Fragen und Antworten zu Mick Schumacher: Wie gut ist er wirklich?

07. Dezember 202015:48
Mick Schumacher (l.) wird in der kommenden Saison in der Formel 1 fahren und damit in die Fußstapfen von Vater Michael treten.getty
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Mick Schumacher (21) ist frischgebackener Formel-2-Champion - und wird im kommenden Jahr für den Haas-Rennstall in der Formel 1 fahren. SPOX ordnet die bisherigen Leistungen des Schumi-Sprößlings ein: Hat er sich sein F1-Cockpit verdient? Wie gut ist er wirklich? Kann er in der kommenden Saison sogar schon vorn mitfahren? Und welche Rolle spielt dabei Vater Michael?

1. Hat sich Mick Schumacher sein Formel-1-Cockpit verdient?

Kurz und knapp: ja. Mick Schumacher hat sich auf jeder seiner Stationen für größere Aufgaben empfohlen: jeweils Zweiter bei der Kart-EM und Kart-WM mit 15, zweimal Vizemeister in der Formel 4, Champion in der Formel 3, Titelträger in der Formel 2. Er ist der vierte deutsche Formel-2-Meister nach Nico Rosberg (2005), Timo Glock (2007) und Nico Hülkenberg.

Sicherlich spielte auch der Name Schumacher eine Rolle, als Ferrari ihn 2019 ins Nachwuchsförderprogramm der Ferrari Driver Academy aufnahm, und es ist auch kein Zufall, dass er 2020 für Ferraris Kundenteam Haas fahren wird - und die Scuderia dem Vernehmen nach zumindest einen Teil seines Gehalts übernehmen wird. Haas um Teamchef Günther Steiner dürfte es recht gewesen sein, denn der neue Schumi bringt Aufmerksamkeit und Sponsoren: "Wenn das finanzielle Vorteile mit sich bringt, werden wir sie natürlich nehmen", gab er bereits unumwunden zu.

Von einem geschenkten Cockpit kann allerdings keine Rede sein. Wenn es allein darum ging, hätte Steiner nicht nur einen, sondern gleich zwei Nikita Mazepins in seinen Boliden sitzen: Der 21 Jahre alte Russe wird im kommenden Jahr Micks Konkurrent im Haas sein, und das vor allen Dingen deshalb, weil sich Vater Dimitri Mazepin, Besitzer des Chemiekonzerns Uralchem und wohl milliardenschwer, die Motorsport-Ambitionen seines Sohnes stolze Summen kosten lässt. Dabei konnte Nikita (21) in der just abgelaufenen Formel-2-Saison nicht mit Mick Schumacher mithalten.

Überhaupt ist der Titel in der Formel 2 durchaus als Auszeichnung zu verstehen, selbst wenn es nicht alle Champions der vergangenen 15 Jahre zu Glanz und Gloria schafften. Die Leistungsdichte ist auf dem Junior-Circuit deutlich höher, weil Einheits-Boliden gefahren werden, kein Fahrer kann allein aufgrund seines Boliden dominieren. Deshalb ist Schumachers Meisterschaft - und seine Leistungssteigerung nach Platz 12 in der Saison 2019 - durchaus hoch einzuschätzen.

Dass fast alle F2-Champions ihr Glück im Jahr nach dem Titel in der Formel 1 versuchen durften, kann also nicht als ein Zugeständnis an Schumacher verstanden werden. Zumal der Titelträger laut Reglement in den beiden folgenden Jahren gar nicht mehr antreten darf: Der Aufstieg in die Formel 1 - oder der Wechsel in eine andere Rennserie - geschieht also zwangsläufig.

Auch die Experten sehen bei Mick Schumacher keine Extrawurst: Er sei "absolut reif für die Formel 1" und der "perfekte Rennfahrer", lobte etwa der frühere Mercedes-Motorsportchef Norberg Haug bei RTL. Steiner hält von seinem neuen Schützling ebenfalls viel: "Die Formel 2 hat in dieser Saison eines der besten Teilnehmerfelder überhaupt in ihrer Geschichte. Mick hat dort Rennen gewonnen, Podestplätze eingefahren und einige ziemlich große Talente ausgestochen. Er hat sich seinen Platz bei uns aufgrund seiner Leistungen verdient."

2. Stärken und Schwächen: Wie gut ist Mick Schumacher wirklich?

Eins vorweg: Ein Jahrhunderttalent wie Max Verstappen (23), der schon mit 17 in der Formel 1 debütierte, ist Mick Schumacher nicht. Steigt er in einen Boliden, dann ist er nicht sofort schnell - aber er wird es. In zwei Jahren in der Formel 4 steigerte er sich von Rang zehn auf Rang zwei, in je zwei Saisons in der Formel 3 und Formel 2 von Platz zwölf im ersten Jahr zum Titel im zweiten. Kaum einer kann sich so steigern wie Schumacher.

