Ein Edelmann mit Racer-Gen

Dominik Geißler
06. April 201711:34
Lange vor Schumacher und Vettel fuhr Trips schon im roten Ferrariimago
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Wolfgang Graf Berghe von Trips war eine der Motorsportgrößen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Rheinländer hätte nicht nur erster deutscher Formel-1-Weltmeister der Geschichte werden können, er war auch ein Botschafter des Sports. Sein tragischer Tod schockte die Nation, doch sein Erbe lebt weiter: Ohne ihn hätte es die Karrieren von Michael Schumacher und Sebastian Vettel wohl nie gegeben. SPOX stellt die Legende am 59. Jahrestag seines Formel-1-Debüts vor.

10. September 1961. Die Formel 1 ist zu Gast in Monza. Der Große Preis von Italien steht kurz bevor. Die Tifosi-Tribünen rund um den etwa zehn Kilometer langen Kurs sind prall gefüllt und die italienische Sonne strahlt auf den königlichen Park.

Es ist alles angerichtet für einen perfekten Tag. Am Nachmittag soll die große Stunde des Wolfgang Graf Berghe von Trips schlagen, der die große Chance auf seinen ersten Weltmeistertitel hat.

Das Schicksal aber zeigte sich an jenem Sonntag von seiner dunkelsten Seite und machte aus einem Tag voller Träume einen Tag des Albtraums. Später war von der "schwarzen Stunde des Motorsports" die Rede.

Machtlos in den Tod

Dabei begann das Wochenende für Graf Trips perfekt. Mit seinem Ferrari fuhr der Deutsche bei seinem 27. Grand Prix erstmals in seiner Karriere auf Startplatz eins. Um Weltmeister zu werden, musste Trips lediglich vor seinem größten Meisterschaftskonkurrenten Phil Hill ins Ziel kommen.

Doch nach einem schlechten Start fiel er hinter den Amerikaner auf Platz sechs zurück. Hill schien in der Gesamtwertung zu enteilen. Trips drückte, gab alles und machte Boden gut - bis es zum verheerenden Zweikampf mit Jim Clark kam. Er zog bei der Anfahrt auf die Parabolica rechts am Briten vorbei, scherte beim Anbremsen auf die Kurve zu früh auf die Ideallinie zurück und traf mit seinem linken Hinterreifen Clarks rechtes Vorderrad.

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Die anschließenden Bilder sind so berühmt wie tragisch. Trips' Ferrari reißt bei Tempo 240 nach links, prallt gegen eine Böschung und wird mit mehrfacher Rotation vom anliegenden Drahtzaun zurück auf die Strecke bugsiert.

Trips ist völlig machtlos, wird aus seinem Wagen auf den Asphalt katapultiert und bricht sich das Genick. Der 33-Jährige ist auf der Stelle tot. Mit ihm sterben 15 Zuschauer, 60 weitere werden verletzt.

Das Rennen wurde - wie in der damaligen Zeit üblich - trotz dieses Horrorcrashs fortgesetzt. Hill fuhr zum Sieg und holte sich den Titel. "Ich wollte gewinnen, aber nicht um jeden Preis", zeigte sich der neue Champion sichtlich bestürzt über die Ereignisse.

"Ein echter Edelmann"

Mit dem Tod von Graf Trips verlor die Formel 1 nicht nur einen kommenden Weltmeister, sondern auch einen ihrer beliebtesten Fahrer.

Trips stand nicht etwa für den "bösen Deutschen", der nach dem Zweiten Weltkrieg so allgegenwärtig war. Nein, Trips war der Inbegriff des "ersten Europäers", dem es durch seinen Charme und sein menschliches Auftreten gelang, Deutschland wieder im Motorsport beliebt zu machen. Er war ein Frauenschwarm und beherrschte dank seiner Eloquenz den perfekten Umgang mit den Medien. Die Zeitungen schrieben vom "deutschen James Dean".

"Von Trips war ein Junge von echter Noblesse und großzügigem Wesen, ein echter Edelmann", sagte Enzo Ferrari einst über seinen ehemaligen Schützling: "Als Fahrer war er genauso ein vollendeter Herr wie in seinem täglichen Umgang."

