Am Donnerstag wird Michael Schumacher 50 Jahre alt. Zuletzt wurde vor allem über den Gesundheitszustand des Formel-1-Rekordweltmeisters berichtet. Doch an seinem Geburtstag ist es an der Zeit, weiter zurückzublicken: auf sein erstes Rennen in der Formel 1. Das Debüt war dabei nur aufgrund von Pfefferspray, einer Gefängnisstrafe und einer Lüge möglich - und ganz nebenbei der Beginn einer neuen Ära.
Einen Tag vor seinem 50. Geburtstag stellte Michael Schumachers Familie einen offiziellen Facebook-Post online. Man bedanke sich für die vielen Glückwünsche und freue sich, eine eigene App inklusive virtuellem Museum veröffentlichen zu können, hieß es dort.
Zum aktuellen Gesundheitszustand des Kerpeners schrieben die Angehörigen lediglich: "Ihr könnt euch sicher sein, dass er in besten Händen ist und wir alles Menschenmögliche tun, um ihm zu helfen. Bitte habt Verständnis, wenn wir uns nach Michaels Wünschen richten und ein so sensibles Thema wie Gesundheit, so wie früher auch immer, in der Privatsphäre belassen."
Es ist die übliche Message der Familie Schumacher: (Genauere) Informationen zu Schumachers Verfassung sind tabu. Seit er am 29. Dezember 2013 beim Skifahren im französischen Meribel stürzte und mit dem Kopf auf einen Felsen prallte, ranken sich Gerüchte um seine Gesundheit. Von "Schumi kann sprechen" bis "Weihnachtswunder! Schumacher kann wieder gehen" (Bunte) titelten die Boulevard-Blätter, immer wieder ging Managerin Sabine Kehm juristisch gegen etwaige Meldungen vor.
Die letzten offiziellen Erklärungen datieren schon mehrere Jahre zurück. Klar ist daher nur, dass Schumacher nach mehreren Not-Operationen und dem zwischenzeitlichen Versetzen ins künstliche Koma seit September 2014 in seinem Zuhause am Genfer See an der Rehabilitation arbeitet.
Die Vorgehensweise von Familie und Management zeigt dabei eins: Privat soll privat bleiben. Statt auf den Gesundheitszustand möchte man den öffentlichen Blick wieder auf Schumis "Siege, seine Rekorde und seinen Jubel lenken".
Reizgasspray-Attacke macht Jordan-Cockpit frei
Und das mit Recht: Denn so tragisch die Geschehnisse seit dem Ski-Unfall auch sein mögen, die motorsportlichen Erfolge kann dem nun 50-Jährigen niemand nehmen. Die meisten Podestplätze, die meisten Führungskilometer, 91 Siege und natürlich die sieben WM-Titel - Schumacher reiht Rekord an Rekord.
Dass er überhaupt diese Laufbahn in der Königsklasse einschlagen konnte, verdankt er dabei einer Geschichte, die jedem Hollywood-Regisseur genug Stoff für einen Film bieten würde. Doch der Reihe nach.
Schumacher war nach zahlreichen Erfolgen im Kartsport und in verschiedenen Jugend-Serien Anfang der 90er-Jahre gerade dabei, sich einen Namen in der Formel 3000 und der Sportwagen-WM zu machen, als sein Manager Willi Weber den Plan vorbereitete, ihn in den folgenden Jahren in der Formel 1 unterzubringen.
Gleichzeitig legte sich in London Jordan-Pilot Bertrand Gachot nach einem harmlosen PKW-Unfall mit einem Taxifahrer an. Der Streit eskalierte, Gachot griff zu seinem Reizgasspray und attackierte seinen Gegenspieler damit mitten ins Gesicht - eine Tat, die im britischen Königreich eine Freiheitsstrafe nach sich zog. Und so wurde Gachot eine Woche vor dem Großen Preis von Belgien 1991 verhaftet und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.
Obwohl die Fahrerkollegen demonstrativ mit "Lasst Gachot frei"-T-Shirts auf dem Circuit de Spa-Francorchamps auftraten und auch Unterstützungsbekundungen auf den Asphalt gepinselt wurden, blieb der Belgier hinter Gittern und verpasste seinen Heim-GP. Und: Teamchef Eddie Jordan stand plötzlich mit leerem Cockpit da.
gettyWilli Webers Lüge ebnet Schumacher den Weg
Als Ersatz hatte er drei Kandidaten im Visier: Ex-Weltmeister Keke Rosberg, Derek Warwick und den Schweden Stefan Johansson, der immerhin die Erfahrung von 79 Formel-1-Rennen - unter anderem für Ferrari und McLaren - vorzuweisen hatte.
Während die Gehaltsforderungen aller Drei den klammen Jordan zur Frustration brachten, traf ihn der Schweizer Rennstall-Besitzer Peter Sauber zu einem Gespräch und berichtete von einem jungen, talentierten Deutschen aus seinem Sportwagen-Team. Sein Name: Michael Schumacher. Die Erzählungen über diesen 22-Jährigen beeindruckten Jordan so sehr, dass er sich tatsächlich umstimmen ließ und Weber kontaktierte.
Man einigte sich auf einen Deal, wobei Jordan zwei Bedingungen stellte. Erstens wollte er umgerechnet 450.000 Mark auf seinem Tisch sehen - Geld, das Sponsor Mercedes beisteuerte. Und zweitens: Er würde Schumacher nur nehmen, wenn dieser bereits Erfahrung auf der Strecke in Spa gesammelt haben sollte.
