"Ich kann vom Supermarkt lernen"

Jochen Tittmar
15. Juni 201514:28
Kehrte der Trainergilde vorübergehend den Rücken: Holger Stanislawskigetty
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Holger Stanislawski leitet seit mehr als einem halben Jahr einen Supermarkt, Trainerangebote bekommt er aber noch immer regelmäßig. Im SPOX-Interview spricht die St. Pauli-Legende über die mögliche Rückkehr in den Fußball, tägliche Herausforderungen im Büro und neue Perspektiven aufs Profigeschäft.

SPOX: Herr Stanislawski, Sie leiten seit über einem halben Jahr zusammen mit Ex-HSV-Profi Alexander Laas einen Supermarkt in Hamburg. Dort sind Sie Herr über eine Gesamtfläche von fast 8000 Quadratmetern, 130 Angestellten und erwirtschaften einen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro. Wenn Ihnen dies jemand vor drei Jahren prognostiziert hätte, was hätten Sie entgegnet?

Holger Stanislawski: Dass das nicht unbedingt in meinen Planungen auftaucht (lacht). Als wir uns letztlich dafür entschieden haben, wussten wir aber, welche Herausforderung wir annehmen - Management auf hohem Niveau. Wir haben ja keinen kleinen Krämerladen, sondern ein Sortiment von rund 50.000 Artikeln. Mit zwei Stunden vor Ort sein und dann wieder nach Hause gehen ist es nicht getan.

SPOX: Sondern?

Stanislawski: Ich bin durchschnittlich sechs Tage die Woche zwischen zehn und zwölf Stunden im Laden. Dieses Geschäft ist sehr zeitintensiv. Ich bin ja nicht nur im Markt zugegen, sondern auch vor Ort bei Lieferanten und Höfen, die uns beispielsweise mit Fleisch oder Eiern beliefern. Da ist immer etwas zu tun, so dass meine Bürozeiten häufig recht unterschiedlich sind. SPOX

SPOX: Wie fielen denn anfangs die Reaktionen aus der Fußballbranche aus?

Stanislawski: Der Wechsel vom Fußballtrainer zum Unternehmer hat den einen oder anderen sicherlich erstaunt. Die Rückmeldung war dennoch zumeist positiv. Diejenigen, die mich gut kennen, wussten sowieso, dass mir eine solch in Anführungszeichen schräge Sache zuzutrauen ist. Ich hatte zwar auch genügend Anfragen aus dem Fußball, aber ich fand es sehr reizvoll, mir in meiner Heimatstadt ein solches Standbein aufzubauen.

SPOX: Ist der Laden nicht voll von St. Pauli-Fans, die Sie gerne einmal treffen möchten?

Stanislawski: Ich treffe immer mal wieder Leute, mit denen man über die Hamburger Vereine quatscht und die dann ein Autogramm haben oder ein Foto schießen wollen. Fußball ist bei uns natürlich ein großes Thema. Ich bin ja weiterhin voll dabei und über die kompletten Abläufe im Profifußball informiert.

SPOX: Wenn Sie jetzt ein kurzes Zwischenfazit ziehen müssten, worin bestand für Sie die größte Herausforderung im neuen Job?

Stanislawski: Hier geht es unheimlich viel um Logistik, die Warenverfügbarkeit muss kontinuierlich sichergestellt werden. Man spricht mit Lieferanten und hinterfragt sein eigenes Sortiment, reflektiert die Wünsche der Kunden. Parallel dazu läuft die Personalplanung, die mit der einer Fußballmannschaft ja überhaupt nicht zu vergleichen ist. Es ist eine große Anstrengung, all diese Dinge unter einen Hut zu bekommen. Man arbeitet sich Tag für Tag ein Stückchen weiter. Es macht mir wirklich großen Spaß.

SPOX: Wie sehr wird denn an Ihnen gezerrt, wieder in den Fußball-Kreislauf zurück zu kehren - oder ebben die Angebote ab?

Stanislawski: Nein, ich hatte in der abgelaufenen Saison fünf, sechs Anfragen vorliegen. Ich habe immer gesagt, dass ich mich dem Fußball niemals lossagen werde. Das ist wie Fahrradfahren, wenn man das von der Pike auf gelernt hat, dann verlernt man es nicht mehr. Ich bin über das aktuelle Geschehen stets informiert. Wenn etwas kommt, das zu mir passt, dann würde ich mir das unabhängig von der Ligazugehörigkeit sicherlich gerne anhören. Hier im Laden besteht für mich die Möglichkeit, in einem solchen Fall den Posten als Geschäftsführer ruhen zu lassen, aber Teilhaber zu bleiben. Ich habe keine Druck-Situation, alles machen zu müssen und bin deshalb relativ frei in meiner Entscheidung.

