SPOX: Halo-Einführung, Abschaffung der Grid Girls, Veränderungen der Startzeit - die Formel-1-Fans müssen sich in der neuen Saison auf viele Veränderungen einstellen. Was halten Sie vom Kurs, den Liberty Media und die FIA eingeschlagen haben?
Surer: Die Verantwortlichen machen laufend Studien und versuchen, dem Fan näher zu kommen, um dann aber solche Entscheidungen zu treffen. Das verstehe ich nicht. Wenn die Rennen später starten, ist es für die Fans noch schwieriger, sonntags wieder nach Hause zu fahren. Und ich glaube auch nicht, dass die Fans für die Abschaffung der Grid Girls waren. Eine völlig unnötige Aktion also. Zumal gerade in Amerika doch die Cheerleader zu jeder Sportveranstaltung gehören. Wollen sie dort jetzt auch alle abschaffen?
SPOX: Besteht die Gefahr, dass die Formel 1 durch solche Entscheidungen ihren viel zitierten "Mythos" verliert?
Surer: Nein, das glaube ich wiederum nicht. In dem Moment, in dem die Ampeln ausgehen, ist es Formel 1. Alles drumherum hat nicht diese Wichtigkeit. Schlussendlich will man ja die Rennen sehen.
SPOX: Also war früher nicht gleich alles besser?
Surer: Überhaupt nicht. Erstens gingen die Autos damals immer kaputt. (lacht) Zweitens waren die Unterschiede zwischen den Teams viel größer als heute, da gab es riesige Abstände. Ich erinnere nur an Ayrton Senna und Alain Prost, die im McLaren praktisch jedes Rennen gewonnen haben. Ich habe mal die alten Grands Prix aus den 80er-Jahren nachkommentieren müssen - oder besser gesagt, dürfen. (lacht) Wir hatten jeweils einen Zusammenschnitt von 50 Minuten und haben da Rennen kommentiert, in denen es kein einziges Überholmanöver gab. Heute haben wir viel besseres Racing, nur vergisst man die schlechten Dinge von früher eben gerne und denkt nur an die guten.
Marc Surer über die Bedeutung des Fahrers und seine Formel-1-Karriere
SPOX: Ein Mathematiker-Team von der University of Sheffield hat einen Algorithmus erstellt, der die Leistungen der Formel-1-Piloten unabhängig von ihrem Auto einstufen soll. Sie tauchen in dieser Liste auf dem 17. Platz auf - vor einem Stirling Moss, Nico Rosberg und nur wenige Plätze hinter Lewis Hamilton oder Sebastian Vettel. Der 17. beste Formel-1-Fahrer aller Zeiten - würden Sie das so unterschreiben?
Surer: (lacht) Ich habe davon gehört und fühle mich natürlich sehr geehrt. Das Ergebnis dieser Studie hängt stark damit zusammen, wer der Teamkollege war und wie oft man den geschlagen hat. Wenn ich also mit einem Hamilton im Team gewesen wäre, hätte ich es wohl nicht auf Platz 17 geschafft. (lacht) Ich bilde mir auf diese Liste nichts drauf ein, aber schön zu sehen ist es natürlich trotzdem.
SPOX: Motorsport-Kritiker werfen gerne ein, dass immer nur derjenige Fahrer mit dem besten Auto gewinnen würde. Wie wichtig ist die fahrerische Leistung im Vergleich zur Performance des Autos also tatsächlich?
Surer: Valtteri Bottas ist da ein gutes Beispiel. Im Williams hat er nicht wirklich etwas zerrissen, im Mercedes fährt er jetzt plötzlich um Siege mit. Daran sieht man, dass das Auto in der Formel 1 wichtiger ist - eine Tatsache, die zwar irgendwo schade ist, auf der anderen Seite aber schon immer so war. Außerdem ist es ja auch die Technik, die in der Formel 1 fasziniert. Nirgends sonst wird so schnell gefahren, nirgends sonst müssen die Fahrer bei fünf G solche Leistungen bringen. Das ist schon eine enorme Belastung, die nicht jeder einfach so aushält.
SPOX: Kommen wir genauer auf Ihre Karriere zu sprechen. Sie haben 1979 Ihr Debüt in der Formel 1 gefeiert. Im Folgejahr bestritten Sie dann Ihre erste volle Saison und konnten im unterlegenen ATS auf sich aufmerksam machen.
Surer: Genau. Ich fuhr auf Anhieb relativ schnell und konnten die Leute mit meinen Leistungen beeindrucken. Dann brach ich mir allerdings die Beine und musste unter Schmerzmitteln fahren, bis ich ein Jahr später wieder meine Topform gefunden habe.
SPOX: Dann kam der nächste Rückschlag.
Surer: Ja, nur zwei Jahre später habe ich mir nochmal die Beine gebrochen und war somit wieder raus. Wenn ich auf dem Notizblock eines Top-Teams gestanden haben sollte, wurde ich also spätestens da gestrichen. Verständlicherweise. Ich würde als Teamchef auch niemanden verpflichten, der die ganze Zeit nur im Krankenhaus liegt und von dem ich nicht weiß, wann er wieder fit wird. Wenn man in die Formel 1 kommt, muss man Leistung bringen und dann sofort den nächsten Schritt gehen. Bleibt dieser zweite Schritt aus, kommt er wahrscheinlich nie mehr. Das ist leider die Geschichte meiner Karriere.
Marc Surers Stationen in der Formel 1
Jahr | Team |
1979 | Ensign |
1980 | ATS |
1981 | Ensign, Theodore |
1982 - 1984 | Arrows |
1985 | Brabham |
1986 | Arrows |
Marc Surer über Unfälle, Schuld und Schicksal
SPOX: Einer Ihrer wohl schlimmsten Schicksalsschläge war der Unfall bei der Hessen-Rallye 1986, bei dem Ihr Fahrerkollege und Freund Michel Wyder ums Leben kam. Nachdem Sie mit Brüchen und schweren Brandverletzungen zunächst drei Wochen im künstlichen Koma lagen, traten Sie anschließend vom aktiven Motorsport zurück. Was war der genaue Grund für diesen Schritt?
Surer: Ich habe ein Jahr nach dem Unfall in Hockenheim an einem offiziellen Formel-1-Test teilgenommen und bin auch eine Zeit gefahren, die mich für das Rennen qualifiziert hätte. Doch ich saß im Auto und habe mich gefragt, was ich hier eigentlich mache. Es fehlte plötzlich die Hingabe. Da wusste ich, dass es definitiv die richtige Entscheidung ist, aufzuhören. Denn wenn man Formel 1 fahren will, muss es das Wichtigste auf der Welt sein. Ist es das nicht, hat man dort nichts verloren.
SPOX: Ausgelöst wurde der Unfall von einem Plattfuß, der das Auto unkontrollierbar machte. Geben Sie sich trotzdem eine Teilschuld an dem Crash?
Surer: Der Fahrer ist immer mitschuldig. Schließlich habe ich mir den Reifenschaden ja vorher beim Überfahren eines Randsteins zugezogen. Das Fatale war in dem Fall nur, dass gleich eine schnelle Kurve kam, sodass da nichts mehr zu machen war.
SPOX: Glauben Sie bei den schweren Unfällen, die sie hatten, an Schicksal?
Surer: Zumindest denkt man sich schon, dass es da irgendjemanden gibt, der dir immer wieder ein Bein stellt und nicht will, dass du erfolgreich bist. Alle meine Unfälle wurden von technischem Defekten ausgelöst - einmal war es die Bremse, dann die Aufhängung und bei der Rallye der Reifen. Das zermürbt einen.