Wenn man so will, begann Sebastian Vettels Aufstieg im Motorsport mit einem Zupfer am Arm eines Erwachsenen. 2002 besuchte der damals 14-jährige Zahnspangenträger ein Rennen der Formel BMW und machte ganz frech auf sich aufmerksam, ohne bis dato außerhalb eines Karts irgendwas geleistet zu haben.
"Bei einem unserer Formel-BMW-Rennen kam ein Drei-Käse-Hoch auf mich zu, zupfte an meinem Arm und sagte ganz unbekümmert: 'Hallo, ich heiße Sebastian Vettel. Und im nächsten Jahr fahre ich auch in eurer Serie'", erinnert sich der Adressat des Arm-Zupfers, BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen, im Gespräch mit SPOX an seine erste Begegnung mit Vettel.
Theissen gesteht "Mentor-Gefühle" für Vettel
Die hat bei Theissen, der heute noch "Mentor-Gefühle" für Vettel gesteht, Spuren hinterlassen. "Schon damals hat mir sein Auftreten imponiert", sagt der BMW-Sportchef. Er durfte beobachten, wie Vettel gleich in seiner Rookie-Saison 2003 begeisterte und bester Neuling war. 2004 folgte dann eine Rekord-Saison mit 18 Siegen in 20 Rennen und 387 von 400 möglichen Meisterschafts-Punkten.
"Schon damals war erkennbar, dass hinter diesen Erfolgen mehr steckt als nur ein außergewöhnliches Fahrtalent", sagt Theissen. "Sebastian war seinen Altersgenossen weit voraus. Für die meisten bedeutete der Wechsel vom Kart zur Formel BMW eine Orientierungsphase, er dagegen ging die neue Aufgabe wie ein gestandener Profi an."
Dafür liefert der Sportchef konkrete Beispiele: "Fahrzeugabstimmung, Datenstudium, Fitnesstraining und mentale Vorbereitung auf das Renn-Wochenende gehörten genauso dazu wie der Rennbericht aus Fahrersicht. Ich habe von ihm als 16-Jährigem Rennreports, von denen sich manch gestandener Werkspilot eine Scheibe abschneiden kann."
Stuck erklärt Vettels besondere Arbeitsweise
Diesen Eindruck kann ein anderer Wegbegleiter Vettels im Gespräch mit SPOX nur bestätigen. Ex-Formel-1-Pilot Hans-Joachim Stuck war in der Zeit von Vettels Aufstieg bei BMW angestellt und oft bei Rennen des jungen Heppenheimers dabei.
Seine Beobachtung: "Im Vergleich zu den anderen jungen Kerlen, die damals dabei waren, war Sebastian sehr akribisch. Er ist mit seinem Vater zusammen alle neuen Strecken abgelaufen und hat sich Notizen in sein Büchlein gemacht. Er wusste über jedes Detail genau Bescheid. Das hat mich sehr an Michael Schumacher erinnert."
Vettel geht durch gleiche Schule wie Rosberg und Co.
Vettels unerreichte Dominanz in der Formel BMW brachte ihm nicht nur einen frühen Wechsel in die Formel-3-Euroserie, sondern auch schon 2005, also im Alter von gerade mal 18 Jahren, den ersten Formel-1-Test in einem Williams-BMW ein.
Ein Jahr später verpflichtete das neue BMW-Sauber-Team Vettel als Testfahrer. Beim Türkei-GP 2006 saß Vettel zum ersten Mal an einem Rennwochenende in einem Formel-1-Boliden - und fuhr prompt die schnellste Zeit des Freitagstrainings.
Für Stuck keine große Überraschung. "Es war für uns als Beobachter schon zu sehen, dass da ein Großer heranwächst. Es sind da schon in der Jugend Unterschiede zu erkennen. Was für eine Körpersprache hat ein Fahrer zum Beispiel? Ich kenne das aus meiner Tätigkeit in der Nachwuchsförderung. Man sieht sehr schnell, ob jemand beißen kann oder nicht", sagt Stuck.
