"Die Berichterstattung war traurig"

Martin Klotz
21. September 201620:20
Johannes Voigtmann übernahm in der EM-Qualifikation Verantwortung für das DBB-Teamimago
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Als Topscorer warf Johannes Voigtmann das DBB-Team zur EuroBasket, auf Vereinsebene wagt er den großen Schritt von den Frankfurt Skyliners zu Euroleague-Klub Saski Baskonia. Im Interview spricht der wurfstarke Center über die Ablösesumme, die harte EM-Qualifikation, die neue Herausforderung und den Start gegen die Creme da le Creme aus Spanien in der Supercopa.

SPOX: Johannes, Sie haben sich mit dem deutschen Team nur mit Müh und Not für die EuroBasket 2017 qualifiziert - und viele Zuschauer rechneten schon mit einer Blamage. Wie erging es Ihnen selbst?

Johannes Voigtmann: Wir hätten es auch gern anders gelöst, aber in den beiden Spielen, die wir verloren haben, war nicht mehr drin. Am Ende haben wir uns mit zwei deutlichen Siegen qualifiziert und damit unsere Aufgabe erfüllt. Aber geglänzt haben wir wirklich nicht.

SPOX: Hat solch eine Erfahrung auch Vorteile gegenüber einer Qualifikation, die ohne Probleme und ohne Niederlage klappt?

Voigtmann: So eine Drucksituation gemeistert zu haben, kann sicherlich gut für die persönliche Entwicklung sein. Aber man muss schon sagen: Für den deutschen Basketball war das schlecht. Gerade die Berichterstattung war traurig und sehr negativ. Das hätten wir uns gern erspart.

SPOX: Wie oft haben Sie an Dennis Schröder und Tibor Pleiß gedacht, die ja nicht mitgespielt bzw. das Team verlassen haben?

Voigtmann: Gar nicht. Nach dem Dänemark-Spiel, das wir in Triple-Overtime verloren haben, waren wir alle ein bisschen niedergeschlagen und ich war wirklich pessimistisch. Aber ich habe nie daran gedacht, ob die Situation jetzt anders wäre, wenn wir noch andere Spieler dabei gehabt hätten.

SPOX: Gerade Sie haben in den letzten, wichtigen Partien Ihre Leistung abgerufen und starke Spiele gezeigt. Am Ende waren Sie mit 13 Punkten im Schnitt sogar Topscorer des Teams. Was hat sich von der EM 2015 bis heute verändert?

Voigtmann: Einerseits ist natürlich meine Rolle größer geworden, andererseits habe ich mich auch individuell weiterentwickelt. Wir haben jetzt kein Überangebot an Scorern in der Mannschaft, daher bin ich da auch ein wenig mehr in Erscheinung getreten. Coach Chris Fleming hat uns auch in schwierigen Phasen vertraut, das hat mir auch noch einmal einen Push gegeben.

SPOX: Die EM 2015 war damals Ihr erstes Turnier für Deutschland. Was sind aus Berlin für Erinnerungen geblieben?

Voigtmann: Das erste Treffen mit Dirk Nowitzki zum Beispiel. Das war ein Erlebnis, das ich wohl nicht vergessen werde. Da war ich vorher schon ganz gut aufgeregt. Der gesamte Sommer war relativ gut für mich persönlich. Ich konnte Erfahrung sammeln und habe gegen viele großartige Spieler gespielt. Das hat natürlich geholfen, um besser zu werden. Und auch deshalb bin ich froh, dass wir uns wieder qualifiziert haben. Denn diese Möglichkeit würde es sonst 2017 nicht geben.

SPOX: Wie schon mit Frankfurt im FIBA Europe Cup haben Sie dem mit dem DBB-Team in der Quali gegen teilweise wenig bekannte Gegner antreten müssen. Dänemark war so ein Fall. Hat es das besonders schwer gemacht?

Voigtmann: Solche Gegner haben manchmal einfach einen komplett anderen Stil und haben dadurch einen kleinen Vorteil. Was die Dänen gespielt haben, das kannten wir aus Deutschland nicht. Aber man muss auch lernen, damit klarzukommen. Das war in Frankfurt damals mit den gegnerischen Teams auch so, zum Beispiel denen aus dem Nahen Osten.

SPOX: Apropos Frankfurt: Die Entwicklung der Skyliners ist eng mit dem Namen Johannes Voigtmann verknüpft. Jetzt wechseln Sie nach Spanien zu Saski Baskonia - haben Sie da nicht das Gefühl, den Verein im Stich zu lassen?

Voigtmann: Es ist im Profi-Sport nun einmal der Gang der Dinge, dass man nach einer Station versucht, die nächste zu finden und einen Schritt nach vorne zu machen. Natürlich weiß ich, was ich in Frankfurt hatte. Es ging mir da sehr gut und der Klub war stark an meiner Entwicklung beteiligt. Aber die nächsten Talente wie zum Beispiel Niklas Kiel stehen schon in den Startlöchern. Die warten nur auf ihre Einsatzzeit und Frankfurt wird auch weiter erfolgreichen Basketball spielen.

