Boxen - Bernd Bönte im Interview: "Wochen später hat man noch die Bissspuren gesehen"

Carl Neidhardt
04. Dezember 201918:19
Bernd Bönte und Wladimir Klitschko beim Schachspielen.getty
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Bernd Bönte war rund 15 Jahre als Manager von Wladimir und Vitali Klitschko sowie als Geschäftsführer der gemeinsamen Firma tätig. Vor dem Rückkampf zwischen Andy Ruiz Jr. und Anthony Joshua (Sa., 21.15 Uhr live auf DAZN), bei dem Bönte als Experte dabei sein wird, sprach der heute 63-Jährige im Interview mit SPOX und DAZN darüber, wie er mit den Klitschko-Brüdern in Kontakt kam und die Zeit mit den beiden langjährigen Weltmeistern im Schwergewichtsboxen erlebt hat.

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Außerdem äußerte sich Bönte zu Wladimir Klitschkos Niederlage gegen Tyson Fury und erzählte von "irren Typen", die mit Bissen und Spuckattacken auf sich aufmerksam machten.

Herr Bönte, was hat Sie mehr geschmerzt: der Abstieg des Hamburger SV in die 2. Bundesliga oder Wladimir Klitschkos Niederlage gegen Tyson Fury?

Bernd Bönte: Die Niederlage mit Fury hat viel mehr geschmerzt, weil ich da ganz persönlich involviert war. Wenn man zu jemandem ein so langjähriges, enges Verhältnis hat, fühlt man da besonders mit.

Auf den Kampf gegen Fury kommen wir später noch zu sprechen. Die Frage zum Hamburger SV kommt aber nicht zufällig. Sie waren schließlich von 2014 bis 2018 Mitglied des Aufsichtsrats der HSV Fußball AG. Die härteste Zeit Ihres beruflichen Lebens?

Bönte: Es war zumindest eine sehr interessante und schwierige Zeit für den HSV. Ich bin damals vom HSV gefragt worden, ob ich mithelfen kann, muss aber gestehen, dass ich seit meiner Kindheit FC-Bayern-Fan bin. Da liegt mein Herzblut.

Ihr eigentliches Steckenpferd ist aber das Boxen. Wie haben Sie Ihre Liebe zu diesem Sport entdeckt?

Bönte: Das lief über meinen Vater, der in der Universitätsstaffel in Münster als Boxer aktiv war. Wenn Muhammad Ali geboxt hat, hat er mich als kleinen Jungen immer geweckt. Als Ali bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom gekämpft hat, sagte mein Vater, dass er gerade die Zukunft des Boxens gesehen hätte - und damit sollte er definitiv Recht behalten.

Ihre Faszination fürs Boxen sorgte schließlich dafür, dass Sie die berufliche Laufbahn des Sportjournalisten einschlugen.

Bönte: Richtig. Ich habe für Tele 5 eine Box-Sendung moderiert und durfte 1989 zu meinem ersten großen Kampf nach Las Vegas: Rematch zwischen Thomas Hearns und Sugar Ray Leonard. In den 90er-Jahren ging es dann bei Sat1 und Premiere weiter. In dieser tollen Zeit das Schwergewichtsboxen mit Namen wie Tyson, Foreman und Holyfield am Ring mitzuerleben, war großartig. Das gehört sicherlich zu den absoluten Highlights meiner Karriere.

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Bernd Bönte: Klitschkos? "Es ging nicht um Vermarktung"

Zur Jahrtausendwende wechselten Sie ins Sportmanagement und betreuten Wladimir und Vitali Klitschko. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Schritt?