Menschlichkeit statt Ruhm

Keine Allüren. Keine Skandale. Keine Prahlereien. Vielmehr waren Bescheidenheit und Menschlichkeit Trips' oberste Tugenden. Wichtiger als der Sieg sei schließlich das "Gefühl, ein gutes Rennen gefahren zu sein", sagte er einmal.

Ein Beispiel: die Mille Miglia 1957. Bei dem traditionsreichen Langstreckenrennen in Italien ereilte den in Führung liegenden Piero Taruffi kurz vor Schluss ein Getriebeschaden. Der hinter ihm folgende Trips hätte den Italiener, der sein letztes Karriererennen bestritt, ohne Mühe überholen und sich den Sieg sichern können. Doch Trips hielt sich zurück.

Nach dem Rennen notierte er: "Hätte gewinnen können, da Taruffis Wagen nicht mehr ging am Schluss. Bin aber dahinter geblieben. Freue mich viel mehr für ihn, und das Geschrei um mich wäre ja nicht schön gewesen."

Alles für einen Porsche

Es war nicht das erste Mal, dass die Mille Miglia eine besondere Rolle im Leben des Grafen spielte. Bereits zwei Jahre zuvor ebnete sie ihm um ein Haar den Weg in die Formel 1. SPOX

Durch einen zweiten Platz, den Trips trotz eines gebrochenen Gasgestänges einfuhr, wurde Mercedes auf ihn aufmerksam - und machte ihm Hoffnungen auf ein Cockpit in der Königsklasse.

Als die Silberpfeile aber zum Ende des Jahres 1955 aus der Formel 1 ausstiegen, rückte der große Traum in weite Ferne. Trips musste sich einen neuen Partner suchen und griff auf alt Bekanntes zurück: Porsche.

Die Stuttgarter waren es nicht nur, die den Grafen erstmals zur Mille Miglia einluden und damit für den ersten kleinen Meilenstein in seiner noch jungen Laufbahn sorgten. In einem Porsche begann auch die Karriere auf vier Rädern. Als 26-Jähriger kratzte der Rennliebhaber seine letzten Pfennigstücke zusammen und kaufte sich einen Porsche 356, mit dem er schon bald auf kleineren Veranstaltungen erfolgreich unterwegs war.

Dass sich der in Köln geborene Graf für den Motorsport interessieren würde, war früh ersichtlich. Seit ihn die Eltern mit an den Nürburgring nahmen, war der Knabe regelrecht infiziert vom Benzin-Virus.

Zum Bedauern dieser: Eigentlich sollte der Sprössling auf dem stattlichen Familiensitz Burg Hemmersbach auf die Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs vorbereitet werden. Doch der junge Trips beschäftigte sich lieber mit den Autos seiner Eltern, die er heimlich über das Schlossgelände fuhr.

Auch als sich die rennsportlichen Erfolge häuften, hielten die Eltern reichlich wenig von den Aktivitäten ihres Sohnes - und drehten kurzerhand den Geldhahn zu. Doch auf den Rennsport verzichten? Das wollte der rasende Graf auf keinen Fall.

Die Situation forderte vielmehr seine Kreativität. Um weitere Streitereien mit der Familie zu umgehen, fuhr Trips unter dem Pseudonym "Axel Linther" weiter. Obwohl die Tarnung sehr bald aufflog, besänftigten sich die elterlichen Gemüter, nachdem der Renngraf die Diplom-Prüfung zum Landwirt bestand. Tags zuvor hatte sich das Multitalent noch den Meistertitel beim Eifelrennen geschnappt.

Nach weiteren Erfolgen war Ferrari offenbar beeindruckt genug, um den Mann mit dem großen Hunger - Trips hatte bei jedem Rennen ein Butterbrot dabei - unter Vertrag zu nehmen.

Ruf als Count Crash

Im August 1956 war es dann endlich soweit: Graf Trips durfte als Reservefahrer der Scuderia das erste Mal in seinem Leben einen Formel-1-Boliden steuern.

Das Vergnügen in Monza war jedoch nur von kurzer Dauer. Nach einem Lenkhebelbruch verlor Trips die Kontrolle über den Ferrari und überschlug sich zwei Mal. Wie durch ein Wunder blieb der Rheinländer unverletzt. Die Scuderia verpflichtete ihn fest für die folgende Saison.

