Liebe SPOX-Leser,
Mehrfach habe ich aus der Community Anfragen bekommen, ob ich denn nicht mal Formel-1-Technik genauer erklären könne, oder bin darum gebeten worden, mal über das ein oder andere Technikthema etwas zu schreiben. Ich bin sehr stolz, Euch nun zusammen mit der SPOX-Redaktion gleich eine ganze Technik-Serie präsentieren zu können und dafür auch eine entsprechende Plattform geboten zu bekommen.
Damit Ihr die Rennen vielleicht mit einem anderen Fokus verfolgen könnt und die Formel 1 von ihrer interessanten Seite kennen lernt, werde ich in den nächsten Wochen einen kleinen Einblick in die Einmaligkeit der Technik geben. Dann verschwinden vielleicht die vorschnellen Schmährufe auf bestimmte Regeländerungen.
Kommentare wie "bei Testfahrten geht es doch um nichts" oder "wow, ist Team XY weit hinten" wird der eine oder andere vielleicht nach dem Lesen meiner Texte überdenken. Bei genauerer Betrachtung kann man jeder einzelnen Runde Erkenntnisse abgewinnen über die Probleme, Entwicklungen und Vorteile der einzelnen Teams. Testfahrten und Trainings sind mehr wert als jedes Rennen, egal wie viele Punkte man holt.
In den nächsten Wochen wünsche ich Euch also viel Spaß mit meinem Versuch, die Spannung und das Interesse an der Formel 1 zu erhöhen. Bei inhaltlichen Unklarheiten scheut Euch bitte nicht, die Kommentarfunktion zu nutzen und zu fragen.
In den bisherigen Teilen der Serie habe ich Euch schon den Motor , den Antriebund die Reifen erklärt. Im vierten Teil geht es um die Aufhängung.
Die Aufhängung
Wie wir in der letzten Folge gelernt haben, ist der Reifen der einzige Kontakt zwischen Fahrzeug und Straße. Die perfekte Nutzung der Reifen sowie das Fahrverhalten eines Autos werden aber nicht zuletzt durch die Aufhängung beeinflusst. Die Abstimmung der Aufhängungskomponenten entscheidet über den perfekten Bodenkontakt der Reifen, über die Präzision der Lenkbewegungen des Piloten und über die Fahrbarkeit des Autos. Dabei ist die Aufhängung eines der wenigen Teile eines Fahrzeugs, die trotz steifer Materialien in Bewegung sind.
Nähern wir uns der Thematik physikalisch. Betrachtet man "die Aufhängung" separat für jedes Rad als vier Einzelkomponenten, so verlagern diese das Gewicht eines sich in Bewegung befindlichen Rennwagens von einem Rad zum Nächsten. Beim Bremsen beispielsweise von hinten nach vorne, beim Beschleunigen von vorne nach hinten, bei einer Linkskurve von links nach rechts beim Beschleunigen aus einer Linkskurve nach hinten rechts und so weiter. Es handelt sich also um nichts weiter als die longitudinale Gewichtsverlagerung des Fahrzeugschwerpunktes durch Beschleunigung (und der daraus resultierenden Fliehkraft) einer Masse. Dabei gibt es im Rennsport generell fünf Formen von Massetransfer: Heave, Pitch, Roll, Warp und Yaw.Heave: Unter Heave versteht man die synchrone Aufwärts- oder Abwärtsbewegung des Chassis und damit der vier Räder. Bei der Durchfahrt durch Eau Rouge wird das Fahrzeug erst durch die Kompression am Fuß der Kurve vertikal negativ, bei der Kurvenausfahrt auf dem Hügel vertikal positiv beschleunigt. Jedes Aufsetzen des Fahrzeugs zu Beginn dieser Kurve ist das sichtbare Ergebnis des negative heave.
Pitch: Pitch ist der Fachbegriff für eine entgegengesetzte vertikale Bewegung der vorderen und hinteren Aufhängung, also zum Beispiel bei einer Bremsbewegung, wenn das Fahrzeug vorne einnickt, da der Masseschwerpunkt von hinten nach vorne beschleunigt wird; mit umgekehrter Wirkung bei der Beschleunigung des Boliden.
Roll: Während einer jeden Kurvendurchfahrt kommt es zu einem Roll des Fahrzeugs. Darunter versteht man die Masseverlagerung von links nach rechts oder anders herum. Die Innenseite des Fahrzeugs wird entlastet, die Außenseite stärker belastet.
