Mercedes dominiert die Formel 1 und macht doch Zugeständnisse an Renault, Honda und Ferrari. Toto Wolff erklärt den Grund, verrät den Plan für die weitere Karriere von DTM-Champion Pascal Wehrlein und ordnet die Leistungen von Nico Rosberg und Lewis Hamilton ein. Zudem kritisiert er Red Bull für den öffentlichen Druck auf die Motorenhersteller.
SPOX: Herr Wolff, Sie haben gerade zwei extrem erfolgreiche Wochenenden hinter sich. Erst die Verteidigung des Konstrukteurstitels der Formel 1 in Sotschi, dann die DTM-Meisterschaft für Pascal Wehrlein in Hockenheim. Welcher Titel war für Sie schöner, der von dem Sie erst auf dem Weg zum Flughafen in Sotschi erfahren haben oder der live an der Strecke?
Toto Wolff: Beide Titel sind sehr erfreulich. In meiner Gefühlswelt versuche ich einfach im Moment zu leben. Gerade die DTM war in den letzten Jahren schwierig für uns, wir mussten das Team wie schon in der Formel 1 restrukturieren. Das geht nicht von heute auf morgen. Diese Meisterschaft zu gewinnen, zeigt einfach, dass wir die richtigen Schritte gemacht haben. Die Bestätigung, dass das greift, ist unheimlich erfreulich.
SPOX: Und der Formel-1-Titel?
Wolff: Es ist die wichtigste Rennserie der Welt, mit der größten medialen Resonanz. Die Konstrukteursmeisterschaft im zweiten Jahr hintereinander zu gewinnen, ist genauso erfreulich. Die Aufgabe ist aber noch nicht erledigt, die Euphorie noch nicht wirklich durchgeschlagen. Erst sollten wir uns darauf konzentrieren, dass die Aufgabe erledigt ist, danach können wir feiern.
SPOX: Sie meinen den Fahrertitel, den Lewis Hamilton schon beim nächsten Rennen in Austin verteidigen kann. Gegenüber seiner Leistung scheint Nico Rosberg selbst in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung unterzugehen, obwohl er meist nur knapp hinter seinem Teamkollegen landet. Wie erklären Sie sich das?
Wolff: Es ist in der Tat so. Nico hatte in Monza und Sotschi zwei unglückliche Wochenenden, an denen die Technik ihn hängen lassen hat. In Sotschi hätte er gewinnen können und müssen, in Monza wäre er auf dem Podium gelandet, wenn nicht sogar auf Platz 2. Dann würde es in der Meisterschaft ganz anders ausschauen. Die Formel 1 ist nun mal ein mechanischer Sport. Man muss sich auf die Technik verlassen können. Im letzten Jahr ist das Pendel eher gegen Lewis ausgeschlagen. Aber es stimmt: Nicos sportliche Leistung ist höher einzuschätzen, als die Punkte es zeigen.
SPOX: Versuchen Sie das zu korrigieren?
Wolff: Das kann man nicht korrigieren. Wir greifen nicht in das Ergebnis ein. Wenn ein Problem am Auto entsteht, dann schadet das dem Team bei der Konstrukteursmeisterschaft genauso. Deswegen versuche ich in der Öffentlichkeit diese Faktenlage zu beschreiben: Nico fährt auf Augenhöhe mit Lewis. Man muss in die Details reinschauen. Das tun nicht viele Leute.
SPOX: Eins der Kernthemen war für Mercedes in dieser Saison die Zuverlässigkeit. Das wurde schon vor dem Auftakt in Melbourne öffentlich kommuniziert. Trotzdem häuften sich zuletzt die Defekte: Rosbergs Motorenschaden in Monza, der Ausfall in Sotschi, Hamilton sprach in Suzuka von Problemen gegen Rennende, in Russland wackelte der Heckflügel. Warnen Sie deshalb vor einer Leistungssteigerung von Ferrari im kommenden Jahr?
Wolff: Wir sind unzufrieden. Dem Thema Qualität haben wir große Bedeutung beigemessen. Auch das geht aber nicht von heute auf morgen. Ein Qualitätsmanagement zu implementieren, dauert. Wir sind da dran. Es ist gleichzeitig eine Mentalitätsfrage und eine Implementierungsfrage. Wir hatten Defekte, wo Teile im Cent-Bereich verantwortlich waren wie zuletzt bei Nico oder bei Lewis in Singapur. Das darf nicht passieren und wurmt mich unheimlich. Aber das werden wir in den Griff kriegen. Wenn man mit Ferrari oder einem anderen Team auf Augenhöhe kämpft, dann kann man sich so etwas gar nicht leisten.
SPOX: Ihr öffentliches Auftreten erinnert in letzter Zeit etwas an Matthias Sammer beim FC Bayern München, der als Sportvorstand das Gesamtgefüge überblickt und immer wieder mahnt, wenn ihm etwas negativ aufstößt.
Wolff: Meine Rolle ist ganz anders als Sammers. Ich vertrete das Team vor den Medien an den Wochenenden. Wenn man es mit dem Fußball vergleicht, bin ich aber dazu nicht nur der Manager, sondern auch der CEO. Ich führe das Team und das Motorenwerk in Brixworth auch operativ. Das ist mein täglicher Job, vom Montagmorgen bis zum Freitagabend. An den Wochenenden kümmere ich mich dann um die kommerziellen und politischen Angelegenheiten, das große Ganze. Trotzdem bin ich in den sportlichen und technischen Ablauf involviert. Ich würde mir allerdings wünschen, etwas weniger Zeit mit den Medien zu verbringen. Wenn ich es aber nicht tue, würden sie sich jemand anderen krallen. Und es gibt ein paar Leute, die wesentlich wichtiger sind, um das Auto schnell zu machen. Deswegen ist das Teil meines Aufgabengebiets.
