Er ist der vielleicht beste Schwergewichtsboxer Deutschlands. Am 2. März verteidigte Agit Kabayel seinen EBU-Europameistertitel gegen "Eisenschädel" Andriy Rudenko zum dritten Mal. Jetzt will der 26-Jährige mit seinem Trainer Sükrü Aksu "ganz oben anklopfen" und um den Weltmeistertitel boxen.
Im Interview mit SPOX spricht Kabayel darüber, wie er als übergewichtiger Junge aus dem Ruhrpott mit dem Boxen begann, wie er Anthony Joshua einst im Sparring zum Staunen brachte und warum ihm der Support der deutschen Box-Fans fehlt.
Herr Kabayel, herzlichen Glückwunsch zur Titelverteidigung. Ein weiterer Schritt in Richtung WM-Kampf. Mit einem aktuellen Weltmeister standen Sie bereits im Ring: Anthony Joshua. Wie wurden Sie sein Sparringspartner?
Agit Kabayel: Das war vor seinem Kampf gegen Povetkin. Da wir ungefähr gleich groß sind, wurde ich kontaktiert. Normalerweise fahren Top-20-Boxer nie zu einem Weltmeister, weil sie nicht mit einem Gegner trainieren wollen, gegen den sie irgendwann kämpfen. Mir war das egal. Ich wollte einfach sehen, wo ich stehe, darum bin ich zu ihm gefahren. Ich konnte sehr viel mitnehmen und hatte ein sehr gutes Sparring mit Joshua. Er kommentiert heute noch meine Bilder auf Instagram. Joshua hat jetzt ein Gesicht zu Kabayel.
Sie haben ordentlich Eindruck hinterlassen.
Kabayel: Als wir beim ersten Sparring angekommen sind, wählte mich sein Trainer als ersten Sparringspartner aus. Also bin ich in das Sparring rein, wir sollten sechs Runden machen. Wir haben angefangen, ich bin sofort nach vorne gegangen und habe sehr viel Druck aufgebaut. Da war der Joshua baff! Nach der sechsten Runde war das gesamte Sparring zu Ende. Er hat nicht erwartet, dass ich konditionell so stark bin. Joshua hat an dem Tag kein Sparring mehr gemacht. Er stand da und war komplett am Ende. Und da habe ich gemerkt, man kann ihn brechen, wenn man sich viel bewegt und viel schlägt.
Auch bei ihrer Titelverteidigung waren Sie Ihrem Gegner konditionell deutlich überlegen. Neben ihrem Trainer Sükrü Aksu, der Sie seit vielen Jahren begleitet, haben Sie mit Christian Mohr einen ehemaligen American-Football-Spieler, der unter anderem bei den Seattle Seahawks unter Vertrag stand, als Athletik-Trainer im Team. Welchen Anteil hat das Trainerteam an ihrem Erfolg?
Kabayel: Mein Trainer ist seit Beginn meiner Karriere an meiner Seite und hat einen enormen Anteil an meinem Erfolg. Er hat schon immer eine Art Vaterrolle für mich übernommen, auch außerhalb des Rings unterstützt er mich in allen Lebenslagen. Gerade in der Vorbereitungszeit verbringen Sükrü und ich Tag und Nacht zusammen. Bei Christian Mohr war ich vor ein paar Monaten und habe mir das Training angeschaut. Es ist schon krass, was er drauf hat. Ich war echt überrascht. Wie er arbeitet, mit welchen Geräten er arbeitet. Ich war schon sehr oft bei verschiedenen Fitnesstrainern, die an meiner Kondition und Kraft gearbeitet haben, aber ich habe noch nie jemanden gehabt, der so spezifisch an etwas arbeitet. Das ist extrem.
Gibt es Pläne, erneut mit Joshua Sparring zu machen? Sein nächster Gegner Jarrell Miller ähnelt Ihnen wieder sehr.
Kabayel: Ja, Joshua wird mich auf jeden Fall kontaktieren. Zwei Wochen werde ich sicher hinfahren.
Kabayel: "Mein Vater war total dagegen, dass ich boxe"
Lassen Sie uns ein wenig zurückblicken. Sie haben verhältnismäßig spät mit dem Boxen angefangen.
Kabayel: Ich habe in der Jugend Fußball gespielt. Mit 16 bin ich dann zunächst zum Kickboxen gekommen. Seit 2011 bin ich Profiboxer.
Wie haben Sie ihre Kindheit verbracht?
