Toni Söderholm wurde im Dezember 2018 als neuer Eishockey-Bundestrainer und Nachfolger von Marco Sturm vorgestellt. Aber wer ist Finnen-Toni eigentlich? Im Interview mit SPOX spricht Söderholm über seine Karriere und gibt Einblicke in seine Philosophie.
Außerdem erzählt der 39-Jährige von einer Begegnung mit Kaiser Franz und schwärmt von Leon Draisaitls Monster-Saison in der NHL.
Herr Söderholm, bevor wir zum Eishockey kommen, wie ist Ihre Beziehung zu Franz Beckenbauer?
Toni Söderholm: (lacht) Sie spielen auf eine Geschichte aus meiner Kindheit an. Mein Vater hat als Attaché gearbeitet und den DFB begleitet, wenn er für Spiele oder zum Scouting in Finnland war. Eines Tages stand plötzlich Franz Beckenbauer vor der Tür. Er war glaube ich zum Scouting in Turku und ist bei uns vorbeigefahren. Ehrlich gesagt wusste ich damals wahrscheinlich gar nicht, was für eine Legende Herr Beckenbauer war.
Für Sie war ja auch nie Fußball das große Thema, sondern von Kindesbeinen an Eishockey. Was würden Sie im Rückblick auf Ihre Spielerkarriere sagen: Was war "Finnen-Toni" für ein Spieler?
Söderholm: Ich war ein Spieler, der das Spiel gut lesen konnte. Das war wahrscheinlich meine größte Stärke. Ich war jemand, der für den Aufbau zuständig war, der das Power Play geleitet hat, ich würde mich insgesamt als Allrounder bezeichnen.
Sie haben vor Ihrer Profikarriere vier Jahre lang am College von Massachusetts in den USA gespielt. Was war das für eine Zeit?
Söderholm: Es war eine sehr schöne Zeit. Ich war mit 18, 19 Jahren nicht gut genug, um in Finnland den Sprung zu den Profis zu schaffen. Außerdem wollte ich meine schulische Ausbildung abschließen. Dafür hatte ich am College die perfekten Bedingungen. Es war auch eine harte Zeit, weil es eine große Belastung war, Schule und Sport zu kombinieren. Der Tagesablauf war sehr strukturiert. Aber es war absolut top. Ich habe in dieser Zeit viel über das Thema Life Management gelernt.
Sie haben danach aber nie in der NHL gespielt. Warum nicht?
Söderholm: Das ist schwer zu sagen. Es war Interesse da, aber zum damaligen Zeitpunkt war es für mich wichtiger, nach Finnland zurückzukehren. Ich wollte mich daheim in der finnischen Liga durchsetzen. Ich hätte den Weg über die AHL gehen können, aber ich kannte diese Städte alle schon aus den vier Jahren College, das hat mich auch kulturell nicht interessiert. Zu dem Zeitpunkt war das nicht mein Ding, ich wollte lieber zurück nach Finnland und dort etwas Neues erleben.
spoxToni Söderholm über seine Europareise als Eishockey-Profi
Sie haben auch ohne NHL-Spiele eine sehr erfolgreiche Karriere erlebt. Sie sind unter anderem Vize-Weltmeister gewesen mit Finnland, Sie haben auch die finnische Meisterschaft gewonnen und wurden dabei als bester Spieler der Playoffs mit der Jarr Kurri Trophäe ausgezeichnet.
Söderholm: Ich war nie ein Typ, dem persönliche Ehrungen viel bedeutet haben. Ich hatte jedes Mal das Gefühl, dass man den Award auch einem anderen Spieler hätte geben können und nicht mir. Gemeinsame Glücksgefühle mit der Mannschaft, der gemeinsame Erfolg - darum habe ich Eishockey gespielt. Ich war in der glücklichen Lage und habe es mir auch ein wenig selbst erarbeitet, dass ich in meiner Karriere für tolle Vereine spielen durfte, die in ihrer Liga erfolgreich waren. Ich habe immer in sehr guten Mannschaften gespielt.
