Einer der größten deutschen Basketballer ist im Alter von 51 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Christian Welp galt als Wegbereiter für den größten Triumph einer deutschen Nationalmannschaft. Doch auch über die Landesgrenzen hinaus wurde der 2,13-Meter-Mann zur Legende. Im Gespräch mit SPOX erinnern sich Henning Harnisch, Henrik Rödl und Stephan Baeck an ihren ehemaligen Teamkollegen.
4. Juli 1993. Olympiahalle München. Russland führt im EM-Finale mit 70:68 gegen das DBB-Team. 10.800 Menschen halten den Atem an, als Kai Nürnberger einen Wurf antäuscht und stattdessen zum freistehenden Christian Welp passt. Der Center, der nie für seine brachiale Gewalt bekannt war, sondern eher als Big Man mit Finesse auffiel, stopft den Ball samt Foul seines russischen Gegenspielers in den Korb. Ausgleich. 3,9 Sekunden auf der Uhr. Ein Freiwurf. Nichts als Netz. Der letzte Wurf der Russen von der Mittellinie verfehlt sein Ziel. Deutschland ist Europameister.
"Nach der entscheidenden Situation im Finale wollten sich alle auf ihn stürzen. Auf den Helden. Aber er ist in die Kabine geflüchtet, er wollte für sich sein", erinnert sich Stephan Baeck gegenüber SPOX an die Szenen nach dem Spiel. Es war eine Situation, die den Riesen aus Niedersachsen perfekt beschreibt. Als einen Menschen, der kein Lautsprecher war. Als einen Menschen, für den der Mittelpunkt nicht das Ziel war.
Henning Harnisch, der in Leverkusen fünf Jahre an der Seite von Welp spielte, erinnert sich an einen "1A-Mensch" mit "norddeutsch trockenem Humor". In der Öffentlichkeit galt Welp als "eher introvertiert und nicht so zugänglich". Es scheint fast so, als wäre der gebürtige Delmenhorster nie so wirklich in Deutschland angekommen. In einem Interview 2013 sagte er: "1993 - das war nicht für Deutschland. Das war für mich und meine Mannschaft. Das war mein Ehrgeiz, aber sonst nichts." Deutlicher kann man nicht werden.
Mit 18 den großen Sprung gewagt
Bereits mit 18 Jahren ging es für den Center über den großen Teich. Als Austauschschüler besuchte er eine Highschool in Silverdale. "Ich habe gedacht, ich bleibe nur für ein Jahr", sagte Welp einst der "FAZ". Aus dem einen Jahr wurden sieben. Mit einem Stipendium von der University of Washington in der Tasche machte er sich auf, zum größten Star der Huskies zu werden. An der Seite von Detlef Schrempf stellte Welp einen neuen Punkterekord (2.073) an seinem College auf, der bis heute unerreicht ist.
Für Harnisch war er aufgrund seiner Leistungen am College "ein Pionier, da er und Schrempf die ersten Europäer waren, die sich am College einen richtigen Namen erspielten". Noch lange vor Dirk Nowitzki und Co. war es für Europäer kaum möglich, in die NBA zu wechseln. Ein Besuch einer amerikanischen Universität war für diesen Traum unausweichlich. Und Welp hatte sich durch seine starken Leistungen in die Notizbücher der Scouts gespielt.
Nicht von ungefähr kam es also, dass die Philadelphia 76ers auf ihn aufmerksam wurden und er seinen Namen beim Draft 1987 an 16. Stelle hörte. Doch eine schwere Knieverletzung, die er früh in seiner Rookie-Saison erlitten hatte, machte alle Hoffnungen auf eine gute Rolle in der NBA zunichte. "Ich habe gedacht, meine Basketball-Karriere sei zu Ende", gab Welp zu. Danach kam er bei den Sixers nur noch sporadisch zum Einsatz, was dazu führte, dass er mit Sixers-Legende und Feierbiest Charles Barkley "manchmal bis zwei, drei, vier Uhr morgens auf Tour" war.
Nach den Zwischenstationen in San Antonio und Golden State ging es für Welp wieder in die Heimat. Bayer Leverkusen war damals das Maß aller Dinge im deutschen Basketball. Und so verwunderte es auch nicht, dass mit Neuzugang Welp und Harnisch ab 1991 fünf Meisterschaften in fünf Jahren gewonnen wurden.