Stuck sichtet für die Speed Academy, eine Motorsport-Fördergruppe der Deutschen Post, Jahr für Jahr Talente. Timo Glock ist das Gesicht dieser Nachwuchs-Organisation. Der heutige Virgin-Pilot hat sein Handwerk aber wie viele andere heutige Formel-1-Fahrer auch in der Formel BMW gelernt. Nico Rosberg gehört ebenfalls in diesen Kreis, Nico Hülkenberg, Bruno Senna und Sebastien Buemi auch.
Vettel: "Ohne Red Bull würde ich nicht hier sitzen"
Allerdings hatte der Schweizer Buemi genauso wie Vettel nicht nur einen Förderer. Das Red-Bull-Juniorteam, das der Konzern 2001 gegründet hat und dem fast ebenso viele Formel-1-Talente entsprungen sind wie der Formel BMW, hat Vettel vor allem die finanzielle Sicherheit gegeben, die er brauchte, um sich in Ruhe auf den Sport konzentrieren zu können.
"Ohne Red Bull würde ich nicht hier sitzen und über meinen WM-Titel sprechen", sagte Vettel auf der Pressekonferenz in Salzburg. "Das Juniorteam gibt jungen Talenten die Chance, im Sport zu wachsen. Und das, ohne zu viel zu erwarten. Man lässt sie ihren Weg gehen. Motorsport ist sehr teuer - und genau da hilft Red Bull. Ich selbst hatte das Glück, davon zu profitieren."
Vettel ein "goldener Griff" für Toro Rosso
Am Ende durften sich beide Förderer über Vettels Erfolg freuen. Denn nach seinem ersten Rennen in Indianapolis 2007, als er den verletzten Robert Kubica im BMW-Sauber vertrat und gleich einen WM-Punkt holte, wechselte er in den Schoß von Red Bull, nämlich zum Schwesterteam Toro Rosso.
"Teamchef Franz Tost und ich haben damals diskutiert, wen wir als Fahrer nehmen sollen. Da hat Dietrich Mateschitz uns auf den jungen Kerl aus unserem Juniorteam hingewiesen, dem wir doch einmal eine Chance geben sollten", erzählte Ex-Toro-Rosso-Eigner Gerhard Berger bei "Servus TV". "Das hat sich als goldener Griff erwiesen."
Vettel bescherte dem kleinen Minardi-Nachfolger in Italien 2008 den ersten und einzigen Grand-Prix-Sieg der Teamgeschichte. Ganz nebenbei war er damit auch der erste Red-Bull-Junior, der ein Formel-1-Rennen gewinnen konnte.
Theissen: "Er wird nicht abheben"
Der Rest ist Geschichte. Der Wechsel zu Red Bull, die Niederlage im Titelkampf 2009 gegen Jenson Button, jetzt der große Triumph. Vettel ist am Ziel seiner Träume. Aber wie geht es mit ihm selbst weiter? "Mir ist wichtig, mir selbst treu zu bleiben", sagte Vettel ganz bodenständig.
Theissen ist sich sicher: "Er wird nicht abheben. Er wird aber auch nicht mehr jederzeit und für jeden zu sprechen sein. Wer das als Abheben deutet, liegt falsch. Es ist einfach nur die konsequente Fortsetzung seiner Linie: volle Konzentration auf die sportliche Leistung. Und deshalb wird der Weg zum WM-Titel auch künftig nur über Sebastian Vettel führen."
Vettel sympathischer und offener als Schumacher
So wie es aus deutscher Sicht mehr als ein Jahrzehnt lang bei Schumacher war. Er hat Vettel vorgelebt, wie man über lange Zeit in der Königsklasse Erfolg haben kann.
Aber: "Einen großen Unterschied zu Schumacher gab es schon immer", sagt Stuck zum Abschluss. "Sebastian kommt unheimlich sympathisch und offen rüber."
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