Rudolf Caracciola ist in Vergessenheit geraten. "Caratsch" gewann als einziger Pilot dreimal die Europameisterschaft der Königsklasse des Motorsports, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Formel-1-Weltmeisterschaft umgewandelt wurde. Der Hoteliersohn begründete den Mythos der Silberpfeile, er beeinflusste die englische Sprache. Dabei war er ein Aushängeschild der NS-Diktatur.
"Regenmeister". Noch heute existiert dieses Wort im englischen Sprachraum. Jackie Stewart bekam es verpasst, doch erstmals beschrieben die Gazetten im Vereinigten Königreich mit diesem Wort einen Deutschen: Rudolf Caracciola.
Der am 30. Januar 1901 in Remagen geborene "Caratsch" ist heute nur noch Insidern ein Begriff, obwohl ihm der legendäre Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer die größtmöglichen Fähigkeiten bescheinigte. "Ich bin mir sicher, dass Rudolf Caracciola von all den großen Fahrern, die ich kannte, Rosemeyer, Lang, Nuvolari, Moss oder Fangio, der größte war", schrieb Neubauer, der in den 1930er und 1950er Jahren den Mythos der Silberpfeile begründete.
Der frühere k.u.k.-Offizier mit dem stets auf Nabelhöhe des wohlgenährten Bauchs sitzenden Gürtel führte seinen Rennstall mit eisernem Regime zum Erfolg. Die Mercedes-Mechaniker waren gedrillt, schneller als die Konkurrenz. Davon profitierte später Juan-Manuel Fangio, der mit dem Silberpfeil die Formel 1 dominierte. Doch während der Argentinier bis heute in sämtlichen Historien des Motorsports seinen Platz findet, verblasste die Strahlkraft des deutschen Ausnahmetalents.
"Im wahnwitzigen 75-km-Tempo durch die steilen Kurven"
Caracciola hatte schon im Alter von 15 Jahren mit einer Sondererlaubnis den Führerschein gemacht. Statt wie vom Vater gewünscht zu studieren, ging er nach dessen Tod zum Aachener Automobilhersteller Fafnir. Er siegte beim Motorradrennen "Rund um Köln" 1922 und startete im selben Jahr auf der Automobil-Versuchs- und Übungsstrecke (Avus) in Berlin im Auto.
"Ein halsbrecherischer Anblick, die Wagen im wahnwitzigen 75-km-Tempo durch die steilen Kurven jagen zu sehen. Ich drückte auf das Gaspedal, was die Wadenmuskeln hergaben", erinnerte er sich Jahre später: "Nach der sechsten Runde brüllte mir mein Beifahrer zu: 'Langsamer, wir haben alle eingeholt!' Als wir am Ziel ankamen, gratulierten mir die Leute. Einem Journalisten musste ich meinen Namen buchstabieren."
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Sein vierter Platz im Gesamtklassement bedeutete den Klassensieg. Er brachte ihm Aufmerksamkeit. Zwar floh er aus Aachen nach Dresden, nachdem er einen belgischen Soldaten in einem Nachtclub geschlagen hatte, doch er bekam ein verlockendes Angebot aus Stuttgart. Hatte er bisher in einem möblierten Zimmer gewohnt und sich mit dem Verkauf der Fafnir-Kleinwagen irgendwie über Wasser gehalten, sah Daimler nun sein Talent. Caracciola bekam in der Dresdener Daimler-Niederlassung eine Stelle als "Verkaufsbeamter" angeboten. Für spärliche 100 Mark Grundgehalt.
Der Clou: Im Nebenjob bewegte Caracciola die Werkswagen bei Bergrennen und Zuverlässigkeitsfahrten, vier von acht Rennen gewann er. Die Erfolge des 25-Jährigen, von den Fahrerkollegen als "Milchbubi" betitelten Rheinländers, bewegten seinen Arbeitgeber dazu, ihn beim ersten Großen Preis von Deutschland an den Start gehen zu lassen. Glücklicherweise gab es einen Terminkonflikt. Das Werksteam weilte bei einem prestigeträchtigeren Rennen in Spanien, Caracciola reiste als Privatier an.
Blamage beim allerersten Deutschland-GP
Die große Chance war endlich gekommen. Doch sie verpuffte beinahe beim Start. Caracciola blamierte sich.
