Seit 15 Jahren wird in der schwäbischen Provinz das vielleicht spannendste Nachwuchsprojekt im deutschen Basketball vorangetrieben. Abitur, U-19-Bundesliga und 2. Liga: In Urspring wird den Talenten einiges geboten. Bei SPOX gibt der sportliche Leiter Ralph Junge Einblicke in das Modell.
Urspring bei Schelklingen, rund 20 Kilometer westlich von Ulm. Hier, idyllisch im Grünen hinter den Mauern eines früheren Benediktinerinnenklosters gelegen, dreht sich seit mittlerweile 1998 vieles um Basketball.
Bayerns Lucca Staiger, der Frankfurter Kevin Bright oder Bayreuth-Guard Nicolai Simon beispielsweise bekamen hier das Rüstzeug zum Profi mit auf den Weg. Seit vor sieben Jahren die U-19-Bundesliga NBBL ins Leben gerufen wurde, staubte das Team der Urspringakademie unter dem Namen CYBEX Urspring fünf Meisterschaften ab.
Hauptverantwortlich für diese Erfolgsgeschichte ist Ralph Junge, der sportliche Leiter und Schöpfer des Projekts. Er spielte einst selbst in der 2. Liga beim DJK Sportbund München, musste seine Karriere aufgrund von Verletzungen allerdings bereits im Alter von 22 Jahren beenden.
Schneider, Schreiner oder Basketballspieler?
Die anfängliche "Schnapsidee" von einem Basketball-Internat in der schwäbischen Provinz, wie es der 44-Jährige im Gespräch mit SPOX bezeichnet, reifte Mitte der 90er in ihm, als er für den baden-württembergischen Verband als Nachwuchstrainer arbeitete. "Es gab damals im Jahrgang 1982/83 viele talentierte Jungs, die aber aus kleinen Orten ohne Förderstrukturen stammten. Internatsstrukturen gab es im Basketball noch nicht. Die haben dann bei ihren Heimatvereinen in der Bezirksliga gespielt", so Junge.
Er fürchtete um die Vergeudung der Talente und überlegte, was er tun könnte. In der Urspringschule konnten Jugendliche damals bereits parallel zum Abitur eine Lehre zum Schneider oder Schreiner absolvieren. Junge wollte nun zusätzlich Basketballer ausbilden. 1997 legte er dem damaligen Leiter der evangelischen Privatschule, Michael Deckwerth, sein Konzept vor: "Er fand die Idee toll. 1998 ging es dann los."
Anfangs allerdings nur mit einer C- und einer B-Jugend - und mit Junge als Mädchen für alles. Mittlerweile arbeiten mit dem Sportdirektor des Pro-A-Teams Nico Drmota, den Coaches Frank Wiseler, Domenik Reinboth sowie Michael Spöcker, dem ersten Jugendnationalspieler der aus Urspring hervorgegangen ist, vier weitere Hauptamtliche an dem Programm, das 2003 vom DBB als offizieller Stützpunkt ausgezeichnet wurde.
Zehn bis zwölf Jungs mit größerem Potenzial
Bereits 2001 fusionierte Urspring mit der Basketball-Abteilung der TSG Ehingen, einem Klub aus einem 24.000-Einwohner-Städtchen zwölf Kilometer vom Internat entfernt. Unter dem Namen Erdgas Ehingen/Urspringschule spielt die Herrenmannschaft mittlerweile in der Pro A. Den Youngster stehen drei amerikanische Profis zur Seite, um genügend Qualität für die Liga zu haben. NBBL, Pro A und Abitur, "das ist einzigartig in Deutschland", sagt Junge nicht ohne Stolz.
Aktuell tummeln sich in der Urspringschule 25 bis 30 Nachwuchsspieler, die im Basketball-Projekt integriert sind. "Da sind aber auch welche dabei, bei denen schon jetzt klar ist, dass es nicht reichen wird. Bei denen geht es dann in die Richtung ambitionierter Breitensport. Zehn bis zwölf Jungs sind im intensiven Förderkader", erklärt Junge.
Dabei ist Urspring, das selbst von Dallas-Star Dirk Nowitzki bereits mehrfach in Interviews lobend erwähnt wurde, wenn es um die Förderung des deutschen Nachwuchses ging, nicht mit einem Programm eines Bundesligisten zu vergleichen. Pro Jahrgang gibt es nur drei oder vier Spieler mit größeren Ambitionen. So kann die ideale individuelle Schulung garantiert werden.
Unter der Woche haben die Jugendlichen zwei bis drei Trainingseinheiten pro Tag - Kraft-, Technik- und Teamtraining. Wobei bewusst ein Tag in der Woche komplett basketballfrei gehalten wird.
"Wollen ganzheitliche Ausbildung bieten"
Die Spieler kommen im Alter von 14 oder 15 Jahren nach Urspring in die U 16 - auf höchst unterschiedlichen Wegen. Entweder geht Junge auf die Talente zu, oder die Spieler und Eltern melden sich von selbst, weil sich das Internat im Laufe der Zeit einen guten Ruf erarbeitet hat. Die absoluten Top-Talente eines Jahrgangs kommen in der Regel trotzdem nicht nach Urspring. "Die Top 3 bekommen wir nicht. Die landen meist sehr früh bei Bundesligisten im Nachwuchsbereich", erzählt Junge. Aber manch einer habe sich in Urspring zu einem Top-3-Talent entwickelt.