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SPOX: Ihr Team wird für die sportliche Leistung zwar gelobt, viele Fans kritisieren aber, dass Sie für die Langeweile verantwortlich sind - obwohl Sebastian Vettel ohne Mercedes-Teilnahmen schon in Japan Weltmeister geworden wäre. Dazu gesellt sich Red Bull, die seit Monaten öffentlich Druck machen, um ab der Saison 2016 Powerunits von Mercedes oder Ferrari zu bekommen. Wie gehen Sie mit der Situation um, in eine Ecke gestellt zu werden?
Wolff: Es wäre einfacher, wenn Red Bull sich stattdessen hinsetzen und die Probleme hinter verschlossenen Türen lösen würde. Das Zweite ist: Man kann es niemals allen Recht machen. Wenn ein Team dominant ist - wie zuletzt Red Bull viermal hintereinander und Ferrari in den 2000ern sechsmal hintereinander - dann ist es für den Fan langweiliger. Wenn ich mir die Fankappe anziehe, sehe ich das genauso. Aber das ist nicht die Kappe, die ich habe. Mein Primärziel ist, uns so erfolgreich wie möglich und das Auto so schnell wie möglich zu machen. Das darunter der Fan, beziehungsweise Bernie Ecclestone leidet, weil die Serie nicht so spannend wie möglich ist, ist Fakt. Aber das ist nicht mein Problem.
SPOX: Die Quoten bezüglich Siegen und Pole Positions entsprechen aktuell relativ genau denen von McLaren-Honda in der Ära mit Ayrton Senna und Alain Prost. Glauben Sie, dass die aktuelle Mercedes-Dominanz in 25 Jahren ähnlich wahrgenommen wird?
Wolff: Wir sind jetzt im zweiten Jahr und gewinnen hoffentlich den Fahrertitel. Wenn man sich die Jahre ansieht, in denen Red Bull, Ferrari, McLaren-Honda oder Williams-Renault erfolgreich waren, dann sind wir noch nicht über so einen langen Zeitraum dominant. Ich glaube nichtsdestotrotz, dass wir mit Mercedes erfolgreich an die große Historie der 50er Jahre rund um den klassischen Silberpfeil und Juan Manuel Fangio angeschlossen haben. Insofern ist das jetzt eine ganz spezielle Zeit - Statistik hin, Statistik her. In der Zukunft wird man diese Jahre vielleicht als solche identifizieren, aber wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Es ist noch viel zu tun.
SPOX: Im Hintergrund laufen derweil die Gespräche über die Zukunft der Formel 1. Zuletzt haben Sie bedeutende Zugeständnisse gemacht, um die Motorenentwicklung freizügiger zu gestalten. Das hätten Sie verhindern können, weil die Zustimmung aller Beteiligten nötig war. Sie hätten also ihre Überlegenheit zementieren können. Wieso haben Sie der Konkurrenz die Chance zum Aufholen gegeben?
Wolff: Wir haben in dem Fall vielleicht den Hut auf, dass wir auf einer Plattform agieren, auf der es konkurrenzfähige Teams geben muss. Honda und Renault sind für uns Hersteller, von denen wir uns wünschen, dass sie wie Ferrari mit uns auf Augenhöhe kämpfen. Deshalb können wir keine Hardliner sein und das Regelwerk immer nur in unsere Richtung optimieren. Wir müssen den anderen Luft zum Atmen geben. Honda ist ein Jahr später eingestiegen. Renault hat sich entschieden, wieder werksseitig teilzunehmen. Insofern ist eine Lockerung der Regularien im Sinne der Formel 1 und im Sinne von Mercedes. Wir sparen uns damit die Diskussion, dass die Motorenentwicklung eingefroren ist und die anderen nicht aufholen können. Es gibt gleiche Voraussetzungen für alle. Ich glaube, das ist wichtig.
SPOX: Die Teilnahme von Lotus oder Renault an der Saison 2016 ist allerdings noch nicht sicher. Es wurde nur eine Absichtserklärung unterzeichnet. Außerdem steht das Engagement von Red Bull weiter auf der Kippe. Bernie Ecclestone will in diesem Fall drei Autos der Topteams auf die Strecke bringen. Sie haben schon betont, die Umsetzung dessen selbst bei einem Verbleib aller Teams gutzuheißen. Ist das der Grund, warum Sie Pascal Wehrleins Zukunft nicht thematisieren? Weil Sie die Möglichkeit sehen, bald ein drittes Mercedes-Auto zu besetzen?
Wolff: (atmet tief ein) Ihre Frage trifft genau ins Schwarze. Die Antwort ist: Ja. Wir wissen noch nicht, in welche Richtung es geht. Ich finde, ein drittes Auto würde dem Fahrermarkt Bewegung verschaffen und es wäre für die Fans spannend, wie sich ein Wehrlein oder ein Stoffel Vandoorne in diesen Autos gegen die Superstars schlagen. Wir müssen nur sicherstellen, dass nicht drei Mercedes oder drei Ferrari auf dem Podium stehen - das ist das Detail, was zu lösen ist. Der Plan würde mir persönlich gut gefallen. Ich setze die Regeln aber nicht alleine durch. Ich kann nur versuchen, Impulse zu geben.
SPOX: Umgedreht: Wenn das dritte Auto nicht kommt, sprechen Sie mit Manor.
Wolff: Vielleicht sollte man da schon ein wenig früher sprechen. Aber es ist definitiv eine Alternative, die uns gut gefallen würde.
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