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SPOX: Im Basketball ist es sehr ungewöhnlich, dass Ablösesummen gezahlt werden. Saski Baskonia hat sich Ihre Dienste sogar einen hohen fünfstelligen Betrag kosten lassen. Macht Sie das stolz?

Voigtmann: Auf jeden Fall. Ich bin natürlich stolz, dass ich so begehrt bin, dass ein Klub für mich Geld auf den Tisch legt. Und ich finde es auch gut, dass Frankfurt davon profitiert. Eigentlich bin ich ja eher jemand, der ungern etwas verändert. Aber wenn man sich zu lange in seiner Wohlfühlzone aufhält, stagniert die Entwicklung. Daraus will ich ausbrechen. Ich hätte auch innerhalb der BBL wechseln können, aber ich wollte mich unabhängig vom Basketball auch persönlich weiterentwickeln. Wer weiß, ob so eine Gelegenheit noch einmal wieder kommt.

SPOX: Tibor Pleiß hat vor einigen Jahren auch bei Baskonia gespielt. Ist er vielleicht auch so ein bisschen das Vorbild für den Gang nach Spanien?

Voigtmann: Ich habe natürlich mit Tibor gesprochen und er hat viel Positives über Baskonia erzählt. Ich nehme mir aber ungern jemanden zum Vorbild und versuche eher, mein eigenes Ding zu machen. Doch es kann nützlich sein, wenn jemand mit seinen Erfahrungen helfen kann. In diesem Fall hatte ich einfach das Gefühl, dass das jetzt der richtige Schritt für mich ist.

SPOX: Nach Ihnen hat Baskonia mit Andrea Bargnani noch einen weiteren Center verpflichtet - ein internationaler Star, der vermutlich die erste Option unter dem Korb sein wird. Wären Sie auch gewechselt, wenn Sie das gewusst hätten?

Voigtmann: Ohne Frage. Als ich unterschrieben habe, war ja auch Ioannis Bourousis noch bei Baskonia unter Vertrag, der dann später im Sommer zu Panathinaikos gegangen ist. Insofern war mir schon bewusst, dass es große Konkurrenz geben wird. Ich kann meine Rolle schon ganz gut einschätzen. Dass ich direkt starten würde, habe ich nicht geglaubt.

SPOX: Zumal ACB und Euroleague deutlich stärker einzuschätzen sind als die BBL...

Voigtmann: Ganz genau, das ist vom Niveau ein Riesenschritt. Da fehlt bei mir vielleicht auch noch einiges, aber die Idee ist, dass ich mich dem Niveau schnellstmöglich anpasse. Und dafür ist es hilfreich, wenn man von anderen Spielern profitieren kann. Wie zum Beispiel von Bargnani und seiner NBA-Erfahrung.

SPOX: Wie Bargnani sind Sie ein starker Dreierschütze (vergangene Saison 39 Prozent). Könnte man sagen, Sie sind die Verkörperung des modernen Big Man?

Voigtmann: Meine Coaches wollten bisher alle, dass ich ein bisschen mehr unter dem Korb spiele. (lacht) Und ich muss das definitiv mehr in mein Spiel einbauen, damit ich noch variabler werde. Aber klar, der Dreier zeichnet mich aus. Und das unterscheidet mich von anderen Spielern. Gerade bei der aktuellen Entwicklung im Basketball sind ein wurfstarke Big Men immer gefragt.

SPOX: Pleiß hatte nach seinem Wechsel zum FC Barcelona das Problem, dass er dort als Inside-Center eingesetzt wurde und seine Wurf-Qualität kaum zur Geltung kam. Wie sieht das bei Baskonia aus?

Voigtmann: Die Verpflichtung von Bargnani zeigt ganz gut, was wir für eine Spielidee verfolgen. Ich habe schon ein paar Plays gesehen und mir gefällt, dass der Fünfer auch sehr variabel spielen kann. Wirklich zum auswendig lernen der Systeme bin ich noch nicht so gekommen, aber sagen wir so: Ich habe schon mal drüber geguckt. (lacht)

SPOX: Wie laufen die Kommunikation und der Umzug?

Voigtmann: Ich hatte mit den Verantwortlichen und den Coaches mehrfach Kontakt. Sie haben überhaupt keinen Stress gemacht, dass ich für den DBB spiele. Das war richtig gut. Manche Klubs haben da eine ganz andere Einstellung. Ich bin gerade in Spanien angekommen und die nächsten zwei Wochen werden sicher erstmal ziemlich stressig mit den vielen neuen Eindrücken und der neue Sprache. Aber ich hatte Französisch in der Schule, vielleicht hilft das ein wenig. Und ich habe auch schon ein bisschen spanische Vokabeln gepaukt. Aber noch würde ich mich damit nicht auf die Straße trauen. (lacht)

SPOX: Am Wochenende steht für Sie der Sprung ins kalte Wasser an. Baskonia spielt bei der Supercopa Endesa gegen Real Madrid, Barcelona und Gran Canaria. Lockerer Aufgalopp oder schon ein echter Härtetest?