Allerdings ist Basketball in Urspring nicht alles. Oberstes Ziel ist eine ganzheitliche Ausbildung, in der Profisport nur eine Option darstellt. Soll heißen: Wer nach Urspring kommt, soll dort auch sein Abitur machen. Bisher haben dies alle Spieler des Förderkaders geschafft, weil auch im schulischen Bereich konsequent individuell gefördert wird.
"Wenn es jemand über den Basketball schafft - wunderbar", sagt Junge und ergänzt: "Aber genauso wichtig ist es uns, dass die Jungs für etwas anderes bereit sind, sollte es nicht klappen. Da legen wir sehr viel Wert drauf." Sie sollen ein akademisches Grundgerüst haben, auf dem sie beruflich aufbauen können, egal wie die Basketballkarriere verläuft.
"Basketball wird für die meisten nur einen kleinen Teil ihres Lebens prägen, kann aber auch viele Erfahrungen bringen und Türen öffnen für die berufliche Karriere", so Junge.
Cerny: Über Urspring zu Bayern
Ein Beispiel, einen anderen Weg einzuschlagen, der trotzdem mit Basketball zu tun hat, ist Felix Cerny. Er schaffte es von Urspring aus in den Bundesligakader der Walter Tigers Tübingen. Rückenbeschwerden zwangen ihn allerdings zum Karriereende. Der heute 29-Jährige kehrte nach Urspring zurück, wurde unter Junges Fittichen Trainer und ist heute Head Coach des NBBL-Teams und der zweiten Mannschaft des FC Bayern, die in der vierten Liga spielt.
Urspring legt viel Wert auf eine individuelle Förderung - und das kostet viel Geld. Ob normaler Schüler oder Basketballspieler: Pro Jahr fallen für einen internen Schüler rund 30.000 Euro an. Für eine durchschnittliche Familie ist das nicht zu stemmen. "Jeder bezahlt für Urspring", stellt Junge klar. Die Summe ist aber unterschiedlich. Gerade bei talentierten Leuten können Lösungen in Form von Teil-Stipendien gefunden werden. Insgesamt beläuft sich der Etat der Urspringakademie inklusive des Pro-A-Teams in Ehingen auf etwa 350.000 Euro.
Um permanent junge Spieler fördern zu können, ist eine Durchlässigkeit nach oben wichtig. Deshalb ist es das Ziel, die Spieler nach dem Abitur zu verabschieden. "Auch, um etwas Neues kennenzulernen", wie Junge sagt. Ältere Spieler fallen raus, junge können dadurch neu ins Förderprogramm aufgenommen werden. Wichtig ist dabei, dass die Spieler, obwohl sie zweite Liga spielen, vertraglich nicht gebunden sind. War man einmal Profi, ist der Gang ins College nämlich nicht mehr möglich.
"Zudem sollen die Jugendlichen frei entscheiden können, wie ihr weiterer Weg aussieht. Sie sollen nicht in aussichtslosen Vertragskonstrukten gefangen sein", meint Junge.
"Wechsel in die BBL macht nicht zwangsläufig Sinn"
Neben einem Wechsel ins College ist mittlerweile auch die Bundesliga eine Option, über die es sich zumindest nachzudenken lohnt. Lange war die BBL dies nicht, weil vor der Einführung der 6+6-Regel quasi nur Ausländer spielten.
"Es ist immer die Frage, was Sinn macht. Und ein Wechsel in die BBL macht nicht zwangsläufig Sinn. Das sind ganz individuelle Entscheidungen", erklärt Junge: "Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, welche Optionen es überhaupt gibt. Gibt es ein Angebot aus der BBL, kann ich damit gutes Geld verdienen? Bin ich jemand, der eine akademische Karriere machen kann, die ein Einkommen über 40 Jahre und nicht über fünf bis zehn Jahre sichert?"
Es gehe nun mal nicht, ein Jahr in die BBL zu gehen und dann den Schritt in die USA zu machen. "Andersherum geht es", so Junge. Außerdem könne es mehr Sinn machen, im College oder auch bei einem Zweitligisten zu reifen, um dann mit 23 Jahren als gestandener Spieler in die erste Liga zu wechseln.
Viele Rollenspieler, kaum Kreativspieler
"Es bringt ja nichts, mit 18 oder 19 irgendwo auf der Bank zu sitzen. Die müssen sich entwickeln. Viele deutsche Talente werden zu früh zu Rollenspielern ausgebildet. Deshalb fehlen auf DBB-Ebene eben oft auch Leistungsträger", so Junge.
Generell ist er aber zuversichtlich: "Der erste Schritt war jetzt, dass mal überhaupt Deutsche spielen. Der zweite Schritt muss sein, dass es die Jungs gewohnt sind, Verantwortung zu übernehmen und wir mehr Kreativspieler haben."
Sollte davon der ein oder andere aus Urspring entspringen - Junge würde es freuen.
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