Werder-Legende Willi Lemke über SVW: "Leute interessierten sich mehr für Ailtons Durchfall"

Von Simon Haux
Willi Lemke (r., mit Ailton) war von 1981 bis 1995 Manager bei Werder Bremen.
© getty
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SPOX: Konnten Sie Ihre Meinungen denn immer frei äußern oder mussten Sie sich als Vertreter der Vereinten Nationen öfters diplomatisch zurückhalten?

Lemke: Nein, das nicht. Die Tatsache, dass der Iran sich weigert, gegen israelische Sportler anzutreten, habe ich gegenüber dem damaligen Sportminister beispielsweise ganz klar angesprochen. Das verstößt gegen jegliche Werte des Sports, die ich vertrete, und schadet letztlich ja auch den iranischen Athleten. Da muss man die Chuzpe haben, das zu äußern. So habe ich es stets gehandhabt und das wünsche ich mir auch von der Politik.

SPOX: Sie haben immer wieder betont, wie wichtig Vorbilder für den positiven gesellschaftlichen Einfluss des Sports sind. In den USA haben zuletzt Protestaktionen in den Profiligen NFL und NBA gegen gesellschaftliche Missstände für Aufruhr gesorgt. Internationale Verbände wie FIFA, UEFA und IOC halten sich dagegen von brisanten Themen fern, kritische Aussagen sind unerwünscht, auch die meisten Sportler schrecken davor zurück. Warum?

Lemke: Verbände scheuen recht häufig, sich in gesellschaftspolitische Probleme einzumischen, weil sie sich zu allererst den sportlichen Belangen verpflichtet fühlen und befürchten, politisch zerrieben zu werden. Die meisten Sportlerinnen und Sportler wissen, dass Ihre Arbeitgeber, die Profivereine, klare öffentliche Stellungnahmen nicht wirklich schätzen, weil sie befürchten, dadurch wirtschaftliche Nachteile zu erfahren. Weder Sportler noch Klubs wollen sich bei Fans und Sponsoren durch kontroverse Aussagen unbeliebt machen. Auch die großen Verbände haben natürlich finanzielle Interessen. FIFA und IOC machen mit den Wettbewerben in China, Russland oder Katar ein gutes Geschäft. Und auch bei einer Kooperation wie der inzwischen gescheiterten Testspielreihe der chinesischen U20-Nationalmannschaft gegen deutsche Regionalligisten spielt das Geld natürlich eine Rolle.

Willi Lemke: "FIFA befindet sich in schwerer Krise"

SPOX: 2015 trat der FIFA-Skandal in seinem vollen Umfang zutage. Der Verband beschwor seine Selbstreinigungskräfte und versprach Aufklärung und Transparenz. Wie beurteilen Sie den bisherigen Reformprozess?

Lemke: Die FIFA befindet sich seit einiger Zeit in einer schweren Krise. Ich wage nicht vorauszusagen, ob es der neuen Führung um Gianni Infantino gelingt, den verheerenden Ruf der FIFA bis zur WM in Katar zu verbessern.

SPOX: Im Juni 2016 übernahm mit Fatma Samoura eine Frau den Posten der FIFA-Generalsekretärin, die nicht aus dem FIFA-Klüngel kommt, sondern zuvor für die Vereinten Nationen arbeitete. Ein gutes Zeichen?

Lemke: Ich hoffe es sehr. Wirklich beurteilen kann ich ihren Einfluss und ihre Arbeit allerdings nicht, da ich sie während meiner Tätigkeit bei den Vereinten Nationen leider nicht persönlich kennengelernt habe.

SPOX: Insgesamt ist der Fußball ein ganz besonders von Männern dominiertes Geschäft. Woran liegt das, fehlt es an kompetenten Frauen?

Lemke: Nein, absolut nicht! Aber man darf bei dem Vergleich nicht vergessen, dass es Frauenfußball erst seit wenigen Jahrzehnten gibt. So gesehen gehe ich davon aus, dass sich das im Laufe der nächsten Zeit stetig verbessern wird.

SPOX: Inzwischen gibt es mit Bibiana Steinhaus die erste Schiedsrichterin in der Bundesliga der Männer. Wie lange wird es noch dauern, bis wir in den europäischen Top-Ligen Trainerinnen, Managerinnen oder Vereinspräsidentinnen sehen?

