"Kann ich ohne Fußball leben?"

Jochen Tittmar
29. Dezember 201410:38
Gerald Asamoah absolvierte in seiner Karriere 43 Länderspiel für Deutschland (6 Tore)getty
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Gerald Asamoah hat 323 Bundesligaspiele auf dem Buckel und ist beim FC Schalke 04 eine Legende. Aktuell spielt der 36-Jährige für die U 23 der Knappen in der Regionalliga West, im Sommer wird er seine Karriere beenden. Asamoah spricht im Interview über die Probleme innerhalb der Fußball-Glitzerwelt, den Luxus Geld, einen Unfall unter Alkoholeinfluss und seine Beziehung zum alzheimererkankten Ex-Manager Rudi Assauer.

SPOX: Herr Asamoah, die Schalker Reserve hat erst drei Spiele in dieser Saison gewonnen und steht auf Tabellenplatz 15 der Regionalliga West. Auf diese trostlose Weise kann doch Ihre Karriere nicht enden, oder?

Gerald Asamoah: So denke ich nicht. Die Saison läuft bislang bescheiden, das ist das weitaus größere Problem. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass wir nicht absteigen. Da ist es egal, ob es die erste oder letzte Saison meiner Karriere ist.

SPOX: Sie sind seit etwas über einem Jahr wieder auf Schalke und spielen dort für die U 23, fungieren nebenbei aber auch als eine Art Botschafter des Vereins. Was wäre mit Ihnen passiert, wenn nach Ihrer Zeit in Fürth der S04 nicht auf Sie zugekommen wäre?

Asamoah: Ich hatte schon noch andere Möglichkeiten in höheren Ligen. Es war nicht so, dass es keine anderen Optionen gab. Als Schalke mich aber ansprach, habe ich mich gefragt, ob ich Profi bleiben oder dort in der zweiten Mannschaft mithelfen möchte. Und da ich mich auf Schalke einfach enorm wohlfühle, hat das meine Entscheidung natürlich beeinflusst. Ich bin froh, zurück zu sein.

SPOX: Dass Sie sich mit 34 Jahren dazu entschieden, noch einmal in der 4. Liga mit anzupacken, ist sicherlich ungewöhnlich. Wäre die Rolle als Vereinsbotschafter ohne nebenher noch Fußball zu spielen für den Beginn zu langweilig für Sie gewesen?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Gerald Asamoah am Trainingsgelände auf Schalkespox

Asamoah: Gewissermaßen schon. Ich fühlte mich eindeutig noch nicht so alt, um gleich ganz aufzuhören. Ich liebe diesen Sport, deshalb gebe ich ihn auch nicht so einfach auf (lacht). Das Angebot, noch zwei Jahre zu spielen, die Jungen anzuleiten und nebenher repräsentative Aufgaben für meinen Lieblingsklub zu übernehmen, passte ideal in meinen Kram.

SPOX: Ist es schon endgültig entschieden, dass Sie nach dieser Spielzeit die Fußballschuhe an den Nagel hängen?

Asamoah: Mein Karriereende ist im Grunde beschlossen. Ich spüre morgens beim Aufstehen mittlerweile mehr Wehwehchen, als mir lieb ist. Wir trainieren ja nicht wie Amateure, sondern bis zu zwei Mal am Tag. Ich bin jetzt 36, irgendwann muss ja mal Schluss sein. Und ich fühle, dass jetzt nicht unbedingt der schlechteste Zeitpunkt dafür wäre.

SPOX: Was soll dann im nächsten Sommer passieren, gab es schon Gespräche mit den Schalker Verantwortlichen?

Asamoah: Wir sind und bleiben im Austausch. Es besteht beispielweise die Möglichkeit, Botschafter zu bleiben. Ich kann mir aber auch vorstellen, als Jugendtrainer anzufangen. Ich habe den B-Schein und werde die Trainer-A-Lizenz noch machen. Was klar ist: Ich will auf Schalke bleiben. Letztlich muss ich selbst entscheiden, welchen Weg ich künftig gehen möchte. Ich stelle mir vor allem die Frage: Kann ich ohne Fußball überhaupt leben? Ich mache mir derzeit also meine Gedanken, habe aber noch Zeit.

SPOX: Was glauben Sie, können Sie ohne Fußball leben?