Sie haben nicht nur für IFK Helsinki gespielt, sondern dann auch für Bern in der Schweiz, für Frölunda in Schweden und zum Schluss für München in der DEL. Sie kennen die meisten großen Ligen in Europa. Wie sehr hilft Ihnen das jetzt als Trainer?
Söderholm: Es hilft mir sehr. Die meisten wissen, wie groß Eishockey in Finnland ist. Für mich hat sich ein Traum erfüllt, für IFK Helsinki zu spielen. Für IFK zu spielen, war schon ein Traum, als ich drei oder vier Jahre alt war. Mein nächstes Ziel war es dann, in anderen europäischen Ligen zu spielen. In Bern musste ich als einer von wenigen Ausländern mit einem besonderen Druck leben und spielen, das war nicht einfach. In der Schweiz musst du als Ausländer Eishockey spielen können. In Schweden wollte ich wieder eine neue spielerische Kultur kennenlernen und habe dann miterleben müssen, wie ein Traditionsklub seine Identität verloren hat. Wir hatten in eineinhalb Jahren drei Trainer und zwei General Manager, es wurden bestimmt 40 Spieler getauscht, das war brutal. Ich persönlich habe aber auch nicht gut gespielt in Schweden und bin dann wieder nach Helsinki zurückgegangen, um wieder zu meiner Identität als Spieler zu finden. Und zum Anbschluss hatte ich die tolle Chance, noch einmal etwas Neues zu erleben und mich im fortgeschrittenen Alter in einer neuen Liga durchzusetzen.
Yannic Seidenberg hat im SPOX-Interview erzählt, dass Sie auch als Spieler schon die Taktiktafel ausgepackt haben. Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Weg auf die Trainerbank führt?
Söderholm: Ich war eigentlich immer in einer führenden Rolle in den Mannschaften, das war schon in den ersten Jahren in Finnland so. Das Thema Taktik hat mich immer sehr interessiert. Wie spiele ich Power Play? Wie kann ich Situationen auflösen? Taktische Überlegungen spielen eine entscheidende Rolle, man kann nicht nur Gas geben. Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach der Spielerkarriere sofort als Trainer einsteige, aber als die Anfrage kam, habe ich mich sehr gerne in die Aufgabe gestürzt. Und es macht mir großen Spaß.
Toni Söderholm über die Stärke des deutschen Eishockeys
Welche Trainer haben Sie am meisten geprägt?
Söderholm: Don Jackson hat mich in meiner Münchner Zeit sicher geprägt. Kari Jalonen hat mich in Helsinki wieder in die Spur gebracht. Und Alpo Suhonen war der erste Trainer, der mir eine Chance als Profi gegeben hat. Diese drei würde ich nennen. Generell ist es aber so, dass du von jedem Trainer etwas mitnehmen kannst, egal ob gut oder schlecht. Was die Menschenführung angeht, kannst du auch von Trainern aus anderen Sportarten, zum Beispiel aus dem Fußball, lernen. In der alltäglichen Arbeit als Trainer hast du keine Zeit, großartig über den Tellerrand hinauszublicken, aber es ist mein Wunsch, dass ich dafür jetzt etwas mehr Zeit habe.
Für einen Finnen wäre der Traumjob sicher, eines Tages finnischer Nationaltrainer zu werden. Warum ist es für Sie jetzt ein Traumjob, deutscher Nationaltrainer zu sein?
Söderholm: Träumen kann man viel, aber ob diese Träume in Erfüllung gehen, ist eine ganz andere Frage. Ich muss ehrlich sagen, dass es für mich eine große Ehre ist, deutscher Bundestrainer zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Angebot bekomme. Als ich es bekam, dachte ich nur: 'Puh, das ist schon eine große Geschichte.' Mein Ziel ist es, mit meiner Arbeit prägenden Einfluss nehmen zu können.
Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit gesagt, dass Sie sich jetzt erst mal ein Bild machen müssen. Wie ist die Lage?