Lemke: Mit Bibiana Steinhaus ist ein erster wichtiger Schritt vollbracht. Außerdem gibt es bereits viele Vereine im Breitensport, in denen man Physiotherapeutinnen erfolgreich mit Fußballern arbeiten sehen kann. Und ich bin sicher, dass wir schon bald hochqualifizierte Frauen als Managerinnen haben werden. Bis wir eine Frau als Trainerin in der Bundesliga sehen, werden jedoch voraussichtlich noch ein paar Jahre vergehen.

Willi Lemkes Ämter bei Werder Bremen

BeginnEndeAmt
26.10.201421.11.2016Aufsichtsratmitglied
01.10.200525.10.2014Aufsichtsratvorsitzender
01.07.199930.09.2005stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender
11.11.198110.05.1999Manager

Willi Lemke über Werder Bremen, Dr. Franz Böhmert und Otto Rehhagel

SPOX: Kommen wir zu "Ihrem" Verein. Werder Bremen steht in der Bundesliga im Tabellenkeller, das letzte Europapokal-Spiel ist mehr als sieben Jahre her. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Werder sich jemals wieder in die Spitzengruppe der größeren, finanzstärkeren Vereine zurückarbeiten kann?

Lemke: Die Hoffnung ist bei mir weiterhin vorhanden. Allerdings ist die Ausgangslage heute viel schwieriger als zu meiner aktiven Zeit. Wenn wir weniger Fehler machen, werden wir aber sicher auch wieder im oberen Tabellendrittel zu finden sein.

SPOX: Der Trainerjob scheint auch in Bremen heutzutage nicht mehr annähernd so sicher zu sein wie zu Ihren Zeiten, als Otto Rehhagel und Thomas Schaaf je 15 Jahre auf der Bank saßen.

Lemke: Dr. Franz Böhmert war als Vereinspräsident der liebenswerte Garant der Erfolge der Achtziger- und Neunzigerjahre, der Vater der "Werder-Familie". Er ließ den handelnden hauptamtlichen Personen freie Hand. Dadurch wurde Otto Rehhagel zum mächtigsten Mann im Verein. Damals galt für uns in der Führung das Motto, die Schwächen eines jeden von uns zu ertragen und die Stärken voll zu nutzen. Das hat formidabel geklappt.

SPOX: Als Werder-Anhänger gehörten auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt und seine Ehefrau Brigitte Seebacher-Brandt zum "erweiterten Familienkreis". Sie selbst zählen Brandt zu Ihren größten Vorbildern.

Lemke: Willy Brandt war und ist noch heute ein großes Vorbild für mich. Durch seine konsequente Entspannungspolitik ist es ihm gelungen, den Kalten Krieg zwischen den großen Weltmächten zu bändigen. Den Kniefall von Warschau werde ich niemals vergessen. Nur wenige Monate vor seinem Tod hat seine Frau Brigitte Otto Rehhagel und mich noch einmal zu einem Besuch in sein Haus in Unkel eingeladen. Für uns war es sehr beeindruckend zu erleben, wie er mit uns über die große Politik, aber auch die Fußball-Bundesliga sprach.

SPOX: In einem Interview im Jahr 2016 haben Sie den Wunsch geäußert, einmal mit Michelle und Barack Obama Kaffee zu trinken. Haben Sie in Obama auch Eigenschaften von Willy Brandt wiedererkannt?

Lemke: Das Charisma dieser beiden Politiker ist sicher vergleichbar, aber Barack Obama konnte leider viele seiner politischen Ziele nicht durchsetzen.

SPOX: Inzwischen haben sowohl Sie als auch die Obamas etwas weniger Stress ... hat der gemeinsame Kaffee schon geklappt?

Lemke: Nein, es hat nur einen Handschlag in Berlin gegeben. Aber vielleicht wird es irgendwann ja doch noch etwas mit dem Kaffeetrinken.

SPOX: Abgesehen davon: Welche persönlichen Ziele und Träume haben Sie nach dem Ende Ihrer Arbeit im und für den Sport noch im Blick?

Lemke: Ich bin in meinem Leben sehr verwöhnt worden, habe eine wunderbare Familie und nicht nur vier Kinder, sondern inzwischen sogar ein Enkelkind. Aus der ganzen Welt erreichen mich Nachrichten von vielen Menschen, die ich sehr schätze. Da gibt es für mich nur noch den Wunsch, in Demut, Dankbarkeit und vor allem in Frieden noch ein paar Jahre geschenkt zu bekommen.

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