zuletzt in Oslo starke Leistungen und bewies, dass mit ihm auf jeden Fall zu rechnen ist.

SPOX: Derzeit läuft es für Sie. Das war nicht immer so. Nach WM-Gold mit der Mixed-Staffel 2010 gerieten Sie in ein echtes Tief. Ihr Körper streikte, nichts ging mehr. Was war damals los?

Schempp: Es war seltsam. Ich konnte keinen Sport mehr machen. Mein Gefühl sagte mir: Wenn du dich bewegst, tust du dir nichts Gutes. Ich war nicht mehr belastbar, als ob ich überhaupt nicht trainiert hätte. Wenn ich die Treppen hoch lief, hatte ich sofort einen hohen Puls und musste extrem atmen. Das war eine schlimme Zeit. Gott sei Dank legte sich das irgendwann und ich bekam wieder Vertrauen zu meinem Körper. Aber ganz ehrlich: Das brauch ich nicht noch mal.

SPOX: Gab es zu dieser Zeit den Gedanken, alles hinzuschmeißen?

Schempp: Wenn mein Körper nicht irgendwann wieder funktioniert hätte, wäre mir gar nichts anderes übrig geblieben, als die Karriere zu beenden. Leistungssport wäre einfach unmöglich gewesen. Ich habe damals aber nicht den Teufel an die Wand gemalt und irgendwie immer Hoffnung gehabt. Das lag vielleicht auch daran, dass ich noch andere Interessen im Leben habe als Biathlon.

SPOX: Reisen beispielsweise. Die Malediven sollen es Ihnen angetan haben.

Schempp: Genau. Nach der Saison am Strand zu entspannen, tut mal ganz gut. Wobei ich ein Mensch bin, der nicht lange faulenzen kann. Ich habe auf den Malediven meinen Tauchschein gemacht. Und Schnorcheln gehe ich genauso gern. Dafür sind die Malediven ja auch ideal.

SPOX: Sie scheinen alles Mögliche auszuprobieren. Auch Triathlon war schon mal an der Reihe. Haben Sie eine Wiederholung geplant?

Schempp: Nein. Das war eine Sache, die wir einfach mit ins Training eingebunden hatten. Radfahren und Joggen machen wir im Sommertraining sowieso. Zwischenzeitlich haben wir dann noch Schwimmen dazugenommen. Das war aber nur eine Zwischenetappe. Es ging darum, noch bewusster zu trainieren. Mit dem Triathlon hatten wir ein kurzfristigeres Ziel, auf das wir hinarbeiten konnten, um nicht bis zum Winter warten zu müssen. Triathlon war praktisch unser Biathlon-Training. Eine neue Karriere wollte ich damit jedenfalls nicht starten (lacht).

SPOX: Ihr Vorbild ist Ole Einar Björndalen. Was zeichnet Ihn außer seiner unglaublichen Erfolge aus?

Schempp: Über so viele Jahre zur absoluten Weltspitze zu gehören, ist einfach unglaublich. Kein anderer versteht es wie er, genau zum richtigen Zeitpunkt, also wenn die Highlights einer Saison anstehen, in Topverfassung zu sein. Er ist mit 40 Jahren noch mal Olympiasieger geworden. Das muss man sich mal vorstellen! So lange hat auf diesem Niveau noch keiner durchgehalten, davor habe ich höchsten Respekt.

SPOX: Wie ist er als Mensch?

Schempp: Er kommt abseits des Biathlons oder auch im Training immer sympathisch rüber. Er hat nicht nur den Tunnelblick, sondern ist locker unterwegs und gesprächig. Trotz seiner Erfolge scheint er auf dem Boden geblieben zu sein. Bei einem Rennen ist er natürlich ganz anders. Da verfolgt er ausschließlich seine eigenen Interessen (lacht).

SPOX: Björndalen äußerte sich kürzlich zum Thema Doping. Er mache sich Sorgen um seinen Sport. Wie sehen Sie das?

Schempp: Jeder Dopingfall wirft Schatten auf eine Sportart. Das ist logisch. Aber wir tun alles dafür, dass die guten Aspekte - saubere Hochleistungen - im Vordergrund bleiben. Gerade die letzten Rennen waren in dieser Hinsicht eine tolle Werbung für den Biathlon.

SPOX: Björndalen kritisierte zudem, sich aufgrund vereinzelter Dopingfälle dem Generalverdacht ausgesetzt zu sehen. Nehmen Sie das ähnlich war?

Schempp: Nein, dieses Gefühl hatte ich eigentlich nie.

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