SPOX: Wie sähe denn Ihr Wunschangebot aus?

Stanislawski: Mir ist wichtig, dass ein Verein eine grundsätzliche Vision verfolgt. Ich bin mir zwar bewusst, dass der Fußball immer ein Wochengeschäft bleiben wird und es anders als oft behauptet selten darum geht, langfristig etwas aufzubauen. Ich habe aber Gespräche mit Klubs geführt, bei denen sich die Philosophie grundlegend verändert, sobald andere handelnde Personen am Werk sind. So darf es nicht sein. Es geht darum zu sehen, wie der Verein ausgerichtet ist und ob meine Art von Fußball dazu passt. Das sind viele kleine Bausteine, die man in mehreren Gesprächen abklopfen müsste.

SPOX: Sie haben mittlerweile einige Absagen verteilt. Liegt das auch an den in manchen Vereinen recht verworrenen Machtstrukturen, die die von Trainern erwünschte Kontinuität erschweren?

Stanislawski: Mitunter. Ich bin schon aus Gesprächen gekommen und dachte mir im Nachhinein, dass das alles etwas nebulös erschien. Ein Verein sollte eine feste Struktur und Basis mitbringen, was das Personal angeht. Es muss ein Korsett geben, das nicht beim kleinsten Gegenwind wieder auseinanderfällt.

SPOX: Sie standen vor einem Jahr kurz vor einem Engagement beim 1. FC Nürnberg, konnten aber nicht Ihre beiden Co-Trainer mitbringen.

Stanislawski: Es ging mir damals nicht darum, all meine Vorstellungen umgesetzt sehen zu wollen. Dennoch gibt es ein, zwei Punkte, die grundsätzlich einfach passen müssen. Das war in diesem Fall leider nicht gegeben, so dass ich es dann lieber gelassen habe, bevor man sich sechs Wochen gegenüber steht und diskutiert, wieso es nicht funktioniert. Das hat für mich auch etwas mit Loyalität meinen Co-Trainern gegenüber zu tun.

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SPOX: Wenn Sie jetzt in diesem Moment aus dem Bauch heraus entscheiden müssten, würde Sie dann eher wieder die Arbeit mit den Stollenschuhen auf dem grünen Rasen reizen oder doch lieber der Bürojob ohne Sportbekleidung?

Stanislawski: Ich bin zwar Fußball durch und durch und habe über längere Zeiträume schon in allen Bereichen gearbeitet, aber das könnte ich jetzt gar nicht genau eingrenzen. Es würde sich wohl aus etwaigen Anfragen und den Gesprächen ergeben, welcher Posten dann besonders interessant wäre.

SPOX: Ihre letzte Station als Trainer liegt nun zwei Jahre zurück. Nach dem Aus beim 1. FC Köln im Mai 2013 haben Sie sich über ein Jahr lang aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Das tat gut, oder?

Stanislawski: Eindeutig. Ich habe anfangs erst einmal die Ruhe gesucht und mich neu sortiert. Im Oktober haben wir uns dann schon die ersten Gedanken in Richtung Supermarkt gemacht. Es war in dieser Zeit eigentlich immer etwas los - ich habe nur nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden. Ich liebe das Verborgene und mache meine Dinge gerne still und heimlich. Ich habe beispielsweise auch bei Sami Hyypiä in Leverkusen hospitiert. Als es mit der Übernahme des Marktes losging, war ich den Rest der Zeit gleich ziemlich eingespannt.

SPOX: Fiel es Ihnen leicht, nach all der Zeit vom Fußball loszulassen?

Stanislawski: Ich habe immer weiter Fußball geschaut. Davon kann ich nicht loslassen, ob ich jetzt direkt involviert bin oder nicht. Man erholt sich als Trainer ja am Ende einer Saison. Schauen Sie sich mal die Trainer am Anfang und am Ende einer Saison an. Da ist zum Schluss jedem anzumerken, wie anstrengend dieser Beruf ist, weil man vor allem gedanklich in viel mehr Bereiche eingebunden ist wie als Spieler. Das heißt aber nicht, dass man nach drei, vier Wochen Urlaub nicht schon wieder startklar wäre, um weiter zu machen. Ich wollte nicht untätig sein, sondern habe mich einfach anders orientiert. Trainer sein mit 60 Jahren will ich nicht, das ist nicht mein Plan. Es war ein guter Zeitpunkt und meine Triebfeder, für mich in Hamburg etwas zu schaffen, das von Dauer ist.