Sämtliche Autos rasen am 11. Juli 1926 in Berlin an der Startnummer 14 vorbei. Er hat die Kupplung zu schnell kommen lassen, den Motor abgewürgt. Beifahrer und Mechaniker Eugen Salzer springt aus dem Cockpit und versucht den Tag zu retten. Er schiebt das Ungetüm an, bis der 2-Liter-8-Zylinder wieder läuft. Zwei Minuten sind verloren.
Es folgt die erste Sternstunde Caracciolas. Er gibt Vollgas. Rücksichtslos. Nach zwei von zwanzig Runden über je 19,57 Kilometer liegt das Gespann schon an dritter Stelle. Die buckelige Piste, die zwei Tage zuvor bereits Luigi Platés Beifahrer Carlo Cattaneo das Leben gekostet hatte, scheint dem Jungspund keinerlei Probleme zu bereiten.
Geburt des Regenmeisters im Avus-Platzregen
"Weiter! Tempo! Tempo!", ruft Caracciola seinem Beifahrer zu, als ein heftiger Platzregen einsetzt. Während Salzer sich mühevoll im Cockpit festklammert, übernehmen sie die Führung.
Nur die Technik spielt einen Streich. Der Motor stottert. Caracciola legt einen Boxenstopp ein.
Laut Reglement muss er selbst die Reparaturen vornehmen. Zündkerze für Zündkerze baut er aus dem glühenden Achtzylinder aus. Erst als er nach über zwei Minuten Standzeit die letzte in den Händen hält, hat er den Defekt gefunden. Sie ist vollkommen verrußt.
Die Standzeit macht Caracciola nichts aus. Er fährt einfach noch schneller. Mit 154,8 km/h stellt er einen neuen Rundenrekord auf und kommt als Erster ins Ziel. Der "Regenmeister" ist geboren.
Hunderte umschwärmen das Auto, ziehen die beiden Insassen heraus. Siegerkränze werden umgehängt, die Nationalhymne erklingt. 17.000 Reichsmark und die Goldtrophäe verblassen aber neben der Botschaft, die ihn an der Siegertribüne erwartet: Seine Angebetete, Charlotte Liemann gibt ihm das Ja-Wort. Dass Mercedes den zweiten Platz verliert, weil Adolf Rosenberger in der Nordkurve bei einem Überholmanöver mit seinem Auto in Rundenzähltafel und Zeitnehmerhäuschen brettert, wobei zwei Studenten und der Zeitnehmer sterben, geht im Jubel über den prestigeträchtigen Sieg der deutschen Industrie unter.
Autorennen als Lebensinhalt
Rudolf Otto Wilhelm Caracciola, dessen ursprünglich aus Neapel stammende Familie seit dem 30-jährigen Krieg im Rheinland beheimatet war, ist fortan in aller Munde. Er eröffnet ein Autohaus am Kurfürstendamm, hält sich aber aus dem gesellschaftlichen Trubel heraus. Für ihn zählen nur Autorennen.
So ein Jahr später, als er zur Eröffnung einer brandneuen Strecke in die Eifel reist. 3000 Männer hatten zwei Jahre lang gearbeitet, um die "Erste Deutsche Gebirgs-Renn- und Prüfungsstraße" aus dem Boden zu stampfen. "Sowas hatten wir noch nicht erlebt", erinnerte sich Caracciola später an die heute als Nürburgring-Nordschleife bekannte Strecke: "Bei den spitzen, scharfen Ecken weiß jeder Fahrer, dass er langsam fahren muss, sonst wird er ohne Gnade aus der Bahn geschleudert."
Nicht so Caracciola. Erstmals steuert er den neuen "Typ S" von Mercedes in der deutschen Rennsportfarbe weiß. Schon bei den Testfahrten hatte er den fast fünf Meter langen Giganten mit Sechszylinder-Motor, 6,8 Litern Hubraum, 225 Pferdestärken und 2,3 Tonnen Gewicht kennengelernt. "Freilich, leicht zu fahren war diese deutsche Eiche von einem Auto nicht", gab er selbst zu.
Am 19. Juni 1927 säumen über 150.000 Zuschauer den Kurs, als um kurz nach 10 Uhr der Start zum Eröffnungsrennen erfolgt. Caracciola führt das Feld vom Start weg an, drei Stunden später erhält er den "Goldenen Nürburg-Ring" als Sieger aller Klassen.