Bönte: Während ich bei Premiere die Boxsport-Redaktion geleitet habe, kamen die beiden 1996 zu Universum Box-Promotion nach Deutschland. Ich setzte sie dann immer wieder als Experten ein, sodass wir uns über diese Schiene immer besser kennengelernt und gemeinsame Reisen unternommen haben. Als die beiden merkten, dass ich ein bisschen Expertise in diesem Geschäft besitze, haben wir irgendwann gesagt, dass wir eigentlich auch mal zusammenarbeiten könnten. So ging das dann ab dem Jahr 2000 los - zunächst als Manager, ab 2007 über elf Jahre als Geschäftsführer unserer gemeinsamen Firma.

Hatten Sie bei den beiden von Beginn an die Vision einer Weltmarke?

Bönte: Nein, ich habe einfach zwei klasse Typen gesehen, mit denen ich mich wahnsinnig gut verstanden habe. Dass sie unglaubliches Potenzial im Ring hatten, war sowieso klar. Da war ich nicht der einzige, dem das aufgefallen ist. Wladimir ist 1996 immerhin Olympiasieger im Superschwergewicht geworden, weshalb es einige Promoter gab, die sich speziell um ihn gerissen haben. Vitali war für viele das Beiblatt und diejenigen, die damals keine entsprechenden Angebote gemacht haben, werden das sicher später bereut haben.

Trotzdem gab es in diesem Dreiergespann eine Markenbildung, die ökonomisch interessant war, oder?

Bönte: Wir haben damals den Begriff "Power and Brain" geprägt. Da war sicher auch etwas dran, denn die beiden haben alles mitgebracht - sie waren zu zweit, nicht zu übersehen, gute, intelligente Typen und konnten etwas in ihrem Sport. Dennoch war am Ende des Tages einfach wichtig, wohin man gemeinsam gehen möchte und wie man das macht. Dabei ging es aber wie gesagt nicht um die Vermarktung, sondern wirklich um die sportlichen Erfolge. Der pekuniäre Aspekt kam dann automatisch.

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Bernd Bönte weist Kritik gegen Klitschko-Brüder zurück

Die Klitschko-Brüder haben das Schwergewichtsboxen über Jahre dominert. Dennoch wurde gerade Wladimirs Box-Stil immer wieder als zu unspektakulär kritisiert. Wie bewerten Sie das?

Bönte: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Natürlich gibt es immer Leute, die einen offenen Schlagabtausch lieben. Aber erstens ist das nicht besonders gesund - es gibt schließlich auch noch eine Karriere nach der Karriere. Und zweitens gehört zum Boxen nicht nur die Offensive, sondern auch die Defensive. Wladimir und Vitali haben sehr stark auf Letztere geachtet und sind damit mega erfolgreich gewesen. Man kann die Herangehensweise auch auf den Fußball übertragen, Otto Rehhagel hat immer gesagt: "Die Null muss stehen." Damit hat er zu 100 Prozent Recht gehabt. Wenn hinten kein Tor fällt, hat man vorne immer noch Möglichkeiten. Schlechter als ein 0:0 kann es dann nicht werden.

Weitere Kritik gab es im Bezug auf die vermeintlich zu leichte Gegnerauswahl.

Bönte: Auch das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Beide Klitschkos haben alle Leute, die damals in den Top 10 zur Debatte standen, geboxt. Wir sind nicht einer Mandatory aus dem Weg gegangen. Selbst den Kampf Wladimir gegen Deontay Wilder wollten wir immer unbedingt, da hat der WBC aber einen Rückzieher gemacht.

Wladimir und Vitali haben nie gegeneinander geboxt - allein ihrer Mutter zuliebe. Haben Sie mal versucht, den beiden ein Bruder-Duell schmackhaft zu machen?

Bönte: Niemals. Ich habe selbst zwei Brüder und könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich für Geld gegen sie in den Ring steige. Genauso war das bei den Klitschkos auch. Und wie hätte so ein Kampf überhaupt aussehen sollen? Jeder hätte gedacht, dass das eine absolute Fake-Nummer wird, bei der sich beide vorher absprechen und abkassieren - erst gewinnt der eine, dann im Rückkampf der andere. Das war also nie ein Thema.