Kabayel: Wir kommen aus dem Ruhrpott. Meine Kindheit war sehr schwer, aber das Gute war, auf der Straße war alles ein großer Mischmasch. Jeder war mit jedem, man ist mit jedem aufgewachsen und hat alle möglichen Kulturen kennengelernt. Deutsche, Türken, Kurden, komplett Multi-Kulti. Man ist rausgegangen, egal zu welcher Uhrzeit, und jeder war auf dem Bolzplatz. In meiner Kindheit habe ich nur Fußball gespielt. Zum Beispiel auch mit Leroy Sane, der mit mir aufgewachsen ist. Der hat schräg gegenüber von mir gewohnt.
Mit der Fußballer-Karriere hat es aber im Vergleich zu Sane nicht so gut geklappt.
Kabayel: Ich habe es versucht. (lacht) Ich habe bis zur Verbandsliga gespielt, aber für mehr hat es nicht gereicht. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich kein Großer mehr werde. Danach habe ich sehr viel zugenommen. Ich habe aus Frust gegessen, weil es mit der Fußballer-Karriere nicht geklappt hat.
Und dann haben Sie beschlossen, Boxer zu werden?
Kabayel: Es war nicht meine Absicht, Profiboxer zu werden. Ich habe nicht daran gedacht, Profi zu werden, Europameister zu werden, um die Weltmeisterschaft zu boxen. Ich habe nur angefangen, um abzunehmen. Ich habe mit 14 aufgehört, Fußball zu spielen und habe einfach zwei Jahre nichts gemacht. Dann kam der Bauch, das Wachstum, ich war 1,87m groß und dick. Ich habe dann eines Nachts den Film "Rocky" gesehen und dachte mir: 'Geil! Das will ich auch. So kann ich doch nicht aussehen, ich muss jetzt etwas ändern. Ich muss wieder fit werden.' Daraufhin habe ich mit dem Kickboxen angefangen.
Ihr Vater war allerdings von dieser Idee nicht begeistert.
Kabayel: Mein Vater war total dagegen, dass ich boxe. Er meinte immer, ich solle richtig arbeiten gehen. In der Anfangszeit, beim Kickboxen, habe ich kein Geld verdient. Ich bin für 400 Euro nach Holland gefahren, um zu kämpfen. Derjenige, der den Kampf vermittelt hat, der das Geld eingesteckt hat, ist abgehauen. Mein Fuß war kaputt und ich habe kein Geld bekommen. Der Sport war richtig dreckig. Als ich zum Boxen gewechselt bin, habe ich auch kein Geld verdient, nur kleine Summen. Aber mein Vater meinte: 'Wenn du etwas machst, dann mache es zu 100 Prozent. Metall, das arbeitet, wird nie rosten.' Dann habe ich mein Ding durchgezogen und jetzt stehe ich hier, bin Europameister geworden und es geht natürlich weiter.
Hatten Sie - abgesehen von Sylvester Stallone als "Rocky" - boxerische Vorbilder, denen Sie nachgeeifert haben?
Kabayel: Eigentlich nicht. Ich hatte nie so ein Vorbild, dem ich nachgeeifert habe oder dessen Stil ich imitiert habe. Aber natürlich hat man Muhammad Ali gefeiert, natürlich hat man Mike Tyson gefeiert. Und für mich einer der besten Schwergewichtler aller Zeiten, über den viel zu wenig geredet wird, ist Lennox Lewis.
Der auch neben Boxlegenden wie Max Schmeling und den Klitschko-Brüdern den EM-Gürtel hatte und anschließend Weltmeister wurde. Wie ist es, einen solchen prestigeträchtigen Titel zu gewinnen?
Kabayel: Man realisiert das erst einmal gar nicht. Bei meiner Titelverteidigung gegen Chisora habe ich mich riesig gefreut. Du fährst nach Monaco, boxt außerhalb und schlägst jemanden bei seiner eigenen Veranstaltung. Dann kommst du zurück und realisierst, wen du geschlagen hast. Als man ein kleines Kind war, hat man ihn im Fernsehen gesehen, wie er gegen Klitschko boxt. Und dann schlägst du diesen Mann, das kann dir keiner mehr nehmen.
Dennoch war die mediale Aufmerksamkeit danach in Deutschland nicht groß.
Kabayel: Das ist immer das Problem. Schlägst du einen guten Mann, sagen die Leute, er sei zu alt gewesen, er konnte nichts mehr, er war doch sowieso schlecht. Povetkin beispielsweise marschiert durch alle Leute, kämpft dann gegen Joshua, der knockt ihn aus, was sagen die Leute? Povetkin war zu alt. Ich bringe Rudenko erstmals auf den Boden und bin mir sicher, auch das wird schlechtgeredet. Die Leute haben immer was zu meckern.
