Boxerin Zeina Nassar im Interview: "Ich versuche Menschen zu zeigen: Alles ist möglich, wenn du dafür kämpfst"

Ann-Sophie Kimmel
11. Dezember 201918:42
Zeina Nassar ist in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen.imago images
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Leistungssportlerin, Influencerin, Role Model: Zeina Nassar ist schon in jungen Jahren eine Ikone des Frauen-Boxens. Im Interview mit SPOX und DAZN spricht die Berlinerin über die Komplexität ihres Sports, über Licht und Schatten der Sozialen Medien und ihren großen sportlichen Traum.

Außerdem erzählt die 21-Jährige von Anfeindungen und ihrem Kampf für Toleranz, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung.

Was bedeutet Berlin-Kreuzberg für Sie?

Zeina Nassar: Sehr viel. Da kann ich der sein, der ich sein möchte, da bin ich aufgewachsen und habe ich mir alles aufgebaut. Ich finde es schön, dass man in Kreuzberg so bunt sein kann und dass es egal ist, woher man kommt. Ich war nach der Schule stundenlang im Park und habe viele Sportarten ausprobiert, lange Basketball und Fußball gespielt. Einfach alles mal ausprobiert und sich auch behaupten müssen. Für die älteren Jungs war ich später "Junior Ronaldinho", weil ich ganz gut im Fußball war. Das hat mir gezeigt, dass ich alles dafür tun muss, wenn ich etwas bekommen will. Das hat auch in gewisser Weise abgehärtet und seitdem nehme ich mir das, was ich will. Dafür war Kreuzberg genau der richtige Ort.

Wie sind Sie dann zum Boxen gekommen?

Nassar: Ich war schon immer sportbegeistert und habe irgendwann Videos von boxenden Frauen gesehen. Das hat mich total fasziniert und inspiriert. Ich bin dann zum Probetraining gegangen und von da an war klar: Das ist das, was ich brauche. Damals war ich 13.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Nassar: Die waren geschockt. Aber sie wussten auch, dass ich das machen werde, worauf ich Lust habe. Ich habe ihnen dann regelrechte Vorträge gehalten, wie gut Boxen auch für die Entwicklung sei und dass davon auch meine schulischen Leistungen profitieren könnten. Mir war wichtig ihnen zu zeigen, worum es wirklich im Boxen geht. Dass das kein Prügeln ist, sondern ein sehr kontrollierter Sport ist. Sie stehen längst voll hinter dem, was ich mache und unterstützen mich dabei.

Zeina Nassar ist in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen.imago images

Zeina Nassar: "Mein Vater findet es cool"

Wie denken Ihre Eltern mittlerweile übers Boxen?

Nassar: Jetzt sind sie super stolz auf mich. Meine Mutter kann die Kämpfe leider immer noch nicht sehen, sie findet das weiterhin viel zu gefährlich. Ein Schlag in mein Gesicht fühlt sich für sie immer noch an wie ein Schlag in ihr Herz. Aber mein Vater findet es cool. Wir analysieren die Kämpfe auch gemeinsam.

Beim Boxen spielt sich sehr viel im Kopf ab. Sind Sie körperlich oder mental stärker?

Nassar: Sowohl als auch. Die Taktik ist sehr wichtig. Dafür habe ich meine Emotionen sehr unter Kontrolle. Das ist wichtig im Boxen! Sich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen, Dinge abspeichern und ändern, einfach schnell und präzise zu reagieren: Das erfordert der Kampf.

Sie sind nicht nur im Ring aktiv, sondern auch auf der Bühne. Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Nassar: Ich habe in der Oberschule schon Theater gespielt und wurde dann von der Regisseurin angesprochen, ob ich nicht auch mal in einem professionellen Stück mitspielen wollte. Da habe ich gemerkt, dass das eine Leidenschaft von mir ist. Ich finde es spannend, jemand sein zu können, ohne ich selbst zu sein.

Gibt es Parallelen zwischen Theater und Boxen?