Unerreichter Rekord beim Deutschland-GP
Die Strecke wird sein Wohnzimmer. Er gewinnt den Deutschland-GP nach dem Erfolg in Jahr 1926 auch noch 1928, 1931, 1932, 1937 und 1939. Sechs Siege sind bis heute die unerreichte Bestmarke. Nebenbei kam "Caratsch" auf die Idee, sich mit den inneren Rädern im Graben neben der Karussell-Kurve einzuhaken. Der Trick verschaffte ihm eine höhere Kurvengeschwindigkeit. Kurz darauf wurde der Graben entfernt und Betonplatten verlegt. Die legendäre Steilkurve war entstanden.
Abseits der Rundstrecke gewinnt er 1930 seine erste von drei Europameisterschaften bei den Bergrennen. Doch der sportliche Erfolg wird getrübt. Das Autohaus ist insolvent, Caracciola, mittlerweile im Schweizer Ort Ruvigliana bei Lugano wohnhaft, erhält im Dezember ein Einschreiben: Mercedes kündigt seinen Vertrag als Werksfahrer.
Als Privatier bei der Mille Miglia
Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen sich die Stuttgarter aus dem Motorsport zurück. Den Tränen nahe droht Carraciola bei einem Werksbesuch mit einem Wechsel zu Alfa Romeo und deren Rennleiter Enzo Ferrari. Bei Neubauer klingeln die Alarmglocken. Er schlägt Generaldirektor Wilhelm Kissel einen Kompromiss vor: "Caratsch" kauft für die nächste Saison einen leichteren Rennwagen vom Typ SSKL, das Werk liefert Ersatzteile, Benzin, Reifen und stellt einen Mechaniker sowie den Rennleiter ab. Alle Seiten sind einverstanden.
Nur Caracciolas Dackel Moritz macht Neubauer Sorgen. Immer wieder organisiert er persönlich passendes Futter für den Vierbeiner und lässt Tierärzte zum Rennen bringen. "Nichts als Ärger macht der Moritz", notiert der Rennleiter im Frühjahr 1931 in sein Tagebuch: "Aber schließlich muss ich den Rudi bei Stimmung halten." Geht es seinem Dackel schlecht, fährt Caracciola langsamer.
Doch als im April mit der Mille Miglia das härteste Rennen der Welt ansteht, sind beide in Topform. Caracciola startet als einziger Deutscher ohne ein einziges Training gegen Ferraris Flotte aus einem Dutzend Alfa Romeos mit fast 100 Mechanikern. Überall an der 1600 Kilometer langen Strecke haben die Italiener Hilfskräfte verteilt. Dagegen das Vier-Personen-Team um Caracciola, Neubauer, Ehefrau und Zeitnehmerin Charly, den Mechaniker und Dackel Moritz.
Das Undenkbare gelingt: Nach 16:10:10 Stunden kommt Caracciola mit neuem Geschwindigkeitsrekord als Erster ins Ziel. Mehr als zehn Minuten beträgt sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten, Guiseppe Campari. "Caratsch" ist nicht nur der erste Deutsche, der das Rennen gewinnt, er ist der erste Ausländer überhaupt, dem das Kunststück gelingt. Neun große Rennen fährt das Privatteam im Jahr 1931, alle enden siegreich. 180.000 Reichsmark Prämien und der Aufstieg Mercedes-Benz' zur besten Marke im Motorsport sind der stolze Lohn.
Erfolg führt zur Existenznot
Doch die Anstrengungen führen in die Existenznot. Die ständig wechselnden Regierungen der Weimarer Republik bekommen aufgrund der hohen Reparationszahlungen die Wirtschaft nicht in den Griff. Mercedes-Benz friert sämtliche Ausgaben ein, um das Überleben zu sichern.
"Soll ich etwa Hunger leiden, nur weil es in Deutschland keine einzige Firma mehr gibt, die sich noch einen Rennstall leisten kann?", fragt Caracciola seinen Förderer Neubauer. Er macht seine Drohung war, heuert bei Ferrari in Mailand an, gewinnt Nürburgring-, Avus-, Monza- und weitere Rennen und krönt sich zum dritten Mal in Folge zum Berg-Europameister.