Söderholm: Wir haben viel Arbeit vor uns, das ist mir klar. Der Eishockeysport entwickelt sich ziemlich schnell, von den Spielern wird immer mehr und mehr verlangt, ob das mental, körperlich, spieltechnisch oder taktisch ist. Wir müssen es schaffen, den Kader zu verbreitern. Wir müssen die jüngeren Spieler so gut wie möglich fördern und die Vereine dabei unterstützen. Die wichtigste Arbeit wird in den Vereinen gemacht, wir müssen ihnen dabei so gut es geht helfen.
Wie gut ist das deutsche Eishockey ein Jahr nach der olympischen Silbermedaille aus Ihrer Sicht?
Söderholm: Jeder spricht mich auf Olympia-Silber an, aber danach kam noch eine WM, die nicht allzu gut gelaufen ist. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Wenn alles klappt, ist alles möglich, aber wir sind nicht die einzige Mannschaft, die an Erfolg interessiert ist. Wir haben die Chance, jedes Jahr um das Viertel- und Halbfinale zu spielen, aber dafür muss wirklich alles passen.
Zuletzt ist die Kritik an der mangelnden Förderung der jungen Spieler in den DEL-Klubs wieder neu entflammt. Stimmen Sie zu, dass die jungen deutschen Spieler sich gerade offensiv nicht genügend entwickeln können?
Söderholm: Ja, aber ein Spieler muss sich seine Eiszeit auch verdienen, egal ob jung oder alt. Es ist ein sehr komplexes Thema, das sich nicht in ein paar Sätzen beantworten lässt. Es geht schon damit los, dass wir uns nicht mit den 19- oder 20-Jährigen beschäftigen müssen, wir müssen viel früher anfangen und uns mit den Jungs beschäftigen, wenn sie 15, 16, 17 sind. Wir müssen sie in dieser Zeit so gut ausbilden, dass sie dann mit 19 oder 20 wirklich in der DEL soweit sind, dass die Trainer ihnen Eiszeit geben müssen.
Top-Talente gibt es immer wieder, das beste Beispiel ist aktuell der 17-jährige Mannheimer Moritz Seider, der im Draft wohl in der ersten Runde gezogen werden wird.
Söderholm: Wir müssen nicht darüber sprechen, dass Moritz Seider ein ganz großes Talent ist. Das Problem ist nicht Moritz Seider. Das Problem ist, was danach kommt. Oder nicht kommt. Das ist die größte Frage, die wir beantworten müssen. Die meisten Nationen bringen immer wieder Jungs raus, die richtig gut sind. Aber was ist mit der Masse an Talenten? Das ist der springende Punkt. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Mikko Rantanen, der in Colorado jetzt ein absoluter Superstar ist und in der NHL-Scorerliste in den Top-10 liegt, hat mit 15, 16 Jahren in seiner Jugend-Mannschaft keine Rolle gespielt. Er war nicht gut genug. Zwei Jahre später hat er in Finnland in der ersten Liga gespielt. Wie viele solche Jungs können wir finden? Das ist eine entscheidende Frage.
Toni Söderholm über Leon Draisaitls WM-Teilnahme
Wenn Sie Ihre Philosophie beschreiben müssen, die Sie bei allen DEB-Teams installieren wollen: Was ist Ihnen wichtig?
Söderholm: An erster Stelle mal Geschwindigkeit, das ist wichtig. Ich glaube generell, dass deutsche Spieler sich in ihrer Mentalität sehr ähneln zu den finnischen. Sie arbeiten immer für die Mannschaft und setzen ihre ganze Stärke fürs Team ein. Es gibt nicht so viele egoistische Spieler, die nur ihr eigenes Ding machen, wie es vielleicht bei einigen Individualisten bei den Tschechen oder Russen der Fall ist. Für mich wäre es auch ein Anliegen, nicht nur Spieler zu entwickeln, sondern auch den Menschen in den Vordergrund zu stellen.