Nassar: Durchaus. Ich stelle mir immer vor, dass das jetzt meine Show ist - egal ob auf der Bühne oder im Ring. Die Leute sind wegen mir da, also zeige ich ihnen, was ich drauf habe. Ich stelle mich aber erst dann auf die Bühne oder in den Ring, wenn ich weiß, dass ich gut in dem bin, was ich da mache.

Zaina Nassar: "Leistungssport ist immer ein Risiko verbunden"

So ganz nebenbei studieren Sie auch. War ein Studium immer wichtig für Sie?

Nassar: Ja. Meine Eltern haben sich das immer gewünscht. Ich interessiere mich aber auch für bestimmte Dinge und möchte mich da weiterbilden. Deshalb habe ich mich entschieden, zu studieren. Es war wichtig, dass es etwas ist, das mich total interessiert - damit ich auch mit Leidenschaft dabei sein kann.

Es gab nie den Gedanken, alles auf die Karte Boxen zu setzen?

Nassar: Leistungssport ist immer ein Risiko und mit viel Druck verbunden. Sich nur darauf zu konzentrieren, finde ich schwierig. Ich finde das super: Im Sport kann ich mich auspowern, zum Ausgleich gehe ich zur Uni. Aber der Sport genießt höchste Priorität.

Können Sie sich vorstellen, später auch im Bereich Soziologie zu arbeiten?

Nassar: Das ist ein weites Feld, ich weiß es nicht. Ich probiere gerne Sachen aus, bin offen. Das Wichtigste ist, immer selbstständige Entscheidungen zu treffen.

Zeina Nassar über die Mehrfachbelastung

Wie reagieren Ihre Kommilitonen auf Sie?

Nassar: Viele sind neugierig, kommen auf mich zu und sprechen mich an. Auch einige Dozenten oder Professoren tun das. Das finde ich schön, dass sie sich für mich und das was ich tue interessieren.

Sind Sie vor Prüfungen aufgeregt?

Nassar: Der Schlüssel ist die Vorbereitung. Wenn ich gut vorbereitet bin, dann kann ich gar nicht aufgeregt sein. Kurz vor einem Kampf oder einer Prüfung bin ich einen Moment aufgeregt, vom Tapen der Boxhandschuhe über den Weg zum Ring etwa. Aber wenn ich dann oben stehe, bin ich total fokussiert und blende alles andere aus. Im Großen und Ganzen bin ich wohl doch relativ entspannt.

Ist die Mehrfachbelastung nicht sehr kräftezehrend?

Nassar: Durch den Sport sammele ich immer wieder neue Energie und fühle mich danach besser, stärker und frei. Ich mache das, was ich liebe. Für mich ist es keine Arbeit im herkömmlichen Sinn, sondern es sind meine Leidenschaften.

Sie sind auch sehr aktiv in den sozialen Medien. Wie viel, Zeit verbringen Sie bei Instagram?

Nassar: Momentan sehr viel. Aber auch nur dann, wenn ich wirklich nichts zu tun habe. Mein Ziel ist es, andere Menschen zu erreichen. Deshalb teile ich meinen Alltag mit ihnen und nehme sie auf diese Art mit. Mir haben früher zum Beispiel Frauen als Vorbilder durchaus gefehlt. Ich habe auch kein Problem mehr damit, Hasskommentare zu lesen. Meistens ignoriere ich das. Wenn einer nicht mit mir und dem was ich tue klarkommt, soll er mir nicht folgen und mich in Ruhe lassen. Instagram ist grundsätzlich aber eine super Plattform, andere Menschen zu inspirieren und zu motivieren. Und natürlich auch zur Kommunikation. Man lernt tolle Menschen kennen. Deshalb investiere ich dafür auch gerne Zeit.

Was bedeutet Boxen für Sie?

Nassar: Respekt, Disziplin, Ausdauer, Kraft, Taktik. Da werden Werte vermittelt, die man anderswo vielleicht nicht so erfährt. Und es gibt den Austausch unterschiedlicher Kulturen.

Dabei durften Sie zunächst gar nicht an offiziellen Kämpfen teilnehmen ...

