Renault kehrt beim Australien-GP 2016 (alle Sessions im LIVETICKER) mit einem eigenen Werksteam in die Formel 1 zurück. Die Marke hat eine 100-jährige Tradition im Grand-Prix-Sport, die bis zum allerersten Rennen in Le Mans zurückreicht. Doch für die Weltmeisterschaft wurden die Franzosen erst wichtig, als sie den Turbo-Motor einführten. Vorausgegangen war ein Versteckspiel der Ingenieure vor der eigenen Konzernleitung.
Ferenc Szisz ist in Vergessenheit geraten. Dabei steht der Ungar in einer Linie mit Größen wie Alain Prost, René Arnoux und Fernando Alonso - zumindest ein wenig.
Der damals 33-Jährige gewann am 26. Juni 1906 den erstmals ausgetragenen Großen Preis von Frankreich nach 12:14,07 Stunden und 1238 Kilometern mit 32 Minuten Vorsprung. Szisz' Sieg wirkt bis heute nach. Der Grand Prix von Frankreich inspirierte die Automobilenthusiasten zu weiteren Rennen, ein Weltverband wurde aus der Taufe gehoben, das Reglement vereinheitlicht, eine Europameisterschaft gegründet, aus der eine Weltmeisterschaft hervorging, die Bernie Ecclestone schließlich in die entlegensten Winkel der Welt brachte. Nur von Renault war lange nichts mehr zu sehen.
Nachdem Marcel Renault beim Paris-Madrid-Rennen tödlich verunglückt war, beendete Bruder und Firmengründer Louis die Rennaktivitäten. Der Fokus der Firma verlagerte sich auf den Verkauf der Autos statt der Vermarktung über die Rundstreckenrennen.
Der Traum von der Formel 1
Einige Ingenieure wollten sich damit in den 1970er Jahren allerdings nicht anfreunden. Sie wollten Rennen fahren. "Es war eine verrückte Idee", sagte Chefentwickler Bernard Dudot im Rückblick. Das einzige Problem: Die Knausrigkeit der Konzernleitung.
Hätten Dudot und seine Mitstreiter ein Budget beantragt, sie wären wohl einen Kopf kürzer in ihre Entwicklungsabteilung zurückgekehrt. Also zettelten sie eine Verschwörung an, um der ganzen Welt die Fähigkeit französischer Automobilbauer zu beweisen.
Ein 1,5-Liter-V6-Motor mit Turboaufladung sollte den altbekannten 3,0-Liter-Saugern in der Formel 1 die Weltmeisterschaft streitig machen. Eine Revolution.
Auch wenn die Turbo-Profis von Porsche die Idee als undurchführbar abstempelten, lag der Entscheidung eine logische Überlegung zugrunde. In der Saison 1963 stieg der Hubraum der Formel 1 von 1,5 Litern auf 3,0 Liter. Bessere Zuverlässigkeit war das Ziel. Nur war sich niemand sicher, ob binnen drei Jahren genug Hersteller Aggregate bereitstellen würden.
Eine Equivalenzformel musste geschaffen werden. Per Kompressor sollten die alten Motoren aufgeladen werden, wie es Mercedes und Auto Union schon vor dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich umgesetzt hatten. Die Möglichkeit nutzte allerdings keiner. Es fanden sich genug Hersteller, das Reglement blieb trotzdem bestehen.
Die Reglementlücke epischen Ausmaßes
Dass dies eine Reglementlücke epischen Ausmaßes war, wurde erst offenkundig, als einige US-amerikanische Ingenieure in den 1970ern auf die Idee kamen, die aus dem Flugzeugbau bekannten Turbolader in ihre Autos einzubauen. Während ein Kompressor einen Teil der Motorenleistung abzweigt, um die Luft zu komprimieren, geschieht dies beim Turbo durch eine den Abgasstrahl nutzende Turbine ohne Leistungsverlust.
Renaults Ingenieure waren elektrisiert. Sie wollten einen solchen Motor entwickeln, um damit in der Formel 1 gegen Ford-Cosworth, Ferrari, Matra und Alfa Romeo anzutreten. Nur hatten sie kein Geld.
500.000 Francs veranschlagten die Franzosen. Die konnten sie dem wenig Motorsport-begeisterten Konzernchef nicht verheimlichen. François Guiter, Marketingchef von Elf, wurde angefragt. Der ging ins Nachbarbüro zum Finanzchef des Mineralölkonzerns.
"Er fragte mich: '500.000 Francs? Wofür?'", erinnerte sich Guiter später an das Gespräch: "'Um einen F1-Motor zu bauen.' - 'Aber der Renault-Präsident hat das verboten.' Also haben wir das Budget unter dem Titel 'Test eines Hochleistungsmotors' verbucht."
Das Versteckspiel von Viry-Chatillon
In Viry-Chatillon begann die geheime Forschung. Schon nach zehn Monaten folgte im November 1975 der erste Test auf der Strecke. Eingebaut wurde der Motor in einen Le-Mans-Prototyp von Alpine - schließlich sollte die Konzernspitze nichts wissen. "Ich fuhr ein oder zwei Runden, kam wieder in die Box und und erklärte, es sei wohl besser sofort aufzuhören. Es funktionierte überhaupt nicht", erinnerte sich Testfahrer Jean-Pierre Jabouille.