Sie sind auch für Ihren ausgeprägten Sinn für Humor bekannt. Wie wichtig ist es Ihnen, dass der Spaß nicht zu kurz kommt?
Söderholm: Ich bin jemand, der nicht 16 Stunden am Tag auf 180 sein kann, das geht nicht. Auch als Trainer solltest du zeigen, dass du Spaß daran hast, was du gerade machst. Und manchmal kannst du am besten über die Dinge lachen, die nicht so gut gelaufen sind.
Alles konzentriert sich in diesem Jahr natürlich auf die WM in der Slowakei. Wie groß ist die Hoffnung, dass Leon Draisaitl dabei sein wird?
Söderholm: Es ist ja völlig klar: Wenn Leon mir sagt, dass er die WM spielen will, sage ich: Wann kommst du? Leon wird von Edmonton bezahlt und soll sich im Moment ganz auf seinen Job dort konzentrieren, dann werden wir zu gegebener Zeit Gespräche führen und weiter sehen. Er muss fit und gesund sein. Er muss den Kopf frei haben, um uns helfen zu können. Wenn am Ende alle Details passen und er die WM spielt, wäre es top.
Was sagen Sie zu seiner nahezu außerirdischen Saison mit jetzt schon 42 Saisontoren?
Söderholm: Leon besitzt ein unglaubliches Talent. Er ist der Prototyp für einen modernen großen und athletischen Eishockeyspieler. Leon kann in jedem einzelnen Wechsel gefährlich sein und spielt in dieser Saison mit einem brutalen Selbstvertrauen. Er hat einen wahnsinnigen Lauf.
gettyToni Söderholm über Lieblingsspieler und finnischen Rock
Nikita Kucherov führt die NHL-Scorerliste an, Sidney Crosby spielt wie gewohnt eine atemberaubende Saison und wäre sowohl für die Hart- als auch für die Selke Trophy ein Kandidat. Wer ist Ihr Lieblingsspieler?
Söderholm: Mit Lieblingsspielern tue ich mich etwas schwer. Mir hat immer der Biss imponiert, mit dem Peter Forsberg gespielt hat. Oder auch Jungs wie Joe Sakic, Mark Messier und Steve Yzerman, die so großartige Leader waren und in allen Situationen auf dem Eis standen. Aber aktuell tue ich mich da schwer, einen zu nennen, ich schaue jetzt vor allem auf die deutschen Spieler. (lacht)
Was machen Sie denn, wenn Sie nicht Eishockey schauen?
Söderholm: Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie. Wenn ich es schaffe, mache ich selbst noch so viel Sport wie möglich.
Sie sind mit Samu Haber, dem Frontmann der finnischen Rockband Sunrise Avenue befreundet. Wie wichtig ist Musik für Sie?
Söderholm: Seit 2002 war bei 99,5 Prozent aller meiner Spiele und Trainingseinheiten Musik dabei. Ich brauche die Musik. Samu kenne ich seit etwa zehn Jahren, er ist ein großer IFK-Fan, so haben wir uns kennengelernt. Er ist ein richtig bodenständiger und netter Typ.
Bevor die WM ansteht, werden Sie jetzt die DEL-Playoffs verfolgen.
Söderholm: Fragen Sie mich bitte bloß nicht nach meiner Prognose. (lacht)
Nein, München wird denke ich wie immer Meister, mich interessiert mehr, wie Sie generell die DEL-Saison einschätzen.
Söderholm: Ich würde sagen, dass das spielerische Niveau etwas besser geworden ist. Das Spiel ist auch ein Stück schneller geworden. Ich bin ein großer Fan der Champions Hockey League und bin davon überzeugt, dass die Spieler dort unglaublich viel lernen können. Wenn du auf starke Teams triffst, die du nicht kennst und die ein anderes Eishockey spielen, und aus deiner Komfortzone gezwungen wirst, macht dich das als Spieler einfach besser. Davon profitiert dann auch wieder die DEL.