Warp: Diese drei Formen kommen alleine jedoch eher selten vor, da die Kräfte meist nicht nur in eine Richtung wirken. Schon bei dem von mir angeführten Beispiel der Eau Rouge gibt es nicht nur Heave, denn durch die Kurvenfahrt wirken auch seitliche Kräfte, also auch Roll. Bei der Masseverlagerung in vertikaler Form, spricht man von Warp.
Yaw: Die horizontale Drehung um eine Vertikalachse herum nennt man Yaw. Das beste Beispiel hierfür ist ein Quersteher oder Dreher (Wer mehr zu diesem spannenden physikalischen Forschungsfeld lesen möchte ist hier bestens aufgehoben (Wen wundert es, dass dieses Patent von einem gewissen David A. W. in Milton Keynes angemeldet wurde?).
So arbeitet eine Aufhängung:
Die im Prinzip einzige Funktion der Aufhängung ist es unter diesen Effekten den besten Kontakt der Reifen zu gewähren, also diese Kräfte bestmöglich zu absorbieren.
Wie in der Abbildung zu sehen ist, spielen sich die eigentlichen Absorptionsprozesse in der Fahrzeugnase ab. Die Schubstangen (1) übertragen beispielsweise bei der Überfahrt eines Kerbs über die Umlenkhebel (2) die Kräfte auf den Stabilisator (3). So werden Schwingbewegungen der Räder absorbiert. Der Dämpfer (4 innen) bewegt sich deutlich mehr als die Räder selbst. Über die Länge der Umlenkhebel wird die Federbewegung multipliziert, wodurch weniger Kraft auf die Aufhängung selbst ausgeübt wird. Das ist einer der Gründe für die besondere Steifigkeit einer Formel 1 Aufhängung und ihrer dennoch sehr guten Federleistung.
Je weicher, also nachgiebiger die Aufhängung eines Boliden (abgestimmt über Federrate, Federweg, etc.) eingestellt ist, desto schneller ist die Kurvendurchfahrt, da Unebenheiten absorbiert werden und damit dauerhafter Bodenkontakt sichergestellt ist. Jedoch reagiert das Fahrzeug weitaus schwammiger, das heißt, langsamer und unpräziser, auf Lenkbewegungen des Piloten. Auch hier muss bei der Abstimmung des Fahrzeugs ein bestmöglicher Kompromiss zwischen mechanischem Grip und Sensitivität des Autos erzielt werden.
In dieser Hinsicht ist Monaco wohl die Strecke mit den größten Divergenzen zwischen den Abstimmungen der Piloten. Einerseits fordern die vielen Unebenheiten und Bodenwellen eine weiche Federung, andererseits ist Präzision im Leitplankentunnel das A und O.
Masse- und J-Dämpfer
Gerade in diesem Bereich liegen sehr viele Grauzonen im Reglement versteckt. Nicht zuletzt deswegen werden auch immer wieder Detaillösungen der Teams auf ihre Legalität überprüft, beziehungsweise eingestuft. Als Renault zum Brasilien-GP 2005 erstmals mit Massedämpfern antrat, konnte man im Vergleich zum vorhergehenden Rennen fast fünf Zehntel pro Runde weniger verbuchen. Das Resultat war das Verbot dieser Technologie nach dem Einspruch einiger anderer Teams. Unter ihnen: McLaren-Mercedes. Diese arbeiteten nämlich inzwischen an einer eigenen Lösung, Schwingungen mit Gegenschwingungen zu neutralisieren.
Die sogenannten J-Dämpfer (vgl. Abb.) werden inzwischen von allen Teams eingesetzt. Die mechanischen Schwingungen, die aus den Federbewegungen der Aufhängung auf den Dämpfer übertragen werden, sorgen für vertikale Schwingungen, die auf das gesamte Fahrzeug wirken. Je mehr dieser Schwingungen absorbiert werden können, desto ruhiger liegt das Auto.
J-Dämpfer generieren eine der einkommenden Schwingung entgegen wirkende Schwingung. Sensoren messen die Beschleunigung und aktivieren zum Beispiel über ein Schwungrad entgegengesetzte Schwingungen in der Fahrzeugnase. Einige Teams verwenden auch hydraulische Systeme mit gleichem Effekt. Inzwischen ist das System bei den führenden Teams weitgehend ausgereift, sodass Ferrari, Williams, Toyota und McLaren 2009 auch an der Hinterachse J-Dämpfer einsetzten.Bislang haben wir nun einiges über das Beschleunigen und Fahren eines Formel 1 Boliden gelernt. Deswegen wollen wir das ganze in der nächsten Folge mit dem Bremsen eines solchen abschließen.