Asamoah: Ich hoffe doch (lacht). Es ist nicht leicht, das aus dem jetzigen Stand heraus zu beurteilen. Es wird definitiv etwas Neues für mich sein. Ich habe ja mein Leben lang nur Fußball gespielt. Vor dieser Situation habe ich Respekt, aber keine Angst. Ich werde schon ein Gefühl dafür bekommen, da bin ich sicher. Man hat als Fußballer ein schönes Leben, das man genießt. Jetzt kommt dann bald der nackte Alltag auf mich zu. Daher habe ich auch den Gedanken an den Trainerjob. Da würde ich noch auf dem Platz stehen, das Gras riechen und beispielsweise nicht nur in einem Bürogebäude sitzen.

SPOX: Die Höhepunkte Ihrer Karriere liegen nun schon einige Zeit hinter Ihnen. Wie schwer ist es zu akzeptieren, dass die Zeit als Bundesligaprofi endgültig vorüber ist?

Asamoah: Als ich das Angebot von Schalke annahm, wusste ich: Jetzt ist die Profilaufbahn vorbei. Mir war aber wichtig, nicht von heute auf morgen aufzuhören. Die Aufgabe bei der U 23 begleitet mich jetzt ins vollständige Karriereende. Natürlich ist es wunderschön, dass ich jetzt viel mehr Zeit für meine Familie habe als früher. Es ist andererseits keine einfache Sache, wenn das jahrelange Profidasein und all die positiven Begleiterscheinungen, die damit einhergehen, plötzlich wegfallen. Man vermisst diese Zeit schon ein wenig. Ich finde aber, dass ich in diesem ersten Jahr den Übergang gut hinbekommen habe.

SPOX: Noch tingeln Sie in der Regionalliga über die Sportplätze, spielen dort auch schon mal vor weniger als 500 Zuschauern.

Asamoah: Es ist sehr schön, noch einmal in die Zeit seiner eigenen Anfänge zurückgeworfen zu werden. Jetzt gibt es wieder diese Nähe zu den Zuschauern, ich kriege alles mit, was sie über einen sagen, ihre Reaktionen. Das ist eigentlich der ursprüngliche Fußball, den ich besonders liebe. Dass es nicht mehr diese Glitzerwelt ist, stört mich überhaupt nicht.

SPOX: Wie sehr Glitzerwelt war denn früher?

Asamoah: Die gab es schon. Als Profi bekommt man ja das ganze Drumherum kaum mit. Du wirst ins Stadion gefahren, machst dich warm, spielst das Spiel, gehst duschen und wirst wieder nach Hause gefahren. Es kann schon sein, dass man dann vielleicht gar nicht so richtig wahrnehmen kann, wie schön man es eigentlich hat und was in der "normalen" Welt alles passiert. Ich hatte das Glück, dass das Geschäft zu meinen Anfängen noch relativ alltäglich war und nicht so dermaßen im Fokus der Öffentlichkeit stand. Heutzutage wird einem schon viel abgenommen.

SPOX: Wie erging es Ihnen in solchen Fragen?

Asamoah: Wenn einem bestimmte Dinge nach und nach abgenommen werden, verselbständigt sich das schon. Ich hatte auch einmal das Problem, dass ich irgendetwas Alltägliches machen sollte, es aber überhaupt nicht hingekriegt habe - weil ich einfach nicht wusste, wie es richtig funktioniert. Das hört sich jetzt dramatischer an, als es ist. Als Spieler kann man aber schon vor der Gefahr stehen, relativ hilflos zu sein, wenn man solche Dinge eines Tages selbst regeln muss.

SPOX: Ist es für die heutige Spielergeneration in Ihren Augen gefährlich, sich schon zu Beginn des Erwachsenwerdens in dieser Umgebung aufzuhalten?

Asamoah: Das ist möglich. Die Entwicklungen lassen sich aber nicht stoppen. Heute spielen 17- oder 18-Jährige bereits in der Youth League, reisen um die Welt und erleben Dinge, die in diesem Alter ungewöhnlich sind. Auf der einen Seite ist das förderlich für die Entwicklung junger Spieler, auf der anderen Seite darf niemals das Gefühl entstehen, dies sei alles normal. Sonst könnte man den Blick auf die Realität verlieren. Auch die Eltern und Berater der Spieler sind gefragt, den Einzelnen zu erden.

SPOX: Wie nehmen Sie Ihre deutlich jüngeren Kollegen innerhalb der 4. Liga wahr?

