Ronivaldo vom SC Austria Lustenau erzählt seine Geschichte: "Auch die Ärzte waren ahnungslos"

Von Christian Albrecht
Ronivaldo vom SC Austria Lustenau erzählt seine Geschichte: "Auch die Ärzte waren ahnungslos".
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Ronivaldo. Der Name eines einst aufstrebenden Legionärs, der zwischen 2014 und 2017 urplötzlich für 1.026 Tage aus Österreichs Profifußball verschwunden war. Heute ist der Brasilianer mit 76 Toren aus 119 Spielen einer der erfolgreichsten Zweitligastürmer aller Zeiten. Die Geschichte des Ronivaldo Bernardo Sales, sie ist eine ganz besondere - SPOX Österreich hat er sie erzählt.

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"Ich dachte, meine Karriere ist vorbei. Ich habe keine Worte für diesen Moment." Wir schreiben den 14. Oktober 2019. Ronivaldo hat soeben bei der Bruno-Gala mit zittrigen Händen und noch viel zittrigerer Stimme seinen eigenen kleinen Bruno für den "Besten Spieler der 2. Liga" entgegengenommen. Mit Tränen in den Augen und unter tosendem Applaus verlässt der Torschützenkönig der vergangenen Saison die Bühne.

Auch heuer führt Ronivaldo die Torschützenliste der zurzeit unterbrochenen 2. Liga mit 16 Treffern aus 19 Spielen klar an. An ein Karriereende denkt der 31-Jährige heute nicht mehr, umso lieber erinnert er sich daran zurück, wie seine fußballerische Laufbahn ihren Anfang nahm. "Als Kind habe ich den Fußball geliebt", erzählt Ronivaldo. "90% der Kinder in Brasilien träumen davon, einmal Fußballer zu werden. Sie spielen auf der Straße, in der Schule, zuhause - überall. Wenn du ein Kind in Brasilien fragst, welches Geschenk es haben möchte, lautet die Antwort: Einen Ball!"

Ronivaldo wurde im März 1989 in Orós, mehr als 300 Kilometer südlich von Fortaleza - WM-Austragungsort von 2014 und Hauptstadt des Bundesstaats Cereá - im Westen Brasiliens geboren. Seit 26 Jahren wohnt Ronivaldos Familie jedoch weiter südwestlich, in Santa Cruz do Capibaribe nahe Recife. Die Stadt im Staat Pernambucu ist für ihre Textilindustrie im ganzen Land bekannt. "Alle Brasilianer kommen nach Santa Cruz zum Einkaufen, in meiner Stadt sind beinahe alle Leute Schneider."

Ronivaldo: "Im Strafraum war niemand so stark wie Romario"

So auch Ronivaldos Eltern. "Bis ich 13 Jahre alt war habe ich zuhause bei meiner Familie gearbeitet", erinnert sich Ronivaldo. "Am Vormittag schneidern, am Nachmittag Schule - aber danach bis 22 Uhr auf der Straße Fußball spielen."

Von seinen Vorbildern von gestern, Rivaldo und Romario, schwärmt Ronivaldo noch heute: "Im Strafraum war niemand so stark wie Romario. Sein Abschluss war brutal gut und auch mit dem Kopf war er trotz seiner Größe brandgefährlich - so wie ich." 27 seiner insgesamt 91 Treffer für die Austria Lustenau und den Kapfenberger SV erzielte Ronivaldo per Kopf - für einen Stürmer mit nur 1,73 Meter ein sensationeller Wert.

"Ich liebe Kopfbälle", meint der 31-Jährige schlicht. "Als Kind habe ich immer zuhause trainiert. Wir hatten nicht so viel Platz in der Wohnung, also habe ich den Ball hochgeworfen, bin gesprungen und habe das Kopfballspiel geübt. Das hat sich ausgezahlt, ich habe eine gute Kontrolle mit dem Kopf. Meine Mitspieler hier sagen immer: ‚Dein Kopfball ist wie ein Schuss.'"

Mit 13 Jahren folgte schließlich einer der vielen Wendepunkte seines Lebens. Der Bub aus Santa Cruz wagte den Schritt nach Recife in die Akademie von Náutico Capibaribe. Drei Jahre lang durchlief Ronivaldo dort die Nachwuchsauswahlen, 2008 folgte er dem Ruf des mittlerweile zehnfachen brasilianischen Meisters Palmeiras São Paulo. Dort erlebte Ronivaldo seine zweite Taufe und bekam, was gefühlt ein jeder Samba-Kicker zur absoluten Vollendung braucht: einen Künstlernamen.

