SPOX: Den Adler auf der Brust zu tragen - empfinden die Spieler das aktuell nicht mehr als Ehre?
Sturm: Das muss man die Spieler fragen, aber die Durchhänger der letzten Monate lassen vermutlich den Schluss zu, dass einige nicht mehr stolz darauf waren, den Adler zu tragen. Dabei sollte es jedem eine Ehre sein, das deutsche Trikot anzuziehen - vor allem, weil wir in den nächsten Jahren jeden Spieler brauchen. Für die Zukunft will ich nur diejenigen, die voll mitziehen und auch mit dem Kopf bei der Sache sind. Wer nicht bereit ist, seinem Land zu helfen, wird seine Ziele nie vollständig erreichen.
SPOX: Wie war das bei Ihnen früher? Sie kennen auch die Spielersicht bestens, haben 54 Mal für die Nationalmannschaft gespielt.
Sturm: Es war immer etwas Besonderes, gerade die großen Turniere wie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele. Dass es auch einmal unangenehme oder weniger erfolgreiche Spiele gibt, ist völlig klar. Hinter dem großen Ganzen haben wir aber trotzdem gestanden. Vielleicht ist es deshalb auch gut, dass wir jetzt mit einem neuen Trainerstab von vorne beginnen und so hoffentlich wieder viele mit dieser Idee impfen können.
SPOX: Was wurde in der Vergangenheit denn konkret versäumt, dass es überhaupt so weit gekommen ist?
Sturm: Ich tue mich schwer damit, in der Vergangenheit zu wühlen - ganz egal, was passiert ist. Es sind mit Sicherheit Fehler gemacht worden, das weiß auch jeder. Für mich ist aber nur noch wichtig, was ich jetzt habe und was die Zukunft bringt.
SPOX: Sie werden weiterhin in Florida leben. Als Klinsmann das während seiner Zeit als Fußball-Bundestrainer tat, wurde er dafür öffentlich zerrissen. In Ihrem Fall ist es aber ironischerweise sogar ein entscheidender Vorteil, oder?
Sturm: Natürlich bin ich an den NHL-Spielern viel näher dran. Mein Ziel ist es trotzdem, dass ich alle vier bis sechs Wochen wieder nach Deutschland komme, um auch hier die Kontakte zu halten. Da wird mich aber auch mein Trainerteam intensiv unterstützen. Es ist ja nicht so, dass ich in Florida nur herumsitze. Ich führe mit jedem deutschen Spieler in Amerika regelmäßig Gespräche und habe sie auch schon mehrfach besucht. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir diese wieder besser ins Team integriert bekommen.
SPOX: Eine Zusage haben Sie eigentlich schon sicher: Mit Tobi Rieder sind Sie gut befreundet - der wird Sie nicht im Stich lassen, oder?
Sturm: (lacht) Ich habe generell ein gutes Feedback von den Spielern erhalten. Sie haben angedeutet, dass sie bereit sind, zu helfen. Das ist das, was ein Trainer hören will. Ich habe mit den Jungs teilweise noch zusammen gespielt, was sicher auch ein kleiner Vorteil ist.
SPOX: Was halten Sie denn von der Entwicklung eines Tobi Rieders oder auch eines Leon Draisaitls?
Sturm: Tobi kenne ich schon länger. Der Trade von Edmonton nach Phoenix hat ihm richtig gutgetan. Er spielt sehr clever und erhält das Vertrauen, was man auch an seinen Einsatzzeiten sieht. Bei Leon dürfen wir nicht vergessen, dass er noch sehr jung ist. Jeder hat gemerkt, dass es in Edmonton letztes Jahr einfach noch zu früh war. Es war eine gute Entscheidung, noch einmal zurück zu den Juniors zu gehen, aber sicherlich wird es bei Edmontons starkem Kader auch für Leon nicht einfach. Er ist jedoch noch lernfähig und hat auf alle Fälle das Potenzial, in der NHL zu spielen.
SPOX: Welchen Stellenwert hat die DEL überhaupt noch, wenn die besten deutschen Spieler ohnehin im Ausland spielen?
Sturm: Die DEL kann man sicherlich nicht mit der NHL vergleichen. Aber so viele NHL-Spieler haben wir leider nicht mehr. Das würde nicht reichen, um den DEB-Kader zu füllen. Ich wünsche mir natürlich, dass es wieder mehr schaffen. Da ich aber selbst in Deutschland gespielt habe, kenne ich die Vereine und Spieler. Die DEL ist nach wie vor eine Top-Liga und bildet die Basis der Nationalmannschaft. Entscheidend ist der Nachwuchs: Hier sind die Vereine - mit meinem Zutun - gefordert, mehr zu tun.
SPOX: Anfang des Jahres wurde vom DEB ein Konzept thematisiert, mit dem man das Team bis 2026 an die Weltspitze führen will. Waren das voreilige und zu große Worte?
Sturm: Wie eben schon gesagt, entscheidend ist die Nachwuchsarbeit und darauf ist das Konzept POWERPLAY 26 auch ausgerichtet. Ich beschäftige mich aktuell nicht mit irgendwelchen Platzierungen. Ich habe bisher noch nicht einmal einen Gedanken an die Heim-WM 2017 verschwendet. In den nächsten zwei, drei Jahren ist es nur wichtig, dass ich die Nationalmannschaft wieder in die richtige Bahn lenke und wir in der Weltrangliste mal wieder einen Schritt nach vorne machen - dazu zählt jeder Platz, den wir vielleicht klettern.
SPOX: Also ist das Wort Weltspitze für Sie auch zu hochgestochen?
Sturm: Wir können uns nicht mit den USA, Kanada oder Russland vergleichen. Deshalb müssen wir die Kirche ein bisschen im Dorf lassen. Wir haben keine neuen Spieler, sondern nur einen neuen Trainer bekommen. Die Situation hat sich nicht schlagartig verändert. Wir beschäftigen uns mit Fortschritt, nicht mit der Weltspitze.
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Marco Sturm im Steckbrief