Asamoah: Es ist eine andere Generation. Sie tickt anders, nicht zu vergleichen mit der Zeit, als wir so alt waren. Klassisches Beispiel: Früher war es Normalität, dass die jungen Spieler die Trainingsutensilien auf den Platz getragen und auch wieder eingesammelt haben. Das sehen heute nicht alle so. Natürlich gibt es auch jetzt noch genügend Heranwachsende, die kapieren, trotz erster Zwischenerfolge nicht durchdrehen zu dürfen und geduldig zu bleiben. Es gibt aber auch Spieler, die schon sehr früh denken, sie wären's. Das sind in der Regel diejenigen, die den Sprung zum Profi nicht schaffen.

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SPOX: Welchen Aufwand haben Sie zu Ihrer Anfangszeit bei Hannover 96 betreiben müssen, um Schritt halten zu können?

Asamoah: Ich bin mit dem Bus zum Training gefahren. Damals war es als junger Spieler deutlich schwieriger, sich in einer 1. Mannschaft zu etablieren. Mein Glück war, dass Hannover in die 3. Liga abstieg, so dass man gezwungen war, auf Leute wie mich zu setzen. Doch obwohl es für mich dann sehr gut lief, blieb ich im Ansehen ein junger Spieler. Ich hatte gegenüber den gestandenen Jungs, die für mich auch echte Männer waren, nichts zu sagen. Da konnte ich so gut spielen, wie ich wollte. Ich hatte auch gar nicht den Mut, den Mund überhaupt aufzumachen (lacht).

SPOX: Dann war früher also doch nicht alles besser.

Asamoah: Die Zeiten ändern sich eben. So wie wir jungen Spieler damals drauf waren - das wäre heute gar nicht mehr denkbar. Ich denke aber, dass wir aufgrund dieser Umstände einen anderen Ehrgeiz entwickelt haben. Wir wollten uns selbst und den gestandenen Spielern zeigen, dass wir unser Ziel erreichen werden. Manchmal bezweifle ich, ob heutzutage jeder innerhalb seiner komfortablen Situation alles dafür tut, um an sein Ziel zu kommen. Und das Ziel kann nur sein, gestandener Profi zu werden und sich eben nicht damit zufrieden zu geben, dass es als Jugendspieler ganz ordentlich läuft.

SPOX: Wie war es für Sie, erstmals richtig Geld zu verdienen, wie fühlt man sich da?

Asamoah: Das erste gute Gehalt, das ich mit dem Fußball verdient habe, wurde noch meinem Vater aufs Konto überwiesen. Ich hatte nämlich gar keins (lacht). Es mag abgedroschen klingen, aber ich war nie der Typ, der viel Wert auf Geld gelegt hat. Ich wollte einfach immer Fußball spielen, so dass ich sowieso kaum Zeit hatte, das Geld in irgendeiner Art zu verschwenden. Mit 19 bekam ich vom Verein einen Wagen gestellt. Da wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mir von meinem eigenen Geld ein noch besseres Auto zu leisten. Ich lebte lange Zeit bei meinen Eltern. Wäre ich nicht zu Schalke gegangen, würde ich wohl heute noch dort wohnen (lacht).

SPOX: Sie unterlagen nie der Versuchung, mal einen größeren Betrag in die Hand zu nehmen und sich einen Wunsch zu erfüllen?

Asamoah: Nicht in diesem Sinne, nein. Ich weiß noch, wie ich als Profi meinen ersten größeren Urlaub verbracht habe. Ich bin mit Fabian Ernst, der auch heute noch ein guter Kumpel von mir ist, und einigen anderen Spielern nach Fuerteventura geflogen. Drei Tage später saß ich schon wieder im Flieger zurück, Fuerteventura war einfach nicht meine Welt. Später auf Schalke bin ich das erste Mal mit Familie und Freunden nach Ghana geflogen. Das hat mir gefallen und zugleich auch gereicht. Natürlich habe ich mir mit der Zeit auch mal gewisse Dinge gegönnt, aber eigentlich nie so materielle Dinge wie zum Beispiel einen exotischen Urlaub.

SPOX: Per Mertesacker hat im Film "Die Mannschaft" zugegeben, dass er bei seinem legendären Eistonnen-Interview endlich einmal die Wahrheit gesagt hat. Wie oft mussten Sie während Ihrer aktiven Zeit um Ihre eigene Meinung herum sprechen?

