Außerdem erklärt er, warum seine Kollegen in Kroatiens Nationalmannschaft von den Trainings von GAK-Coach Walter Schachner beeindruckt waren, obwohl viel spaziert wurde. Er erinnert sich an seinen direkten Transfer von der Wiener Austria zu Rapid und bewertet die aktuellen Schwächephasen der Wiener Klubs. Für Peter Pacult hat Tokic nur Lob übrig.
SPOX: Herr Tokic, Sie arbeiten aktuell als Co-Trainer der Nationalmannschaft Aserbaidschans. Wie lebt es sich am kaspischen Meer?
Mario Tokic: Ich bin überrascht und begeistert. Vor meinem Engagement war ich noch nie in Aserbaidschan. Ich hatte kaum Informationen über das Land. Zwar erzählten mir befreundete Spieler oder Trainer, wie glücklich sie hier waren, aber jetzt kann ich mir selbst ein Bild davon machen. Es ist ein Land mit großem Potenzial und tollen Menschen. Die Landschaft ist zum Teil atemberaubend. Mit Öl und Gas kam das Land zu Geld, speziell in der Hauptstadt Baku wurde es sehr gut eingesetzt. Das Leben hier gefällt mir unglaublich gut. Sei es das Klima, das Essen, aber auch die Leute. Im Sommer war ich länger in Kroatien, ich bin auch immer wieder in Wien. Aber Baku ist mein Lebensmittelpunkt, vor allem im stressigen Länderspiel-Herbst.
Wie sind sie in Aserbaidschan gelandet?
Tokic: Cheftrainer Nikola Jurcevic war mein Analyse-Kollege beim kroatischen Fernsehen. Als er das Angebot bekam, fragte er mich, ob ich ihn begleiten würde. Ich war sofort begeistert von der Idee. Nikola ist ein toller Mensch und ein guter Trainer mit viel Erfahrung, von der ich profitieren kann. Für mich ist es der erste Job bei einer Nationalmannschaft.
Gefällt Ihnen die Arbeit abseits des Kluballtags?
Tokic: Ich bin zufrieden mit der Entscheidung. Die Zeit ist unsere größte Herausforderung. Wir wollen ein neues Team formen. In den vier, fünf Tagen vor einem Spiel steht aber die Regeneration von der letzten Liga-Runde im Vordergrund. Für taktische Einheiten bleibt wenig Platz. Im Jänner wird es immerhin ein Trainingscamp geben, in dem wir drei, vier Wochen mit den Spielern arbeiten.
Wie läuft es aus sportlicher Sicht?
Tokic: Wir sind in einer sehr starken EM-Quali-Gruppe mit nur fünf Mannschaften. Uns fehlt also ein vermeintlich leichterer Gegner aus Topf 6. Wir wussten, es wird schwer. Bislang integrierten wir sechs, sieben junge Talente in die Nationalmannschaft. Es schaut gut aus, dass wir eine gute Basis für den aserbaidschanischen Fußball in den nächsten zehn Jahren aufbauen.
Welchen Stellenwert hat Fußball in Aserbaidschan?
Tokic: Das Land investiert viel in den Fußball. Die Sportart Nummer eins ist Judo, auch Gymnastik ist sehr beliebt. Da gibt es mehrere Weltklasse-Athleten. Dann kommt aber schon der Fußball. Unser Koeffizient ist schlecht, das erinnert mich an die früheren Zeiten von Österreich. Wir müssen uns mittelfristig Schritt für Schritt in den Lostöpfen hinaufarbeiten. Die Leute in den Führungspositionen haben hohe Ziele und geben viel für den Sport. Es macht viel Spaß, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten. Sie wissen, dass wir Zeit für die Entwicklung brauchen und sind realistisch. Wir müssen unsere Talente dazu bringen, motorisch darauf vorbereitet zu sein, einen modernen Fußball zu spielen. Wir haben viele gute Fußballer und wir arbeiten daran, auf ein Top-Niveau zu kommen.
Die Fußball-Offensive Aserbaidschans wird in Europa mitunter sehr kritisch gesehen. Wird der Fußball instrumentalisiert, um von den gesellschaftspolitischen Problemen und dem autoritären Regime abzulenken?
Tokic: Viele Leute kennen Aserbaidschan gar nicht. Es wird viel Falschinformation verbreitet. Jeder, der hierherkommt, ist begeistert. Baku ist eine moderne Stadt, die von der Lebensqualität mit den Top-Metropolen Europas mithalten kann. Die Ausbildung ist für alle Kinder und Jugendliche gratis: Vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Universität. Alle Menschen sind sozialversichert und müssen sich keine Sorgen über die medizinische Behandlung machen. Die Sicherheit befindet sich auf einem Maximum. Daher ist die Zufriedenheit in der Bevölkerung mit dem Präsidenten groß, das merkt man jeden Tag auf der Straße.
Welche Rolle spielt dabei der Fußball?