Ronivaldo: "Bekam nur Verträge über drei oder vier Monate"

"In der Schule haben mich die Kinder immer Roni oder Val genannt, weil sie meinten, Ronivaldo wäre zu lange", blickt der Stürmer zurück. "In São Paulo sah mich dann ein Radiojournalist spielen. Er fragte, woher denn dieser Val komme. So entstand der Name Val Ceará." Ein Name, der Ronivaldo durch all seine Stationen in Brasilien begleiten sollte. In der Serie A, der höchsten Spielklasse des Landes, lief Val Ceará jedoch nie auf. "Bei Palmeiras stand ich kurz vor dem Durchbruch, bin dann aber leider drei Monate verletzt ausgefallen. Dann ist die Chance nie wiedergekommen."

So zog Ronivaldo weiter, zu EC Taubaté, CAL/Bariri und Arapongas. Dank seines Engagements bei Arapongas kam Val Ceará schließlich erstmals mit Österreich in Berührung. "2012 hatten wir ein einmonatiges Trainingslager in Steinbrunn im Burgenland. Dort wurde ein Scout auf mich aufmerksam, schickte ein Video von mir nach Kapfenberg und arrangierte ein Probetraining für den kommenden Jänner. Auch ein Klub aus Russland zeigte Interesse, ich wollte aber lieber in Österreich spielen."

In der Zwischenzeit ging es für Ronivaldo jedoch wieder zurück ins sprunghafte Brasilien. "Wenn du nicht in der Serie A oder B spielst, bekommst du nur Verträge über drei oder vier Monate", erzählt er. "Mein Vertrag bei Arapongas lief aus, also unterschrieb ich im Dezember wieder einen Vertrag bei Taubaté."

Beim Kapfenberger SV machte Ronivaldo seine ersten Schritte in Österreich, heute liegt der Brasilianer mit 76 Toren aus 119 Spielen auf Rang sieben der erfolgreichsten Torschützen der 2. Liga.
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Beim Kapfenberger SV machte Ronivaldo seine ersten Schritte in Österreich, heute liegt der Brasilianer mit 76 Toren aus 119 Spielen auf Rang sieben der erfolgreichsten Torschützen der 2. Liga.

Kapfenbergs Investor zahlte Ablöse an Privatkonto

Im Jänner 2013 flog Ronivaldo dann zu seinem Testtraining nach Kapfenberg. "Ich hatte zuvor ein Gespräch mit dem Präsidenten von Taubaté. Er meinte, wenn Kapfenberg mich verpflichten will, könne ich ablösefrei gehen." Just in diesen Tagen, in denen Ronivaldo in der Steiermark seine Abschlussstärke unter Beweis stellte und Kapfenberg von sich überzeugte, kam es jedoch zu einem Führungswechsel bei seinem Klub in Brasilien.

"Plötzlich wurde ich wie ein Vertragsbrecher hingestellt", erzählt Ronivaldo. "Der neue Präsident wollte mich ohne Ablöse nicht gehen lassen und forderte 11.000 Euro." Ein Kapfenberg nahestehender Investor erklärte sich bereit, die Summe zu übernehmen. Als dieser beim Präsidenten von Taubaté das Vereinskonto anforderte, schickte dieser ihm die Daten von seinem Privatkonto. "Mafia", kommentiert Ronivaldo nur.

Der Deal mit Kapfenberg war perfekt. Die Falken boten dem damals 23-Jährigen ein Arbeitspapier über sechs Monate mit Option auf zwei weitere Jahre. Für den Traum, in Europa Fußball zu spielen, ließ Val Ceará nicht nur seine Familie und sein Leben in Brasilien hinter sich, sondern auch seinen Künstlernamen. "Präsident Erwin Fuchs meinte, Ronivaldo wäre besser. In Brasilien sagen sie aber noch immer Val zu mir", erklärt Ronivaldo und lacht.

Mit seinen 76 Treffern für Kapfenberg und Austria Lustenau ist Ronivaldo zudem der Zweitliga-Legionär mit den meisten Toren aller Zeiten.
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Mit seinen 76 Treffern für Kapfenberg und Austria Lustenau ist Ronivaldo zudem der Zweitliga-Legionär mit den meisten Toren aller Zeiten.