Am 13. Januar stand dann das Formel-1-Debüt in Buenos Aires an. 32 Runden vor Schluss übernahm Trips den Wagen von Peter Collins und fuhr einen hervorragenden sechsten Platz ins Ziel.

Doch auch in Trips' Karriere lief nicht alles perfekt. Nach einem Auffahrunfall beim Italien-GP 1958 gaben ihm die britischen Medien den unrühmlichen Spitznamen Count Crash.

Die Folgen des Unfalls waren für Trips aber weit schlimmer als nur ein schlechter Ruf. Mit einer Knieverletzung fiel der Graf zwei Monate aus, die Karriere erlitt ihren ersten herben Dämpfer, Enzo Ferrari plante für 1959 ohne den Grafen.

Ein schweigender Held

So sportlich unerfolgreich das Jahr auch endete, menschlich bewies der Graf seine Ritterlichkeit allemal. Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans stoppte Trips seinen Wagen trotz Siegchancen, um den verunglückten Franzosen Jean Hebert aus seinem brennenden Wrack zu befreien - und ihm damit das Leben zu retten.

Die Aktion fand fernab jeglicher Kameras statt. Der Retter selbst verlor in der Öffentlichkeit nie ein Wort über das Geschehene. Erst ein Dankesschreiben Heberts, das sich in Trips' Nachlass befand, gab Aufschluss über die Heldentat.

8:59.9 Minuten für die Geschichte

Nach seinem zwischenzeitlichen Aus in der Formel 1 lag die Konzentration des Blaublüters 1959 voll und ganz auf anderen Rennserien. Erneut zeigte er dabei sein außerordentliches Talent, fuhr das Jahr über mehrere Erfolge ein.

Das blieb auch Enzo Ferrari nicht verborgen. Der Italiener gab seinem Schützling eine zweite Chance und setzte ihn zu Beginn der 60er-Jahre wieder als Werksfahrer in der Formel 1 ein.

In seiner Comeback-Saison war für Trips mit dem unterlegenen Ferrari nicht viel mehr drin als ein sechster Rang in der Fahrerwertung. Doch schon ein Jahr später ging es deutlich bergauf.

Aufgrund von zahlreichen Regeländerungen dominierte Ferrari die Saison '61. Beim Großen Preis von Deutschland und Europa gelang es Graf Trips als erstem Fahrer überhaupt, eine Runde auf dem Nürburgring in weniger als neun Minuten zu beenden. Eine Fabelleistung, die in die Geschichtsbücher einging.

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Im niederländischen Zandvoort gewann er schließlich sein erstes Formel-1-Rennen. Nur wenig später folgte Triumph Nummer zwei. Beim Regen-Grand-Prix in Großbritannien deklassierte Taffy, wie ihn die Engländer mittlerweile nannten, seine Konkurrenz sogar um eine halbe Minute.

Die Saison verlief weiter hervorragend, der fliegende Graf raste weiter von Punkt zu Punkt und hatte den Titel fest im Visier.

Doch dann kam Monza. Und alles war vorbei.

Wegbereiter für Schumi und Co.

Was blieb nach dem plötzlichen Tod vom ersten deutschen Helden in der Formel 1? Es sind nicht nur die sportlichen Erfolge, die Siege, der posthume Vizetitel.

Trips war ein Botschafter des deutschen Sports. Er schuf mit dem Deutschen Sportfahrer Kreis e.V. und der Scuderia Colonia sportliche Klubs für das Gemeinwohl, finanzierte eine Nachwuchsserie und tat etwas, für das ihm noch heute tausende Menschen danken werden: Er brachte den Kartsport nach Deutschland.

Nach seinem Tod eröffnete sein Fan-Klub schließlich eine Kartbahn in Horrem, an deren Planung Trips selbst noch Teil hatte. Später wurde sie in Kerpen neugebaut, erweitert - und von zwei gewissen Schumacher-Brüdern als Stammstrecke benutzt. Auch Sebastian Vettel, Nick Heidfeld und Heinz-Harald Frentzen trainierten hier in ihrer Jugend Runde um Runde.

Es ist also nicht vermessen zu sagen: Ohne Graf Trips hätte es die Karrieren von zahlreichen deutschen Motorsportgrößen wohl nie gegeben. Einen größeren Nachlass kann es für einen Motorsportliebhaber wie den Grafen kaum geben.

Der Rennkalender 2016