Als Alfa Romeo selbst wegen Finanznöten nach der Saison den Stecker zieht, reist Caracciola auf eigene Faust zum Monaco-Grand-Prix 1933. Er hat er mit seinem französischen Kollegen Louis Chiron ein Privatteam gegründet.
Horror in Monaco
Erstmals erfährt Caracciola am eigenen Leib, wie gefährlich der Motorsport ohne Sicherheitsgurte, ABS, Airbags und andere Hilfsmittel ist. Am 21. April versagen im Training bei 130 km/h vor der Tabac-Kurve plötzlich drei der vier Bremsen. Erst blockiert ein Vorderrad, dann schleudert der gekaufte Alfa in die Absperrung, immerhin kann er den Flug in den Hafen vermeiden.
Caracciola steigt zwar selbst aus dem demolierten Auto, kollabiert dann aber. Chiron fängt ihn auf. Er war hinter ihm hergefahren, um die Strecke kennenzulernen. Bewusstlos wird der Deutsche mit gebrochenem Bein ins Krankenhaus gebracht. Das Hüftgelenk ist zertrümmert und zersplittert. Spezialisten nehmen sich in Bologna seiner Verletzung an. Über sechs Monate liegt er eingegipst im Bett. Erst im Dezember kehrt er auf Krücken nach Lugano zurück. Und erhält von Neubauer eine Einladung nach Stuttgart.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hat der Wirtschaft einen Aufschwung verliehen, Daimler-Benz Geld in die Kassen gespült. Die Stuttgarter Ingenieure haben im Verborgenen den W25 nach dem neuen Formel-Reglement mit der Maximalmasse von 750 Kilogramm entwickelt.
Caracciola ist von dem Auto begeistert. Sein Ehrgeiz ist geweckt: Er will trotz der schweren Verletzungen wieder Rennen fahren. Er darf es trotz der Zweifel an seiner körperlichen Verfassung. Als der Gips weg ist, lernt er das Laufen neu. Fünf Zentimeter kürzer ist das rechte Bein im Vergleich zum linken. Die Schmerzen sind immens. Charly steht ihm zur Seite und stützt ihn. Bis zum 2. Februar 1934.
Aufgrund seiner Behinderung hatte Caracciola das geliebte Skifahren widerwillig aufgegeben, doch seine Ehefrau nahm eine Einladung von Freunden nach Arosa an. Er wartet stundenlang. Als es gegen Mitternacht klingelt und ein Polizist ihm mitteilt, dass Charlotte von einer Lawine erfasst wurde und tot ist, bricht für den 33-Jährigen die Welt zusammen.
"Caratsch" kapselt sich ab, zieht sich ins Schweizer Exil zurück. Erst als Louis Chirons mit seiner Lebensgefährtin Alice Hoffmann aus Paris anreist, wird seine Trauer erträglich. "Baby", wie die seit langem mit den Carraciolas befreundete Amerikanerin mit deutschem Vater und schwedischer Mutter genannt wird, wird für den Rennfahrer unverzichtbar. Drei Jahre später, am 19. Juni 1937, heiratet er Alice.
Der Silberpfeil-Mythos entsteht
Im Auto ist Caracciola trotz seiner Behinderung unantastbar. Seinem langjährigen Bergrivalen Hans Stuck nimmt er bei seinem Comeback am Klausenpass im August 1934 gleich 3,2 Sekunden ab. Sieg. Doch er hat Schmerzen. "Jeder Druck auf die Bremse fährt wie ein Messerstich auf den Oberschenkel", beschreibt er später in einem Buch die Qualen: "Wenn ich aufgebe, gebe ich mich selber auf."
Beim Grand Prix der Schweiz und in Monza gibt Caracciola im vor der Premiere ein Kilo zu schweren und deshalb vom Lack befreiten Silberpfeil auf. Im nächsten Jahr macht ihm Teamkollege Luigi Fagioli Konkurrenz. Nach einem Motorschaden in Monaco gewinnt Caracciola in Tripolis, auf dem Nürburgring, in Frankreich, in Spa, in der Schweiz und im spanischen San Sebastian. Am Ende entschädigt ihn der Europameistertitel des Jahres 1935. Caracciola steht auf dem Olymp des Motorsports.
