"Lieber unfaire Strafen als Todesfälle"

Von SPOX
Max Mosley war von 1993 bis 2009 FIA-Präsident
© getty

Er war 16 Jahre lang Präsident des Automobilweltverbands und ist einer der ganzen großen Namen der Formel 1: Max Mosley. Vor dem Japan-GP (alle Sessions im LIVE-TICKER) spricht der 75-Jährige im exklusiven Omnisport-Interview über die Gefahren der Königsklasse, die vergebliche Einführung einer Kostenobergrenze, die Hightech-Motoren, VW, den großartigen Sinn für Humor von Bernie Ecclestone und seine Ideen, um für mehr Spannung zu sorgen.

Cookie-Einstellungen

Frage: Herr Mosley, Sie haben den Automobilweltverband von 1993 bis 2009 als Präsident angeführt und in diesem Jahr ihre Autobiographie "Formula One and Beyond" veröffentlicht. In Ihre Zeit als FIA-Präsident fielen die Todesfälle von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna. Sie haben anschließend die Sicherheitsvorkehrungen verbessert. Dennoch starb Jules Bianchi vor einem Jahr beim Japan-GP.

Mosley: Jeder hat von ihm in den höchsten Tönen gesprochen. Der Unfall war extrem unglücklich und danach wurden dumme Dinge gesagt. Einige sagten, es dürfe keinen Traktor auf der Strecke geben. Man kann das andere Auto aber nicht da stehenlassen und man kann es manchmal nur mit einem Traktor bergen. Leider hat Bianchi sein Tempo nicht stark genug gedrosselt. Das ist auch ein Versäumnis der FIA. Von Beginn an sollten Fahrer lernen, dass Gelbe Flaggen Gefahr, geschwenkte Gelbe Flaggen 'Fahrt langsam' und doppelt geschwenkte 'Fahrt langsam und seid bereit unmittelbar zu stoppen' bedeuten. In den kleineren Kategorien werden diese Regeln nicht streng umgesetzt. Meiner Meinung nach müssten die Marshalls die Rennleitung informieren, wenn sie glauben, dass ein Fahrer die Flaggen nicht beachtet hat. Es würde sicher Fehlbeurteilungen wie beim Fußball geben, aber lieber ein paar unfaire Strafen als Todesfälle oder schwere Unfälle.

Mark Webber im Interview: "Sebastian hatte mehr Profil"

Frage: Die in den letzten zwei Jahrzehnten gebauten Strecken erhöhen bei einigen Fahrern durch die weiten Auslaufzonen die Bereitschaft zum Risiko. Suzuka gehört als klassischer Kurs nicht dazu. Dort gibt es etwa noch Kiesbetten. Hätte die Sicherheit nach dem Unfall weiter verbessert werden müssen?

Mosley: Es ist sehr schwer, die richtige Balance zu finden. Manche sagen, es wäre schon zu sicher. Sie sagen es solange, bis etwas passiert. Wenn jemand stirbt, ist das für ihn kein Problem. Er ist tot. Aber für Familie, Freunde und jeden um ihn herum ist es schrecklich. Der Tod darf kein Bestandteil des Sports sein. Es geht bei der Verbesserung der Sicherheit immer darum, die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zu reduzieren.

Frage: Glauben Sie, dass die Fahrer in der Saison 2015 mit einer anderen Einstellung nach Suzuka zurückgekehrt sind?

Mosley: Das bezweifle ich stark. Rennfahrer reden manchmal ein bisschen über Sicherheit, prinzipiell ist es aber so: Wenn Sie einem Rennfahrer zwei Autos geben - das eine sehr sicher und das andere sehr gefährlich, dabei aber zwei Sekunden pro Runde schneller - dann wird jeder Rennfahrer das gefährliche Auto fahren wollen. Sie denken nicht an Sicherheit. Wenn sie daran denken, ist es Zeit fürs Karriereende. Deswegen muss der Dachverband sagen: 'Nein. Nicht das gefährliche Auto.'

Frage: Der einzige, vom Auto ungeschützte Körperteil eines Formel-1-Fahrers ist noch immer der Kopf. Zuletzt starb Justin Wilson in der IndyCar-Serie, weil ihn Trümmer am Helm trafen. Sind geschlossene Cockpits die Lösung?

Mosley: Es gibt Unfälle, die durch geschlossene Cockpits wohl verhindert worden wären: Die Feder, die Felipe Massa traf. Das Rad, das John Surtees traf. Aber der Bianchi-Unfall wäre dadurch nicht anders ausgegangen. Da wirkten zu große Kräfte. Diesen Aufprall hätte nichts gestoppt. Die FIA hat schon zu meiner Zeit die Sicherheit kontinuierlich erforscht. Das ist ein fortlaufender Prozess. Die Ingenieure und Konstrukteure schauen sich die Details sorgfältig an und tauschen Argumente aus. Deshalb ist bis jetzt nichts passiert, ein Schnellschuss wäre primitiv und würde nicht wirken. Ein gutes Beispiel dafür: Die Einführung der neuen Schutzhelme hat fünf Jahre gedauert. Wenn Massa keinen getragen hätte, wäre er mit Sicherheit stärker verletzt worden.