SPOX: Wie wichtig war es Ihnen, wieder einer echten Beschäftigung nachgehen zu können? Manche arbeitsuchenden Trainerkollegen geraten ja bisweilen in Gefahr, ständig nur auf den einen erlösenden Anruf zu warten.

Stanislawski: Das war mir in der Tat sehr wichtig. Ich will unabhängig vom Fußball, aber auch jederzeit wieder in der Lage sein, mich die nächsten zwei, drei Jahre dem Fußball widmen zu können. Ich bin gern Herr meiner eigenen Entscheidungen und möchte als Trainer nicht warten müssen. Dazu habe ich mir nun etwas geschaffen, bei dem ich nicht von einem Telefonanruf abhängig bin, um dann als siebter Kandidat Gespräche mit einem Verein führen zu müssen.

SPOX: Glauben Sie, dass Sie sich als Mensch verändert haben, seitdem Sie sich nicht mehr im Fußballkreislauf aufhalten?

Stanislawski: Ich würde zumindest behaupten, dass ich mittlerweile viele Dinge gelassener aufnehme und mir eine gewisse Entspanntheit angeeignet habe. Man bekommt dann so eine innere Ruhe, weil man weiß, dass man schon deutlich angespanntere Situationen erlebt und gemeistert hat. Ich glaube auch, dass ich bei einer Rückkehr in den Fußball viele Dinge mit Sicherheit entspannter sehen würde als noch vor drei oder vier Jahren. Diese persönliche Weiterentwicklung tut mir auch gut. Wenn ich jetzt von außen auf den Profifußball schaue, nehme ich einige Dinge manchmal schon mit Verwunderung wahr und denke: Schau an, in diesem Kreislauf warst du auch gefangen.

SPOX: Können Sie ein Beispiel dafür nennen, was Sie verwundert hat?

Stanislawski: Es kam zum Beispiel schon vor, dass einen Vereine nach dem 2. Spieltag angerufen haben und den Trainer wechseln wollten. Da denkt man sich schon, wo denn jetzt die Kontinuität geblieben ist, die man ja sicherlich zusammen leben wollte. Wenn nach zwei Spieltagen schon über den Trainer nachgedacht wird, dann kann im gesamten Verein nicht wirklich alles sauber sein. Zu solchen Dingen entwickelt man sozusagen als Außenstehender einen anderen Bezug und ist auch ganz glücklich, wenn man es für sich ausschließen kann, in einem solchen Umfeld zu arbeiten. SPOX

SPOX: Ist es möglich, dass bei Ihnen nach dem Fußball und jetzt dem Supermarkt in Zukunft noch ein drittes Betätigungsfeld hinzukommen könnte?

Stanislawski: Das kann durchaus sein, ja. Es ist zwar noch nichts ausgereift und erst recht nicht spruchreif, aber ich habe im Hintergrund zwei, drei Projekte in der Mache. Ich bin an so vielen Dingen interessiert, dass ich mir ständig Gedanken mache und mich mit verschiedenen Themen beschäftige. Wenn ich aber etwas angehe, dann möchte ich es aus Überzeugung tun. Der Supermarkt ist für mich aktuell so horizonterweiternd, dass ein Angebot aus dem Fußball erst einmal interessanter sein muss. Vielleicht sage ich eines Tages aber auch, dass ich mit dem Supermarkt und einem möglichen neuen Projekt so viel zu tun habe und so glücklich damit bin, dass ich gar nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben möchte. Auch der umgekehrte Fall kann eintreten. Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass ich vielleicht in zwei Monaten wieder im Fußball zu sehen bin.

SPOX: Typisch Holger Stanislawski, werden viele jetzt sagen. Sie hatten häufig bereits etwas für die "speziellen" Wege übrig.

Stanislawski: Ein deutliches Ja. Ich war schon immer anders und auch froh darüber. Ich habe seit jeher in etwas andere Richtungen gedacht. Deshalb bin ich jetzt auch der erste Trainer, der einen Supermarkt führt (lacht). Ich kann vom Supermarkt lernen - fürs Leben und für den Fußball. Ich habe aber auch durch den Fußball Dinge gelernt, die ich im Supermarkt einsetze. Ich bin momentan so wie es ist glücklich.

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