Asamoah: Ich bin das sehr defensiv angegangen. Das ging und geht ja aber auch nicht anders. Wenn du aus der Emotion heraus etwas Deutliches sagst - egal, ob positiv oder negativ -, begleitet dich das medial mindestens die gesamte nächste Woche. Daher habe ich natürlich darauf geachtet, diesbezüglich keine "Fehler" zu begehen und mir solche Probleme zu ersparen.

SPOX: Hatten Sie anfangs Schwierigkeiten damit, nicht immer das zu sagen, was Sie denken?

Asamoah: Man bekommt schnell mit, wie das alles funktioniert und passt sich dann an. Das sieht man ja auch heutzutage noch. Ich habe es mal am eigenen Leibe erfahren, als von mir 2007 der Spruch zu lesen war, ich würde zu Fuß von Dortmund nach Gelsenkirchen laufen, wenn wir damals beim BVB Meister geworden wären. Das war einfach nur ein flapsiger Ausspruch, der in der Form, in der das Zitat bis heute besteht, so nie von mir geäußert wurde. Da wurde einem noch einmal vor Augen geführt, dass es grundsätzlich besser ist, wenn man etwas zurückhaltender agiert, um keinen Stress mit solchen Dingen zu haben.

SPOX: Kürzlich sind Sie in die Schlagzeilen geraten, weil Sie unter Alkoholeinfluss mit Ihrem Auto gegen einen Baum gefahren sind. Wie oft haben Sie sich dafür im Nachhinein schon an den Kopf gefasst?

Asamoah: Sehr oft. Alleine die Tatsache, dass meine Kinder ohne ihren Vater hätten aufwachsen können, zeigt, was für ein Riesenfehler das war. Ich habe unüberlegt gehandelt, hatte großes Glück und habe vor Gericht dafür eine gerechte Strafe erhalten.

SPOX: Haben Sie sich seit seiner Alzheimererkrankung schon mit Rudi Assauer getroffen, der sieben Jahre lang Ihr Manager auf Schalke war?

Asamoah: Ja, wir waren schon ein paar Mal zusammen essen. Das letzte Mal habe ich ihn beim "Charity Renntag" in der Gelsenkirchener Trabrennbahn gesehen. Das Schöne ist, dass er mich noch erkennt. Das freut mich wirklich sehr. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Wie unterhalten Sie sich mit ihm?

Asamoah: Er gibt die Themen vor und ich gehe dann darauf ein. Die Kommunikation funktioniert noch ganz gut. Wir sprechen auch über allgemeine Dinge, nicht nur über Fußball. Es macht weiterhin Spaß mit ihm und ich glaube, ihm gefällt das auch sehr. Es ist einfach ein Jammer, dass ein solch starker Mann diese tückische Krankheit durchleiden muss. Wie seine Tochter und er damit umgehen, davor muss man wirklich alle Hüte ziehen.

SPOX: Ihnen macht eine Verdickung der Herzscheidewand zu schaffen, deshalb wurde während Ihrer Spiele immer ein Defibrillator bereitgehalten. Es hieß, Ihr Risiko für einen Herzstillstand läge bei einem Prozent. Hat sich an dieser Situation eigentlich etwas geändert?

Asamoah: Nein, es ist alles beim Alten. Der Defibrillator stünde überall für mich bereit, zudem lasse ich mich regelmäßig von einem Arzt untersuchen. Das ist ein nicht heilbares Problem, die Sache wird sich nicht mehr verbessern. Ich bin sehr froh, dass ich damit dennoch jahrelang Hochleistungssport betreiben konnte.

SPOX: Schon während dieser Zeit setzten Sie sich für den Kampf gegen Rassismus ein. Was haben Sie gedacht, als Ende Oktober tausende Nazis in Köln unter fragwürdigem Vorwand Randale gemacht haben?

Asamoah: Das ist natürlich ein Wahnsinn. Da denke ich nicht anders als jeder andere vernünftige Mensch. Das Problem in unserer Gesellschaft ist jedoch, dass wir nur dann über das Thema Rassismus reden, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Gibt es kein Ereignis, das die Massen in Aufruhr versetzt, dann reden wir auch kaum darüber. Wir sollten nicht nur dann hingucken, wenn wir auch etwas sehen. Es braucht einen ernst- und dauerhaften Diskurs zu diesem Thema.

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