Von der Europa League in die A-Klasse

Jonas Schützeneder
03. Juli 201414:25
Ex-Profi: Wackers Vitali Matvienko hat eine spannende Vergangenheitspox
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Ein ungewöhnlicher Kreisligist: Wacker München war in den 1920er Jahren ein Spitzenteam und hat sich mittlerweile als Vorbild für Integration einen Namen gemacht. Zum 111. Jahrestag der Gründung kommt der FC Bayern in den Münchner Süden. SPOX begleitet Wacker auf dem Weg zum großen Highlight. Teil 2: Die Geschichte von Wacker-Keeper Vitali Matvienko.

Die Krawatte sitzt. Mit weißem Hemd und Sakko, dazu eng geschnittene beige Stoffhose, wirkt Vitali Matvienko gerade mehr wie ein Werkstudent als ein Profi-Torhüter. "Sieht doch gut aus, oder?", meint der gebürtige Georgier mit einem Lächeln. Zusammen mit seinem Teamkollegen will er Bewerbungsfotos machen. Für einen Job als Werkstudent.

Bei Wacker München haben sie dieser Tage genug zu tun. Zum 111. Jahrestag der Vereinsgründung kommt am 11. Juli der FC Bayern zum Vorbereitungsspiel. Mittendrin zwischen Plänen über Fluchtwege, Brandschutz und Kartenverkauf steht Matvienko und lächelt in die Kamera. So wie früher, als er als große Torwart-Hoffnung seines Heimatlandes abgebildet wurde. Das ist gerade einmal fünf Jahre her.

Mit 17 debütierte er als Torwart in Georgiens höchster Liga. In der Hauptstadt Tiflis verdiente er Geld mit Paraden und kämpfte mit seinem Klub um den Einzug in die Europa League. Heute lässt er Bewerbungsfotos von einem Teamkollegen machen. "Das spart Geld", sagt er und lacht wieder. Nach gut zwei Jahren in Deutschland spricht er die Sprache nahezu perfekt, fühlt sich wohl bei Wacker und in München. Und Fußball? "Das spiele ich nur noch zum Spaß."

Keine Angst vor Lewy

Gut 3000 Kilometer, vier Flugstunden, ist Matvienkos Weg von Tiflis nach München lang. Seine Geschichte dazu ist länger. Voll mit Ehrgeiz, kleinen Hindernissen und großen Erfolgen. Der 22-Jährige hätte es sich einfacher machen können. Das wollte er nie. Seine nächste Aufgabe: Lewandowski stoppen.

Teil 1 der Serie: Das ist Wacker München

Als Jugendlicher hat er davon geträumt, einmal in den ganz großen Ligen aufzulaufen. Kaum ist seine kurze Profikarriere vorbei, trifft er als Amateur auf den erfolgreichsten Klub der letzten drei Jahre. Auf den amtierenden Weltpokalsieger. Im Verein spricht jeder über das anstehende Testspiel gegen den FC Bayern.

Drei Tage nach dem Trainingsstart kommen Pep Guardiola und seine Mannschaft (ohne Nationalspieler) nach München-Sendling. Und Matvienko wird besonders gefordert sein. Angst vor Lewy? "Nein, er muss erst mal vorbeikommen!" So schnell macht ihn nichts mehr nervös.

"Überragende Persönlichkeit"

"Vitali ist eine überragende Persönlichkeit. Er hat sich unglaublich schnell integriert und ist sehr beliebt. Als Torhüter sind wir eigentlich einige Ligan zu niedrig für ihn", sagt Wacker-Präsi Marcus Steer über seinen Keeper. Als der Osteuropäer vor zwei Jahren zum ersten Training in München ankam waren Freude und Zweifel eng beieinander.

"Der wird uns nicht lange Freude bereiten", fürchtete Trainer Bernd Klemm. Nicht ohne Grund: Bei zahlreichen höherklassigen Teams in der Stadt könnte der BWL-Student ein ordentliches Taschengeld verdienen. Für Wacker läuft er schließlich umsonst auf.

"Es gab immer wieder Anfragen, aber ich habe alles abgesagt. Ich fühle mich unglaublich wohl bei Wacker. Ohne den Verein hätte ich mich niemals so schnell zurechtgefunden", begründet Matvienko seine Entscheidung. Was er damit konkret meint: Präsi Steer und Teamkollegen helfen bei verschiedenen Formularen, Behörden-Gänge oder so wie jetzt bei einer Bewerbung als Werkstudent eines großen Unternehmens. Typisch Wacker: Integration und Teamgeist gehen vor.

Studium statt Profifußball

Drei Jahre ist es jetzt her, dass sich der Torwart der schwierigen Entscheidung über seine Zukunft stellte. "Es war natürlich nicht einfach. Letztlich habe ich mich für ein Studium entschieden und bisher habe ich es nicht bereut."