Frage: Eines Ihrer zentralen Projekte als Präsident, die Einführung einer Kostenobergrenze, ist bis heute nicht realisiert. Derzeit steht mit Lotus mal wieder ein Team vor der Insolvenz. Warum ist der Sport bis heute nicht wirtschaftlich gesund?

Mosley: Sowas kann man nicht einführen, ohne einige Teams zu verärgern. So war es schon immer. Bis 2002 gab es reine Qualifying-Autos. Sie wurden am Samstag mit einem Motor gefahren, der nur 50 Kilometer hielt, weil er kaum Kühlung hatte. Nach einer schnellen Runde wurden die Autos über Nacht komplett umgebaut. Ich habe den Teams im Januar 2003 gesagt, dass wir die Autos nach dem Qualifying unter Parc-Fermé-Regeln stellen und sie bis zum Start nicht herauslassen. Sie konnten also weiter ein Qualifying-Auto bauen, wären damit im Rennen aber wohl nicht so gut gewesen. (lacht) Einige Teams waren darüber stinksauer. McLaren und Williams haben ein Schiedsgericht einberufen: Es wäre abscheulich, was ich gemacht habe, Fahrer würden sterben, weil die Autos nicht richtig vorbereitet wären. Am Ende haben wir einen Kompromiss gefunden und die Qualifying-Autos abgeschafft. In der Saison danach kamen zum ersten Mal seit den 60ern bei einem Rennen alle Autos ins Ziel.

Frage: Das heißt, die Teams dürfen nicht an der Regelgebung beteiligt sein? Das ist immerhin der aktuelle Stand.

Mosley: Wenn man den Sport ordentlich führen will, dann kann man sie nicht immer zufriedenstellen. Es gab bei der Kostenobergrenze zwei Möglichkeiten. Die erste war, eine einfache Kostendeckelung einzuführen: 'Ihr dürft nicht mehr als X ausgeben' und das hätte alles einbezogen, auch die Fahrer und das Motorhome. Das hätte funktioniert. Wir hatten zwei absolute Topleute der Wirtschaftsprüfer von Deloitte dabei, die alles gecheckt haben. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, willigen Teams größere technische Freiheiten einzuräumen und es so zu arrangieren, dass sie mit sehr wenig Geld konkurrenzfähig gewesen wären. Das haben die großen Teams gehasst. Eines sagte, es wäre schrecklich, wenn plötzlich Marussia gewinnen würde. Für sie wäre es vielleicht schrecklich, aber für die Öffentlichkeit wäre es faszinierend. Für das Interesse am Sport wäre es die Antwort schlechthin. Die einzige Möglichkeit, das umzusetzen, wäre gewesen, dass ich nach dem Jahr 2009 noch ein Jahr weitergemacht hätte. Ich musste mich aber in England um andere Dinge kümmern.

Frage: Derzeit treiben die Zahlungen für die Antriebseinheiten die Kosten der kleinen Rennställe in die Höhe. Die Strategiegruppe der Formel soll sich darauf geeinigt haben, dass Kundenteams künftig pro Saison 12 Millionen Euro bezahlen. Ist das der richtige Weg?

Mosley: Zunächst möchte ich festhalten, dass die Hightech-Motoren gut für die Formel 1 sind. Selbst wenn die Fans es nicht mögen, zahlen die großen Unternehmen dafür. Sie haben Programme der unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung und müssen etwas nützliches tun. Diese Forschung ist nützlich. Das Problem ist, dass die Hersteller für die Motoren verlangen dürfen, was sie wollen. Das führt zu der absurden Situation, dass die für die Straßentechnologie relevante Forschung zum Teil durch die Formel 1 bezahlt wird. Die Regel hätte lauten müssen, dass ein Hersteller von Formel-1-Antrieben jedes Team beliefern muss, das daran interessiert ist, und zwar für einen ziemlich niedrigen Betrag von 3 bis 5 Millionen Euro. Wenn dann keiner einsteigen will, wird ein kommerzieller Motorenhersteller wie Cosworth oder Mecachrome beauftragt. Tatsächlich wären die Hersteller wohl trotzdem eingestiegen.

Seite 1: Mosley über Sicherheit und die Kostenobergrenze

Seite 2: Mosley über VW, Renault und Ecclestone

Artikel und Videos zum Thema