Dann macht Caracciola allerdings eine unbekannte Erfahrung: Er verliert. Auto-Union überflügelt die Stuttgarter. Es ist der Aufstieg Bernd Rosemeyers, der Daimler-Benz zur Restrukturierung zwingt. Mit dem W125 fährt Caracciola im Jahr 1937 seinen zweiten EM-Titel ein. Mit Stromlinienkarosserie erreicht das Geschoss fast 400 km/h. Auto-Union hält mit dem Typ C dagegen.
Tödliche Propaganda für die Nazis
Den Nazis in Berlin gefiel die Entwicklung. Der rennfreie Winter wurde fortan für Propaganda genutzt. Auf der Avus, bei Budapest und auf den Autobahnen bei Dessau und Frankfurt fand die "Reichsrekordwoche" statt. Mercedes und Auto-Union duellierten sich mit Geschwindigkeitsrekorden.
Der eigens konstruierte 736 PS starke Benz fuhr mit Caracciola am Steuer am 28. Januar 1938 bei Frankfurt zu einem neuen Weltrekord. Nach acht Sekunden war der erste fliegende Kilometer absolviert. 432,692 km/h - bis heute auf einer öffentlichen Straße unerreicht.
Auto-Union soll den Rekord wenig später mit Rosemeyer am Volant überbieten. Sorgenfalten bei sämtlichen Beteiligten. Der Wind ist stärker geworden, Reif auf der Strecke. Caracciola geht zu seinem Kollegen hinüber: "Ich fahre nicht mehr, weil auf der Strecke Seitenwinde zu verspüren sind an einer Waldschneise bei Mörfelden." Rosemeyer gratuliert zum Rekord und zwängt sich umgehend ins Cockpit. "Und jetzt bin ich dran", ruft er Caracciola zu, der auf weitere Warnungen verzichtet. "Viel Glück, Bernd", gibt er seinem Konkurrenten noch mit auf den Weg.
Rosemeyer startet. Er kehrt nie mehr zurück. Bei weit über 400 km/h erfasst eine Windböe sein Auto. Mehrere Überschläge, der Fahrer fliegt aus dem Wagen und landet 20 Meter von der Bahn entfernt in der Böschung. Rosemeyer stirbt mit nur 29 Jahren. Die Leibstandarte Adolf Hitler marschiert zur Beerdigung auf, der Führer und Heinrich Himmler höchstpersönlich kondolieren der Witwe des SS-Mitglieds.
Der Tod wird zum Begleiter
"Rennen fahren ist kein zahmer Beruf. Er verlangt alles von einem Mann, wenn es sein muss: das Leben", gibt Caracciola später zu Protokoll: "Niemand hat uns dazu gezwungen. Oder doch: das Herz, die Freude am sportlichen Wagnis und das Bekenntnis zum Fortschritt."
Caracciola macht weiter. Der Tod ist für Rennfahrer ein ständiger Begleiter. Selbst das geänderte Reglement der Formel 1 hält ihn nicht auf. Per Kompressor ist der auf drei Liter geschrumpfte Motor aufgeladen. Zwölf Zylinder, 468 PS - Mercedes ist unschlagbar. Nur zwei Rennen gewinnt der Deutsche und sammelt trotzdem genug Punkte, dass er zum dritten und letzten Mal die Europameisterschaft gewinnt.
Doch der Zahn der Zeit nagt. In der Saison 1939 trumpft sein junger Teamkollege Hermann Lang auf und holt den Titel. Neubauer und Caracciola geraten aneinander, weil der 38-jährige Altmeister um seinen Platz fürchtet. Am 23. Juli 1939 gewinnt Caracciola abermals am Nürburgring den Deutschland-GP. Er wird "Großdeutscher Meister" und zieht sich nach Lugano zurück. Doch der Rennzirkus kriselt. Der neue Weltkrieg lässt die Motoren verstummen.
Im Konflikt mit der Diktatur trotz irritierender Gedanken
Allein in Berlin will man ihm seine Altersruhe nicht gönnen. Die Reichskanzlei fordert ihn zur Rückkehr nach Deutschland auf. "Caratsch" verweigert sich. Seine mit Daimler-Benz vertraglich vereinbarte Rente wird gestrichen. Desertation, Fahnenflucht, gar Verrat am Vaterland werden ihm aus der Reichskanzlei angedichtet.
