Mit dem ehemaligen Bayern-Star Norbert Nachtweih sprachen die DB Schülerreporter in einem Interview über dessen Flucht aus der DDR, seine aktive Zeit in der Bundesliga, seinen jetzigen Job in der Fußballschule von Eintracht Frankfurt - und die Anfänge von Zinedine Zidane.
DB Schülerreporter: Wir Schülerreporter berichten im Sommer über die Frauen-Weltmeisterschaft. Wie stehen Sie denn zum Frauen-Fußball und trainieren bei Ihnen auch Mädchen an der Fußballschule?
Norbert Nachtweih: Es sind natürlich auch Mädchen dabei. Gerade in jüngeren Jahren sieht man kaum einen Unterschied beim Fußball zwischen Mädchen und Jungs. Die sind genauso talentiert. Ich habe ab und zu Frauenmannschaften trainiert, was auch Spaß macht. Die sind immer mit vollem Herzen dabei. Das kann man von den Jungs nicht immer sagen. Der Frauen-Fußball hat sich richtig gut entwickelt. Sie spielen einen ansehnlichen Fußball und ich freue mich auf die WM.
Das sind die DB Schülerreporter für die FIFA Frauen-WM
DB Schülerreporter: Sie arbeiten in der Jugendschule von Eintracht Frankfurt. Was genau machen Sie dort?
Nachtweih: Wir trainieren in der Fußballschule die Kinder während der Ferienzeiten. Das ganze läuft über zwölf Wochen. Kinder zwischen sechs und 15 Jahren können daran teilnehmen, egal, ob sie schon einmal Fußball gespielt haben, oder ob sie nur mal hineinschnuppern möchten.
DB Schülerreporter: Geht es dabei nur um den Fußball oder ist Ihnen auch die Persönlichkeitsentwicklung wichtig?
Nachtweih: Die Kinder buchen immer für eine Woche und werden dann in zwei Gruppen eingeteilt. In der ersten sind diejenigen, die schon Fußball spielen. Denen wollen wir natürlich so viel wie möglich über das Fußballspielen, die Technik, das Training und die Koordination beibringen. Die anderen wollen wir eben erstmal reinschnuppern lassen. Aber das soziale Verhalten in der Gruppe liegt uns dabei sehr am Herzen. Wir achten darauf, dass die Leute ordentlich miteinander umgehen.
DB Schülerreporter: Gibt es Jugendliche, deren Entwicklung Sie über das Camp hinaus verfolgt haben?
Nachtweih: Die Fußballschule gibt es jetzt schon über zehn Jahre und wir hatten den einen oder anderen in dieser Zeit bei uns, der mittlerweile im Seniorenbereich in einer höheren Klasse spielt. Das ist ja auch unser Ziel und es freut uns, wenn wir hören, dass Spieler bei uns in der Fußballschule angefangen haben. Viele sind auch nicht nur eine Woche bei uns, sondern kommen fast jedes Jahr wieder. Und das macht Spaß, wenn man sie teilweise in den etablierten Mannschaften wiederfindet.
DB Schülerreporter: Heute finden weniger Jugendliche als früher den Weg in die Vereine, dafür wird Jugendarbeit in Deutschland seit zehn Jahren verstärkt gefördert und strukturiert. Ist es heute deshalb für junge Talente leichter als früher?
Nachtweih: Es muss das Ziel eines jeden Bundesligavereins sein, aus dem Nachwuchs Talente hervorzubringen. Ein zusätzlicher Boom war sicher die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land, die bei den Jungen noch einmal richtig Begeisterung ausgelöst hat. Seither ist der Andrang in der Jugendarbeit so groß wie noch nie.
DB Schülerreporter: Im Moment trainieren Sie die Jugend. Können Sie sich vorstellen, irgendwann auch mal in der Bundesliga zu trainieren?
Nachtweih: Das kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen. Ich habe selbst ziemlich lange als Aktiver gespielt und meine Karriere erst mit 38 beendet. Danach habe ich schon meinen A-Schein gemacht und auch erste Mannschaften trainiert. Allerdings Vereine in der Oberliga, der damaligen dritten Liga. Dann habe ich mehr und mehr auf die Jugend gesetzt. Wenn man Bundesligatrainer werden möchte, muss man gleich von Anfang an dabei sein und seinen Fußball-Lehrer-Schein machen. Außerdem braucht man einen Verein, bei dem man praktisch viel lernen kann. Es muss auch Trainer geben, die im Jugendbereich tätig sind - und das macht mir viel Spaß.
DB Schülerreporter: Sie haben Ihre aktive Karriere in Frankfurt begonnen, nachdem Sie sich 1976 aus der DDR abgesetzt haben. Wie kam es zu Ihrer Flucht?
Nachtweih: Wir hatten in der Türkei ein Qualifikationsspiel für die U-21-EM und es war eine spontane Entscheidung. Wir hatten uns in der DDR natürlich schon darüber unterhalten, was wäre, wenn wir in der Bundesliga spielen könnten. Dort waren schon immer unsere Vorbilder. Wir hatten bereits länger geplant, diesen Schritt einmal zu tun, aber nicht in der Türkei.
DB Schülerreporter: Doch dann haben Sie sich auf einem Basar von der Mannschaft abgesetzt...
Nachtweih: Ja, aber ich bin auch nicht alleine abgehauen sondern zusammen mit Jürgen Pahl. Das hätte ich mir mit meinen 19 Jahren alleine auch gar nicht zugetraut. Es war ja ein Schritt in eine ganz neue Welt. Unser Glück war, dass wir durch den Sport zumindest einen kleinen Vorteil hatten. Wir sind gleich nach Frankfurt gewechselt und haben uns dort herangetastet. Es war ein Abenteuer, aber es hat sich gelohnt.
