Münchens heimliche Liebe

Jonas Schützeneder
03. Juli 201414:28
Wacker München war ein Topverein. Heute ist der Klub Vorbild für IntegrationsarbeitWacker München
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Ein ungewöhnlicher Kreisligist: Wacker München war in den 1920er Jahren ein Spitzenteam und hat sich mittlerweile als Vorbild für Integration einen Namen gemacht. Zum 111. Jahrestag der Gründung kommt der FC Bayern in den Münchner Süden. SPOX begleitet Wacker auf dem Weg zum großen Highlight. Teil 1: Das ist Wacker München.

Wer den Präsidenten sprechen will, findet ihn in der kleinen Kammer direkt am Rasenplatz. Der sechs Quadratmeter große Abstellraum ist voll mit Trikotsätzen, eng zusammengeschobenen Holzregalen und allerhand Trainings-Material. Mittendrin sitzt Marcus Steer am Laptop. Der Vorstand des FC Wacker München, von allen nur "Präsi" genannt, wird langsam nervös.

Noch gut sechs Wochen sind es bis zum größten Tag der jüngeren Vereinsgeschichte. Zum 111. Geburtstag des Münchner Stadtvereins hat sich der FC Bayern zu einem Testspiel angemeldet. Eine gigantische Herausforderung für den derzeitigen Kreisligisten.

"Wir wollten unbedingt hier spielen, auch wenn wir im Grünwalder Stadion natürlich viel mehr Geld verdient hätten", sagt Steer. In der kleinen Bezirkssportanlage in München Sendling haben lediglich 1600 Zuschauer Platz. Macht nichts, findet der Präsi.

Abstieg aus der Kreisliga? Macht nichts!

"Hier", sagt er und deutet draußen auf den schmalen Eingangsbereich, der zum Rasenplatz führt, "wollen wir einen kleinen Fanartikelverkauf einrichten, daneben die Getränke." Der Plan steht für das große Spiel, die Umsetzung beginnt erst in den kommenden Wochen. Noch läuft nämlich die Saison und für Wacker endet sie in der Kreislige München bitter: Der Aufsteiger ist zwei Spieltage vor Schluss bereits sicher abgesteigen. Macht nichts, findet der Präsi.

Der Verein ist schon lange nicht mehr ausschließlich auf sportlichen Erfolg ausgelegt. Unter Steer hat sich der Verein in erster Linie dem Gemeinwohl und erfolgreicher Integration von Kindern mit Migrationshintergrund verschrieben. "Ich bin schon ein kleiner Weltverbesserer", gibt der selbstständige Industrieberater zu. Dazu braucht er allerdings ein funktionierendes Team. Das hat er mit den zahlreichen Ehrenamtlichen beim FC Wacker hinter sich.

Vom Bambini-Coach zum Präsi

Mit Fußball hatte er lange Zeit eigentlich nichts zu tun. Mit seinem Ziehsohn und weiteren Kleinkindern wollte er vor vier Jahren eigentlich nur regelmäßig Fußball spielen. Kurz darauf war Steer Bambini-Trainer bei Wacker. Innerhalb weniger Wochen vervielfachte sich die Zahl der angemeldeten Jung-Kicker und der Neu-Coach wurde auf der Jahresversammlung zum 3. Vorstand gewählt.

Damit nicht genug: Nur wenige Wochen nach den Wahlen traten die beiden ersten Vorstände zurück. Seitdem ist Steer der Präsi und hat den Verein ordentlich umgekrempelt. In München-Sendling ist Wacker jetzt eine zuverlässige Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Der Verein kümmert sich um Asylanträge, Praktika oder Probleme im Alltag. Es sind die vielen Einzelschicksale, die Wacker zu einem ungewöhnlichen Kreisligisten machen.

Spieler, die als U-Nationalspieler in ihren Herkunftsländern vor der großen Karriere standen, dann aber flüchten mussten. Oder der wohl bekannteste Team-Manager im bayerischen Amateurfußball: Rudi Dantinger. Während seiner Geburt litt er unter Sauerstoffmangel, sitzt sein ganzes Leben im Rollstuhl. Wacker ist Teil seines Lebens geworden. "Mit dem FC Wacker verbinde ich Leidenschaft, Kampf und Siegeswille", sagt der 44-Jährige.

Goldene 1920er Jahre

Die genannten Attribute haben Wacker einst zu einem ganz großen Namen im deutschen Fußball gemacht. Als FC Isaria 1903 im Münchner Stadtteil Laim gegründet stieg der Klub innerhalb weniger Jahre zu einem deutschen Spitzenteam auf. Nur 19 Jahre nach der Gründung wurde der FC Wacker in Frankfurt Süddeutscher Meister und drang ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft vor.