Voigtmann: Das ist halt gleich die Creme de la Creme des spanischen Basketballs, also eine ganz ordentliche Einstiegshöhe. Mal gucken, was da geht. Wir haben auch einige Testspieler dabei, daher wird es vielleicht nicht ganz so erbittert zugehen. Aber ich bin ja von der Nationalmannschaft gut im Training, also ist es sicher eine gute Möglichkeit, um einen ersten Eindruck zu hinterlassen.

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SPOX: Auf Sie warten dort unter anderem Felipe Reyes, Gustavo Ayon, Ante Tomic und Joey Dorsey - wie groß ist der Respekt vor solchen Kalibern?

Voigtmann: Der ist auf jeden Fall ordentlich. Aber man muss aufpassen, dass der Respekt nicht zu groß wird, sonst hemmt man sich auch selbst. Aber genau um gegen solche Leute zu spielen, bin ich gewechselt.

SPOX: Gesunde Einstellung. Woher nehmen Sie Ihr Selbstbewusstsein?

Voigtmann: Eigentlich hatte ich damit früher immer ein bisschen Probleme. Ich nehme ungern Würfe, die ich nicht optimal finde. Aber Robin Benzing hat mich ständig genervt und mir in jedem Training Tausend Mal gesagt, dass ich mich mehr trauen und mehr werfen soll. Das ging mir irgendwann so auf den Wecker, dass ich es einfach gemacht hab. Und was soll ich sagen: Es hat ganz gut geklappt. (lacht) Robin war aber auch ein guter Lehrmeister.

SPOX: Manche Spieler ziehen auch aus Ritualen vor dem Spiel Kraft und Sicherheit. Haben Sie eine besondere Routine, bevor Sie auf den Court gehen?

Voigtmann: Eigentlich nicht. Ich versuche mich eher, komplett von Aberglauben zu lösen. Manche Leute können nämlich nicht mehr spielen, wenn sie aus irgendeinem Grund den rechten statt den linken Schuh zuerst angezogen haben. Bei mir ist das anders. Ich dribble ich den Ball beim Freiwurf manchmal zwei-, drei- oder auch viermal. Je nachdem, wie lange ich brauche, um meine innere Ruhe zu finden. Ich versuche immer, alles anders zu machen als beim letzten Mal. Aber wenn man so will, ist auch das ja irgendwie ein Aberglaube. (lacht)

SPOX: Lassen Sie uns ein wenig über Ihre Anfänge sprechen: Sie waren ein klassischer Spätstarter und haben erst mit 16 Jahren angefangen, Basketball zu spielen. Haben Sie gedacht, dass eine solche Entwicklung möglich sein würde? BBL-Allstar, Europe-Cup-Sieger, Topscorer im DBB-Team, Wechsel nach Spanien?

Voigtmann: Nicht im Geringsten. Bis ich realisiert habe, dass ich das professionell machen kann, hat es echt gedauert. Aber auf der Sportschule in Jena hatte ich ein Schlüssel-Erlebnis. Ich habe meinem damaligen Coach Lars Masell erzählt, dass es mein Ziel ist, irgendwann einmal in der BBL zu spielen. Da hat er mich angeguckt und gesagt, dass wir das Ganze dann auch sein lassen könnten, da ich das mit meinen Anlagen definitiv schaffen würde. Er wollte, dass ich größer denke. Daraufhin habe ich aus Spaß gesagt, dass ich ein Top-Euroleague-Spieler werden möchte. Das fand er schon besser. (lacht) Daher ist das jetzt alles ein bisschen verrückt. Denn mit dem Wechsel bin ich diesem Ziel wirklich ein Stück näher gekommen.

SPOX: Baskonia war schon immer ein Sprungbrett für Europäer in Richtung NBA. Erlauben Sie sich selbst schon solche Gedanken?

Voigtmann: Klar habe ich da schon mal dran gedacht. Man hat gesehen, was Baskonia für Spieler entwickelt hat, z.B. Jose Calderon, Luis Scola oder Andres Nocioni. Aber alles kommt zu seiner Zeit und ich muss nicht auf Biegen und Brechen in die NBA. Ich bin vermutlich eher für den europäischen Basketball bestimmt. Und man hat bei Tibor ja gesehen, wie schnell so ein Traum auch zu Ende sein kann. Das hat ihn schon mitgenommen und man hat auf dem Spielfeld gemerkt, wie sehr ihn das beschäftigt hat. Für mich zählt jetzt erstmal, dass ich mich in Spanien etabliere.

Johannes Voigtmann im Steckbrief