Tokic: Die Fußball-Infrastruktur ist ausgezeichnet. Mit dem Europa-League-Finale waren alle zufrieden. Nur die Menschen, die zuhause geblieben sind, äußerten Kritik. Die Politik der UEFA ist es, neue Märkte zu erschließen. Aserbaidschan hat es sich verdient, diese großen Spiele auszutragen. Alle Grenzen innerhalb Europas sind offen, warum sollte es im Sport nicht genauso sein?
Mario Tokic im Steckbrief
geboren | 23. Juli 1975 in Derventa |
Position | Innenverteidiger |
starker Fuß | rechts |
Stationen (Spieler) | HNK Rijeka, Dinamo Zagreb, GAK, Austria, Rapid, NK Zagreb |
Stationen (Trainer) | Dinamo Zagreb II, NK Lokomotiva, Aserbaidschan Nationalteam |
Mario Tokic: GAK? "Walter Schachner war ein Revolutionär"
In Österreich gelten Sie als Bundesliga-Legende. War Ihnen bei Ihrem Wechsel im Sommer 2001 als Meister-Kicker von Dinamo Zagreb zum GAK bewusst, dass sie eine solch lange und erfolgreiche Zeit in Österreich verbringen würden?
Tokic: Beim Transfer spielte der Zufall eine Rolle. Ein Jahr vor meinem Transfer nach Graz hatte ich viele bessere Angebote, etwa von Fiorentina, Borussia Mönchengladbach oder Spartak Moskau. Dann verletzte ich mich am Knie, plötzlich wollten sie nichts mehr von mir wissen. Der GAK kontaktierte und überzeugte mich mit seinem Projekt.
Warum sagten Sie sofort zu?
Tokic: Mein Wunsch war es immer, in einem Land Fußball zu spielen, in dem ich mich wohlfühlte. Die Lebensqualität und die "Einheimischen" mussten passen. Daher blieb ich gerne so lange in Österreich. Dass ich so viele Titel holte, war ein kleiner Verdienst von mir, aber ich hatte sehr gute Mitspieler. Mit fällt in Kroatien nur Ivica Olic ein, der ebenfalls mit vier verschiedenen Klubs Meister wurde. Das macht mich sehr stolz, ich bin glücklich, neun Jahre in Österreich gespielt zu haben.
Sie wechselten gemeinsam mit Mario Bazina von Dinamo zum GAK.
Tokic: Unsere Angebote kamen von zwei verschiedenen Seiten. Damals war er ein Bekannter, in Graz entwickelte sich eine enge Freundschaft. Noch heute kann ich Mario als meinen besten Freund bezeichnen.
Der damalige Trainer Walter Schachner brachte das 4-4-2 nach Österreich. Wie nahmen Sie das als Spieler auf?
Tokic: Das stimmt, denn auch bei Dinamo Zagreb waren wir nur ein 3-5-2 gewohnt. Er war wirklich ein Revolutionär. Er hat es sehr gut erklärt. Ich merke es selbst in meiner jetzigen Tätigkeit als Trainer: Wenn du im System etwas umstellst, siehst du in den Gesichtern der Spieler nichts als Fragezeichen. Schachner hat es bestens verstanden, die Mannschaft langsam an das neue System heranzuführen. Er hat auf seine Idee insistiert. Am Anfang war es etwas unklar. Durch die etlichen Wiederholungen lernten wir die neuen Rollen schnell und entwickelten sie zu einem Automatismus. Viele Trainings fanden nur im Spazieren statt.
Wie bitte?
Tokic: Schachner ließ uns ganz langsam auf dem Platz laufen, um die Aufgaben besser einzuprägen. Bei taktischen Trainings ist das notwendig, um das Gefühl für die Spielsituation zu bekommen. Das habe ich mir von ihm abgeschaut, ich praktiziere das auch in den Einheiten, die ich heute leite. Ich war immer dankbar über seine Arbeit, denn er brachte mich auf ein höheres Niveau. Ich war zwar schon kroatischer Teamspieler, aber durch ihn wurde ich noch einmal deutlich besser.
Wie äußerte sich das?
Tokic: In Kroatiens Nationalmannschaft gab es einige italienische Legionäre. In den Trainings vor Länderspielen merkte ich, dass wir beim GAK dieselben Methoden verwendeten wie die Spieler bei Inter oder AC Milan. Igor Tudor von Juventus war völlig überrascht, wie wir beim GAK arbeiteten. Er dachte, in Österreich geht alles über die Laufintensität. Ich zeigte ihm, dass wir auch im taktischen Bereich fortschrittlich waren.
Besteht noch Kontakt zur damaligen GAK-Mannschaft?
Tokic: Durchaus, mit mehreren Spielern, etwa Aufhauser oder Amerhauser. Mein Trainerteam steht oft im Austausch mit Adi Hütter, da Nikola einst mit ihm in Salzburg spielte. Im Vorjahr gab es ein Benefiz-Turnier in Graz. Dort spielte ich für den GAK, obwohl ich auch für Rapid oder die Austria spielen hätte können. Der GAK ist mir aber am meisten im Herzen geblieben.