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Trotzdem hielten Elf und die Ingenieure an ihrem Plan fest. Der Mineralölkonzern ließ sogar ein Modell des Motors zu seinem Formel-1-Partner Ken Tyrrell schicken. Bei Alpine, durch die Langstreckenrennen mit den Renault-Ingenieuren verbandelt, wurde an einem eigenen Formel-1-Chassis gebaut - offiziell für ein Formel-2-Auto.
Der Plan fliegt auf
Irgendwann musste die Konzernspitze von dem Geheimprojekt etwas mitbekommen. Das geschah auch. Doch statt den Ingenieuren das Spielzeug wegzunehmen, ermutigte sie ihr Arbeitgeber plötzlich.
Ausschlaggebend war eine Personalie in der Konzernleitung. Bernard Hanon war zum Präsidenten aufgestiegen. Wie der junge Louis Renault war er ein Motorsport-Enthusiast, ein Glücksfall für den französischen Rennsport. Die Begeisterung zeigte sich schnell: Anfang 1974 stellte Renault eine eigene Motorsportabteilung auf, indem der Konzern die Rennmarken Alpine und Gordini in Viry-Châtillon zusammenlegte - und umgehend das eigene Engagement auf den Kopf stellte.
Der Schwerpunkt hieß fortan Rundstrecke statt Rallye, weil Hanon den durch die Querfeldeinfahrer zu erreichenden Markt als zu klein betrachtete. Ein Le-Mans-Sieg sollte her. Doch die Ingenieure waren damit nicht ausgelastet.
"Wir waren ein junges Ingenieurteam, heiß auf die Formel 1 und konnten Hanon überzeugen", erinnerte sich Dudot. Renault beschloss im Juli 1976, neben dem Engagement auf der Langstrecke gleichzeitig ein Formel-1-Programm zu starten. Im Dezember folgte die offizielle Bekanntgabe des Mammutprojekts. Da Motor und Chassis durch die Hinterzimmer-Arbeit bereits fast fertig waren, konnte sechs Monate später das erste Rennen gefahren werden.
Um es kurz zu machen: Es war ein riesiges Desaster.
Der Renault RS01 debütierte beim zehnten Lauf der WM 1977 in Silverstone. Jabouille qualifizierte sich für den 21. Startplatz und stellte das Auto nach 17 Runden mit rauchendem Heck ab. Ausgerechnet der Turbolader hatte den Geist aufgegeben. Bis zum Ende der Folgesaison gelangen den Franzosen bei 18 weiteren Starts nur drei Zielankünfte. Der RS01 bekam den unschönen Spitznamen "Gelber Teekessel".
Ein Teekessel ohne den nötigen Druck
Zwar gelang Jabouille zum Saisonabschluss 1978 in Watkins Glen mit Platz 4 die erste Fahrt in die Punkteränge, trotzdem standen zwei Jahre voller Fehlschläge in der Bilanz. Das Auto kam aufgrund des Turbolochs im unteren Drehzahlbereich noch immer nicht von der Stelle.
Doch die Misserfolge waren kalkuliert. Dass die Turbotechnik für Siege prädestiniert war, zeigte Renaults Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 1978. Dort lief der 2-Liter-Motor aus der Formel 2 mit Zwangsbeatmung.
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Der RS01 in der Formel 1 war dagegen ein Testträger, Jabouille ein technisch begabter Entwicklungsfahrer. Nach zwei Jahren des Experimentierens baute Renault für die Saison 1979 mit dem RS10 einen komplett neuen Wagen.
Michel Tetu hatte ein Auto konstruiert, das den von Lotus eingeführten Ground Effect nutzte. Pünktlich zum Monaco-GP war das Chassis fertig und auch der Motor überarbeitet. Bi-Turbo hieß das neue Konzept, dass das Turboloch vergessen machte, und satte 520 PS ausspuckte.
Der Bi-Turbo revolutioniert die Formel 1
Der Erfolg stellte sich spontan ein. Schon beim zweiten Grand Prix, dem Heimrennen in Dijon, stand Jabouille auf der Pole Position. Zwar überholte ihn Gilles Villeneuve mit dem Ferrari in der Startrunde, doch der Franzose konterte. Nach Runde 46 war er wieder vorn, nach 80 Runden kam er als Erster durchs Ziel - mit 14,59 Sekunden Vorsprung auf die Rote Göttin.
Nach 73-jähriger Pause hatte Renault seinen zweiten Großen Preis von Frankreich gewonnen. Abermals brachten technische Innovationen den entscheidenden Vorteil.
"Dieser erste Sieg war fantastisch - für Michelin, für den Turbomotor. Ich war wirklich glücklich, weil es komplett französisches Equipment war, das in Frankreich gewann", erinnerte sich Jabouille, dem in Österreich ein Jahr später sein einziger weiterer Sieg in der Formel 1 gelang: "Wir hatten unseren ersten Grand Prix mit einer Technik gewonnen, die ganz anders als alles war, was die anderen zu der Zeit nutzten."
Ferrari gibt sechs Zylinder auf
In den 1980ern wurde das anfangs belächelte Konzept schließlich zum Sieggaranten in der Formel 1. Einzig die unterfinanzierten Hinterbänkler mussten mit den Saugmotoren Vorlieb nehmen. Selbst Ferrari sah sich gezwungen, seine durstigen 12-Zylinder zugunsten der Benzin-sparsamen Turbo-Technik aufzugeben.
Trotzdem oder gerade deswegen scheiterte Renault am ultimativen Ziel: Den Weltmeistertitel verpasste der junge Alain Prost Ende der Saison 1983 mit zwei Punkten Rückstand auf Nelson Piquet im Brabham-BMW.
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