Ronivaldo: "War überrascht, dass ich jeden Monat Geld bekam"

So startete sein neues Leben in Österreich. Eines, welches sowohl privat als auch fußballerisch viele Umstellungen mit sich brachte. "Hier herrscht eine komplett andere Mentalität, eine andere Disziplin", meint der Südamerikaner. "In Brasilien lieben die Leute Dribblings, am besten sollte jeder so spielen wie Ronaldinho. Auch die Trainer wollen das sehen, da ist es nicht so tragisch, wenn du einmal den Ball verlierst. In Österreich ist das ganz anders, die Trainer haben dafür kein Verständnis. Generell geht es heutzutage im Fußball vielmehr ums Laufen als noch vor zehn Jahren. Wenn du nicht gut laufen kannst, hast du keine Chance."

An seine Zeit in Kapfenberg erinnert sich Ronivaldo gerne zurück. "Alle im Verein haben mir immer geholfen", erzählt der Stürmer. "Wenn ich ins Krankenhaus musste, ist immer jemand aus dem Büro mit mir mitgegangen. Außerdem war ich positiv überrascht, dass ich jeden Monat Geld auf mein Konto überwiesen bekam. In Brasilien erhielt ich für einen Viermonatsvertrag meist nur das Gehalt für einen Monat."

Schnell wurde Ronivaldo zu einem der torgefährlichsten Stürmer der 2. Liga. Mit dem Brasilianer am Feld hatte Kapfenberg in seinen ersten eineinhalb Jahren in Österreich einen Punkteschnitt von rund 2,20 pro Spiel. Drei Toren in 17 Einsätzen in seinem ersten Halbjahr folgten neun Treffer in 15 Partien in der Saison 2013/14. Fersenprobleme verhinderten eine höhere Torausbeute, Ronivaldo musste beinahe die gesamte zweite Saisonhälfte pausieren. Kapfenberg fiel ohne ihm noch von Rang zwei auf Platz fünf.

Als die Welt noch in Ordnung war: Ronivaldo mit Austria Wien im Trainingslager im türkischen Belek.
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Als die Welt noch in Ordnung war: Ronivaldo mit Austria Wien im Trainingslager im türkischen Belek.

Ronivaldo: Auf den Durchbruch folgte der Einbruch

Der absolute Durchbruch gelang Ronivaldo schließlich im Herbst 2014. 15 Tore aus wettbewerbsübergreifend 21 Spielen machten die Wiener Austria auf den Brasilianer aufmerksam. Die Veilchen sicherten sich die Dienste des Torjägers. Der damals 25-Jährige unterschrieb einen Vertrag über zweieinhalb Jahre und Kapfenbergs Investor erhielt durch die generierte Ablöse auch seine 11.000 Euro wieder zurück. Nach 27 Treffern und fünf Assists in 56 Einsätzen für die Falken war Val Ceará wie gemacht für die große Bühne der Bundesliga. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

"Ich habe bei der Austria in Belek ganz normal das Trainingslager absolviert", erinnert sich Ronivaldo. "Beim letzten Testspiel bekam ich plötzlich starke Schmerzen im Adduktorenbereich. Ich hatte diese Schmerzen früher auch schon, jedoch nie so stark. Ich wurde operiert, bekam Spritzen - aber nichts half. Auch die Ärzte waren ahnungslos."

Als Ronivaldo am 28. November 2014 gegen St. Pölten sein Abschiedsspiel für Kapfenberg gegeben hatte, wusste er nicht, dass es sein letzter Profi-Einsatz für 1.026 Tage sein würde. "Zunächst bin ich ganz normal mit der Situation umgegangen", erzählt Ronivaldo. "Aber nach acht Monaten wurde es mental sehr schwierig. Es war ein ständiges Hin und Her, meist konnte ich eine Woche mittrainieren, aber dann wurden die Schmerzen wieder schlimmer. Ich befand mich immer im gleichen Rhythmus: Therapie, essen, schlafen. Wenn ich Fußballspiele schaute, wurde ich traurig. Ich hatte die Chance, bei einem großen Verein zu spielen. Ich fragte mich, was mit mir passiert war. Es ist unglaublich, was da in deinem Kopf vor sich geht."

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