"Ich habe ihm gesagt: 'Ich denke, er ist schon hundert Mal dort gefahren'", erzählte Weber später von seiner Antwort, mit der er Jordan zufrieden stellte. Tatsächlich war Schumi schon auf dem Kurs gefahren - allerdings nicht mit einem Rennwagen, sondern lediglich zwei Runden auf seinem Fahrrad. Mit diesem fuhr er an diesem August-Wochenende auch stets zum Fahrerlager. Startpunkt war dabei im Übrigen nicht etwa ein nobles Hotel, sondern eine alte Jugendherberge unweit des Formel-1-Areals.
Marc Surer: "Michael schlich immer um sein Auto herum"
Dass der aus einfachen Verhältnissen stammende junge Bursche das Zeug zum Königsklassenfahrer hatte, bewies er dabei schon früh. Obwohl Klein-Schumi in Kartzeiten teilweise mit den Reifen fuhr, die seine Konkurrenten schon weggeworfen hatten, gewann er - damals noch aus Sponsorengründen unter Luxemburger Flagge - Rennen um Rennen. In der Formel König wurde er später genauso Meister wie in der Formel 3.
"Dort fiel er mir das erste Mal auf", erinnert sich der ehemalige Formel-1-Fahrer und TV-Experte Marc Surer im Gespräch mit SPOX: "Er war sehr fokussiert und schlich immerzu um sein Auto herum. Dabei hat er im Gegensatz zu seinen meisten Kollegen sehr viel mit den Technikern geredet."
Später fuhr Schumacher dann auch einige Gast-Rennen in der DTM und bekam dort eine Warnung von Surer zu hören. "Ich war 1991 Rennleiter bei BMW. Weil Schumacher zuvor im letzten Rennen den Leader von BMW, Johnny Cecotto, abgeschossen hatte, bin ich zu ihm und habe gesagt: 'Michael, wir werden dich ganz genau beobachten.' Jahre später, als er schon in der Formel 1 war, fragte er mich, ob ich damals gedacht habe, dass er so etwas wirklich absichtlich machen würde. Das hat ihn also wirklich beschäftigt."
Der Mann, der später in den Medien immer so abgeklärt und unnahbar erschien, hat sich also immer seine Gedanken gemacht. Auch als ihn der Weg schließlich - dank Webers Notlüge - zu Jordan geführt hatte und kurz vor seinem Formel-1-Debüt seine erste Testfahrt in Silverstone anstand, war Schumachers Kopf am Grübeln. Er habe "sehr große Zweifel" und "immer einen gewissen Respekt vor allem" gehabt, verriet er 2012 in der ARD-Sendung Beckmann: "Bei meiner ersten Runde dachte ich mir: 'Oh, das geht in die Hose! Das bekomme ich nicht geregelt.' Das war eine härtere Nummer, ein Riesenschritt. Ich habe mich regelrecht erschrocken."
Michael Schumacher überzeugt beim Formel-1-Debüt
Gemerkt hat man davon nichts. Am Ende des Tages lag er nur knapp hinter seinem deutlich erfahreneren Teamkollegen Andrea de Cesaris. Teammanager Trevor Foster erzählte später, dass "Michael in der zweiten Runde mit glühenden Bremsscheiben an uns vorbei durch die Schikane rauschte". Wie ein Fisch im Wasser habe er schon da gewirkt: "Angesichts seiner Fahrweise geriet ich ein wenig ins Schwitzen. Ich teilte Willi Weber mit, er solle seinen Piloten bitteschön beruhigen. Weber sprach mit Schumacher, und Michael wunderte sich. Er meinte, er habe noch nicht mal richtig angefangen."
Diese harte, aufs Übersteuern getrimmte Fahrweise half Schumacher dann auch in seinem ersten Qualifying. Nachdem er zuvor noch von britischen Journalisten gefragt worden war, ob er eigentlich mit dem damaligen Nationaltorhüter Toni Schumacher verwandt sei, der komme ja schließlich auch aus dem Rheinland, stand nach der Session eher seine fahrerische Leistung im Vordergrund.
Auf Platz acht, respektive nach einer Strafversetzung für Riccardo Patrese auf Platz sieben, stellte der Rookie seinen Jordan 191 und brach damit nicht nur auf Anhieb in die Phalanx der Top 10 ein, sondern distanzierte de Cesaris um geschlagene acht Zehntel. "Er hat sofort sein Talent gezeigt und einen Start nach Maß hingelegt", sagt Surer.
Trotz Ausfall: Schumachers Karriere kommt ins Rollen
Am Sonntag sollte die Neulingsshow dann weitergehen. "Ich war entspannt und ganz ruhig. Ich weiß selbst nicht, warum. Es lief einfach alles so gut", beschrieb Schumacher seine damalige Gefühlslage später. Und ja, der Erfolgslauf ging im Rennen tatsächlich weiter - allerdings nur für wenige hundert Meter: Nachdem er am Start gleich zwei Positionen gut machte, ging die Kupplung in die Knie und ließ Schumacher direkt nach der La-Source-Haarnadel verhungern. Erstes Rennen, erster Ausfall.
Noch heute sind sich manche Experten sicher: Schumacher hätte bei seinem Debüt ohne Defekt eine reelle Siegchance gehabt. Immerhin fuhr de Cesaris bis zu seinem Ausfall auf dem zweiten Platz, direkt hinter Spitzenreiter und dem späteren Gewinner Ayrton Senna.
Schumachers Karriere tat der Ausfall bekanntlich keinen Abbruch. Er wechselte schon zum nächsten Rennen zu Flavio Briatores Benetton-Team und machte damit den entscheidenden Schritt in seiner Laufbahn. Denn nur ein Jahr nach seinem Debüt feierte er beim Belgien-GP seinen ersten Sieg und 1994 schließlich die erste Weltmeisterschaft. Der Rest ist Geschichte.