SPOXKabayel über fehlenden Support der Box-Fans
In der Vergangenheit gab es immer wieder Boxer, die sich selbst einen deutschen Ringnamen gegeben haben, um mehr mediale Präsenz in Deutschland zu bekommen. Sie haben kritisiert, dass deutsche Fußballfans toleranter sind als Box-Fans, da deutsche Fußballer mit ausländischen Namen schneller akzeptiert werden. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, unter einem anderen Ringnamen zu boxen?
Kabayel: Nein, das ist keine Option für mich. Es ist so, der Boxsport in Deutschland ist nicht mehr in der schönsten Zeit. Ich boxe für Deutschland, ich bin in Deutschland geboren, meine Kinder werden hier aufwachsen. Das Problem ist mein Name, das ist so. Wollen die Leute lieber einen haben, der normalerweise Hakan heißt, sich aber in Hans umbenennt, obwohl er keinen deutschen Pass hat? Oder lieber einen, der einen deutschen Pass hat, aber keinen deutschen Namen? Es fehlt der Support der deutschen Box-Fans. Die Engländer machen uns das seit Jahren vor. Das beste Beispiel ist Anthony Joshua. Er ist der Sohn nigerianischer Einwanderer, sieht nicht wie ein Engländer aus und wird dort trotzdem unglaublich gepusht. Das ist krass. Aber das Leben geht weiter. Ich sage immer: Weiter Gas geben, weiter kämpfen und ganz oben anklopfen. Vielleicht werden sie mich irgendwann akzeptieren.
IBF: Das aktuelle Ranking im Schwergewicht
Weltmeister: Anthony Joshua | Bilanz: 22-0-0 (w-l-d) |
1. Kubrat Pulev | 26-1-0 |
2. NOT RATED | |
3. Agit Kabayel | 19-0-0 |
4. Adam Kownacki | 19-0-0 |
5. Otto Wallin | 20-0-0 |
Kabayel über die Chance auf einen WM-Kampf
Kann Agit Kabayel Anthony Joshua in einem WM-Kampf schlagen?
Kabayel: Zu 100 Prozent. Wenn du eine gute Deckung hast und dich sehr gut bewegst, kannst du ihn schlagen. Du machst ihn nur stark, wenn du in einer langen Distanz mit ihm boxt. Weil in dieser kurzen Distanz, wenn jeder denkt, er wäre so explosiv, so stark, das liegt ihm nicht. Er ist ein großer Mann und du kannst ihm sehr wehtun auf den Körper. Das hat Povetkin falsch gemacht. Er ist reingegangen, hat seine Situationen geschlagen und ist rausgegangen. In diesen Momenten hat ihn Joshua mit dem Jab getroffen oder mit der Rechten. Er hätte drinbleiben und seine Kombinationen schlagen müssen. Da kann nichts passieren. Wenn du ihn zermürbst, merkt man, wie er konditionell immer zusammenbricht. Nicht nur, weil ich mit ihm Sparring gemacht habe, traue ich mir schon zu, ihn zu boxen. Wenn ich das nicht machen würde, was mache ich dann hier? Warum boxe ich? Ich gebe mich nicht mit dem Europameister-Gürtel zufrieden. Ich will natürlich auch um die Weltmeisterschaft boxen und will auch Weltmeister werden.
Ihr Trainer sagt, Sie wollen jetzt die ganz großen Kämpfe.
Kabayel: Er meinte, dass wir jetzt jemanden aus den Top 10 boxen. Ich denke mir einfach: Wie lange willst du denn noch deine Bilanz aufbauen? Wie lange willst du noch Aufbaugegner boxen? Willst du auf 26:0 kommen und dann boxt du jemanden aus den Top 5, verlierst und stehst bei 26:1? Lieber weißt du schon vorher, dass du da oben nichts verloren hast, anstatt die ganze Zeit aufgebaut worden zu sein und nur für Müll Geld investiert worden ist. Mein nächster Gegner soll schon ein Guter sein. Ich bin jetzt auf Platz zwei in der IBF. Die müssen mir jetzt einen Kampf geben, dass ich gegen jemanden boxe und der Gewinner von uns gegen Joshua boxt. Die müssen mir den Kampf geben. Eventuell wird es Pulev sein. Die Tür steht sehr, sehr weit offen nach ganz oben.