Team wählt pro Welp
Dazu kam der sensationelle Titel bei der Europameisterschaft 1993. Dabei war vor dem Turnier noch nicht einmal klar, ob Welp überhaupt dabei sein würde. Der Center wollte nicht die komplette Vorbereitung mit dem Team bestreiten, er wollte eine längere Pause. Damit stieß er beim damaligen Bundestrainer Svetislav Pesic natürlich auf taube Ohren. Der Serbe wollte alle Spieler zum gleichen Zeitpunkt versammeln.
In einer Teamsitzung ließ Pesic die Mannschaft entscheiden. Mit bekanntem Ergebnis, denn laut Henrik Rödl "wollten wir alle, dass er dabei ist". Harnisch sah das Positive in der komischen Situation: "Es gab ein Hin und Her, ja. Aber im Endeffekt waren wir danach alle froh, dass er dabei war. Denn ohne Chris wären wir niemals Europameister geworden."
In den Jahren nach dem größten Erfolg, den es für Basketball-Deutschland bis heute gab, spielte Welp noch drei Jahre in Leverkusen, bevor eine basketballerische Odyssee folgte, die ihn nach Griechenland, Berlin und Italien brachte. Die Erfolge rissen mit den Vereinswechseln nicht ab. Mit Olympiakos Piräus gewann er den Europapokal der Landesmeister, bei Alba fügte er seiner riesigen Titelsammlung noch eine sechste deutsche Meisterschaft hinzu.
Drittbester Deutscher aller Zeiten?
Wo ist der Mann mit der herausragenden sportlichen Biographie also im Vergleich mit den deutschen Basketball-Supermännern Detlef Schrempf und Dirk Nowitzki einzuordnen? Für Rödl ist klar, dass "er einer der talentiertesten Center war, den wir jemals hatten". Der heutige Trier-Coach sagt aber auch: "Nowitzki und Schrempf haben natürlich einen anderen Stellenwert in der Geschichte." Baeck meint dagegen: "Er hatte überall Erfolg. Er ist definitiv einer der größten deutschen Basketballer aller Zeiten."
Auch nach dem Karriereende blieb die deutsche Center-Legende mit dem Basketballsport in Kontakt. Als Deutschland angeführt von Nowitzki 2005 die Silbermedaille - und damit die zweitbeste Platzierung nach 1993 - bei der EM in Serbien & Montenegro erreichte, war Welp als Co-Trainer von Dirk Bauermann direkt am Erfolg beteiligt.
In den letzten Jahren lebte er in Seattle. Die Möglichkeit, die Jungs von früher wiederzusehen, konnte er beim 20-jährigen Jubiläum des EM-Titels 2013 nicht wahrnehmen. Trotzdem stellt Baeck klar, dass "die Mannschaft und die Spieler, die sich damals zusammengefunden haben und über Jahre eine Einheit gebildet haben, sich immer noch verstehen."
Ganz Basketball-Deutschland trauert
Dementsprechend traurig waren alle Beteiligten, als sie am Montagmorgen vom viel zu frühen Tod ihres Kollegen erfuhren, der seine Ehefrau und drei Kinder zurücklässt. Harnisch spricht von einem "absoluten Schock", er wisse aber auch, dass "es jetzt darum geht, sich mit den ehemaligen Mitspielern auszutauschen und zu überlegen, was man machen kann".
Auch Pesic, der im Sommer 1993 noch an Welp gezweifelt hatte, war fassungslos: "Ich bin schockiert und sehr traurig über den Tod meines ehemaligen Spielers Chris Welp. Er war als Mensch ein bisschen zurückhaltend, das war seine Mentalität. Aber wenn man dann mit ihm sprach, war da ein sehr angenehmer Mann mit Gefühlen."
Die früheren Teamkollegen würdigten Welp in einem Nachruf: "Wir können nicht fassen, dass Christian Welp, unser Chris, tot ist. Er war Mannschaftskamerad, langjähriger Weggefährte, Freund. Und er war ein Held." Als solcher wird er der Basketball-Familie in Erinnerung bleiben.