Für Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer ein Beweis dafür, "dass Mick vielleicht nicht das absolut große Naturtalent ist, das sofort als der absolute Überflieger auffällt. Dafür aber jemand, der besser lernt als viele andere. Jemand, der alle verfügbaren Informationen aufsaugen und dann entsprechend umsetzen kann. Und das ist in der heutigen Formel 1 vielleicht sogar wichtiger." Die bis dato gezeigten steilen Lernkurven sind äußerst vielversprechend, muss sich Schumi doch erst an die neuen Boliden mit stärkerer Fliehkraft und unterschiedlicher Elektronik am Lenkrad gewöhnen.

Auf der Strecke ist Schumacher ein Fahrer, der kontrolliertes Risiko geht und dafür bekannt ist, nur wenige Fehler zu machen - auch wenn ihm die Nerven beim Saisonfinale am vergangenen Sonntag einen Strich durch die Rechnung machten. Hat er sich einmal für ein Überholmanöver entschieden, zieht er das aber auch konsequent durch.

Seine Stärken zeigte er in der Formel 2 vor allem beim Start und der Renneinteilung. Zudem lernte er in puncto Reifenmanagement dazu: In seiner ersten F2-Saison hatte er mit dem Verschleiß der Pneus extreme Probleme, bekam das nach einigen Monaten aber in den Griff. Und er war extrem konstant: Zwar gewann er 2020 nur zwei Rennen, war zwischenzeitlich aber in 15 aufeinanderfolgenden Grands Prix nie schlechter als Siebter.

Luft nach oben gibt es dagegen im Qualifying: 44 Rennen fuhr er in der Formel 2 - kein einziges Mal startete er von der Pole Position. Da die Haas-Boliden auch im Rennverlauf nicht gerade glänzen, wenn es ans Überholen geht, muss Schumacher hier deutlich zulegen.

Charakterlich macht Schumi Jr. einen einwandfreien Eindruck, präsentierte sich bisher abgeklärt und trotz seiner jungen Jahre extrem erwachsen. "Wir wissen nicht, wie er sich in der Formel 1 schlagen wird, aber er ist unglaublich reif und ausgeglichen", sagte Ross Brawn, einst das Ferrari-Superhirn, das Michael zu Titeln führte, der Gazzetta dello Sport: "Ich bin optimistisch, er hat Qualität und Kompetenz."

3. Was ist von Mick Schumacher in der Formel-1-Saison 2021 zu erwarten?

Um es mit Günther Steiner zu sagen: "Wir können nur gewinnen, weil wir praktisch nicht mehr schlechter sein können als derzeit." Kümmerliche zwei WM-Punkte holte Romain Grosjean in dieser Saison für den Haas-Rennstall, Kevin Magnussen sogar nur einen, denn der amerikanische Rennstall mit dem schmalen Budget fährt konstant hinterher.

Das wird sich auch 2021 nicht ändern, jetzt wo Haas mit Schumacher und Mazepin auf zwei Rookies setzt. Vielmehr wurde bereits ein "Übergangsjahr" proklamiert, bevor 2022 dann grundlegende Änderungen im Formel-1-Reglement greifen. "Wenn sie nicht wirklich was finden und Ferrari nicht einen besseren Motor bringt, werden sie wahrscheinlich eines der schlechtesten Autos im Feld sein", befürchtet Surer. Das weiß auch Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck: "Er hat bislang einen guten Job gemacht. Man darf nun aber nicht erwarten, dass er im Mittelfeld oder sogar vorne mitfahren wird. Der Haas ist kein Mercedes oder Ferrari", sagte er im SPOX-Interview.

Heißt: Ansprüche runterschrauben. Bei Haas, den Medien, den Fans - und bei Schumacher selbst. "Mick muss schnell verstehen, dass es nicht an ihm liegt, wenn es im Auto nicht sofort läuft. Sein Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, die Abläufe zu verstehen und wie er mit seinen Ingenieuren zusammenarbeitet", betont RTL-Experte Timo Glock. Ingenieure übrigens, die teilweise schon mit Vater Michael zusammengearbeitet haben.

Haas-Teamchef Günther Steiner ist im kommenden Jahr der Boss von Mick Schumacher.getty

Schumacher weiß natürlich um die schwierigen Bedingungen und will erst einmal kleinere Brötchen backen: "Wir werden nicht um Siege im nächsten Jahr fahren, auch wenn ich das gern würde. Es wird mein erstes Jahr sein." Erst müsse er sich an die Formel 1 gewöhnen. Ein erstes Lehrjahr würde zu seiner bisherigen Entwicklung passen - und wäre in Surers Augen "für die Jungs gar nicht schlecht": "Sie können lernen, ohne Druck, denn wenn sie sowieso hinten sind, ist es eigentlich egal, wer von den beiden jetzt Letzter ist oder Vorletzter."