Nassar: Dass ich zu Beginn nicht an offiziellen Wettkämpfen teilnehmen durfte, hat mich verletzt. Das konnte ich nicht verstehen. Der Einsatz meiner ersten Trainerin damals, die Wettkampfbestimmungen für mich zu ändern, hat mir gezeigt: Es ist alles möglich, wenn man dran bleibt! Als die Bestimmungen dann geändert wurden, hat mich das so stolz gemacht und Kraft gegeben. Für mich war immer klar: Ich trainiere, ich werde kämpfen, fertig. Nach den Titeln in Deutschland war klar, dass ich international boxen möchte. 2019 haben wir es dann geschafft, die Wettkampfbedingungen auf der ganzen Welt zu ändern.

Die Boxerin Zeina Nassar hat bei der DAZN Fight Night am vergangenen Wochenende ihr Debüt als Expertin gefeiert.DAZN

Zeina Nassar: "Eine Frau hat mir den Tod gewünscht"

Wie gingen Sie zum Beginn Ihrer Karriere mit Anfeindungen um?

Nassar: Mittlerweile gehe ich ganz gut mit öffentlichem Druck um. Aber anfangs habe ich das alles noch gelesen und wollte diskutieren. Eine Frau, die nicht mal religiös ist, hat mir zum Beispiel den Tod gewünscht. Dann habe ich gemerkt, dass das gar keinen Sinn macht. Denn natürlich hat mich das sehr verletzt und es hat mich abgelenkt von meinen Zielen. Ich beschäftige mich fast nur noch mit dem positiven Feedback, das macht mich glücklicher. Alles andere ist mir mittlerweile egal.

Sehen Sie sich als Boxerin? Oder als Kämpferin für Toleranz, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung? Oder beides?

Nassar: Zu Beginn keiner Karriere war da nur der Sport. Ich hatte nicht das Ziel, die Welt zu verändern. Es hat sich einfach so entwickelt und ich bereue keine meiner Entscheidungen. Ich bin in eine Vorbildrolle gewachsen, wodurch natürlich auch die Verantwortung wächst. Ich wurde oft ins kalte Wasser geworfen und habe dabei meine Erfahrungen gemacht. "Fighting is nor about winning or losing. It's about learning" ist deshalb auch mein Lieblingsspruch. Ich bin nicht nur eine Boxerin, sondern eine Kämpferin.

Nike's "Just do it"-Kampagnen sind weltbekannt, Sie sind nun ein Gesicht davon. Macht Sie das stolz?

Nassar: Ich bin total stolz darauf, für mich ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Ich versuche weiterhin, Zeichen zu setzen und den Menschen zu zeigen: Alles ist möglich, wenn du dafür kämpfst! Mach' einfach, trau dich, habe den Mut für den ersten Schritt! Das ist meine Botschaft.

Zaina Nassar über Rückschläge, Olympia und ihren Trainer

Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

Nassar: Man benötigt Willen, Ehrgeiz, Bissigkeit und Durchhaltevermögen, um damit klarzukommen. Es gibt immer einen Ausweg, aufgeben ist keine Option.

Was ist Ihr sportlicher Traum?

Nassar: Olympia. Das wäre unglaublich.

Ihren letzten Kampf in Koblenz haben Sie nach Punkten verloren.

Nassar: Ich weiß, dass ich an diesem Tag nicht meine beste Leistung gezeigt habe. Die Vorbereitung war sehr schwierig, ich musste alles komplett alleine organisieren. Aber nun ist es so, ich muss nach vorne schauen. Nächstes Mal werde ich noch stärker sein.

Sie sind eine starke Frau - haben es Trainer entsprechend schwer im Umgang mit Ihnen?

Nassar: Es ist sehr wichtig, gute Menschen um sich herum zu haben und nicht allein dazustehen. Ich nehme sehr gerne Hilfe an, ich kann nicht 24 Stunden am Tag wie eine Maschine sein. Mir ist überdies aber auch wichtig, dass ich mich nicht verstelle und authentisch bin. Sondern dass ich etwas mache, wobei ich mich auch wohlfühle.