SPOX: Herr Vettel, kennen Sie den Film "Over the Top" mit Sylvester Stallone? Ein markantes Zitat darin lautet: "Zweiter sein ist Dreck!" Eine Aussage, die Sie zu hundert Prozent unterschreiben können, oder?
Sebastian Vettel: So hart würde ich das nicht formulieren. Es ist nur so: Wenn du gewinnen willst und das aus welchen Gründen auch immer nicht schaffst, dann bist du erstmal enttäuscht.
SPOX: Warum haben Sie den Verlust des WM-Titels überhaupt so schwer genommen? Eigentlich war doch klar, dass Sie es nicht mehr schaffen.
Vettel: Es geht um die Umstände, warum es in Brasilien nicht geklappt hat. Das hat mir schwer gestunken, wie das gelaufen ist. Auch wenn keiner dafür was konnte. Aber wenn du das Gefühl hast, du hast das Zeug zum gewinnen und dann klappt das nicht, bist du enttäuscht.
SPOX: Sie haben den Titel sicher nicht in Brasilien verloren, denn dort hätte selbst ein Sieg nicht gereicht. In welchen Rennen haben Sie den Titel Ihrer Meinung nach aus den Händen gegeben?
Vettel: Den Titel gewinnt man mit Konstanz auf höchstem Niveau. Ich bin einfach über die Saison gesehen nicht oft genug ins Ziel gekommen.
SPOX: Unter dem Eindruck der Enttäuschung wirkten Sie nach dem Rennen wie ein schlechter Verlierer, weil Sie Button nicht sofort gratuliert haben. Ist er für Sie kein würdiger Champion?
Vettel: Ich habe Jenson gratuliert. Ob er ein würdiger Champion ist - diese Frage stellt sich gar nicht. Er hat über die Saison gesehen die meisten Punkte geholt, er hat die meisten Rennen gewonnen. Mehr muss man nicht machen.
SPOX: Wenn Ihnen vor der Saison jemand gesagt hätte, dass Sie vier Rennen gewinnen und bis zum vorletzten Rennen um den Titel fahren - wären Sie damit zufrieden gewesen?
Vettel: Nein, wenn ich den Ausgang gekannt hätte. Denn dann hätte ich sofort gedacht: Wenn ich fähig bin, vier Rennen zu gewinnen, dann kann ich auch den Titel holen.
SPOX: Was hat Sie an dieser Saison überrascht - sowohl positiv als auch negativ?
Vettel: Nicht direkt überrascht aber doch beeindruckt war ich davon, wie unser Team so schnell in die absolute Weltklasse aufgestiegen ist. Negativ? Leider sind Skandale nicht gut für den Sport.
SPOX: Wie verfolgen Sie die Suche Ihres Teams nach einem neuen Motorenpartner? Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie nach den Eindrücken dieser Saison gerne mit Mercedes-Power im Heck fahren würden.
Vettel: Es ist offensichtlich, dass der Mercedes-Motor ein wichtiger Mosaikstein beim Erfolg von Brawn war. Wir als Team und ich als Pilot wollen alle das gleiche: Mit dem best möglichen Paket eine Saison angehen. Dieses Paket kann in der nächsten Saison mit vielen Motoren möglich sein, auch mit Renault.
SPOX: Alonso geht zu Ferrari, Rosberg aller Voraussicht nach zu Brawn, Räikkönen vielleicht zurück zu McLaren. Dazu wird Hamilton 2010 bestimmt auch wieder sehr stark sein. Haben Sie sich auch deshalb so über das WM-Aus geärgert, weil es nie wieder so leicht sein wird, mit Red Bull Weltmeister zu werden?
Vettel: Leicht war es so wie so nicht, dafür waren die Brawns am Anfang der Saison zu stark. Welcher Fahrer wo fährt spielt für mich keine Rolle. Wenn wir uns steigern, können wir im nächsten Jahr den Titel holen, da bin ich mir sicher. Es kann gut sein, dass es 2010 mehrere Sieganwärter geben wird. McLaren und Ferrari darf man nie abschreiben. Wer bei allen Rennen konkurrenzfähig ist, wer die wenigsten Fehler macht, wird den Titel am Ende holen. Die Vielfalt könnte deshalb auch gut für uns sein.
SPOX: War Brawn GP eine Eintagsfliege?
Vettel: Das bestimmt nicht, weil die so genannte Eintagsfliege immerhin eine Meisterschaft gewonnen hat, die 17 Rennen beinhaltete.
SPOX: Was werden Sie den Winter über machen? Außer trainieren natürlich.
Vettel: Trainieren steht im Vordergrund. Von dem Rest mache ich von jedem ein bisschen was, Genaueres steht noch nicht fest.
SPOX: Oder Sie arbeiten die Filmographie von Sylvester Stallone auf. Der hat nämlich auch Rocky gespielt - und der wurde nach einer knappen Niederlage in Teil 1 im zweiten Anlauf Weltmeister. Wäre das nicht auch etwas für Sie?
Vettel: Da hätte ich nichts dagegen.