Seit dem 6. Juli 2014 ist Ruslan Chagaev "regulärer" Schwergewichts-Weltmeister der WBA. Gut ein Jahr, nachdem er sich den Titel gegen Fres Qquendo gesichert hatte, steht in Magdeburg die erste Titelverteidigung gegen den Deutsch-Italiener Francesco Pianeta auf dem Programm. Im Interview mit SPOX spricht der 36-Jährige über eine mögliche Revanche gegen Wladimir Klitschko, den kommenden Gegner als neuen Max Schmeling - und seinen Kampf im Fußballstadion von Grozny.
SPOX: Herr Chagaev, Sie werden von der WBA als Weltmeister geführt, obwohl im selben Verband Wladimir Klitschko den Titel des "Super Champion" trägt. Fühlen Sie sich als "Weltmeister zweiter Klasse"?
Ruslan Chagaev: Nein, auf keinen Fall. Ich bin Weltmeister. Ich habe den Gürtel im letzten Jahr im Ring fair gewonnen. Wer ihn mir abnehmen will, muss gegen mich boxen. Natürlich ist Wladimir der Super Champion. Aber er hat so viele Titel von so vielen Verbänden, dass er gar nicht alle immer verteidigen und seinen Pflichten nachkommen kann. Die Herausforderer stehen Schlange, und jeder Verband will Pflichtverteidigungen anordnen. Deswegen macht es aus meiner Sicht Sinn, dass es neben dem Super Champion auch einen Weltmeister gibt - und der bin seit letzten Jahr nun mal ich.
SPOX: Sie haben ja schon einmal gegen Wladimir Klitschko geboxt und verloren - wie können Sie sich da als Weltmeister fühlen, obwohl Sie ihn nicht geschlagen haben?
Chagaev: Mein Kampf gegen Wladimir liegt inzwischen sechs Jahre zurück. Seitdem ist viel passiert. Alexander Povetkin war zwischenzeitlich Weltmeister und hat den Titel wieder verloren. Der Champion-Titel war vakant, die WBA hat den Kampf zwischen mir und Fres Oquendo im letzten Jahr angeordnet. Ich habe gewonnen, deswegen bin ich der Weltmeister.
SPOX: Wie blicken Sie auf Ihren Kampf gegen Klitschko zurück? Sie waren damals auf Schalke relativ chancenlos.
Chagaev: Ich habe schon oft über diesen Kampf gesprochen und eigentlich ist alles gesagt. Ich hatte keine echte Vorbereitung, das Angebot kam sehr, sehr kurzfristig. Ich wollte die Chance ergreifen, aber ich war nicht fit und deswegen einfach nicht in der Lage, Wladimir gefährlich zu werden. Falls wir uns noch mal im Ring gegenüberstehen, könnte das ganz anders aussehen...
SPOX: Ist ein zweiter Kampf gegen Klitschko Ihr Ziel?
Chagaev: Als regulärer Weltmeister der WBA habe ich das Anrecht, den Super Champion herauszufordern. Insofern gehe ich davon aus, dass der Kampf irgendwann kommt, wenn Wladimir nicht vorher verliert oder seine Karriere beendet. Aber ich mag es nicht, dass alle immer schreien, sie wollen unbedingt jetzt sofort gegen Klitschko boxen, nur weil das vielleicht die höchste Börse verspricht. Wenn Wladimir Zeit hat und gegen mich boxen will, bin ich bereit. Aber erst mal konzentriere ich mich jetzt auf den Kampf gegen Francesco Pianeta am 11. Juli. Dann sehen wir weiter.
SPOX: Wo Sie Ihren Gegner gerade ansprechen: Auch Pianeta hat schon gegen Klitschko geboxt, auch er hatte keine Chance und verlor vorzeitig. Ist Klitschko im Moment einfach nicht zu besiegen?
Chagaev: Wladimir ist ein sehr, sehr guter Boxer. Er ist groß, sehr athletisch, technisch und taktisch hervorragend ausgebildet, hat Schlagkraft, ist defensiv stark und bereitet sich immer sehr professionell auf seine Kämpfe vor. Er steht zu Recht an der Spitze des Schwergewichts. Aber im Boxen - gerade in unserer Gewichtsklasse - kann immer alles passieren. Wir werden sehen, wie Klitschko mit Tyson Fury zurechtkommt, wenn die beiden sich irgendwann auf die Modalitäten einigen können.