Wie haben Sie Wladimir und Vitali im Boxring erlebt?

Bönte: Sie hatten einen völlig unterschiedlichen Stil. Wladimir war ein klassischer Boxer, der diesen Knockout-Punch in beiden Fäusten hatte. Vitali kam vom Kickboxen und war damit einer der unorthodoxesten Boxer überhaupt. Er ließ seine Arme immer unten hängen, seine Deckung war nie oben. Dabei hatte er extreme Nehmerfähigkeiten und war in seiner gesamten Karriere nicht einmal am Boden. Seine beiden Niederlagen waren verletzungsbedingt. Wenn sein linker Haken von unten irgendwo oben einschlug, war es für den Gegner immer überraschend. Er hat die Leute wirklich seziert und sehr ökonomisch geboxt. Deswegen kamen viele K.o.-Siege hinten raus, auch wenn es ein paar Ausnahmen gibt wie bei Herbie Hide, der nach den ersten Schlägen am liebsten vor Angst aus dem Ring gelaufen wäre.

Wie sieht es Ihrer Meinung nach außerhalb des Rings aus?

Bönte: Beide sind ganz verschiedene Typen. Wladimir ist eher der Lebemann, der gerne reist und viel unterwegs ist. Vitali hingegen ist sehr ernsthaft und war immer schon sehr an Politik interessiert. Er hat dort ja auch tolle Karriere gemacht und ich hoffe, dass es mit dem Bürgermeisteramt in Kiew noch nicht getan ist.

Sie waren Manager sowie Geschäftsführer und Mitinhaber der Klitschko Management Group GmbH. Haben Sie bei so viel Einsatz für die Klitschko-Familie Ihr eigenes Leben damals ein Stück weit aufgegeben?

Bönte: Man muss ehrlicherweise sagen, dass das ein 24/7-Job war. Ich war immer erreichbar und hatte mein Handy höchstens ausgeschaltet, wenn ich schlief. Wobei zahlreiche Telefonate erst nach Mitternacht stattfanden, weil viel über die USA lief. Aber das gehört zu solch einem Job dazu und ich will nicht klagen. Ich habe in dieser Zeit sehr gut verdient und es hat unheimlich Spaß gemacht, solche Events zu organisieren. Man denke an die zehn Kämpfe, die wir in Fußballstadien veranstaltet haben - zum Beispiel 2009 auf Schalke mit 61.000 Zuschauern. Das war ein Mega-Event, bei dem ich heute noch Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke. Aktuell gibt es niemanden, der so etwas auf seiner Agenda hat.

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Bönte: "Wladimir hätte den Rückkampf gegen Fury gewonnen"

Vitali beendete seine Profikarriere 2012. Wladimir boxte noch länger - dann kam der 28. November 2015. Ein schicksalsträchtiger Tag, an dem er einstimmig nach Punkten gegen Fury verlor und die erste Niederlage nach rund elf Jahren kassierte. Kam das für Sie aus dem Nichts?

Bönte: Wladimir war zu 100 Prozent fokussiert. Doch er hatte eine, wie der Amerikaner sagt, klassische Off-Night. Er hat sich von Anfang an nicht auf den Stil von Fury einstellen können, hat zu lange gezögert und erst am Ende alles auf eine Karte gesetzt.

Wissen Sie noch, wie Sie sich an dem Abend gefühlt haben?

Bönte: Für uns alle war das ein total deprimierender Moment. Vor allem, weil man nach dem Kampf wusste, dass das Ganze völlig anders hätte laufen können, wenn Wladimir so geboxt hätte wie in den letzten zwei Runden, die er ja auch gewonnen hat.

Bedauern Sie, dass ein möglicher Rückkampf mit Fury geplatzt ist?