Was sind also realistische Ziele für Mick Schumacher? Zunächst einmal geht es darum, in Mazepin den eigenen Teamkollegen in Schach zu halten - diesen Anspruch sollte er an sich haben. Zudem sollte er das Jahr nutzen, um sich an die Rennserie und die Zusammenarbeit mit den Mechanikern zu gewöhnen. Im Qualifying das eine oder andere Mal Q3 zu überstehen, wäre bereits ein Erfolg, ebenso vielleicht der eine oder andere WM-Punkt. Mehr wird im ersten Jahr vermutlich nicht drin sein - und das ist auch völlig in Ordnung.

4. Ist der Name Schumacher für Mick Hilfe oder Bürde?

Mit elf Jahren, so erzählte es Mick Schumacher einmal, habe er sich bewusst für den Traum der Motorsport-Königsklasse entschieden. Daheim, an der Kartbahn in Kerpen, im Gespräch mit seinem Vater: "Er hat mir in die Augen geguckt und mich gefragt: 'Willst du das ernsthaft?' Ich habe nur genickt. Seither ordne ich dem Wunsch, in die Formel 1 zu kommen, alles unter."

Dabei half der Name Schumacher zunächst aber weniger als die tiefen Taschen der Familie: Sechs Millionen Euro etwa, so rechnete es Mercedes-Teamchef Toto Wolff gegenüber Forbes vor, kostet es, um einen talentierten Fahrer bis in die Formel 1 zu bringen.

Dem Druck des Schumacher-Erbes ging Mick dabei bewusst aus dem Weg: In Kart-Wettbewerben trat er lange unter dem Namen Nick Betsch an, nach dem Mädchennamen seiner Mutter Corinna. Das machte ihn zu einem unter vielen, hielt die Presse fern und den Druck niedrig. Und es sorgte dafür, dass er sich allein durch seine Leistungen auf der Strecke für größere Aufgaben empfehlen musste.

In späteren Jahren, als das Versteckspiel nicht mehr durchzuhalten war, öffnete sein Name sicherlich die eine oder andere Tür und lockte auch Sponsoren an. Nicht umsonst hofft Ferrari darauf, mit Schumacher eines Tages die früheren Glanzzeiten wiederbeleben zu können. "Jeder Ferrari-Fan bekäme feuchte Augen, wenn er den Namen Schumacher wieder auf einem Ferrari sehen würde", bekannte etwa Ex-Präsident Luca di Montezemolo freimütig.

Mick profitiert obendrein vom Netzwerk der Familie: Managerin Sabine Kehm (56) und Anwalt Thilo Damm (52) arbeiteten bereits für Vater Michael und kennen das Geschäft in- und auswendig. Und Sebastian Vettel, nach eigener Aussage "immer noch ein Fan" von Michael, bot bereits seine Hilfe an: "Ich helfe ihm gern, wo ich kann. Mick ist ein toller Bursche. Schade, dass Michael nicht hier ist."

Gleichzeitig ist nur zu erahnen, welchem Druck Mick Schumacher im Laufe seiner Karriere ausgesetzt ist. "Der Junge hat ultimativen Druck, seit er das erste Mal im Kart gesessen war", urteilte RTL-Experte Christian Danner gegenüber Sport1: "Ein normaler Mensch wäre längst ab durch den Gully gegangen." Das mediale Brennglas und die extrem hohen Erwartungen habe Schumi Jr. aber bislang gut weggesteckt, lobte Ross Brawn. "Mit einem Weltmeister-Vater wie Michael ist das Erbe noch schwerer, aber ich drücke die Daumen."

Stuck sah es im Interview mit SPOX ähnlich: "Man kann die Leistungen gar nicht hoch genug bewerten. Er wird ja praktisch mit der Lupe beobachtet." Dazu komme die gesundheitliche Situation seines Vaters: "Wenn Mick nach Hause kommt, weiß er, dass nebenan sein schwerkranker Vater liegt. Wie er das meistert und wie er damit lebt, davor habe ich allergrößten Respekt."

Ganz sicher eine große Hilfe wird der Name Schumacher für den in Deutschland übertragenden Pay-TV-Sender Sky sein. Der hält ab dem kommenden Jahr die alleinigen Rechte, nachdem RTL nach 30 Jahren Formel 1 die Waffen streckt: Die Glanzzeiten früherer Tage mit Einschaltquoten in zweistelliger Millionenhöhe sind längst vorbei, der schleichende Abschwung der letzten Jahre machte auch vor den deutschen Rennstrecken nicht halt. In Unterföhring hofft man nun darauf, dass Mick für gesteigertes Interesse sorgen kann - und vielleicht, sollte er in ein paar Jahren um den Titel mitfahren, sogar wieder für einen Boom.