Caracciola ist zu diesem Zeitpunkt Obersturmführer der Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), auch wenn er nie Mitglied der NSDAP oder wie Rosemeyer SS-Hauptsturmführer wurde. Ohne diese Mitgliedschaft hätte "Caratsch" seinen Beruf nicht ausüben können. Im Gegensatz zu einigen anderen Rennfahrern sonnte er sich nicht dauerhaft im Glanz der Partei-Propaganda.
Trotzdem war er ein politischer Mitläufer. Obwohl in der Schweiz lebend, von Berlin um seinen Unterhalt gebracht und selbst auf Distanz zu den Nationalsozialisten gegangen, endete sein zweites Buch "Rennen-Siege-Rekorde" mit den Worten: "Wenn der Sieg der Waffen errungen ist, wird der Führer auch wieder den Befehl zum Kampf der Rennwagen geben." Ob er sich so für den Fall des deutschen Siegs eine Fortsetzung seiner Karriere sichern wollte?
Das gescheiterte Comeback
Die Versuche, seine Rennfahrerkarriere wieder aufleben zu lassen, verlaufen tragisch. Beim Training zum Indianapolis 500 im Jahr 1946 verunglückt er schwer, als ihn ein Vogel am Kopf erwischte. Caracciola überlebte, weil die Organisatoren darauf bestanden hatten, er müsse den Helm eines Panzer-Fahrers tragen. Die Mille Miglia 1952 schloss er zwar als Vierter ab, doch kurz darauf verunglückte er beim Preis von Bern erneut.
Zwischenzeitlich in Führung liegend, überholten ihn die Markenkollegen Hermann Lang und Karl Kling. Caracciola erhöhte das Risiko, in der 13. Runde verlor er die Kontrolle über den 300 SL. Er prallte mit dem Heck gegen einen Baum. Blutüberströmt wurde er aus dem verbeulten Totalschaden geborgen. "Caratsch" überlebte, dieses Mal war sein Bein schwer verletzt.
F1-Legenden-Serie: Die Besten aller Zeiten
Nach 137 Siegen für Mercedes beendete ein dreifacher Unterschenkelbruch die sportliche Laufbahn des Rheinländers endgültig. Erst vier Jahre später kehrte er in seinen gelernten Beruf als Autoverkäufer zurück und kümmerte sich für Daimler-Benz um die amerikanischen und britischen Soldaten in Europa.
Einen Ruhestand konnte er nicht genießen. Nur sieben Jahre nach seinem letzten Rennen starb der erst 58-Jährige am 29. September 1959 nach Organversagen infolge einer Leberzirrhose im Stadtkrankenhaus von Kassel. "Rudolf Caracciola war stets ein bescheidener und stiller, enthaltsamer, fairer Sportsmann, der viele Freunde hatte", lautet eine Passage des Nachrufs der Rhein-Zeitung vom 30. September 1959.
"Für mich war Fahren mehr"
Wahrscheinlich trifft die eigene Beschreibung seines Lebens es besser: "Für mich war Fahren mehr! Mochte es Leute geben, die darüber lächelten oder die Achseln zuckten, dass man sein Leben daransetzte ein paar Sekunden schneller zu sein als andere. Für mich war's das Glück! So im Wagen sitzen, geduckt hinter der Windschutzscheibe, und warten, dass der Starter die Flagge senkt, und dann losrasen, vielleicht den Bruchteil einer Sekunde schneller als die anderen."
Erst zu seinem 100. Geburtstag wurde ihm in seiner Geburtsstadt Remagen ein Denkmal gesetzt. Die Inschrift trägt das verkürzte Zitat Alfred Neubauers: "Meiner Meinung nach ist, von allen Fahrern der ganzen Welt, Rudolf Caracciola der Größte gewesen." Der Nürburgring zog nach und benannte das Karussell nach ihm, die einzige Umbenennung eines Streckenabschnitts der Nordschleife seit dem Bau. 2008 wurde er in die deutsche Hall of Fame des Sports aufgenommen, bereits 1998 als bisher einziger Deutscher in die US-amerikanische International Motorsports Hall of Fame.
Vielleicht erklären die fragwürdigen Sätze seines zweiten Buchs, dass Caracciola in Vergessenheit geriet. Sportlich war er ein Held - ein Perfektionist, den Unfälle nur bei mechanischen Fehlern ereilten.