DB Schülerreporter: Wie sind Sie denn nach Ihrer Flucht zu Eintracht Frankfurt gekommen?
Nachtweih: Wir sind erst nach München geflogen und mussten dort drei Tage lang bleiben. Der FC Bayern hatte natürlich keine Ahnung, dass wir in München waren. Dettmar Cramer war damals der Trainer, den ich mittlerweile sehr gut kenne. Und er meinte, wenn er von uns zwei Geflüchteten erfahren hätte, hätte er sich um uns gekümmert. Wir mussten dann aber erst einmal notgedrungen ins Aufnahmelager, so war die Prozedur für Flüchtlinge.
DB Schülerreporter: Und das Lager war in Gießen, in der Nähe von Frankfurt.
Nachtweih: Richtig, dort sind wir dann auf den FDP-Politiker Wolfgang Mischnick gestoßen, damals Minister für Vertriebene und Flüchtlinge. Der hat den Leuten von Eintracht Frankfurt gleich signalisiert, dass sie sich um uns kümmern sollen. So ist das zustande gekommen.
DB Schülerreporter: Fünf Jahre nach Ihrer Flucht starb Fußballprofi Lutz Eigendorf, der ebenfalls aus der DDR geflohen war, bei einem rätselhaften Autounfall. Hatten Sie in der Folge Angst vor der Stasi?
Nachtweih: Ich kannte den Lutz persönlich, er hatte mich früher auch besucht. Ich selbst habe mich dazu entschlossen, bei journalistischen Anfragen Aussagen nicht zu politisieren. Ich habe also nie über die DDR gesprochen. Ich meinte nur, dass ich hier meine Zelte aufbauen und gut Fußball spielen will. Mehr nicht.
DB Schülerreporter: Lutz Eigendorf ging einen anderen Weg...
Nachtweih: Bei ihm war das anders. Er kam vom Polizeisportverein Dynamo Berlin, dessen Vorsitzender Stasi-Chef Erich Mielke war. Und er hat in seinen Aussagen bewusst politisiert und auch Sachen ausgeplaudert. Das war nicht clever, aber das bedeutet natürlich nicht, dass man so darauf reagieren muss und ihn umbringt. Es ist natürlich nicht nachgewiesen, aber ich glaube zu 99 Prozent, dass es so war.
DB Schülerreporter: Sie selbst hatten keine Begegnung mit der Stasi?
Nachtweih: Die Leute haben uns zwar auch observiert, aber das haben wir erst später gemerkt. Deshalb haben wir auch keine große Angst gehabt. Wir haben uns ja auch der DDR gegenüber immer "korrekt" verhalten.
DB Schülerreporter: Wegen Ihrer Herkunft aus der DDR wurden Ihnen Spiele für die deutsche Nationalmannschaft allerdings verwehrt. Empfanden Sie das als ungerecht?
Nachtweih: Ich glaube schon, dass ich das eine oder andere Länderspiel gemacht hätte. Das sagten zumindest auch meine Kollegen immer. Aber damit habe ich mich schnell abgefunden. Die Entscheidung hat die FIFA gefällt und Deutschland hatte genug gute Fußballspieler, weshalb sie sich meiner Meinung nach nicht so für mich eingesetzt haben.
DB Schülerreporter: Sie hatten dennoch eine überaus erfolgreiche Karriere, sind nach Ihrer Zeit in Frankfurt dann auch zu den Bayern gewechselt. Was sind die prägendsten Erinnerungen an diese Zeit?
Nachtweih: Ich bin 1982 von Frankfurt nach München gewechselt und habe dort sieben Jahre lang gespielt. Der Wechsel ist schweren Herzens geschehen, weil ich eine super Zeit in Frankfurt hatte. Sich dann aber weitere sieben Jahre beim FC Bayern zu halten, ist eine lange Zeit, zumal der Schritt in ein solches Starensemble zunächst schon eine große Umstellung war. Aber ich habe das gepackt und bereue es auf keinen Fall. Es war sogar die schönste Zeit in meiner Karriere.
DB Schülerreporter: Und auch die erfolgreichste...
Nachtweih: Wir sind viermal deutscher Meister geworden, haben zweimal den Pokal gewonnen und weitere Titel gesammelt. Erst habe ich mit Spielern wie Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge zusammengespielt, die dann aber den Verein verlassen haben. Daraufhin spielte ich mit Lothar Matthäus und Andy Brehme. Das war damals schon die Elite-Auswahl der Bundesliga.
DB Schülerreporter: Nach Ihrer erfolgreichen Zeit beim FC Bayern sind Sie nach Frankreich zum AS Cannes gewechselt. Wie war die Erfahrung in Frankreich?
Nachtweih: Es hat sich damals vor allem in der Jugendarbeit viel getan, weil die Franzosen angefangen haben, verstärkt auf die Jugend zu setzen und Akademien, Fußballschulen und Internate zu gründen. Später hat sich das ausgezahlt, als sie Welt- und Europameister wurden. Für mich war es vor allem ein Trip ins Ausland, der mir gut getan hat.
DB Schülerreporter: Und Sie haben mit Zinedine Zidane gespielt...
Nachtweih: Zidane war damals dort in der Fußballschule und hat ein paar Mal bei uns mitgespielt. Damals war er gerade in seinen Anfängen, aber man hat sein Talent schon gesehen. Und auch seinen Jähzorn, obwohl er damals eigentlich noch ein recht schüchterner Junge war. Ich bin nach zwei Jahren weg und erst dann kam seine wirklich große Zeit.
Norbert Nachtweih im Steckbrief