Mit Alfred Schaffer, Heinrich Altvater und Eugen Kling standen in den Goldenen Jahren des Klubs gleich mehrere europäische Nationalspieler im Kader der Münchner. Der Verein war Vorbild und Zuschauermagnet im süddeutschen Raum. In der Folge verblasste Wackers Ruhm allerdings merklich. Titel waren in der Folge weit entfernt. Dabei lief in den 1940er Jahren der spätere Meistertrainer Hennes Weisweiler, den die Wehrmacht nach München geschickt hatte, für den FCW auf.

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Seite 2: Wacker wartet auf Lewy und Co.

Die Tendenz blieb auch in der Neuzeit: Der Verein pendelte durch Bayerns Amateurligen, konnte sich aber trotzdem über große Namen freuen. Mit Adolf Kunstwadl lief der ehemalige FC-Bayern-Kapitän in den 1960er Jahren für Wacker auf. Später spielten Nationalspieler Dietmar Hamann und St-Pauli-Kultfigur Thomas Meggle auf der Anlage in der Demleitnerstraße.

Kurz danach stand Wacker vor dem Aus. Die Vorstandschaft hatte den Klub 1994 in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Wacker war pleite und musste den Spielbetrieb einstellen. Dramatische Szenen spielten sich ab, die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Teile der Vorstandschaft wegen unterschlagener Vereinsgelder.

Fußball und Sprachunterricht

SPOXHeute ist der Klub finanziell stabil. Das jährliche Budget liegt bei etwa 65.000 Euro. Die Spieler erhalten kein Gehalt, der Großteil geht in die Infrastruktur und die vielen Projekte. Und da lässt sich Wacker einiges einfallen.

Bestes Beispiel: Unter dem Motto "Lernen kickt" kommen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Verein und absolvieren während der Ferien kostenlos ein ganz besonderes Trainingscamp. Neben Fußball bekommen sie Sprachunterricht und Alltagshilfe.

Die Unterstützung bindet die Wacker-Spieler automatisch eng an den Verein. Viele Jugendspieler sind nebenbei als Schiedsrichter aktiv oder trainieren jüngere Teams. Schulen und Ministerium fragen regelmäßig an und wollen weitere Kooperationen mit Wacker. Als "Münchens heimliche Liebe" bezeichnet sich der Klub auf der Homepage angesichts des großen Zuspruchs aus Bevölkerung und Medien. Soviel Engagement muss belohnt werden.

Platini kommt mit Geschenk

Im April 2012 leuchteten die Kinder-Augen der Wacker-Junioren. Niemand Geringeres als UEFA-Boss Michel Platini kam nach Sendling und übergab zusammen mit Karl-Heinz Rummenigge einen von der UEFA gesponsterten Miniplatz.

Und es kam noch besser: Als Präsi Marcus Steer vor einem Jahr beim heutigen FCB-Präsident Karl Hopfner anfragte, ob er mit einem kleinen Sponsoring für ein weiteres Projekt rechnen dürfe, hatte der damalige Finanzvorstand der großen Bayern eine Überraschung parat.

Hopfner mit Zugabe

"Nein, kein Sponsoring. Viel besser: Wir kommen für ein Spiel zu Euch", versprach Hopfner dem völlig verdutzten Wacker-Vorstand. Seitdem laufen die Planungen. Für das Wochenende um den 12. Juli bekommt der Amateurverein auch Besuch vom Nachbarklub aus Unterhaching, mit dem TSV 1860 laufen ebenfalls Gespräche über ein Spiel.

Bei aller Vorfreude: Ein Problem bleibt. Beim vielleicht ersten Auftritt von Robert Lewandowski im FCB-Trikot werden 1600 Tickets natürlich viel zu wenig sein. "Wir werden zuerst unseren 400 Vereinsmitgliedern die Chance auf Karten geben. Der Rest im freien Verkauf wird wohl sofort weg sein", sagt Steer und bleibt sich seiner Linie treu: Statt groß abzukassieren gibt es die Tickets (Erwachsene) für zehn Euro, Kinder unter sechs Jahren dürfen gratis zum Spiel.

"Das Leben ist ein Freundschaftsspiel", zitiert der Präsi eines der Integrations-Mottos des Vereins. Angesichts des größten Tags der jüngeren Vereinsgeschichte bleibt außer Fußball und dem FC Wacker derzeit nicht viel Freizeit für die Vorstandschaft. Macht nichts, findet der Präsi.

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