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SPOX: Es scheint im Boxen sehr oft sehr lange zu dauern, bis Kämpfe, über die lange gesprochen wird, dann endlich bestätigt werden. Auch über Ihr Duell mit Francesco Pianeta wurde schon seit Ende letzten Jahres spekuliert. Trotzdem findet der Kampf erst am 11. Juli statt - über ein Jahr nach Ihrem letzten Sieg gegen Fres Oquendo. Woran liegt das?
Chagaev: Als Außenstehender glaubt man vielleicht, zu einem Boxkampf gehören nur zwei Personen: Die beiden Boxer, die sich im Ring gegenüber stehen - dazu vielleicht noch der Ringrichter. Aber natürlich hängt da gerade bei Weltmeisterschaften viel mehr dran. Es gibt Promoter und Manager, die ihre Interessen vertreten, man muss sich mit Veranstaltungshallen und Fernsehsendern auf Termine einigen, Sponsoren wollen eventuell ein Wörtchen mitreden, und am Ende entscheiden natürlich auch die Verbände. Das System ist sehr komplex und sogar für uns Boxer schwer zu verstehen und oft sehr anstrengend. Glauben Sie mir, es macht keinen Spaß, so lange auf eine Titelverteidigung zu warten und sich immer vorzubereiten, ohne dass ein konkreter Termin feststeht.
SPOX: Nach Ihrem letzten Kampf soll es auch rechtliche Probleme gegeben haben. Fres Oquendo hat in New York sein Recht auf ein Rematch eingeklagt. Dabei soll er im WM-Kampf im letzten Juli gedopt gewesen sein. Wieviel haben Sie von dieser Diskussion mitbekommen?
Chagaev: Ich kümmere mich nicht um solche Angelegenheiten. Dafür habe ich einen Promoter und Manager. Ich habe gehört, dass Oquendo gedopt gewesen sein soll. Damit hat er sich aus meiner Sicht disqualifiziert. Doping gehört nicht in den Sport. Aber ich bin natürlich auch kein Anwalt und kein Richter und kann nicht sagen, ob er irgendwelche Ansprüche hat oder nicht. Für mich ist das auch egal. Wenn ich noch mal gegen Oquendo boxen soll, boxe ich halt noch mal gegen ihn. Wenn es ein anderer Gegner wird, boxe ich auch gegen jeden anderen. Jetzt heißt mein Gegner Francesco Pianeta und dem gilt meine ganze Aufmerksamkeit.
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SPOX: Lassen Sie uns noch kurz auf Ihren Fight in Grozny zurückblicken, bevor wir zu Pianeta kommen. Sie haben in einem Fußballstadion vor über 30.000 Fans geboxt, die zum Großteil auf Ihrer Seite standen. Was war das für ein Gefühl?
Chagaev: Die ganze Veranstaltung und überhaupt unsere Zeit in Grosny war reiner Wahnsinn. So etwas habe ich noch nie erlebt, und ich werde es mit Sicherheit nie vergessen. Ich bin all meinen Fans und Freunden in Tschetschenien unendlich dankbar für die Art und Weise, wie ich aufgenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt natürlich Präsident Ramzan Kadyrov, der mich seit langem unterstützt und die Veranstaltung in Grosny möglich gemacht hat, und meinem Promoter Timur Dugazaev. Ich bin sehr froh, dass ich Ihr Vertrauen in mich bestätigen und den Titel zurückholen konnte.
SPOX: Davor waren Sie von 2007 bis 2009 zum ersten Mal WBA-Weltmeister im Schwergewicht. Damals sicherten Sie sich den Titel mit einem sensationellen Sieg gegen den "Russen-Riesen" Nikolay Valuev. Welcher Titelgewinn bedeutet Ihnen mehr?
Chagaev: Ich bin kein Freund von solchen Vergleichen und Bewertungen. Wenn ich sagen würde, dass das eine mehr bedeutet, würde ich den anderen Erfolg damit abstufen. Jeder Sieg ist großartig. Und zwei Mal Weltmeister im Schwergewicht zu werden, ist natürlich etwas ganz Besonderes. Auch bei den Amateuren bin ich zwei Mal Weltmeister geworden. Der erste Titel 1997 wurde mir aberkannt, weil ich zwischenzeitlich Profi-Kämpfe bestritten hatte. 2001 wurde ich dann noch mal Champion. Bei den Profis war es ganz ähnlich. Ich habe meinen WM-Titel 2009 ja nicht im Ring, sondern am 'grünen Tisch' verloren. Und jetzt habe ich mir den Gürtel eben zurückgeholt.
SPOX: Der Titel war Ihnen 2009 aberkannt worden, weil der finnische Box-Verband Sie aufgrund Ihrer Hepatitis-Erkrankung nicht boxen lassen wollte.