Bönte: Ich glaube, Wladimir tat das am meisten weh. So fokussiert wie er im Training war und wie er seine Fehler aus dem ersten Kampf analysiert hat, glaube ich ganz sicher, dass er den Rückkampf gewonnen hätte. Leider kam der wegen Furys psychologischem Komplettzusammenbruch nicht zustande. Dafür hatten wir dann aber einen tollen Kampf gegen Anthony Joshua. Und auch wenn das i-Tüpfelchen mit einem Sieg knapp gefehlt hat, war es ein tolles Ende einer faszinierenden Karriere.

Das Duell mit AJ fand anderthalb Jahre nach der Fury-Niederlage statt und endete mich einem Knockout gegen Wladimir. War Ihnen sofort bewusst, dass das gleichbedeutend mit dem Karriereende sein würde?

Bönte: Für mich war relativ klar, dass Wladimir nach der Fury-Niederlage maximal noch einen Kampf machen würde. Ich glaube, das war auch die richtige Entscheidung. Zusammengenommen ist er der am längsten amtierende Weltmeister im Schwergewicht und hat alles erreicht. Das ist eine grandiose Leistung.

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Bönte: "Der Typ ist irre und wollte einfach provozieren"

Die Klitschkos kamen in ihren Karrieren meist ohne Trash Talk und andere Provokationen aus. Grundsätzlich finden diese Dinge aber immer wieder im Boxen statt. Wie viel Show gehört Ihrer Meinung nach zum Sport?

Bönte: Das ist sehr von den Protagonisten abhängig. Bei Fury und Wilder war es zum Beispiel einfach Show und abgesprochen. Teilweise sind aber eben auch unberechenbare Kerle unterwegs, die aus dem psychischen Druck heraus irgendwie agieren und diese Energie aus sich herauslassen. Ich erinnere mich an Mike Tyson, der während einer Pressekonferenz auf Lennox Lewis zustürmte und ihm in den Oberschenkel biss. Wochen später hat man noch die Bissspuren gesehen. (lacht) Wir selbst haben ganz negative Erfahrungen in München gemacht, als Dereck Chisora Vitali beim Einwiegen einfach so ins Gesicht geschlagen hat. Das war nicht gespielt. Der Typ ist irre und wollte einfach provozieren. Wladimir hat er beispielsweise im Ring kurz vor dem ersten Gong Wasser ins Gesicht gespuckt. Für mich ist es bis heute unfassbar, dass Wladimir da die Ruhe behalten hat.

Schadet so etwas dem Sport?

Bönte: Ich bin kein Freund von Trash Talk, weil sich gute Kämpfe von selbst promoten. Manche haben es nötig und müssen es machen. Manche sind witzig wie Shannon Briggs, den ich immer als Typen grandios fand und wo wir alle lachen mussten. Aber im Großen und Ganzen haben große Kämpfe so etwas nicht nötig, wie man jetzt bei Joshua gegen Andy Ruiz sieht.

Ein Mann, der es hier wohl immer wieder übertreibt, ist die Promoter-Legende Don King. Sie haben in früheren Interviews erzählt, dass die Verhandlungen mit ihm äußerst hart waren und Sie keine hohe Meinung von ihm haben. Warum?

Bönte: Don King hat große Kämpfe wie den Rumble in the Jungle oder den Thrilla in Manilla organisiert, aber auf der anderen Seite wahnsinnig viele Sportler betrogen und - das wollen wir nicht unterschlagen - zwei Menschen umgebracht. Das zeigt seine Persönlichkeit. Er lässt menschliche Aspekte und Empathie knallhart außen vor und konzentriert sich ausschließlich auf die Finanzen. Am besten beschreibt man Don King mit folgender Geschichte: Er hat als Promoter von Joe Frazier einen Kampf gegen George Foreman organisiert. Zunächst saß er dabei auf der Seite von Frazier, als dieser aber sieben, acht Mal am Boden war, ging er immer weiter zur Ecke von Foreman. Als der dann als neuer Weltmeister aus dem Ring kam, hat King ihn sofort umarmt und verkündet: "I came with a champion and I left with a champion." Das sagt alles aus.