Knapp 500 Euro im Monat bekam er in Tiflis. "Für Georgien ist das schon viel Geld, die Topspieler bekommen etwa 5000 im Monat." Dafür einzigartig: die Atmosphäre im Stadion. Auch wenn der durchschnittliche Zuschauerschnitt im unteren vierstelligen Bereich liegt - bei den Traditionsduellen sind es locker 15 000 Zuschauer, die in den maroden Betonschüsseln ihre Mannschaft zum Sieg brüllen.

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Diese Zeiten sind vorbei. In Münchens vorletzter Liga sind es 100 Fans, statt wie zuvor fünf Einheiten pro Woche sind es jetzt zwei oder weniger. Für den 22-Jährigen stehen andere Dinge im Vordergrund. Das Studium zum Beispiel.

Im zweiten Semester BWL an der Münchner LMU geht es gut voran. "Anfangs war es eine Umstellung aber mittlerweile läuft es recht gut", erzählt er stolz. Nach dem Bachelor will er sich für einen Masterstudiengang bewerben und sich dann den großen Traum erfüllen.

"Seit ich klein bin wollte ich schon immer für BMW arbeiten. Autos haben mich immer fasziniert", verrät er. Dafür arbeitet er hart. "Es ist unglaublich mit wieviel Ehrgeiz und Wille er bei der Sache ist. Man merkt sofort, dass er Profi wr. Seine Sprungkraft und Reflexe sind Wahnsinn", lobt sein Torwart-Kollege Jens Hellmund. Nicht nur für ihn ist Matvienko dank seiner humorvollen und freundlichen Art unverzichtbar für den Teamgeist geworden.

Nur Reservemannschaft? Kein Problem!

Bezeichnend dafür: Kurz nach seinem Wechsel wollte er partout nicht als Nummer 1 für Wacker auflaufen. "Ihr habt bereits einen Stammkeeper und das respektiere ich", sagte der Neuzugang damals und hinterließ staunende Gesichter.

Also lief er in der Reservemannschaft auf und sorgte für Highlights. "Er kam in der Schlussphase mehrmals aus dem Tor und hat im Angriff getroffen", erinnern sich seine Teamkollegen. "Gegen Bayern werde ich das aber nicht machen", beruhigt er Trainer und Team.

Natürlich ist es ein besonderes Spiel, speziell für einen Schlussmann. Wichtiger waren aber die Spiele in Tiflis. Damals war sein Klub kurz vor der Teilnahme an der Europa League. In der Qualifikation war erst in der letzten Runde gegen Ukraines Serien-Teilnehmer Dnipro Dnipropetrowsk Schluss. "Wir waren kurz davor aber leider ohne Chance", erinnert sich Matvienko an die Duelle.

Mit 17 Top-Verdiener

Angefangen hat die Leidenschaft im heimischen Garten. "Wenn meine Cousins zu Besuch waren, musste ich immer ins Tor. Da bin ich dann geblieben", beschreibt er seinen Start zwischen den Pfosten. Für georgische Verhältnisse wuchs er in der Mittelschicht auf. Bei einem durchschnittlichen Einkommen von 300 Euro war er dort mit 17 als Profi quasi schon Top-Verdiener.

SPOXNatürlich hätte er weiter spielen können. "Die Perspektive in Mitteleuropa ist einfach deutlich besser. Ich will mich hier weiter gut entwickeln und später auch in Deutschland arbeiten", sagt er entschlossen. Dafür hat er die Heimat zurück gelassen. Nach Tiflis fliegt er nur selten: "Zu teuer für einen Studenten!"

Sein Leben in München inklusive Mietvertrag im Studentenwohnheim finanziert er mit Studentenjobs. "Derzeit bin ich sogar als Sicherheitskraft einmal pro Woche angestellt", erzählt er. Mit 1,80 Metern und schlanker Figur ist er rein optisch allerdings alles andere als ein Security-Typ.

"Bleibe hier bei Wacker"

Noch besser geeignet ist er zweifellos als Bewacher des Wacker-Tores. Nach dem Abstieg aus der Kreisliga will der Klub nächste Saison wieder angreifen. Mit dem Ex-Profi im Tor.

Angst vor einem Abgang müssen sich Trainer Klemm und Präsi Steer selbst bei starken Auftritten gegen Bayern und Unterhaching nicht machen. "Ich bleibe auf jeden Fall bei Wacker", stellt Matvienko zur Freude der Verantwortlichen klar. Außerdem will er hier demnächst auch eine Jugendmannschaft trainieren.

Zunächst wartet aber erst einmal der FCB. Bei seinen Freunden im Wohnheim ist die Vorfreude schon greifbar. Über 30 Karten musste er schon besorgen. Tendenz steigend. Gut dass Wacker kurzfristig noch die Zusage für eine Erhöhung der Kapazität an der Bezirkssportanlage bekommen hat. Statt 1600 dürfen jetzt 4000 Fans das Duell verfolgen. Fast so viele wie beim Derby in Tiflis.

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