Chagaev: Das war damals eine politische Entscheidung und hatte nichts mit mir oder einer Krankheit zu tun. Ich wurde nicht zum Rematch gegen Valuev zugelassen, weil das Team von Valuev wusste, dass ich ihn wieder geschlagen hätte. Es stimmt, dass ich eine Form von Hepatitis in mir trage. Die ist aber nicht ansteckend und schränkt mich in keiner Form ein. Meine Blutwerte waren dieselben, als ich Valuev den Gürtel abgenommen habe. Ich habe als Profi in den USA, Deutschland und Russland gekämpft. Überall werden dieselben Untersuchungen durchgeführt, nirgendwo gab es Probleme. Als Amateur war ich in noch viel mehr Ländern aktiv. Insofern ging es dabei nicht um medizinische Gründe. Aber das Kapitel habe ich abgehakt. Ich schaue nicht zurück, sondern nach vorne.
SPOX: Was erwarten Sie vom Kampf gegen Pianeta am 11. Juli?
Chagaev: Francesco ist ein guter Boxer. Ich kenne ihn schon lange. Ich habe Respekt vor jedem Gegner, aber ich weiß auch, dass ich jeden schlagen kann, wenn ich gut in Form bin. Und meine Form könnte kaum besser sein.
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SPOX: Sie haben mit dem ehemaligen kubanischen Nationalcoach Pedro Diaz einen neuen Trainer an Ihrer Seite. Was für ein Typ ist er? Wie läuft die Zusammenarbeit?
Chagaev: Pedro ist ein hervorragender Coach mit sehr viel Erfahrung. Er wird nicht umsonst der ‚Professor' genannt. Er arbeitet sehr systematisch und akribisch. Die Chemie zwischen uns stimmt, wir verstehen uns sehr gut. Aber es ist nicht nur die Zusammenarbeit mit Pedro, die mich so stark macht. Artur Grigorian hat auch einen großen Anteil an meiner tollen Form. Ich arbeite schon sehr lange mit Artur. Gemeinsam sind Pedro, Artur und ich ein starkes Team - das wird Pianeta am 11. Juli zu spüren bekommen.
SPOX: Wie haben Sie sich auf die Titelverteidigung vorbereitet?
Chagaev: Artur und ich waren acht Wochen bei Pedro in Miami, haben dort die Grundlagen gelegt, viel Kraft- und Ausdauertraining gemacht, aber auch technisch und taktisch gearbeitet. Jetzt sind wir zurück in Hamburg und absolvieren die Sparringsphase hier. Es läuft alles nach Plan. Ich fühle mich sehr gut und werde pünktlich zum Kampf in Topform sein.
SPOX: Pianeta ist wie Sie Rechtsausleger. Ist das eine besondere Situation, auf die Sie sich speziell vorbereiten müssen?
Chagaev: Das ist kein Problem. Ich habe in meinem Leben schon so viele Kämpfe bestritten - gegen Normalausleger, gegen Rechtsausleger, auch gegen Leute, die ihre Auslage während des Kampfes geändert haben. Ich weiß, was auf mich zukommt. Es ist ein bisschen schwerer, gute Sparringspartner zu finden - vor allem, weil die meisten guten Rechtsausleger in den höheren Gewichtsklassen in Deutschland bei Pianetas Promoter Steinforth unter Vertrag stehen und deshalb natürlich nicht zu uns kommen. Aber wir haben ein paar gute Jungs gefunden. Und Artur war in seiner aktiven Zeit ja auch Rechtsausleger. Das hilft natürlich.
SPOX: Pianetas Promoter Ulf Steinforth wird nicht müde zu betonen, dass sein Schützling der erste deutsche Schwergewichts-Weltmeister nach Max Schmeling werden könnte. Verstehen Sie den Hype um Schmeling?
Chagaev: Das ist natürlich seine Art, Werbung für den Kampf zu machen. Ich verstehe auch, dass es eine große Sache ist. Max Schmeling war einmalig und ein großartiges Vorbild für viele Generationen von Sportlern in Deutschland. Ich glaube, Francesco ist in Italien geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Ich weiß nicht, ob er sich wirklich als Deutscher oder mehr als Italiener fühlt. Aber das geht mich auch nichts an. Ich lebe mit meiner Familie seit vielen Jahren in Hamburg, fühle mich hier sehr wohl und fühle mich auch als halber Deutscher. Aber deswegen bin ich nicht ein zweiter Max Schmeling. Ich bin Ruslan Chagaev - der erste und einzige seiner Art.
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