Von Jens Huiber aus New York City
Dominic Thiem kann die US Open 2018 mit erhobenem Kopf verlassen. Und dennoch einer großen Möglichkeit nachtrauern. Die österreichische Nummer eins forderte Titelverteidiger Rafael Nadal alles ab, musste sich dem Spanier nach einer Spielzeit von 4:49 Stunden dennoch mit 6:0, 4:6, 5:7, 7:6 (4) und 6:7 (5) geschlagen geben.
"Es war ein großartiger Kampf bei harten Bedingungen", sagte Nadal, der zugab, gelitten zu haben: "Ich hatte einen schlechten Start, dann habe ich mir gesagt: 'Wach auf!' Ich habe einfach nur versucht, im Match zu bleiben. Es tut mir so leid für Domi, er ist ein enger Freund auf der Tour und ein toller Kämpfer." Nadal trifft am Freitag im Halbfinale auf Juan Martin del Potro, der John Isner in vier Sätzen bezwang.
Beim Münzwurf standen Dominic Thiem gleich 23 Grand-Slam-Titel auf der anderen Seite des Netzes gegenüber: Neben Rafael Nadal hatte sich Boris Becker auf den Court begeben.
Thiem gewinnt ersten Satz zu Null
Der Start hätte für Dominic Thiem nicht besser verlaufen können: In den ersten 24 Minuten gewann der Österreicher 24 Punkte, gab nur sieben ab. Das reichte zum 6:0. Das letzte Mal, dass Rafael Nadal bei einem Grand-Slam-Turnier einen Satz zu Null verloren hatte? 2006 in Wimbledon gegen Roger Federer. Und zwei Jahre davor in der zweiten Runde der US Open gegen Andy Roddick.
Dass es in dieser Tonart nicht weitergehen konnte, war indes allen mehr als 23.000 Anwesenden im Arthur Ashe Stadium klar, inklusive den beiden Hauptbeteiligten. Nadal schrieb nach knapp einer halben Stunde an, brachte seinen Aufschlag zum 1:0 durch. Im achten Spiel machte Domnic Thiem dann eine fast schon vergessene Erfahrung: Breakbälle gegen sich.
Nadal kommt zurück
Gegen Kevin Anderson war Thiem als Aufschläger kein einziges Mal in Verlegenheit geraten, Rafael Nadal ist aber noch eine Kategorie höher anzusiedeln als der Südafrikaner. Der Spanier stellte auf 5:3. Thiem aber schlug sofort zurück, holte sich das Rebreak.
Und Nadal? Hatte wenige Augenblicke später die Gelegenheit, den Satzausgleich zu feiern. Thiem bot zu viele Fehler an, jagte schließlich eine Vorhand ins Aus.
Mladenovic unterstützt Thiem
Im dritten Durchgang pirschte sich Thiem langsam an ein Break heran, hatte im dritten Spiel Chancen, meldete zum 3:2 schließlich Vollzug. Bis zum 5:4 lief der Satz mit dem Aufschlag, Rafael Nadal wollte natürlich nicht aufgeben, kam mit seiner zweiten Chance bei Aufschlag Thiem zum Ausgleich. Das US-amerikanische Publikum, nicht dafür bekannt, mit rhythmischem Klatschen an Tennismatches teilzunehmen, tat nun genau dies.
Nadal bezog die Unterstützung auf sich, ging mit dem nächsten Break zum 7:5 mit 2:1-Sätzen in Führung. Thiem wiederum erhielt den größten Support von Kristina Mladenovic, die jeden Punkt ihres Freundes stehend mit Applaus honorierte.
Thiem wieder mit Break vorne
Der vierte Akt sah zunächst wieder Dominic Thiem im Vorteil. Der Lichtenwörther schaffte einen Tag nach seinem 25. Geburtstag das Break zum 2:1, vergab zwei Spiele später zwei weitere Möglichkeiten, um klare Verhältnisse zu schaffen. Rafael Nadal meldete wieder Ansprüche an, glich zum 4:4 aus, wehrte daraufhin eine Breakchance von Thiem ab.
Im elften Spiel gleich die nächste. Um 0:38 Uhr Ortszeit hätte sich Nadal mit einem einfachen Vorhandvolley seinen ersten Matchball holen können. Die Kugel landete im Netz, Thiem rettete sich ins Tiebreak. Ging dort mit 3:0 in Führung, dann mit 5:2 und 6:3. Den elften Punkt der Kurzentscheidung versenkte Nadal im Netz. Satzausgleich nach 3:36 Stunden.
Neue Schuhe für die Entscheidung
Thiem wechselte Schuhe und Socken, fand sofort wieder zu seinem Spielrhythmus. Zumal der Österreicher erstmals einen Satz mit Aufschlag beginnen durfte. Im fünften Spiel erarbeitete sich Nadal zwei Breakchancen, Thiem wehrte beide ab, den zweiten mit seinem 16. Ass. Der Spanier agierte nun offensiver, suchte schneller den Weg ans Netz. 24 Stunden davor hatten Roger Federer und John Millman bei ähnlichen Bedingungen arge physische Probleme, vor allem der Schweizer. Nadal und Thiem zeigten dagegen auch nach mehr als vier Stunden Spielzeit immer noch Hochgeschwindigkeits-Tennis.
Und Nadal ging nun fast jedem Ball nach ans Netz, setzte Thiem permanent unter Druck. Und der gab schließlich fast nach: Im elften Spiel fand Nadal drei Breakbälle vor, Thiem konnte alle drei abwehren. Und sich mit dem besten Punkt des Matches die Chance zum 6:5 erarbeiten. Spielgewinn Thiem. Dass die Entscheidung im Tiebreak fallen musste, war bei diesem Thriller nur folgerichtig.
Zwei Minibreaks zu Beginn, dann hielt Nadal als erster seinen Aufschlag, Thiem glich zum 2:2 aus, schickte dann eine Vorhand zu weit auf die Reise - und spielte einen unfassbaren Punkt zum 3:3. Und hielt bis zum 5:4 sein Service. Um 2:03 Uhr Ortszeit gab es ersten Matchball: für Rafael Nadal. Und Thiem setzte einen Smash ins Aus. Nach 4:49 Stunden Spielzeit.
"Dominic wird noch viele Matches gewinnen", erklärte Nadal nach dem Match im Interview auf dem Platz. Er sei ein guter Freund und toller Kerl auf der Tour. Nur ein kleiner Trost für Dominic Thiem, der wohl das beste Match seiner Karriere gespielt hat.
Hier das Einzel-Tableau der Herren bei den US Open